KAPITEL 32 - Lisa hat Geburtstag
Lisa verließ das Krankenzimmer mit einem Kopf so geballt voll von Gedanken, dass sie nicht acht gab und prompt in David hineinlief.
„Upps – oh sorry – war ganz in Gedanken.“
„Habe ich gemerkt. Mit Mariella alles in Ordnung... das Baby?“
„Alles in Ordnung... Mariella ist unglaublich. Andere würden in Ihrer Situation zerbrechen – aber nicht sie.“
„So wie Du...“
Lisa machte eine wegwerfende Handbewegung „Mariella schickt mich wieder heim. Sie meint Du und sie – ihr müsstest jetzt alleine damit fertig werden.“
„Womit sie wohl Recht hat. Lisa – ich danke Dir für alles, was Du die letzten Wochen für Mariella getan hast... Und Lisa?“ Er sah sie sehr besorgt an „Pass auf Dich auf, ja?“
Er fuhr sich durch die Haare und fixierte einen Punkt an der Wand „Die Polizei glaubt immer noch an eine normale Fahrerflucht – aber ich nicht!“
„Ich auch nicht“, flüsterte Lisa „Und ich habe Angst um Matty – der Hund wollte ihn angreifen, da bin ich mir sicher... Kann die Polizei denn gar nichts machen? Ist sie denn gar nicht weiter gekommen?“
David schüttelte den Kopf und presste die Lippen zusammen „Hätte ich Dich doch bloß ernster genommen... Du hast mich ja gewarnt...“
„Ach was David – wer hätte denn auf so eine Idee kommen können? Eigentlich nimmt man doch an, dass man im Auto vor solchen Subjekten halbwegs sicher ist!“
„Ich wollte, ich könnte das so einfach abtun...“, er brach ab und meinte dann mit sehr viel neutralerer Stimme „Richard.“
„David“, entgegnete dieser.
„Lisa hat mir gerade erzählt, dass sie wieder heim will...“
Richard sah rasch zu Lisa und diese nickte. Doch es war David, der fortfuhr „Ich weiß nicht, ob Du Damals hinter der Entführung gesteckt hast – und derzeit ist das für mich auch nebensächlich. Ich glaube nicht, dass Du Mariella was antun wolltest... Deshalb: Pass auf Lisa und Matty auf – bitte.“
Richard sah seinen Halbbruder lange unbewegt an, dann meinte er mit ebenso tonloser Stimme „Ich werde Lisa und meinen Sohn mit meinem Leben beschützen, wenn es sein muss. Aber passt ihr hier auch auf. David – wenn Lisa, Jürgen und ich Recht haben, dann bist Du zum einen ein Hauptverdächtiger, zum anderen aber auch ein wahrscheinliches nächstes Ziel.“
„Dito!“
Beide nickten sich kurz zu. Dann wandte sich David an Lisa „Lass uns in Kontakt bleiben, ja? Und wenn es etwas Neues gibt, ruf ich sofort an.“
Lisa nickte erneut, dann ging sie die zwei Schritte, die sie von David trennten und umarmte ihn. Er hielt ganz still. „Pass auch auf Dich auf – da geht etwas vor sich, dass mir Angst macht. Und wer immer dahinter steckt – der ist noch am Werke!“
Lisa, Richard und Mattias fuhren wieder zu Lisas Hof. Richard saß erneut am Steuer – das Gesicht wieder so unbewegt wie eh und je.
Da hatte sie nun drei Wochen mit ihm auf engstem Raum verbracht – aber er war ihr fremder denn je. Daheim hatte sie manchmal den Eindruck gehabt, einen Zugang zu ihm gefunden zu haben – in Berlin war das ganz anders gewesen.
So oft in den letzten Tagen hätte sie gerne lässig etwas gesagt, wie ´Einen Penny für Deine Gedanken` - aber seine Haltung verbot dies. Er hatte alle feindseligen Blicke stoisch ertragen, er war eine Stütze für Mariella und auch für sie gewesen. Er hatte häufig auf Mattias aufgepasst und er hatte nie auch nur einen Ton der Klage oder des Protestes von sich gegeben.
Lisa beschloss einen kleinen Vorstoß zu wagen „Bist Du froh, dass wir wieder auf den Hof fahren?“
„Gibt da eine Menge zu tun“ – kam es wenig aussagekräftig von ihm.
„Das hat Mama aber nicht gefragt!“ Lisa hätte ihren Jungen knutschen können.
