Richard und Sophie von Brahmberg Fanpage
  Kap 36
 

David verließ leise das Zimmer. Er wollte Sina nicht erschrecken, fand es besser, dass die Kleine erstmal mit Lisa allein wäre. Zudem musste auch er kurz für sich sein. Leise schloss er die Türe hinter sich zu, sah sich suchend um. Von Jürgen und Richard fehlte jede Spur. Er setzte sich hin, fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht.

Lisas Worte verwirrten ihn immer noch. Richard ist Sinas Vater. Und die Kleine war nicht Lisas leibliche Tochter. Lisa zog das Kind ihrer besten Freundin auf. Nie wäre er auf den Gedanken gekommen, dass Sina nicht Lisas leibliche Tochter war. Er hatte sie mehrmals zusammen erlebt, diese innige Beziehung der Beiden. Ein Bild hatte sich besonders in sein Gedächtnis gebrannt. Als Sina das erste Mal bei ‚Kerima’ gewesen war und sich von Lisa verabschieden musste. Wie sie ihre Arme um Lisas Hals gelegt hatte und sich dann mit diesem glücklichen Lächeln von ihr verabschiedet hatte. Auch Lisa sah so gelöst aus, glücklich.

Und doch wusste die Kleine ganz genau, dass ihre leibliche Mutter nicht mehr lebte… Kurz sah er Richard und Friedrich vor sich.

Wenn er Schritte hörte sah David immer sofort auf, hoffte er doch Richard zu entdecken.

Die Minuten verstrichen und David versank wieder in Erinnerungen.

Er hatte sein Studium in Berlin beendet, war mit Mariella zusammen und arbeitete schon bei Kerima. Richard dagegen wollte nach seinem Auslandsstudium auf eigenen Wunsch hin weiter in Frankfurt arbeiten. Niemand hatte das Damals verstanden. Claus hätte ihn viel lieber gleich bei ‚Kerima’ gehabt, aber Richard war es lieber so gewesen… Er begründete es damals mit „Erfahrungen sammeln“. Doch David vermutete jetzt einen anderen Grund. Richard war wegen Kelly in Frankfurt geblieben. So muss es gewesen sein. Sie musste ihm sehr wichtig gewesen sein – doch dann hatte sich Richard vor Trauer um Claus verrannt und er hatte Kelly verloren. Jetzt konnte David Richards Verbissenheit ein bisschen besser verstehen. Richard hatte viel getan, um Claus Erbe zu bewahren. Doch zu welchem Preis?

 

 

Sanft strich Lisa Sina übers Gesicht und lächelte sie liebevoll an. Die Kleine sah müde aus, aber sie hatte schon wieder dieses besondere Glitzern in ihren Augen.

Mami?“

Ja?“

Ich hab Mummy gesehen. Beim Unfall. Sie hat mir gesagt, dass ich die Augen wieder aufmachen muss. Und dass sie mich lieb hat...“ Lisa schluckte heftig, strich Sina übers Gesicht.

Ich hab Kelly auch gesehen“, sagte sie dann mit belegter Stimme. Sina lächelte erleichtert.

Uhi! Dann ist Mummy unser Schutzengel?“

Ja Sina…Deine Mummy passt auf uns beide auf“, lächelte Lisa sanft.

Jürgen sah überrascht auf, als er David vor dem Zimmer sitzen sah. Beunruhigt sah er, dass David das Gesicht in den Händen vergraben hatte. „Wie geht es Lisa und Sina?“, fragte Jürgen sofort und riss David so aus seinen Gedanken.

Sina ist aufgewacht. Lisa ist bei ihr. Wo ist Richard?“

Erleichtert seufzte Jürgen erstmal auf. „Er wollte alleine sein“, erklärte er dann. David sprang sofort auf. „Danke!“, sagte er schon im gehen. Jürgen sah ihm verdutzt nach, klopfte dann aber an die Tür und ging hinein.

Plenske Maus, was macht ihr denn für Sachen!“, schimpfte er liebevoll los, als er Sina erblickte.

Onkel Jürgen, die haben mir ein Loch in den Bauch gemacht!“, beschwerte sich Sina ganz empört, die von Lisa gerade erfahren hatte, was passiert war.

Ohweh du Arme!“, bedauerte Jürgen sie auch sofort wie gewünscht. Dann hob er aber sein Shirt leicht und zeigte Sina seine Blinddarmnarbe. „Aber jetzt gehörst du zum Club“, erklärte er sehr ernst.

