KAPITEL 27 - Ruhige Tage
Grüne Augen starrten ihn an. Richard zuckte zusammen, registrierte dann aber schnell, von wem er da wach geguckt worden war.
„Morgen Kobold.“
Er erwiderte den intensiven Blick seines Sohnes.
Matty zeigte auf den Verband „Bist Du noch krank?“
„Na ja – ein bisschen noch, denke ich…“
Matty hopste vom Bett und raste aus dem Zimmer, in der Tür prallte er gegen seine Mutter.
„Hola – pass auf Du Springinsfeld!“
Mattias blieb stehen und grinste sie an „Springinsfeld – das klingt gut!“
Lisa seufzte „Hab ich Dir nicht gesagt, Du sollst Richard schlafen lassen?“
„Hab ich doch! Hab mich nur daneben gesetzt und ihn angeguckt!“
Lisa und Richard tauschten einen Blick.
„Und wohin willst Du jetzt so eilig?“
„Meinen Arztkoffer holen!“ Matty quetschte sich an ihr vorbei und polterte die Stufen hoch.
Richard stützte sich auf seinen gesunden Arm und grinste sie an „Ich glaube, der hat von Gestern kein Trauma übrig behalten!“
„Na – viel gesehen hat er auch nicht. Ich hab ihn so gut es ging abgeschirmt.“
Lisa ging näher. „Du siehst viel besser aus.“
„Mir geht es auch besser. Nur der Arm gleicht einem Stück Holz...“
Matty kam wieder die Treppen hinab. Das war unüberhörbar! Er präsentierte seinem Vater stolz seinen Plastikkoffer in Signalrot. „Hab ich von Onkel Nathan!“
Der Junge machte den Koffer auf und präsentierte stolz den Inhalt. Lisa wusste nicht so recht, ob sie Richard retten sollte oder nicht. Aber bislang wirkte Richard nicht hilfebedürftig. Er besah sich mit Sohnemann zusammen den Inhalt „Hey – Du hast ja ein echtes Stethoskop!“
Matty zog es stolz heraus. Nathan hatte ihm eines seiner alten in den Koffer getan. Richard legte sich wieder auf das Kissen zurück und zog mit der rechten Hand sein T-Shirt ein Stück hoch. „Na - dann horch mal Dr. Plenske!“
Mit den Stöpseln in den Ohren, legte Matty die Membran auf Richards Oberkörper. Dieser legte es an die richtige Stelle. Mattias begann zu strahlen. „Das macht ganz laut bum-bum!“
„Da bin ich aber froh – ich glaube, mein Herz schlägt noch!“
Lisa beobachtete die Szene aus dem Hintergrund. In ihrer Kehle war ein dicker Kloß. Richards Art mit dem Kind umzugehen, war einfach … süß. Ihr fiel kein anderes Wort dazu ein. Dieses Verhalten hätte sie nie im Leben von ihm erwartet.
Als Mattias nun sein Kinderfieberthermometer an Richards Stirn ausprobierte, ging Lisa näher und streckte die Hand danach aus „Gibst Du mir das mal, Schatz?“
Matty reichte ihr das gewünschte und Lisa sah auf das Display. Sie sah Richard an „37,6° - ist das jetzt Fieber oder nicht?“
„Keine Ahnung – wenn dann jedenfalls nicht hoch.“ Er hielt dem Kind den rechten Arm hin, der ihn mit einem Plastikhämmerchen bearbeitete. „Was ist – lässt Du mich Aufstehen?“
Dass er sie fragte, bewirkte bei Lisa ein ganz seltsames Gefühl in der Magengrube. Sie fing sich.
„Ich wollte bloß zuerst Deinen Verband wechseln, dann mache ich Frühstück.“
Er sah sie fragend an „Schaffst Du das mit dem Verband?“
Sie lächelte ein wenig unsicher „Matty hilft mir, stimmt´s Schatz?“
„Klar!“
Lisa holte Verbandzeug, Schere und Waschsachen. Sie setzte sich an Richards linke Seite. „Matty – kommst Du mal her? Aber langsam!“ stoppte sie ihn gleich ab.
