KAPITEL 57 – Weihnachtsfest
Laura und Friedrich brachten einen müden, aber glücklichen Mattias am frühen Abend vorbei. Noch während des Abendessens – zu dem Lisa die Beiden kurzerhand einlud – konnte er nicht aufhören von Haien und Delphinen, Ottern und Seelöwen zu erzählen.
Bevor ihm ganz die Augen zufielen, schnappte sich Richard seinen Sohn inklusive Kaninchen und steckte ihn ins Bett.
Lisa blieb mit Laura und Friedrich am Tisch sitzen.
Letzterer räusperte sich „Danke – dass wir Mattias mitnehmen durften – er ist ein echter Sonnenschein!“
Die verletzenden Worte ihrer Mutter zum ´Schattenkind` kamen ihr in den Sinn und umso dankbarer war sie für diese Aussage.
Richard erschien recht schnell wieder und grinste „Der ist schon beim Zähneputzen eingeschlafen. Seine letzten verständlichen Worte waren, glaube ich, Koi-Karpfen werden sehr groß…“
Er wechselte einen Blick mit seiner Frau „Na Liebes? Lust auf Teich ausbuddeln?“
„Na wenigstens will er keine Haie!“
„Nein – denn erstens sind die für Mama zu gefährlich und zweitens brauchen die – wie die Delphine Platz und Salzwasser“, zitierte Richard mit einem besserwisserischen Ton in der Stimme.
Lisa ließ ihren Kopf auf ihre Arme fallen und seufzte.
Laura und Friedrich sahen etwas verblüfft aus und lachten dann los. Friedrich fasste sich als erster. Er wandte sich seinem Sohn zu und sammelte sich kurz, bevor er sprach „Richard – kannst Du mir verzeihen, dass ich so an Dir gezweifelt habe…“
Richard erwiderte sehr offen den Blick „Es gibt nichts zu verzeihen Friedrich. Ich habe Dinge getan, für die ich mich heute noch in Grund und Boden schäme.“
„Aber Du warst krank…“
„Krankheit entschuldigt nicht alles. Ich muss mit dem leben, was ich getan habe. Und seit ich Lisa an meiner Seite weiß, ist es etwas leichter geworden.“ Er warf ihr einen zärtlichen Blick zu, wandte sich aber dann wieder an seinen Vater „wenn auch Du einen Weg finden kannst, mit der Vergangenheit zu leben – wäre ich mehr als glücklich, wenn wir den Kontakt wieder aufleben lassen könnten.“
Lisa sah auf ihre Hände, die auf dem Tisch lagen und wagte kaum zu atmen. Bitte Friedrich – mach jetzt keinen Rückzieher. Es war das erste Mal, dass Richard derartig offen auf einen anderen Menschen (außer ihr) zuging…
Friedrich stand auf, Richard tat es ihm gleich. Er streckte ihm die Hand entgegen. „Auf einen Neubeginn. Laura und ich würden uns sehr glücklich schätzen Euch zur Familie zählen zu dürfen.“
Richard ergriff ohne zu zögern die dargebotene Hand.
In Lisa flutete so heftig die Erleichterung durch, dass es fast in ihren Ohren rauschte. Dies war ein weiterer Schritt zurück in Richtung Normalität.
Friedrich und Laura verabschiedeten sich kurz darauf und Lisa winkte den beiden noch lange nach. Richard stand stumm neben ihr. Erst, als das Auto außer Sicht war, sagte er leise „Das war eben verdammt hart für den alten Mann. Die beiden wirken so … verletzlich…“
Lisas sah immer in die Richtung, in die das Auto verschwunden war „aber sie haben noch David und seine Familie – und sie haben uns.“
Er trat hinter sie, umschlang sie und schmiegte seine Wange an die ihre „Ja – und wir alle haben Dich. Lisa – weißt Du eigentlich, was Du für uns bist? Für Mariella – eine Freundin, eine Schwester, eine Vertraute. Für Friedrich und Laura - und Hoffnungsstrahl. Für Sophie – das Gewissen, dass sie erkennen lässt, dass auch sie Familie hat. Für Mattias eine wundervolle Mutter…“
Sie lehnte sich an ihn „Du machst mich ganz verlegen! Und was bin ich für Dich?“
„Wie nenne ich Dich denn immer – mein Herz? Ohne Dich hätte ich den Weg aus der Dunkelheit nie gefunden. Und jetzt sage ich sogar Worte, die ich früher unendlich schwülstig fand. Lisa – Du bist mein Leben. Du hast es mir wieder gegeben und Du kannst es mir auch wieder nehmen.“
„Richard - was redest Du denn da?“
Seine Stimme war ganz nah und ganz leise an ihrem Ohr „Ich bin nicht sonderlich gut in solchen Worten... aber Chris Isaak hat da wunderbare Worte gefunden... Kennst Du das Lied Wicked game?“
Sie schüttelte ganz leicht den Kopf.
