Richard und Sophie von Brahmberg Fanpage
  Kap 17
 

Die Fahrt schien ewig zu dauern, nervös rutschte Lisa auf dem Sitz hin und her.

Soll ich mal wo halten junge Frau?“, fragte der ältere Taxifahrer.

Was? Nein, bitte nicht. Ich … bin nur nervös… Ich muss nur schnell zu diesem Arzt, meinte Tochter hatte nen Unfall“, erklärte Lisa.

Ja, ja die jungen Dinger machen einem immer Sorgen… Kenn ich“, nickte der Taxifahrer zustimmend. „Aber keine Sorge junge Frau- wir sind gleich da.“

Lisa bezahlte und rannte dann förmlich die Treppen zur Praxis hinauf.

Guten Tag, ich suche meine Tochter. Sina Plenske“, sagte Lisa nervös. Die Arzthelferin nickte ihr freundlich zu und deutete dann auf eine Tür.

Der Doktor ist gerade bei ihr. Gehen Sie nur hinein.“

Sina!“, rief Lisa erleichtert, als sie sah, dass die Kleine munter aufrecht saß.

Mami! Guck mal- der Verband ist blau!“, sagte Sina ganz aufgeregt und hob ihren Arm.

Süße, das ist toll. Guten Tag, Lisa Plenske mein Name. Was ist mit meiner Tochter?““, wandte sie sich dann an den Arzt. Der lächelte ihr beruhigend zu.

In ein paar Tagen ist wieder alles in Ordnung Frau Plenske. Es ist nichts gebrochen. Ihre Tochter hatte nur nen kleinen Schock, deswegen hat sie so geweint, aber wir haben das ganz gut hinbekommen nicht war Sina?“

Jepp“, nickte Sina zustimmend. Lisa seufzte erleichtert auf und strich der Kleinen übers Haar. Sie machten einen Kontrolltermin aus und Lisa ging dann mit Sina zu einer nahen gelegenen Eisdiele.

Sina bestellte sich einen Obstsalat mit Fruchteis, Lisa nur eine Tasse Kaffee. Während Sina sich über ihren Eisbecher hermachte, rief Lisa schnell im Büro an.

Hier ist alles in Ordnung. David hab ich Bescheid gegeben, die Chefs sind wieder ruhiger der Präsentationstermin wurde ausgemacht. Ich soll dir ausrichten, dass du dir den Nachmittag frei nehmen kannst“, erklärte Alexa.

Okay, wir sehen uns dann morgen und danke nochmal“, sagte Lisa erleichtert und legte dann auf.

 

So Süße und jetzt erzähl mal, wie ist das denn passiert?“, wandte sie sich dann an Sina.

Clarissa hat mich geärgert und dann wollte ich, dass sie sich entschuldigt und bin dann runter gefallen“, erzählte Sina langsam.

Sina, ich hab dir doch immer gesagt, auf dem Klettergerüst wird nicht gestritten oder geschubst oder sonst etwas. Das kann gefährlich sein, da musst du aufpassen“, rügte sie Sina leicht.

Das Mädchen nickte, stocherte dann aber in ihrem Becher.

Mami?“, sagte Sina dann leise.

Hm?“

War ich nicht brav als Baby?“

Wie kommst du denn jetzt darauf?“, fragte Lisa verwundert und stellte ihre Tasse wieder auf den Tisch. Unruhig wartete sie, bemerkte, dass ihre Hände leicht zitterten.

Weil ich keinen Papa habe. Liegt es daran, dass ich nicht brav war?“ Sina blickte Lisa jetzt mit traurigen Augen an. Geschockt sah Lisa sie an.

Sina, wer hat dir diesen Unsinn erzählt?“, fragte sie mit heiserer Stimme.

Clarissa meinte, wenn die Kinder brav sind, dann bleiben die Papas da…“, murmelte Sina leise.

Das ist absoluter Unsinn Kleines!“, erwiderte Lisa heftig. Sie schluckte. „Komm mal her mein Schatz“, sagte sie dann und zog Sina auf ihren Schoß. Das Mädchen kuschelte sich eng an Lisa. Sanft streichelte sie über Sinas Rücken, während sie sich gut ihre Worte überlegte.