„Genau Richard“ mokierte sie sich „das hab ich aber gar nicht gefragt.“
Um seine Mundwinkel zuckte es in ihr inzwischen vertrauter Weise. „Ok – ja ich freue mich, dass wir abreisen.“
„Vermisst Du nicht die Großstadt, die Aktienmärkte, die Büros, die Sitzungen, die Verhandlungen?“
„Manchmal schon. Aber komischer Weise vermisse ich nun auch jede Menge Tiere und Arbeit, Stallmist, zu flickende Zäune und ländliche Düfte...“
Lisa kicherte „Bin mir nicht sicher, ob ich Dir das so ganz glauben kann...“
Matty meldete sich zu Wort „Soll ich Dir ein Geheimnis sagen?“
„Wenn Du es mir sagst, ist es ja keines mehr.“
Mattias dachte darüber nach und sagte dann „Ich sag es Dir trotzdem! Mama hat bald Geburtstag. Onkel David hat das Gestern zu Tante Mariella gesagt und er hat gesagt...“
„Halt die Klappe Knirps!“ unterbrach ihn Richard.
„Warum?“
„Weil Du bestimmt eben ausplaudern wolltest, was David und Mariella sich zum Geburtstag Deiner Mutter ausgedacht haben!“
„Ja. Sie wollen...“
„Matty – halt den Schnabel!“ Richard lachte „Du kannst es mir heute Abend erzählen.“
„Bringst Du mich dann heute ins Bett?“
Richard seufzte „Ich mach auch das. Aber kein Wort mehr über Deine Mamas Geburtstag!“
Lisa biss sich derweil auf ihr Halstuch, um nicht laut loszuprusten. Gut, dass Kinder so unbedarft sind. Und gut, dass Matty von der drohenden Gefahr noch nichts wusste.
Und wie Richard mit ihm umging, wunderte sie immer mehr.
Abends, als Mattias bereits im Bett lag, traf sie Richard – wieder einmal – auf der Terrasse an.
Lisa reichte ihm einen Becher Tee. Es war ein kleines Abendritual zwischen ihnen geworden – wenn sie sich Abends noch etwas zu trinken machte, so machte sie immer einen Becher oder ein Glas mehr.
Richard saß auf den Stufen der Veranda und Lisa setzte sich daneben.
„Lisa – ich überlege die ganze Zeit, wie wir uns mehr schützen könnten... Vielleicht sollten wir zwei oder drei Bodyguards einstellen. Oder die hiesige Polizei bitten ab und an hier Streife zu fahren...“
„Bodyguards? Fremde Männer hier im Haus – oh Richard, bitte nicht!“
Er sah unentschlossen aus, meinte dann aber „Aber mit dem Frank Kollmann werde ich mal reden – die sollen sich hier ruhig öfter mal zeigen...“
„Von mir aus..“ Lisa zuckte mit den Schultern „Ich bezweifle allerdings, ob es viel nutzt. Bislang waren immer alle Vorfälle als Unfall oder Selbstmord getarnt.“
Richards Gesicht war angespannt „Ich wünschte, ich könnte was tun. So ein feiges Verhalten – ich möchte diesem Miststück persönlich gegenübertreten. Sabrina tot, meine Mutter nur deshalb noch am Leben, weil Du sie gefunden hast, dann diese Hundeattacke auf Matty..“
„Aber da warst Du da und hast uns beschützt.“
„Ja – aber Mariella hat es dafür umso schlimmer erwischt. Und wer weiß, ob ich das nächste Mal auch rechtzeitig da bin.“
„Lass uns schlafen gehen Richard - es war ein langer Tag.“
Er stand auf „Du hast Recht.“ Sein Blick glitt über die Hoffläche „Es ist so friedlich hier – und doch...“
Mariella und Lisa telefonierten mehrmals täglich miteinander und ein paar Mal die Woche fuhr Lisa auch hin. Mariellas Baby war jetzt soweit, dass jeder Tag seine Überlebenschance steigerte. Noch zwei Wochen und das Kind würde zwar eine Frühgeburt, aber wahrscheinlich lebensfähig sein. Das war zur Zeit Mariellas einziges Ziel – so lange durchhalten, bis ihr Kind leben durfte. Lisa fragte sich des Öfteren, ob Mariella das Ausmaß ihrer Behinderung wirklich schon durchschaut hatte. Mariella redete zwar sehr offen über ihre Lähmung, aber bislang lag sie ja nur im Bett. Was wenn sie realisierte, dass sie nie wieder gehen, laufen, rennen würde? Nicht mehr tanzen, Rad fahren – nie mehr Gefühl in den Beinen, ein Leben lang auf fremde Hilfe angewiesen... Was bedeutete das für ihre Beziehung zu David?
