Richard und Sophie von Brahmberg Fanpage
  Kapitel 023
 

KAPITEL 23 – Entlassung

 

Lisa blickte nach draußen in einen Himmel, der mit jeder Sekunde dunkler und dunkler wurde. Es war noch keine vier und da draußen konnte man denken, es wäre fast Nacht. Wenn das runterkam, dann aber richtig! Sie zögerte kurz, griff dann aber nach Gummistiefeln und Steppjacke – wenn sie die Tiere noch reinholen wollte, bevor die Welt unterging, dann jetzt.

Während sie sich durch den Sturm kämpfte, dachte sie an die Kindergruppe, die heute unter Bea´s Obhut in den Erlebnispark gefahren war. Hoffentlich waren die schon auf dem Rückweg!

Die Hühner waren bereits in den Stall gelaufen, Lisa musste ihn nur noch schließen, die Schweinchen warteten schon am Tor und flitzten von alleine in den Stall. Auch hier hatte Lisa keine Arbeit mit. Doch – wo zum Teufel waren die Ponys? Lisa lehnte sich über das Koppelgatter und rief, doch der starke Wind verschluckte ihre Worte sofort. Komisch – sonst standen die doch schon immer parat, wenn es auch nur ein bisschen nach schlechtem Wetter aussah. Lisa blickte über die Weide, doch sie sah keine kleinen Pferdchen auf sich zukommen. Na gut – Koppeltor auf und wieder zu – und stracks die Weide ablaufen. Man hat ja bei Sturm und – na wunderbar – einsetzendem Regen – nichts Besseres zu tun.

Als sie um die Biegung der Weide herum war, sah sie Pumpkin, die gesprenkelte Shettydame unbeweglich am Ende der Weide stehen. Wieder rief Lisa sie, doch Pumpkin hob nur den Kopf und wieherte ihr glockenhell zu.

Da stimmte doch was nicht… Lisa begann schneller durch den Regen zu laufen und ging erst die letzten Meter wieder langsamer. Neben dem Pony angelangt, war Lisa sofort klar, warum die Stute nicht gekommen war. Merrylegs war in den Graben gerutscht. Sie hatte es zwar wieder an den Rand geschafft, aber ihr Körper lag fast zur Gänze im Wasser. Diverse Schleifspuren zeugten von den Versuchen des Tieres wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen.

Lisa rutschte zu dem Tierchen nach unten, zog der Stute das mitgebrachte Halfter an und zog daran. Das brachte ja mal gar nichts! Merrylegs Fell war eiskalt und die Nüstern waren weit gebläht. Wer weiß, wie lange die Arme da schon so lag. Das kleine Pferd gab einen so hohen gequälten Ton von sich, dass es Lisa kalt über den Rücken lief. Von oben kam Pumpkins beruhigendes Brummeln.

So wurde das nichts. Lisa streichelte sanft die Stirn des erschöpften Tieres „Ich hole Hilfe, meine Kleine, halt durch!“

Sie erklomm wieder den glitschigen Hang und kämpfte sich durch inzwischen schräge von vorne kommenden heftigen Regen. Wie konnte das denn nur passiert sein? Shetties waren doch berühmt für ihre Coolness und ihre Klugheit. Was hatte die Stute bloß veranlasst da herunterzuspringen? Wasser war auf der Weide doch immer bereit gestellt.

Lisa hastete ins Haus und wählte die Nummer der Reinhardts, doch das Telefon war tot, da musste wohl durch den Sturm eine Leitung gerissen sein. Auch das Handy half nicht weiter – kein Empfang! Verdammt! Sie hastete rüber in die Scheune und holte ein Tau und Handschuhe – dann musste sie es eben alleine probieren!  Das Seil geschultert, machte sich Lisa wieder auf dem Weg zu ihrem kleinen Liebling. Was, wenn sie es nicht schaffte, was, wenn das arme Tierchen da unten verendete?

Sie sah den dunklen Umriss erst in letzter Sekunde und blieb wie angewurzelt stehen. Richard kam ihr entgegen, den Mantel an der Kehle zusammen haltend und sich gegen den Sturm arbeitend. Bedrohlicher als jetzt hatte er wohl nie ausgesehen: Die Haare durch den starken Regen eng anliegend, das Gesicht so streng wirkend und so kalt, wie es nur sein konnte.

„Was machst Du hier draußen bei dem Wetter? … mit dem Seil?“ Der Wind entriss ihm fast die Worte.

Erleichterung durchflutete Lisa „Richard! Dich schickt der Himmel“, schrie durch den Sturm zurück.