„Nimmst Du Richards Hand mal in Deine Hände und hältst seinen Arm ein bisschen hoch?“
Matty war voll konzentriert und schwer beeindruckt, dass er helfen durfte, bei so einer wichtigen Sache. Aber auf diese Weise konnte Lisa gut den Verband abwickeln. Sie hieß Mattias den Am seines Vater wieder auf das Kissen zu lassen, auf das sie ein Handtuch gelegt hatte.
„Das sieht gut aus!“
Richard besah sich die Sache skeptisch „Eine eins im Nähen bekommt der Arzt aber nicht!“
Sie säuberte vorsichtig um die Wunden herum und Matty – im Schneidersitz auf dem Bett – sah interessiert zu und wies seine Mutter hie und da noch auf Blutflecken hin.
Lisa warf einen besorgten Blick auf Richard, doch dieser nickte ihr nur zu. „Alles ok – Du machst das wunderbar.“
Lisa legte ein Stück Gaze auf die Wunden und Matty half dann wieder, als Lisa den Arm wieder verband. Ihre Stimme war etwas zittrig „Weiß jetzt gar nicht, wer erleichterter ist, das geschafft zu haben…“
Richard setzte sich auf und schwang die Beine seitlich aus dem Bett. „Magst Du mir noch mal aus dem Shirt helfen?“
Lisa ging um das Bett herum und ergriff den Stoff. Inzwischen hatte sie ihre Technik schon fast aufeinander abgestimmt.
Ein paar Minuten später kam Richard bereits in Hosen und Schuhen, aber mit einem sauberen T-Shirt in der Hand in die Küche. „Hemden wollen leider nicht über den Verband passen…“
„Ich kann Dir auch helfen Papa!“
„Nein!“ kam es aus zwei Kehlen gleichzeitig.
Matty zog eine Schnute.
„Dann gehe ich gucken, ob die Hühner Eier gelegt haben…“
Lisa und Richard dachten das gleiche – den Jungen nicht alleine nach draußen zu lassen.
„Matty warte – ich komme mit, sobald Deine Mutter mir geholfen hat. Dann kannst Du mir zeigen, wo die Hühner ihre Verstecke haben.“
Matty war einverstanden und sah der Prozedur des Anziehens interessiert zu.
Lisa griff hinter sich und zog drei Dreieckstücher von der Küchenanrichte, die sie dort deponiert hatte. „Ist der erste Hilfe Kurs doch mal für was gut!“ Sie knotete die Tücher zusammen und im Null-Komma-Nix war daraus eine Armschlinge entstanden.
„Oh – viel besser so! Danke. Komm Knirps – zeig mir mal das Federvieh!“
Niklas kam, als sie noch beim Essen waren. Und er brachte seinen jüngsten Sohn Tim mit.
Er und Mattias zogen sofort gemeinsam ab in Mattias Kinderzimmer.
„Na – bist ja schon wieder auf den Beinen!“ begrüßte Niklas Richard.
„Na klar – befürchte allerdings – ich falle beim Roden für ein paar Tage aus…“
„Nicht so schlimm – soll eh über Wochenende regnen.“
Niklas setzte sich auf eine Geste von Lisa hin.
Sie sah ihn an „Hast Du was über den Hund rausbekommen?“
Niklas kratzte sich nachdenklich am Ohr „Das ist eine ganz komische Sache. Der Dobermann hatte eine Tätowierung am Ohr – die wurde unkenntlich gemacht. Gechipt war er nicht. Aber ich habe unseren Dorfsheriff“ er wandte sich erläuternd an Richard „so nennen wird den Franz immer! Also den hab´ ich eingeschaltet und der versucht jetzt, ob der Hund irgendwo vermisst wird. Ist nämlich ein sehr schönes Tier gewesen….“
„Hatte der vielleicht Tollwut?“
Niklas schüttelte den Kopf „Top gepflegt das Tier. Und so wie der angriff, ist der auf Euch losgehetzt worden. Tut mir leid, das so sagen zu müssen – aber das Ganze sieht nicht nach einem Unfall oder einem durchgeknallten Hund aus – das sieht nach einem geplanten Angriff aus!“
Lisa stand rasch auf und ging ans Fenster. Genau das hatte sie befürchtet. Die dunkle, schwarze Wolke über ihr war wieder ein gutes Stück tiefer gesunken.
