KAPITEL 39 – Showdown
David schritt weiter rasch auf sie zu. Sein Gesicht war wutverzerrt. Ehe Richard Gelegenheit bekam zu reagieren, hatte David ihn erreicht, packte ihn am Jackenkragen und brüllte ihn an „WO IST MARIELLA???“
„Was?! WO IST MATTY?!?“
„Matty?“
„Mariella?“
Beide starrten sich schweratmend an.
Richard fasst sich als erster „Matty ist seit heute Mittags verschwunden – wir haben einen sehr hässlichen Brief bekommen, dass wir hierher kommen sollen.“
„Ich auch. Ich habe auch einen Brief bekommen. Wenn ich Mariella wiedersehen will, soll ich hierher kommen. Und das in sehr widerlichen Worten.“
Lisas Augen – tellergroß im Licht der Kegel der Scheinwerfer – waren auf David geheftet.
„Ich dachte.... ich dachte – Du hättest, Du wärest....“ Sie brach in Tränen aus.
Beide Männer machten einen Schritt auf sie zu und stoppten dann gleichzeitig.
Richard sprach. „Lisa – bitte fasse Dich. Wir müssen hier fort.“
„Genau“, sagte David „Wir stehen hier wie auf dem Präsentierteller.“
Richard sah auf den Zaun „Wir müssen den Stromgenerator finden, damit Hilfe hinein kann und wir alles durchsuchen können.“
David nickte und zu dritt schickten sie sich an das dunkle Gebäude zu betreten. Richard griff in seine Jackentasche und zog eine Taschenlampe heraus. Ihre Helligkeit und der Rest des Scheinwerferlichtes, das noch durch die offene Tür drang, waren die einzigen Lichtquellen.
Sie gingen eine Weile einen schmalen Gang entlang, Richard vorweg, Lisa in der Mitte und David bildete die Nachhut. Jedem war klar, das keiner dem anderen wirklich traute. Hatte David die Wahrheit gesagt? War Mariella auch entführt worden?
Ein seltsames Geräusch ließ Lisa nach oben blicken – und nicht nur sie, beide Männer schauten ebenfalls und reagierten gleichzeitig. Sie warfen sich mehr oder minder schützend über Lisa und rissen sie beiseite. Etwas Großes, Schweres krachte neben ihnen auf den Boden. Sowohl David als auch Richard stöhnten auf.
„Was ist Euch passiert?“ wisperte Lisa.
„Kopf“, stöhnte David.
„Schulter“, kam es von Richard.
Hände griffen nach ihr und zogen sie wieder auf die Füße. Nun sah man so gut wie gar nichts mehr.
„Wir müssen weiter“ – Richards Stimme klang seltsam gepresst.
In diesem Moment flackerte ein Licht auf, weit entfernt, aber es brachte etwas Helligkeit.
So viel, dass Lisa erkennen konnte, dass sich ein dünnes Rinnsal Blut über Davids Gesicht zog und Richard sich schmerzverzerrt die Schulter hielt. Auf dem Boden lag eine große Holzkiste, die durch den Sturz auseinandergebrochen war und um sie herum verstreut diverse Eisenteile.
David schob mit dem Fuß ein Rohr beiseite „Da will aber Jemand gar nicht, dass wir heil hier durchkommen.“
Richard sah zur Lichtquelle „Und eben jener will, dass wir genau dorthin gehen.“
„Das müsste der Innenhof sein. Ich hab mich mal mit Matty hier umgesehen, weil er das hier unbedingt sehen wollte. In der Mitte des Gebäudes ist eine Art Terrasse...“
David nahm sich das Rohr und wog es in der Hand – „gehen wir weiter.“
Richard zog zu Lisas Entsetzen einen Revolver hervor „Genau – so langsam werde ich wirklich wütend.“
Sie gingen sehr sehr vorsichtig weiter - in gehabter Reihenfolge. Es kam ohne Vorwarnung. Eben noch war Richard vor Lisa gewesen, im nächsten Moment stieß er einen überraschten Schrei aus und stürzte in ein Loch im Boden. Jemand hatte es mit Gummimatten überdeckt, so dass es wie normaler Fußboden aussah – und dann noch bei dem spärlichen Licht...