„Wohl kaum“ – hatte er das gesagt? Sie war sich nicht sicher.

„Was ist passiert?“

„Pony im Graben!“ Lisa deutete auf die Weide und er bedeutete ihr voran zu gehen.

Sie erreichten die unglückliche Merrylegs erneut. Richard sah sich kurz um, dann „Gib mir das Seil!“

Sie reichte es ihm und er war es jetzt, der zum Pony hinabschlidderte. Mit der Hand bedeutete er ihr ebenfalls zu ihm zu kommen.

„Wir müssen es drehen – ich bind das Seil an die Hinterläufe. Du musst den Kopf über Wasser halten!“

Gemeinsam drehten sie das Pony und Lisa ging tief in das kalte Wasser und hielt Merrylegs Kopf. Große samtbraune Augen blickten Lisa an und ungewollt fing Lisa an zu weinen „Keine Angst Püppi – wir schaffen das!“

Richard band das Seil um die Hufe der Stute und kletterte wieder auf die Weide. „ich ziehe!“ brüllte er gegen den Regen an.

Er zog von oben, indem er sich das Seil um die Schultern schlang und mit ganzem Körpereinsatz kämpfte, Lisa drückte ihre Schulter gegen Merrylegs Hals und schob, so viel sie konnte. Lisa kam es endlos vor und sie konnte kaum glauben, dass ein so kleines Pferd so schwer sein konnte. Wenigstens zappelte die Stute nicht und so gelang es, sie Zentimeter um Zentimeter nach oben zu ziehen.

Als sie sie endlich oben hatten, keuchten Lisa und Richard und Merrylegs lag komplett reglos und apathisch. Pumpkin stupste ihre Genossin an und begann sie abzulecken.

Richard kniete neben der Hellbraunen und begann sie zu massieren. Lisa sah kurz zu, dann tat sie es ihm gleich. Wieso war es auch mitten im Mai so kalt und so nass?

Endlich, endlich hob Merrylegs den Kopf und Richard fasste sofort nach dem Halfter und zog. Tatsächlich – die Lütte war auf den Hufen. Lisa rappelte sich auf und sie machten sich auf den Rückweg, Pumpkin kam frei laufend mit. Lisa lief vor, um Koppelgatter und Stalltür zu öffnen, Licht zu machen und nach den dreien wieder zuzumachen. Pumpkin lief von alleine in ihre Box, Richard führte Merrylegs hinterher und begann sofort das Shetty mit Stroh abzurubbeln.

„Hast Du zwei alte Wolldecken oder so was? Und Mash wäre gut..“

Lisa hastete ins Haus, setzte Wasser auf und nahm auf dem Rückweg den Kessel und zwei Wolldecken des Hofvorbesitzers mit. Ein paar Minuten später waren die Shetties zwei unförmige Berge aus Strohschicht mit festgebundener Wolldecke darüber, die zufrieden ihren warmen Kleie-Leinsamen Brei schlürften.

Richard hockte noch an Merrylegs Seite „Du solltest Morgen eventuell den Tierarzt kommen lassen. Hier ist ein ganz schöner Riss im Fell – aber zum Nähen ist das eh zu alt und aufgehört zu bluten hat das auch.“ Er wies auf eine unschöne Verletzung an der Flanke des Tieres, keinen Zentimeter breit, aber gut zwanzig Zentimeter lang.

„Wie kann sie sich denn so was geholt haben?“

Richard zuckte die Achseln „Vielleicht ein Zweig – keine Ahnung…“

Inzwischen wurde Lisa erst bewusst, wie kalt ihr war. Fröstelnd hob sie die Schultern „Lass uns ins Haus gehen… Hast Du trockene Sachen mit?“

Er erhob sich „Ich hab mein gesamtes Hab und Gut im Wagen…“ Er wollte noch fortfahren, doch Lisa winkte ab „Lass uns später reden und erst mal zusehen, dass wir uns um uns kümmern.“ Mit einem letzten Blick auf die wohlversorgten Ponys ging sie Richtung Tür und Richard folgte ihr. Sie ging ins Haus, er zu seinem Wagen.

Lisa ließ die Haustür einen Spalt offen. In dem Moment, da sie eintrat klingelte ihr Handy – wenigstens das ging wieder!