Er scherzte mit der Kleinen, beobachtete Lisa dabei aber genau. Auch wenn sie Sina lächelnd ansah, Jürgen erkannte, dass Lisa mit ihren Gedanken woanders war. Sina, von der Operation noch immer erschöpft, schlief schnell wieder ein. Lisa deckte sie vorsichtig zu. Ihre Hände lagen dann verkrampft auf der Bettdecke. Jürgen, der ihr eine Weile stumm zugeschaut hatte, zog Lisa dann zu sich und nahm sie in den Arm.

Jürgen- wenn ihr was passiert wäre!“ Lisas Stimme klang so verzweifelt, brüchig. „Wenn ihr was passiert wäre…“

Lisa…“, versuchte Jürgen sie zu beruhigen. Er packte sie sanft an den Schultern, schob sie soweit von sich weg, dass er ihr in die Augen blicken konnte. „Ihr ist aber nichts weiter passiert! Ihr habt beide Glück im Unglück gehabt. Sina und du werdet ein paar Wochen mit blauen Flecken rumlaufen müssen, aber ihr lebt! Wenn du nicht gebremst hättest, ihr wärt von diesem Baum höchstwahrscheinlich erschlagen worden. Sei lieber froh, dass du so schnell reagiert hast!“

Ich hab nicht wegen des Baums reagiert“, sagte Lisa langsam. „Da war jemand auf der Straße… Ich dachte zumindest, dass da jemand war. Sie hat gewunken, da hab ich gebremst.“

Sie?“, wiederholte Jürgen verblüfft.

Kelly“, flüsterte Lisa und sah auf den Boden. Sie wischte sich schnell übers Gesicht. „Wenn sie nicht gewesen wäre… wenn ich Sina verloren hätte…“

Mensch Süße…“, seufzte Jürgen auf und nahm sie wieder in den Arm. „Du hast sie nicht verloren“, sagte er leise. „Sie ist hier. Bei dir. Sina geht’s gut, okay?“

 

David war aus dem Krankenhaus gelaufen. Es wunderte ihn nicht wirklich, dass Richards Auto nicht mehr auf dem Parkplatz stand. Da sie mit nur einem Auto losgefahren waren, sprang David schnell in ein Taxi. Auch später konnte er sich nicht wirklich erklären, warum er sich so sicher gewesen war, wo Richard zu finden war. Es war in dem Moment einfach klar gewesen… Der Friedhof war mit dem Auto in 15 Minuten zu erreichen. Erleichtert sah David Richards Wagen. Schnell bezahlte er den Taxifahrer und ging dann los. Glücklicherweise traf er auf einen der Gärtner, er war das letzte Mal bei der Beerdigung hier gewesen und die Familiengräber lagen weit auseinander.

David ging der Beschreibung nach und entdeckte Richard auf einer Bank.

Dieser starrte auf den Grabstein vor sich.

 

Claus von Brahmberg

 

David setzte sich stumm neben ihn auf die Bank.

Sina?“, unterbrach Richard die Stille.

Sie ist aufgewacht… Lisa ist bei ihr.“

Wieder dauerte es eine Weile, bis Richard seine nächste Frage stellt. „Wie hast du mich gefunden?“

Er war dein Vater. Ich dachte, du würdest in seiner Nähe sein wollen.“

Mein Vater…“, wiederholte Richard langsam. „Ich frage mich, ob Claus es gewusst hat? Wie konnte Friedrich seinem angeblich besten Freund noch in die Augen sehen? Und wie konnte Claus mit ihm weiterarbeiten? Er konnte es nicht gewusst haben… Sonst hätte Claus mich nicht so behandelt.“

Ob er es gewusst hat, ist nicht wichtig.“

Ach ja?“ fragte Richard sarkastisch.

Claus hat dich geliebt. Du warst sein Sohn und wirst es immer bleiben.“ Immer noch sahen die beiden ungleichen Brüder sich nicht an. Sie starrten beide auf den Grabstein.

Er hat einen Sohn aufgezogen, der nicht sein leiblicher ist. Und ich hab eine Tochter von der ich nicht mal etwas wusste. Meine Tochter…“ Er sprach immer leiser. „Kelly ist tot und ich wusste nichts von ihr und von Sina… Das ist doch einfach nur krank…“ Richard stöhnte auf.

David blieb stumm.

Du hast mich gesucht. Also sag was“, raunzte Richard ihn verzweifelt an. „Für den ganzen Irrsinn muss es doch eine logische Erklärung geben!“

Vielleicht gibt es eine Erklärung. Ich weiß sie aber nicht und kann dir deshalb nichts sagen“, antwortete David ruhig.