Lisa fiel am Rande des Loches zu Boden „Richard?“
„Ich bin hier.“ Kam es von unten. David kniete neben ihr und zückte ein Feuerzeug. Die kleine Flamme beleuchtete schwach die Szenerie. Richard war in einen Eingang zu einer Grube gefallen, die wohl dazu gedient hatte, dass Autos von unten besehen werden konnten. Die Öffnung war maximal einen Meter breit. Richard war die Treppe heruntergestürzt und lag am Boden.
David drückte Lisa das Feuerzeug in die Hand und hastete die Treppe runter. Er sprang über Richard hinweg und kniete dann neben ihm. „Kannst Du aufstehen?“
„Ich versuch´s.“
Mit schmerzverzerrten Gesicht kam er auf die Beine. Mit Davids Hilfe erklomm er die Stufen und oben angekommen gab David seiner Last an Lisa ab, ging ein paar Schritte beiseite und erbrach sich heftig.
Lisa umschlang Richards Mitte und spürte etwas warmes und klebriges an ihrer Hand „Du blutest.“
„Ich weiß.“ Er sah zu David, der gerade wieder hochkam und sich mit zitternder Hand das Gesicht wischte „Du hast eine Gehirnerschütterung, mein Lieber.“
David nickte gequält „Ich weiß – aber wir müssen weiter.“
Richard stöhnte auf „Die Waffe – sie ist weg..“
Noch vorsichtiger setzten sie sich in Bewegung. Lisa stützte Richard so gut sie konnte und sein rauer Atem verriet ihr mehr als tausend Worte, dass es ihm nicht gut ging. Davids Schritte vor ihr waren zögernd und unsicher – auch ihn hatte es übel erwischt. Doch was sollten sie tun? Zurückkehren und Matty und Mariella ihrem Schicksal überlassen? Es gab nur einen Weg – hin zum Licht und sich dem stellen, was sie dort erwartete.
Da spielt Jemand mit uns Katz und Maus, dachte Lisa und fühlte dabei eine ungeahnte Wut in sich aufsteigen. All die Menschen, die ihr lieb und teuer waren, waren in Gefahr und sie wollte so gerne um deren Wohl kämpfen können. Aber dieses gemeine hinterhältige und feige Vorgehen war nervenzermürbend.
Sie erreichten den Innenhof ohne weitere Unfälle, müssten aber noch einigen Fallgruben ausweichen. David benutzte die Eisenstange wie einen Blindenstock und stieß immer vor sich auf die Erde.
Der Innenhof war menschenleer, aber hell beleuchtet. Abwartend blieben sie am Rande stehen, noch gedeckt durch die Dunkelheit der Halle.
Auf der anderen Seite ging eine Tür auf und alle starrten gebannt dorthin. In dem Moment, da sie darauf zugehen wollten, schob Mariella ihren Rollstuhl hindurch und rief ihnen zu. „Bleibt da stehen – sie hat Matty!“
Lisa bekam David gerade noch am Ärmel erwischt, der zu seiner Frau laufen wollte.
Richard löste sich mühsam von Lisa und richtete sich auf. „Wer, wer hat Matty?“
Ihre Frage wurde beantwortet. Zwei weitere Gestalten schoben sich durch die Tür. Mattias an der Schulter vor sich herschiebend und eine Waffe an seine Schläfe haltend kam durch die Tür...
„Kim?“ David trat unwillkürlich einen Schritt vor „Kim – was machst Du denn da?“
„Bleib ja stehen Brüderlein – oder das Gehirn dieses kleinen Bastards wird zu Brei!“
Alle drei standen sie da und starrten die junge Frau ungläubig an, die gerade Lisas Sohn bedrohte.