Süße… auch du hast einen Papa. Jeder Mensch hat einen Papa. Aber manchmal… manchmal lernen sich die Papas und ihre Kinder nun mal nicht kennen. Dafür gibt es die unterschiedlichsten Gründe. Manchmal wissen die Papas nichts von dem Kind oder manchmal wohnen sie ganz weit weg. Oder manchmal sind sie schon… im Himmel. Verstehst du?“

Wie Mummy?“, fragte Sina leise. Wieder musste Lisa heftig schlucken, sah dann aber Sina fest in die Augen.

Ja, wie deine Mummy… Was mit deinem Papa ist, weiß ich leider nicht Maus. Aber ich weiß ganz, ganz, ganz sicher, dass es nicht deine Schuld ist, dass du ihn nicht kennst. Hast du das verstanden Sina?“

Das Mädchen nickte heftig. „Dann hat Clarissa wirklich keine Ahnung. Ich hatte recht!“, motze Sina los und schaute finster drein. Sie hatte trotzig die Arme gekreuzt und sah Lisa kampflustig entgegen.

Ja du hattest recht- aber trotzdem junges Fräulein: ab sofort wird auf dem Klettergerüst nicht mehr gestritten, verstanden?“, sagte Lisa erleichtert über Sinas Stimmungswechsel und kitzelte sie kräftig durch. Das Mädchen kreischte vergnügt auf.

Verstanden!“, jappste Sina. Dann sah sie Lisa bittend an. „Musst du heute noch arbeiten gehen?“, fragte sie und schmiegte sich wieder an Lisa.

Nein Süße, wir haben heute den Tag für uns“, antwortete Lisa und lachte auf, als Sina sie begeistert anstrahlte. „Aber erst wird das Eis aufgegessen, ja?“ Lisa ließ sie wieder herunter und Sina machte sich wieder über ihr Eis her. Lisa bemühte sich einen lockeren Ton anzuschlagen, doch gingen ihr Sinas Worte nicht aus dem Kopf.



Spät am Abend, als Sina schon lange eingeschlafen war, saß Lisa immer noch neben ihr und betrachtete das kleine Mädchen.

War ich nicht brav? Dass Sina jemals die Schuld bei sich suchen würde, war Lisa nie in den Sinn gekommen. Zum ersten Mal verspürte Lisa so etwas wie Wut auf Kelly. War diese Wut gerechtfertigt? Leise ging sie in ihr Zimmer.

Lisa hatte Kelly nur noch ein einziges nach Sinas Vater gefragt. Es war nach einem Vorbereitungstermin im Krankenhaus gewesen, zu dem Lisa die Freundin begleitet hatte. Kelly hatte Lisa gefragt, ob sie mit in den Geburtsaal kommen würde. Sie hatte zugestimmt, Kelly aber daheim direkt gefragt.

Kelly- Weißt du denn gar nichts von... dem Vater des Babys?“ Kelly hatte sie eine Weile stumm angeschaut. Dann hatte sie gelächelt und mit den Schultern gezuckt.

Ich hab’s dir doch schon gesagt… Ich weiß nicht wer er ist. Es war ein Ausrutscher, eine einmalige Sache. Als ich festgestellt hatte, dass ich schwanger bin, wollte ich raus aus Frankfurt. Da hatte ich keine richtige Perspektive gesehen. Wie denn auch als Aushilfskellnerin? Ich wollte einen Neustart und so bin ich hier gelandet. Und das war doch die beste Idee meines Lebens!

 

Nachdenklich setzte sie sich auf ihren Fenstersims. Sie sah hinaus. ‚Warum Kelly? Warum hatte ich das Gefühl, dass du doch genau weißt, wer Sinas Vater ist?’ Als sich Sinas Augen Wochen nach der Geburt immer deutlicher in dem funkelnden Grün zeigten und sie Kelly fragte, wer aus ihrer Familie denn so grüne Augen hatte, war Kelly ein „Soweit ich weiß niemand“, rausgerutscht. Später meinte sie, eine Tante väterlicherseits hätte Sinas Augen.

„Manchmal glaube ich, du sagst nicht ganz die Wahrheit“, hatte sie zu Kelly im Scherz gesagt. Sie hatte immer gelacht und scherzhaft gesagt: „Du kennst mich eben gut Lisa.“ Doch ihr Blick war immer ernst dabei gewesen.

