Prolog

Es ist spät am Nachmittag. Sie hatte es sich gemütlich in ihrem Garten gemacht. Schon seit einer Weile sitzt sie allein auf der alten Hollywoodschaukel und genießt die warmen Sonnenstrahlen, während drinnen der Rest der Familie ist. Es war der erste heiße Sommertag in diesem Jahr. Zufrieden trinkt sie ihr Sommer- Lieblingsgetränk, „sanfter Engel“ oder einfach ausgedrückt, Orangensaft mit einer Kugel Vanilleeis. Für diese Eigenart hatte ihr Stiefvater absolut kein Verständnis. Vanilleeis- Er schüttelte sich immer, wenn er sie damit sah. Sie muss lachen, als sie sich sein Gesicht vorstellt.

Auf dem großen Holztisch vor ihr liegt ein dickes Fotoalbum. Sie war gerade damit fertig geworden. Hatte die letzten Fotos eingeklebt und beschriftet. Sie nimmt noch einen Schluck und stellt dann das Glas auf Tisch. Geschickt bindet sie eine große rote Schleife um das Album, als zwei Kinder auf sie zu stürmen.

Elly, ihre zehnjährige Tochter, und der sechsjährige Nico begrüßen ihre Mutter lautstark. Mit den langen, dunklen Haaren sieht Elly ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten aus, während Nico mehr seinem Vater ähnelt. Jedoch hat er wie seine Schwester die grünen Augen seiner Mutter geerbt.

„Mama, Papa sagt, wir sollen fragen, ob wir mit dürfen zum einkaufen! Dürfen wir? Bitte, bitte! Opa, Opi und Uropa kommen auch mit.“ Die Beiden schauen sie mit großen Augen an und haben ihre Unterlippe leicht vorgeschoben. Den Trick mit dem Dackelblick haben die Kinder perfektioniert.

„Lauft schon!“, stimmt sie schmunzelnd zu.

Die Kinder kreischen begeistert und rennen fast die Frau um, die gerade im Garten erscheint.

„Nicht so stürmisch Kinder“, lacht diese auf.

„Tschuldigung Oma“, ertönt es noch, dann sind die Kinder im Haus verschwunden.

Die junge Frau springt sofort auf. „Mama! Du sollst dich doch schonen“, schimpft sie besorgt.

„Ich bin schon viel fitter als ihr alle meint. Die Männer drinnen haben mich auch schon böse angeschaut, also erspar du deiner Mutter diesen Blick. Aber später werden sie sich nicht über den Kartoffelsalat und die Frikadellen beschweren, den ich gemacht habe“, schmunzelt Lisa und schaut ihre Tochter liebevoll an.

„Du wärst noch fitter, wenn du dich an die Anordnung von den Ärzten halten würdest“, schimpft Sina besorgt weiter, hackt Lisa unter und setzt sich mit ihr wieder auf die Schaukel. „Mit einer Grippe ist nicht zu spaßen.“

„Schön…“, seufzt Lisa auf, als sie das Fotoalbum entdeckt. Daneben liegen noch die Schere, einige Papierschnipsel und der Kleber.

„Oh, du hast ein Album gemacht?“

„Ja. Ich wollte es dir eigentlich erst nach dem Essen geben“, lächelt Sina jetzt. „Aber wenn du es jetzt schon sehen magst? Bis die Männer nach dem Einkaufen mit dem Grill soweit sind…“

„…kann es noch eine ganze Weile dauern“, beendet Lisa lachend. Sie deutet auf das Album.

„Darf ich?“, fragt sie leise und Sina nickt gespannt. ‚Ich hoffe es gefällt ihr…’

Vorsichtig löst Lisa die Schleife und schlägt dann das Album auf. Sie betrachtet das erste Bild.

„Sina, das ist wundervoll…“, sagt sie gerührt. Sina lächelt glücklich und wird auch schon von ihrer Mutter liebevoll in den Arm genommen.

„Schau dir erstmal den Rest an“, lacht Sina.

Beide Frauen beugen sich über die erste Seite. Das erste Foto zeigt Lisa, Anfang 20 Arm in Arm mit einer hübschen, ebenso jungen Frau, mit dunklen langen Haaren und braunen Augen. Beide strahlen in die Kamera. Das nächste Bild zeigt wieder die junge Frau mit einem Baby im Arm. Dahinter ist ein wunderschön geschmückter Weihnachtsbaum zu sehen. In Sinas schöner Handschrift steht

~ Erstes Weihnachten zuhause ~

‚Zuhause’. Lisa schließt die Augen und sieht die Wohnung immer noch vor sich. Sina greift nach Lisas Hand und drückt sie sanft, spürt sie doch genau, was in Lisa gerade vorgeht. Lisa öffnet die Augen, lächelt Sina an und erwidert den Druck. Erinnerungen tauchen auf. Erinnerung an manchmal schwierigere Zeiten…