David konnte es nicht glauben „Kim – das kann doch nicht sein. Kim – ich bin es – David – Dein Bruder!“ Wieder trat er einen Schritt vor und Kim hob die Waffe und zielte auf ihn „Einen Schritt noch und das war´s mit Dir! Du weißt, dass ich gut mit Waffen bin – Papa ist darüber immer so stolz, dass sein kleines Mädchen so gut schießen kann!“ Sie lachte freudlos auf.
David blieb stehen und es war immer noch sehr viel Unglaube in seinem Gesicht.
Mariella rief „Liebling, bleib stehen, bitte – sie meint es ernst.“
Lisa bemerkte, dass Richard einen Schritt zur Seite machte und dann noch einen – weg von David und ihr.
„Kim... Kimmi – sag dass das hier ein schlechter Scherz ist.“
„Gott David – komm mal auf den Teppich!“ Kim klang ärgerlich „Was meinst Du denn, wer Dich hat entführen lassen?“
„Nein!“ David schüttelte den Kopf, als ob er Wasser in den Ohren hätte.
„Doch liebes Brüderchen, doch! Hab ein paar Burschen angeheuert, Dich zu kidnappen. Hab denen erzählt, Du hättest mich betrogen und ich wollte Dich ein bisschen bestrafen... Die fanden das urkomisch.“
„Aber warum Kim? Warum? Du bist doch meine kleine Schwester?“
„Ja ja – ich bin die kleine Kimmi. Das dumme Ding, der man nie etwas zutraut. Und Du bist ihr strahlender Held – nicht wahr? David Seidel – gutaussehender Unternehmer, liebenswert, ein guter Sohn – so ein Netter! Kim – nimm Dir doch ein Beispiel an David!“ äffte sie Lauras Stimme nach „sei doch ein bisschen wie David. David ist so klug, so gutaussehend, so charmant – jeder mag den lieben David.“
Lisas Blick war auf ihren Sohn gerichtet, Mattias wacher Blick war derzeit auf David geheftet. Der Lütte wirkte überraschen ruhig. Ob er begriff, was gerade hier geschah?
Kim war noch nicht fertig mit ihren Ausführungen „Wie habe ich es genossen, Dich in dieser kleinen Hütte leiden zu sehen! Ich hab gespürt, dass Du dem Tod jeden Tag ein Stückchen näher kamst... Und Mama und Papa waren auf einmal so besorgt um mich... Es war so wunderbar. Und ich weiß, DU wärest da krepiert, wenn nicht...“ ihre Pistole fuchtelte in Lisas Richtung „...wenn nicht Misses Ich-bin-so-gut-und-edel Dich gefunden hätte. Boah – war ich wütend.“
Sie lachte auf „Doch dann wendete sich das Blatt. Du – lieber David – bist zwar mit dem Leben davon gekommen, hast Dich aber Mariella zugewandt. Das war wie ein Sechser im Lotto! Ich musste nur Sophie und Richard ausschalten – und schon wären alle Kerima-Anteile in Seidel-Besitz. Dann hätte das frisch verheiratete Pärchen einen Unfall gehabt und alles wäre bestens gewesen. Aber nö!“
Sie giftete zu Lisa rüber „Wieder mal war der Engel der Barmherzigkeit unterwegs und hat dieser Säuferin das Leben gerettet. Und dabei hatte ich Dich doch schon vorher mit dem Brief abschrecken wollen. Dummes Stück Mist – rettest Sophie das Leben und bringst Richard auch noch dazu Deinen Bastard als Erben einzusetzen!“
David sah zu Richard herüber und stellte fest, dass dieser bereits etliche Meter von Lisa entfernt stand. David ging nun seinerseits einen Schritt in die andere Richtung von Lisa weg... und noch einen...