Lisa stand unentschlossen vor ihrem Kleiderschrank. In einer Ecke würde sie den großen Pappkarton mit Kellys Briefen finden. Schließlich trug sie eben diesen auf ihr Bett.

Würden dort irgendwelche Hinweise stehen? Hatte Kelly ihr etwas Genaueres geschrieben? Einen Namen, eine Adresse, irgendeinen Hinweis? Aber wenn sie den Namen von Sinas Vater gewusst hatte, warum hatte sie ihr ihn nicht schon früher gesagt? Grübelnd betrachtete Lisa den Karton, öffnete ihn schließlich. Sie nahm den ersten Ordner heraus, in der die Briefe aufbewahrt waren.

Sie griff zu einem Brief. Es war der einzige, den sie gelesen hatte. In Kellys sauberer Handschrift stand darauf: Lisa – Nr. 1. Einen Umschlag weiter war die Nr. 2. Der Umschlag war noch verschlossen.

Vier Jahre waren vergangen und sie hatte es nicht über sich gebracht auch nur einen weiteren der zig Briefe zu lesen, die Kelly ihr hinterlassen hatte. Zu sehr schmerzte es. Schon die Briefe an Sina zu lesen, kostete Lisa soviel Kraft. In ihren ersten Briefen hatte Kelly Sina öfter erklärt, dass sie sehr krank war, und dass manche Menschen früher in den Himmel gehen würden. Dass daran keiner Schuld hätte. Und dass Sina nicht traurig deswegen sein sollte. Kellys Erklärungen hatten Sina gereicht. Sie war ein kleines Kind gewesen, als Kelly starb, die Briefe waren eine wunderschöne Verbindung zu ihrer leiblichen Mutter und Sina freute sich über jeden einzelnen Brief unheimlich.

Aber Lisa schmerzte es die Worte zu lesen. Und Lisa erlaubte sich keine Tränen mehr. Das letzte Mal geweint hatte sie im Krankenhaus, als sie von Kellys Tod erfahren hatte. An diesem Tag hatte sie sich geschworen ab sofort stark zu bleiben. Stark zu bleiben, um auf Sina aufzupassen, ihr ein schönes Zuhause zu bieten, eine liebevolle Kindheit- so wie Kelly es getan hätte. Die Kleine sollte nicht sehen, dass Lisa traurig war. Bei der Beerdigung hatte sie Sina die ganze Zeit auf dem Arm. Niemand sah Lisa an diesem Tag oder später einmal weinen. Nicht einmal, wenn sie alleine war ließ sie Tränen zu. Sie musste stark bleiben, um Kellys Wünsche zu erfüllen. Sie hatte um das Sorgerecht für Sina gekämpft, hatte es mit der Hilfe von Mr. Cole, dem Rechtsanwalt geschafft und ein Jahr später Sina adoptiert.

Sie sah auf den Umschlag, öffnete ihn langsam. Ihre Hand zitterte.

 

Lisa meine Süße,

ich bin mir sehr sicher, dass es eine Weile her ist, dass du den ersten Brief gelesen hast. Zu gut kenne ich dich- genau wie du mich gekannt hast…

Ich hoffe, dass alles genauso geklappt hat, wie ich es mir gewünscht hatte. Dass Sina bei dir aufwächst. Ich hoffe es geht dir gut meine liebe Lisa.

Ich liege hier in meinem Zimmer und überlege wie ich beginnen soll. Sina habe ich schon viele Briefe geschrieben. Auch das fällt mir schwer. Wie soll ich einen Glückwunschbrief für ihren 18. Geburtstag schreiben? Sie ist gerade einmal vier Jahre alt geworden. Vierzehn Jahre, die ich nicht miterleben werde…

Lisa hörte auf zu lesen. Sie überflog den Brief, suchte nur nach einem Wort: „Vater“. Es erschien nicht und sie warf den Brief zurück. Es tat so weh- so unheimlich weh, aber sie konnte nicht weiter lesen.

Lisa setzte sich auf ihre Fensterbank, legte ihre Stirn gegen das kühle Glas.

Tut mir leid, Sina. Ich kann nicht“, murmelte sie. ‚Vielleicht verrät es Kelly dir in einem ihrer Briefe selbst- wenn du alt genug bist. Oder ich irre mich und sie wusste den Namen wirklich nicht.

 

 
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