Er zog sie noch fester in die Arme und zitierte:
„World was on fire no one could save me but you
strange what desire will make foolish people do
I never dreamed that I'd need somebody like you
and I never dreamed that I'd lose somebody like you
No, I don't wanna fall in love - this world is only gonna break your heart.”
Lisa hatte die Augen geschlossen, lauschte seiner Stimme – und konnte nicht glauben, dass Richard solche Worte benutzte – für sie...
„Übersetzt Du es mir?“
Er lachte leise – „Aber Liebes – es gibt doch kaum Jemanden, der besser Englisch kann, als Du – aber bitte...
Welt in Flammen – Niemand konnte mich retten – außer Dir
Seltsam, was Leidenschaft Menschen für Dummheiten tun lässt
Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich Jemanden wie Dich brauche
Und ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich Angst habe Dich zu verlieren...“, er lachte wieder „meine freie Übersetzung – und auch der Rest stimmt nicht so ganz – ich wollte mich nie verlieben – hab es aber getan. Und diese Welt wird Dir immer das Herz brechen – so hatte ich mal gedacht...“
„Nun nicht mehr?“
„Nein mein Herz – nun nicht mehr – nun hoffe ich, dass Du meines heil lässt...“
Lisa schluckte, legte ihre Hände auf die seinen und kämpfte mit den Tränen – dann flüsterte sie „Lass uns reingehen, ja?“
„Ein bisschen schmusen Liebes?“
Sie drehte sich zu ihm um und ihre Hände glitten tiefer. Noch scheu, aber ohne zu zögern umfassten ihre Hände seinen Hintern und zogen ihn näher an sich heran. „Ja Richie – mit Schmusen können wir gerne anfangen.“
Hand in Hand gingen sie ins Haus, schlossen alle Türen, löschten die Lichter, ließen Küche Küche sein und gingen nach oben. Sie zogen sich gegenseitig aus, liebkosten und berührten sich, ließen sich unendlich viel Zeit. Lisa war zwar immer noch ein bisschen schüchtern, aber Angst hatte sie keine mehr. Und als er sich auf den Rücken drehte und sie auf sich setzte, sah sie ihn etwas verblüfft an, begriff aber schnell und folgte seinen angedeuteten Anweisungen.
Als sie es diesmal war, die auf ihm zusammensackte, kicherte sie etwas mädchenhaft „Ich wusste nicht, dass Ehemänner zugeritten werden müssen!“
Er nahm eine dicke Haarsträhne von ihr in die Hand und wickelte sie um seine Finger „Und ich liebe es, wenn Du es tust – und ich liebe es, wenn Du frivol wirst. Ich verderbe Dich Lisa – ehemalige Plenske – ich verderbe Dich so unendlich gerne.“
„Ja - verderbe mich. Zeig mir mehr davon – ich kann es kaum erwarten!“
Der Weihnachtsmorgen brach an. Kalt, mit Nieselregen und absolut schneelos.
Mattias Gesicht klebte an der Scheibe und er maulte „Papa – glaubst Du, es gibt noch Schnee?“
„Nein – glaube ich nicht!“ Richard seufzte und gab es auf, wieder Schlaf finden zu wollen. Auch Lisa – zwar noch unter der Bettdecke vergraben – war wach.
„Papa! Echt nicht?“ Er stapfte durch das Zimmer zu ihm hin. Richard zog ihn ins Bett und drückte ihn zwischen Lisa und sich.
Lisas zerstrubbelter Haarschopf erschien und sie blinzelte „Morgen Männer.“
„Mama – wie soll denn der Schlitten vom Weihnachtsmann kommen, wenn kein Schnee liegt?!“
„Der kommt – keine Sorge.“ Sie gähnte und reckte sich. „Oh Matty – es ist erst zehn nach sechs!“
„Ja – schon. Ich bin schon so lange auf!“
„Und das ist gut so!“ sagte Richard zu ihrer Verwunderung „wir müssen um zehn in Berlin sein.“
„Heute?“ Lisa setzte sich auf „aber Baum kaufen und schmücken und …und überhaupt!“
„Ja – und besonders und überhaupt! Komm schon Liebes! Es ist eine Überraschung. Und den Baum kaufen wir auf dem Rückweg.“
„Eine Überraschung? Für mich? Für Mama?“ Mattias hopste auf dem Bett herum und Richard fing ihn wieder ein.