„Und dann funkt mir auch noch Richards Ex-Flittchen dazwischen. Das blonde Nichts hat heraus bekommen, dass ich Aktien aufkaufe und bot mir ihre eigenen an. Da wusste ich erst, dass sie ganze fünf Prozent besitzt. Sehr spendabel Richard! Allerdings mit einer Klausel versehen, dass diese nicht verkauft werden dürfen... Die Schlampe muss was geahnt haben – ich glaube, sie bekam Angst vor mir. Oh – es war ein wunderbares Gefühl meine Hand in ihren Rücken zu legen und ihr einen Schubs im richtigen Moment zu geben. Danach sah sie nicht mehr hübsch aus..“
David war nun schon bestimmt drei Meter von Lisa fort, Richard mindestens das Doppelte. Lisa begriff was die beiden vorhatten und wollte Kim ablenken.
„Das mit dem Hund warst Du auch, nicht wahr? Und der Schuss auf das Pony?“
„Ach das!“ Kim machte eine wegwerfende Handbewegung „das war doch nur eine kleine Warnung – und das mit dem Hund ging dann ja gründlich schief. Der böse Richie mutierte zum Helden – was hab ich gelacht! Da war mir klar, er muss weg – je eher desto besser. Ich hab schon so frohlockt, dass ihr ihn alle nicht fandet... Ein schön tiefgekühlter Richie... Aber nein – Lisa Plenske findet ihn – natürlich!“
Sie sah Lisa in die Augen „eigentlich will ich ja gar nichts von Dir – aber ständig kommst Du mir in die Quere!“
„Und Mariella – warum Mariella?“
Kim stieß ein wütendes Schnauben aus. „David und Mariella – das Traumpaar! Ich konnte es nicht mehr hören. Eigentlich war das Püppi noch gar nicht an der Reihe – aber ich konnte sie und David einfach nicht mehr zusammen ertragen. Hat die gekämpft, um auf der Straße zu bleiben! Überlebt dann auch noch UND behält das Baby! Wahnsinn!“
Kim sah plötzlich von David zu Richard „Hey – stehen bleiben – alle beide!“
David und Richard blieben abwartend stehen.
„Und jetzt?“ fragte Richard fast sanft „was hast Du jetzt vor?“
„Oh“, Kim lächelte sonnig „Du und David – ihr bringt Euch gegenseitig um. Leider treffen ein paar Querschläger auch die anderen. Keine Sorge Mariella – Dein Baby werde ich aufziehen – und Mama und Papa werden mich dafür lieben und alles wird wieder gut...“
Dann geschah alles zugleich.
Mattias biss Kim kräftig in die Hand. Diese schrie auf und ließ ihn los. Matty rannte auf Lisa zu, während David und Richard auf Kim losspurteten. Doch diese hatte mit einer solchen Aktion gerechnet, hob die Waffe und zwei Schüsse peitschten durch die Nacht.
Beide Männer fielen zu Boden.
Lisa fing Matty auf, der bei ihr angekommen war und – es war immer noch nicht vorbei. Lisas Mund öffnete sich zu einem entsetzten Schrei – doch es kam kein Laut aus ihrer Kehle. Mariella setzte ihren Rollstuhl in Gang und fuhr mit soviel Kraft, wie sie aufbringen konnte, gegen Kim. Die Wucht des Aufpralls nutzte sie, um sich auf Kim zu werfen. Beide landeten auf dem Boden und rangen miteinander.
Lisa stellte Mattias auf die Erde und rannte hin. Doch sie kam zu spät. Ein weiterer Schuss war zu hören und beide Frauen lagen still, Kim zu oberst.
Lisa riss Kim von Mariella herunter. Auf Mariella Brust war ein großer Blutfleck.
Mattias stand plötzlich neben Lisa „Mama – ich mag das Spiel nicht mehr, von dem Tante Majella mir erzählt hat – können wir jetzt heim gehen?“