Wundervoll Herr Seidel. Und was verdammt noch mal machst du eigentlich hier??“ Richard sah ihn jetzt an.

Ich bin für dich da“, erklärte David ruhig.

Nach all dem was war? Geht’s dir noch gut?“, fragte Richard, doch er klang nicht mehr zynisch. Zum ersten Mal konnte David etwas in Richards Miene lesen. Er sah David so verzweifelt an, völlig fertig.

Ohne zu zögern, als wäre es das Normalste überhaupt, legte David eine Hand auf Richards Schulter.

Hör einfach zu meckern Richard. Ich bin für dich da. Akzeptier das einfach“, sagte David mit Nachdruck. Er wusste nicht warum er das tat- aber es war ihm egal. Wichtig war ihm im Moment nur eines. Er wollte Richard jetzt nicht alleine lassen, er wollte für ihn da sein. Ohne Begründung, ohne Gedanken darüber, was zwischen ihnen schon geschehen war und was noch geschehen würde.

Eine Weile blieben beide stumm.

Es ist merkwürdig“, sagte Richard dann langsam. „Ich sitze hier vor seinem Grab. Denke die ganze Zeit, dass er mein Vater gewesen ist. Der Mann, der mich aufgezogen hat. Und dann sagt eine andere Stimme in mir, dass alles anders gelaufen wäre, wenn Claus die Wahrheit gewusst hätte. Dass mein ganzes Leben vielleicht anders gelaufen wäre. Vielleicht auch zwischen uns. Als Kinder haben wir uns doch gut verstanden…“

Vielleicht. Aber vielleicht auch nicht. Ändern sich deine Gefühle für ihn, nur weil er nicht dein leiblicher Vater ist?“ fragte David leise. „Ich weiß… ich hab in letzter Zeit immer darauf gepocht, dass wir Brüder sind, dass sich unser Verhältnis deshalb ändern müsse… Aber eigentlich… eigentlich wünsche ich mir nur, dass wir miteinander klarkommen.“ Er blickte Richard jetzt an, der auch ihm das Gesicht zugewandt hatte. „Auch wenn wir uns in den letzten Jahren mehr oder weniger…“

Das Leben zur Hölle gemacht haben?“, beendete Richard seinen Satz in typischer Manier.

Ich hätte genervt gesagt, aber gut…“, lachte David leise auf. „Aber du hast ja Recht. Tatsache ist, dass du mir nie egal warst Richard. Ich habe mich über dich aufgeregt, wollte dich ausstechen, besser sein als du. Dann hab ich resigniert… Ich wollte mein Leben genießen und hab dabei vergessen auf andere zu achten. Dass wir Brüder sind, ändert nicht wirklich etwas an der Situation. Aber es könnte ein weiterer Grund sein, warum es sich lohnt an unserer Beziehung zu arbeiten… Und jetzt wo du weißt, dass du Sinas Vater bist…“

Vater“, wiederholte Richard leise. „Ich hab noch nicht mal geschafft damals eine Beziehung mit der Frau zu führen, die ich…“, er unterbrach sich. „Ich war Kelly nie völlig offen gegenüber… Wie soll ich mich denn ihrer Tochter gegenüber benehmen? Meiner Tochter? Ich weiß nicht, was ich machen soll…“

Nachdenklich hatte David ihm zugehört. Es war eine völlig neue Situation. Richard, der immer mit dieser Maske herumlief, öffnete sich ausgerechnet ihm gegenüber.

Die Vergangenheit können wir leider nicht ändern. Was du machen sollst, das kann ich dir leider auch nicht sagen… Aber wie wäre es erstmal ins Krankenhaus fahren? Da gibt’s bestimmt eine kleine Lady, die sich über unseren Besuch freuen würde.“

Bei der Nennung des Kosenamens lächelte Richard leicht. Dann sah er David an und nickte langsam. David hielt ihm seine Hand hin. Mit hochgezogener Augenbraue sah Richard ihn an. „Danke ich kann alleine laufen“, meinte er trocken.

Ich wollte auch nur deinen Autoschlüssel“, entgegnete David.

Wenn du glaubst, dass ich dich mit meinem Auto fahren lasse, bist du weitaus dümmer, als ich dachte“, meckerte Richard auch schon und ging los.

Na ein Glück, da ist der alte Richard ja noch’, grinste David und ging eilends seinem Bruder nach.

 

 
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