Richard sah ihr hinterher „Lisa – wir finden schon raus, wer hier so ein böses Spiel treibt!“
Niklas nickte bekräftigend „Der Frank Kollmann ist ein guter Bulle! Wenn der sich mal in die Sache verbeißt, dann lässt der so schnell auch nicht mehr locker!“
Doch die nächsten Tage brachten kein Ergebnis. Der Hundebesitzer blieb ebenso im Dunkeln, wie Derjenige, der das Tier befehligt hatte – wenn es sich dabei überhaupt um zwei unterschiedliche Personen handelte… Es kam allerdings auch kein neuer Brief.
Richard heftete sich die Tage vermehrt an Mattias Fersen und versuchte so unauffällig wie möglich den Lütten im Auge zu behalten.
Lisa war in ihrer Stimmung so schwankend, dass sie sich selbst kaum noch kannte. Auf der einen Seite war sie ängstlich und befürchtete das Schlimmste, auf der anderen Seite konnte sie nicht umhin zu erkennen, dass ihr Richard langsam aber sicher mehr bedeutete, als gut für sie war. Ob diese Gefühle in irgendeiner Weise erwidert wurden, entzog sich allerdings komplett ihrer Kenntnis.
Die Art und Weise, wie er sich um Mattias kümmerte, fand sie einfach rührend und auch seine Rolle als Patient hatte er mit soviel Anstand und Feingefühl gespielt, dass ihre Sympathien für ihn immer mehr wuchsen.
Die Bisse heilten sehr gut und das Fäden ziehen in ein paar Tagen sollte keinerlei Schwierigkeiten machen.
Lisa besah ihre Hände. Warum nur – warum war sie immer noch so gehandicapt, was die männliche Berührung betraf? Würde das Jemals besser werden? Eklatant besser, meinte sie. Das bisschen mehr an Nähe, das sie nun zulassen konnte, war wirklich nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Abends – Mattias war bereits im Bett – fand Lisa Richard auf der Holzterrasse stehend und über die Wiesen und Felder schauend. Er lächelte ihr zu, als er sie sah und nahm das Glas Rotwein entgegen, dass sie ihm reichte.
„Ob das allerdings ein Wein ist, den Du magst, entzieht sich meiner Kenntnis...“
Richard nippte an dem Rebensaft und ließ sich den Wein auf der Zunge zergehen. „Schwerer als gedacht und ein bisschen zu süß…“
„Ich mag ihn so… Soll ich schauen, was ich noch so da habe?“
Richard schüttelte den Kopf „Nein, schmecken tut er gut. Spätburgunder oder?“
„Richtig.“
Sie stellte sich neben ihn und sah ebenfalls auf das Land.
Richard deutete mit dem Glas in der Hand auf die Weiden „Niklas erzählte mir, dass der Pachtvertrag für die fünf Hektar demnächst ausläuft. Willst Du ihn verlängern?“
„Ich denke schon – was soll ich sonst mit dem Land?“
„Na ja – fünf Hektar sind nicht gerade viel – aber man könnte schon etwas damit anfangen…“
„Einen Golfplatz mit Schickimickihotel oder was? Ne – lass mal...“
Er wandte sich zu ihr um „Aber Gedanken gemacht hast Du Dir also schon oder?“
Sie grinste ein bisschen verlegen „Hast mich ertappt…“
„Da muss doch was zu machen sein!“ Seine Augen wurden schmal, als sie die grünen Wiesen betrachteten. „Oder willst Du lieber Deine Firmenberatung ausbauen?“
„Eigentlich nicht. Aber andererseits – mit meinem kleinen Mini-Zoo verdiene ich bestimmt kein Geld!“
Sie lachte, als sie seine grübelnde Miene sah „Und einen Zoo will ich auch nicht! Ich mag nur niedliche und nette Tiere! Ich will hier nichts Gefährliches haben, nichts was krabbelt oder piekt!“
Er nahm einen Schluck Wein und betrachtete weiterhin die Landschaft „Ich denk mal ein bisschen nach. Mal sehen, ob nur Du kreative Ideen hast.“
Lisa setzte sich auf die Stufen der Veranda und nach einer Weile tat es Richard ihr gleich.
„Kannst Du Morgen früh auf Matty aufpassen? Ich hole Jürgen vom Bahnhof ab.“
„Kein Problem… aber weiß der gute Herr Decker, dass ich hier bin?“
Sie schüttelte den Kopf.
„Na – dann wird das ja Morgen ein interessanter Tag!“