„Kein Hopsen am Morgen! Und ja – eine für Dich und eine für Deine Mutter.“
Lisa war zwar wenig angetan von dem Gedanken, den schönen Weihnachtstag in Berlin zu verbringen, aber wo er nun schon Mattias närrisch gemacht hatte… Sie sah zu, wie Richard seinen Morgenmantel ergriff „Komm Zwerg – wir machen schon mal Frühstück.“
Nach dem Essen drängte Richard auf Aufbruch und kurz vor zehn erreichten sie Berlin.
„Äh Richie“, Lisa sah aus dem Fenster „der Zoo hat heute bestimmt zu.“
Doch Richard lenkte den Wagen unbeirrt auf den gähnend leeren Parkplatz, zückte sein Handy und stieg aus.
„Kommt schon!“ sagte er kurze Zeit später und Lisa stieg verwundert aus. Eine junge Frau mit dunkler Wuschelmähne erwartete sie am geschlossenen Eingang „Herr von Bramberg? Bitte kommen Sie.“
Was ging denn hier vor sich? Lisa folgte ihrem unergründlich dreinsehenden Mann und ihrem vor Erregung platzendem Sohn. Das junge Ding flüsterte Richard etwas zu und er antwortete ebenso leise.
Lisa – reiß Dich zusammen – die flüstern nur – doch sie hätte gerne in diese vielen Haare gegriffen und für etwas Abstand gesorgt.
Sie gingen durch den leeren Zoo – nur da und dort war ein Pfleger zu sehen, der die Gehege reinigte oder die Fütterung vornahm.
Mattias nahm mit riesigen Augen alles auf und war vor Aufregung beinahe am Zittern.
Sie blieben vor einem Zaun stehen. „Steffi? Kannst jetzt kommen!“
Steffi entpuppte sich als ebenso junges Ding, die blonden Haare zum straffen Pferdeschwanz gebunden und sie führte zwei sehr große plüschige Esel, je einen links und einen rechts an der Hand, beide trugen rote große Schleifen um den Hals. Lisa kannte die Rasse – es waren ihre absoluten Zoo-Lieblinge. Poitou-Esel – große gutmütige Gesellen mit dicken Locken. In Lisas Hals bildete sich ein Kloß. Sie erinnerte sich nur zu gut an ein Gespräch mit Richard auf der Terrasse, wo sie gesagt hatte, dass sie solche Tiere gerne hätte – aber an die ranzukommen, sei immens schwer. Er hatte doch nicht etwa?
„Lisa?“ Richard lächelte sie zärtlich an „Frohe Weihnachten!“
Lisa sah von den strahlenden Pflegerinnen und den langohrigen Geschöpfen hin zu ihrem aufgeregt hin und her hopsenden Sohn – zu Richard. Einer der Esel beschloss Lisa´s Haare näher zu untersuchen und sie legte immer noch etwas verwirrt ihre Hand an das Plüschfell. Dann wandte sie sich zu Richard um und warf ihre Arme um seinen Hals „Danke“, sie zog seinen Kopf herunter und – ungeachtet der Zuschauer - küssten sie sich ausgiebig.
„Wie könnt ihr jetzt küssen? Die Esel sind doch viel interessanter!“
Die Tierpflegerin mit den Wuschelhaaren lachte „Willst Du mal rauf Kleiner? Die sind ganz lieb.“
Im nächsten Moment saß Mattias auf dem größeren Exemplar und wurde durch das Paddock geführt.
Lisa und Richard standen am Rand und sahen zu. „Noch können die Gesellen hier bleiben“, flüsterte er ihr ins Ohr.
Im Schutze seines Mantels griff Lisa ihm an seine Kehrseite „Ich werde mich heute Abend gebührend bedanken.“
„Entwickelst Du eine Vorliebe für ein gewisses Körperteil von mir?“
Sie warf ihm einen recht schrägen Blick zu „Ist ein gut gelungenes Körperteil.“
„Es gehört ganz Dir...“
Matty kam nach einer Weile wieder „Und die kommen zu uns nach hause?“
„Ja – nach Weihnachten.“
Das Wuschelgeschöpf kam wieder zu ihnen und sie setzten ihre Wanderung durch den leeren Zoo fort. Nun jedoch gingen Lisa und Richard Seite an Seite, eng beieinander und Mattias fragte das Mädchen über die Esel aus.