„Lisa Plenkse.“

„Hi – hier Niklas. Bea hat eben angerufen. Ich hole sie und die Kids erst jetzt vom Bahnhof ab. Die haben den Regen bei McDonalds verbracht. Bea meint, die Rasselbande ist todmüde. Was meinst Du – darf Matty bei uns schlafen?“

„Wenn es Euch nichts ausmacht. Du weißt ja, was für ein Wirbelwind er ist…“

„Kein Problem. Bea oder ich bringen ihn Dir dann Morgen wieder.“

„Kannst Du ihn bringen? Und dann gleich einen Blick auf Merrylegs werfen. Sie hatte einen Unfall.“

„Alles klar – dann bis Morgen!“

Lisa beendete das Gespräch und in diesem Moment bemerkte sie Richard, der mit einem kleinen Koffer in der Hand in der Tür lehnte und geschwiegen hatte, solange sie redete.

Sie warf ihm ein Lächeln zu „Du kannst die Dusche hier unten benutzen. Ich gehe nach oben.“

Sie zeigte ihm die Dusche, gab ihm frische Handtücher und lief dann die Treppe empor.

Das heiße Wasser war so angenehm! Lisa ließ den warmen Segen auf sich niederprasseln und war dankbar dafür, dass sie sämtliche Sanitärobjekte auf den neuesten Stand der Technik hatte bringen lassen. So konnte Richard jetzt eine Etage tiefer gleichzeitig duschen.

Richard… Erst verschwand er für Wochen und nun tauchte er plötzlich hier so unverhofft auf… Hilft nix jetzt darüber zu grüben Lisa! In ein paar Minuten kann er Dir das selbst erklären. Und eigentlich sollte dir jetzt gar nicht wohl sein, dumme Nuss! Immerhin bist Du mit dem Mann alleine im Haus, der sich an dir vergangen hat! Doch sie fühlte keine Angst. Entweder war ihr Selbsterhaltungstrieb nicht in Ordnung oder ihr inneres Gefühl, dass ihr weismachte, dass keine Gefahr drohe, stimmte.

Sie zog einen dicken Jogginganzug an und schöne warme Hüttenschuhe. Die Haare band sie sich mit einem Zopfgummi zusammen und ging rasch wieder nach unten.

Im Bad, im Erdgeschoss konnte sie Richard noch hören.

Lisa betrat die Küche und begann Abendbrot vorzubereiten. Sie deckte den Tisch, setzte Wasser für Tee auf – und als sie feststellte, dass sie noch genügend Eier hatte, schlug sie davon ein paar für Rühreier in die Pfanne.
Richard war plötzlich hinter ihr – sie hatte ihn nicht kommen hören „Soll ich die Eier weitermachen?“

Sie zuckte zusammen und fuhr herum, hatte sich jedoch schnell wieder im Griff „Ja – gerne.“ Und ging und goss den Tee auf.

„Ich wollte Dir keine Umstände machen – und mit Abendessen habe ich auch nicht gerechnet…“

„Sieh es als Dank für Merrylegs Rettung an.“

„Ach – so heißt die kleine Dame.“

Sie setzten sich und Lisa goss Tee ein. Sie war stolz darauf, dass ihre Hand nicht zitterte. Richard langte gut zu und zunächst saßen sie sich schweigend gegenüber, nur um dann, wie es so häufig ist, beide zugleich loszureden.

„Lisa – Du wunderst Dich bestimmt…“  „Wo warst Du bloß die letzten Wochen?...“

Sie brachen beide ab und sahen sich verdutzt an. „Du zuerst“, sagte Richard.

„Wo warst Du die letzten Wochen? Mariella sagte, dass Du entlassen worden bist – aber auch sie hatte nichts von Dir gehört…“

Richard rührte langsam und monoton seinen Tee um. Dann legte er plötzlich den Löffel daneben, stützte sein Kinn auf seine Hände und sah sie direkt an. „Was soll´s darum herum zu reden! Ich hab mich in eine psychiatrische Klinik einweisen lassen. Die haben mich von Kopf bis Fuß durchgecheckt und meinten abgesehen davon, dass ich einen bedauerlichen Hang zum Sarkasmus habe und mein soziales Engagement größer sein könnte, fehle mir gar nichts.“

Lisa klappte die Kinnlade herunter. Sie suchte nach Worten „Wieso bist Du dahin gegangen?“

„Ich wollte sicher sein, dass ich keine Gefahr für andere bin.“

„Und – bist Du Dir jetzt sicher?“

„Nein.“

„Wie – nein?“

Er sah sie direkt an „Lisa – was Damals passiert ist, durfte einfach nicht passieren. Tumor hin, Tumor her. Mein Vertrauen in meine eigene Selbstbeherrschung ist ziemlich dahin…“

„Aber wenn die Ärzte sagen…“

„Die Ärzte“ – er lachte bitter auf „können die in meinen Kopf gucken?“

Lisa schwieg eine Weile und verdaute, was er ihr gesagt hatte. Eines war ihr gerade klar geworden: Mit dem Anschlag Damals hatte er nicht nur sie verletzt, sondern auch sich selbst.