Letzterer hatte für Mariella und sich Leibwächter engagiert, die rund um die Uhr Bewachung sicherten. Friedrich, Laura und Kim hielten das für übertrieben, mutmaßten nach wie vor, dass Mariella einen Unfall hatte und lehnten persönlichen Schutz für sich ab.
Richard hatte seine Mutter gar nicht gefragt, ob sie Schutz haben wollte – er hatte ihn besorgt, so dass Sophie nun auch mit zwei muskelbepackten Bodyguards versehen war. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass ihr das gar nicht mal so schlecht gefiel.
An Lisas Anwesen patrouillierte nun häufiger ein Streifenwagen vorbei – auch des Nachts. Aber den einzigen, den die Polizei bislang ´erwischt` hatte, war der Dorfdepp gewesen – ein knapp zwanzigjähriger Junge Namens Achim mit dem Verstand eines Kindes. Er war ab und an auf dem Hof, um zu schauen, ob der Ställe neue Tiere beherbergten. Er war harmlos und Sohn des Bürgermeisters. Mattias spielte ab und an mit ihm.
Mattias hatten sie soweit eingeweiht, dass er nicht mehr alleine draußen sein durfte. Er hatte erst furchtbar geschmollt, aber Richard war dann so energisch geworden, dass der Lütte kleinlaut beigegegeben hatte.
Lisas Geburtstag war der 21.September. Das Wochenende darauf sollte Jürgen sie besuchen kommen.
Doch den Tag selber hatte Lisa nichts Besonderes geplant.
Es war ein schöner Frühherbsttag. Matty wollte den Tag mit anderen Kindern aus dem Dorf einen Ausflug machen und da Frank Kollmann sich der Kindergruppe anschloss, hatte Lisa keine Einwände erhoben.
Sie trat gerade mit Matty aus dem Haus, um ihn hinzufahren, als Richard ihr von der Scheune zurief „Lisa warte dort einen Augenblick – genau dort!“
Lisa – Matty an der Hand – wartete ungeduldig. Sie war eh schon spät dran!
„Schau Mama – warum holt Papa denn den Mozart hierher?“
Tatsächlich führte Richard Lisas Lieblingspferd näher und Lisa bekam große Augen. Das alte Pferd trug nagelneues Zaumzeug und Sattel. Und überdies trug Richard in der freien Hand eine Putzbox und eine Decke.
„Oh!“ Lisa ließ Matty los und ging auf Pferd und Mann zu. Ihre Finger fuhren über Mozarts weiche Nase, doch sie schaute Richard an „Für mich?“
Konnte es sein, dass er tatsächlich ein bisschen verlegen war? „na ja – ich weiß ja, dass Du ihn am liebsten reitest – und als Pferd von der Chefin hier, muss der doch was hermachen, der Oldie.“
„Mensch Papa! Der Mozart sieht aber richtig toll so aus!“
Richard lachte und zerzauste seinem Sohn das Haar.
Lisa sah Richards Haare an und malte sich einen Augenblick aus, wie es wäre, mit diesen ebenso zu verfahren... Seltsame Gedankengänge hatte sie! Nun - sollte sie das je können, so würden zumindest ihre Finger nicht mehr voller Gel sein. Hier auf dem Hof benutzte er nie welches.
Lisa – jetzt reiß Dich zusammen, verdammt – Du weißt doch genau, dass Du ihn nicht anfassen kannst!
Lisa besah sich stattdessen den hübschen Stirnriemen, der nun Mozarts Kopf zierte „Danke schön – das ist ein wunderbares Geschenk.“ Sie lächelte Richard zu und für einen kurzen Augenblick erwiderte er ihr Lächeln.
„Ich bring eben Matty zu seiner Gruppe und komme dann wieder.“
„Bis dahin hab ich das Frühstück fertig.“
Lisa lachte „Welch ein Service!“
Lisa über gab ihren Sohn der Obhut vom Dorfpolizisten, der versprach ein strenges Auge auf Lisas Schatz zu haben und so konnte Lisa relativ unbesorgt wieder heimfahren.
Das war ein niedliches Geschenk gewesen! Und der alte Mozart hatte fast stolz ausgesehen!
Lisa sah nachdenklich auf die Straße vor ihr und erlaubte sich über Richard und sie als Mann und Frau nachzudenken. Mal von ihren Schwierigkeiten ganz abgesehen... Was empfand Richard für sie? Tat sie ihm nur leid? Blieb er aus Schuldgefühl? Sah er in ihr je die Frau?
Lisa rieb sich die Schläfe und lenkte den Benz auf seinen Parkplatz.
Sie schloss die Haustür auf. In der Küche war bereits der Frühstückstisch gedeckt, der Wasserkessel war vom Herd genommen worden, aber noch warm.
Aber – von Richard fehlte jede Spur.