Da sie hinten gingen, bekamen sie nur Fetzen mit wie „die schwerste Eselrasse der Welt“ und „nur noch eine Population von 150 Stück.“
Ihr Spaziergang endete vor der Rückfront eines Gebäudes und sie betraten es durch eine kleine Tür.
Mattias drehte sich zu ihnen um „Noch eine Überraschung Papa?“
„Ja – für Dich. Aber Mattias… Kein Tier hier ist zum Mitnehmen, verstanden? Dies ist nur ein Besuch!“
Mattys Gesicht war ein einziges Fragezeichen, aber als das Wuschelgeschöpf ihm eine Hand hinstreckte und sagte „Komm Kleiner – wir müssen uns umziehen“, ergriff er sofort ihre Hand und ließ sich fortführen.
„Und wir“, Richard drückte sanft ihre Schultern „wir suchen uns jetzt einen guten Platz und sehen zu.“
„Wobei denn?“
Er grinste „Warts ab Liebes – hat mich einiges an Beziehungen spielen gekostet – und eine Spende an den Zoo obendrein… Aber Träume soll man erfüllen, finde ich.“
Mit diesen Worten betraten sie einen sehr großen Raum mit vielen gestaffelten Zuschauerreihen (alle leer) und das zentrale Element war ein sehr großes Wasserbecken. Sie setzten sich – nicht zu nahe ans Wasser – und Lisa fiel noch ein Fotograph auf, der mit der Kamera in der Hand bereit stand, um das, was da kommen sollte, aufzunehmen.
Mattias kam in Badehose und Rettungsweste auf der anderen Seite heraus und das Wuschelmädchen trug nun einen Badeanzug à la Baywatch.
Zuerst kamen Robben. Mattias durfte diese anfassen und füttern und Bälle für sie werfen, die sie auf der Schnauze balancierten. Lisa konnte sein strahlendes Gesicht, auch auf die Entfernung hin, unschwer erkennen.
Es folgte ein einzelner Orca. Mattias durfte nun in ein Mini-Schlauchboot einsteigen und das große schwarz-weiße Tier zog ihn durch den Pool.
Dann war der Orca wieder fort und ein einzelner Delphin glitt in das Becken. Spontan schossen Lisa die Tränen in die Augen und Matty wäre vor Aufregung fast sofort ins Wasser gesprungen.
Das Mädchen ließ den Delphin auf der Flosse balancieren und Mattias konnte ihn so vom Rand aus streicheln. Dann nahm sie Mattias an die Hand und sie gingen zusammen in die flache Zone des Beckens.
Richards Stimme klang ganz rau, als er sagte „Himmel – ich glaube, unser Zwerg weint.“
„Nicht nur der“, kam es erstickt von Lisa und sie vergrub ihr Gesicht an seinem Ärmel und sah dann doch wieder hin.
Das Schauspiel, das sich ihr bot, war einfach … bezaubernd, wunderschön – sie fand kaum Worte dafür. Der Delphin kam auch ins flache Wasser, drehte sich auf den Rücken und ließ sich den Bauch kraulen. Er spielte mit dem Jungen, stupste ihn an, kam wie ein Tornado auf ihn zugeschossen und flutschte zwischen ihm und dem Mädchen durch.
Dann warf das Mädchen dem Tier einen Ring zu, an dem ein Seil war, ergriff Mattias und nahm ihn fest in den Arm und ließ sich ins Wasser sinken. Der Delphin zog los und Mädchen und Kind wurde mitgezogen. Mattias sicher im Arm der Tierpflegerin.
Nach einer halben Stunde zog das Mädchen Mattias aus dem Wasser und ein paar Minuten später waren sie alle wieder auf dem Rückweg zum Auto. Mattias schnatterte in einem Fort. Lisa nahm ihn schließlich auf den Arm und hoffte so, ihn wieder etwas zur Ruhe zu bringen.
Sie warf Richard einen sprechenden Blick zu. Und Richard lachte „Ok – und jetzt suchen wir einen Tannenbaum aus und dann gehen wir gemütlich was essen!“
Es war ein schönes Weihnachtsfest für alle. Den heiligen Abend verbrachten sie mit Eric – der keine Familie hatte. Am ersten Weihnachtstag machten sie eine Kutschfahrt mit den Ponys und waren nachmittags bei Bea und Niklas. Am zweiten Feiertag hatten sie das Haus voll mit allen Seidels und Sophie. Nur die Nächte, die gehörten nun ihnen.
Richard wurde mit jedem Tag gelöster und entspannter und Lisa bot ihrer Schüchternheit immer öfter paroli. Sie waren das geworden, was Lisa sich immer erträumt hatte – ein Paar und eine Familie.