„Und was willst Du jetzt tun?“

„Keine Angst – ich wollte nur kurz sehen, wie es Dir geht. Matty sehen, wenn möglich, und dann weiterziehen.“

„Und wohin?“

Er zuckte die Achseln „Das wird sich finden. Zurück zu Kerima bestimmt nicht.“

„Aber Dir gehört doch ein Anteil von Kerima!“

Er nickte „Fünfzehn Prozent sogar. Nein. Halt. Nach Sabrinas Tod sind es sogar Zwanzig Prozent.“

„??“

„Na ja – ich hatte ihr, als ich dachte, sie bekäme mein Baby, einen Anteil an Kerima überschrieben. Allerdings mit der Klausel, wenn ihr was passiert, geht der Anteil an mich zurück.“ Er fuhr sich durch das noch feuchte Haar „Dennoch – wieder dort arbeiten – das geht nicht mehr! Aber ich habe zwei Hände und zwei Füße und einen Kopf, der noch denken kann – irgendetwas werde ich schon finden!“

Er bemerkte ihren musternden Blick und zog die Brauen fragend hoch.

Lisa hatte ihn wirklich taxiert und errötete nun, da er dies bemerkt hatte. Sein schwarzer Rolli saß recht eng und die dunkelgraue Hose war auch gut auf Figur geschnitten. Er sah gut aus und sehr vital. Er war zwar nach wie vor schlank, aber die Arme, die sich unter dem Stoff abzeichneten, waren nicht die eines untrainierten Menschen. Sie wagte den Vorstoß „Du siehst richtig sportlich aus!“

Er lachte spontan auf „Immer noch kein Blatt vor den Mund, was?“

Lisa´s Rot vertiefte sich.

Aber er fuhr fort „Da bist Du aber zum großen Teil schuld!“

„Ich?!“

Er lachte wieder „Na komm – wer hat mir denn immer Aufgaben bis zum nächsten Weihnachtsfest gestellt, hmh?“

Aus Lisa´s Wangen zeichneten sich Flecken ab – musste der so darauf rumreiten? „Ich hab es ja nur gut gemeint…“

„Das weiß ich“, seine Stimme war ganz leise geworden „und es war ein guter Ansporn das Jahr über!“

Das Telefon klingelte. Diesmal der Hausanschluss „Oh – die Leitungen sind scheint´s wieder heil!“

„Lisa Plenske.“

„Hier ist Mattias Plenske“, kam es sehr klar und ernsthaft vom anderen Ende der Leitung.

„Hallo Schatz – soll ich Dich doch abholen?“

„Mama!“ kam es nun entrüstet „bin doch kein Baby mehr!“

„Oh, entschuldige bitte!“

„Tante Bea hat gesagt, Du freust Dich bestimmt, wenn ich Dir gute Nacht sage.“

„Da hat Tante Bea Recht gehabt.“

„Gute Nacht Mama.“

„Nacht Matty.“

„Und Mama? Ich will kein Postbote mehr werden!“

„Nicht? Ich dachte das Radfahren den ganzen Tag fandest Du so toll?“

„Nein – ich will Delphine pflegen!“

„Äh – klar. Darüber reden wir Morgen, ja Schatz. Schlaf schön!“

Lisa legte grinsend auf „Matty will jetzt im Zoo anfangen, bei den Delphinen!“

Richard grinste „Sei froh, dass ihn nicht die Löwen begeistert haben!“ Er erhob sich „Ich werd dann mal. Schade, dass ich Matty nicht mehr sehen konnte und danke für das Abendbrot!“

„Du kannst doch über Nacht hierbleiben. Hier unten ist ein großes Gästezimmer.“

„Lisa – also wirklich!“

„Wir waren uns doch einig, dass unsere Beziehung ohnehin seltsam ist. Machen wir sie noch ein bisschen seltsamer.“

Er betrachtete nachdenklich die Schutzgitter vor den Fenstern „Sind die im ganzen Erdgeschoss?“

Lisa wurde schon wieder verlegen „Öhm – ja. Ich fühle mich so sicherer…“

„Kann man die von innen öffnen?“

„Nein – die sind fest installiert.“

„Dann bleibe ich, wenn Du mich nachts einsperrst.“

 

 

 
 
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