Richard und Sophie von Brahmberg Fanpage
  Kapitel 05
 

KAPITEL 5 – Der Weg zurück

 

Kurze Zeit später kam der Krankenwagen, der Notarzt und die Polizei. Aus Lisa war kein Wort mehr herauszubringen – und je mehr Menschen sich um sie bemühten, desto enger schmiegte sie sich an Mariella. Als der Arzt versuchte Lisa´s Handgelenk zu ergreifen, schrie sie panisch auf und klammerte sich verzweifelter denn je an den einzigen Halt, den sie jetzt hatte.

Mariella suchte David´s Blick „Ich fahre mit ins Krankenhaus. Sagst Du ihren Eltern Bescheid?“

David nickte und er sah auf das Häufchen Elend an der Seite seiner Braut. Der Kloß in seinem Magen schien seit seiner Unterhaltung mit ihr nach der Trauung stetig zu wachsen.

Warum hatte das passieren müssen? Richard! Wenn er diesen Bastard in die Hände bekommen würde!

Mariella blieb an Lisa´s Seite. Wie ein verängstigtes Tier kam ihr Lisa vor, nicht mehr rational denken könnend, aber noch instinktiv erfassend, das da etwas – oder Jemand – war, an den sie sich klammern konnte. Mariella blieb äußerlich gefasst, antwortete sachlich und korrekt auf alle Fragen der Ärzte und der Polizei, während sie unablässig Lisa streichelte und ihr bei jeder sich bietenden Gelegenheit sanfte Worte zuflüsterte.

Als ein Arzt sich Lisa nähern wollte, begann diese wieder zu schreien und zu weinen. Mariella schloss ihre Arme fester um das arme gequälte Wesen. „Könnten Sie vielleicht eine Ärztin kommen lassen? Vielleicht geht das besser…“

Der Arzt nickte und wenige Minuten später kam eine junge rundliche kleine Frau, die sich noch den Schlaf aus den Augen rieb. So ging es etwas besser. Wohl blieb Lisa bei der Untersuchung steif und wimmerte von sich hin, aber sie klammerte sich an Mariella an und ertrug die Prozedur.

Die Ärztin sah zu Mariella hoch „Sie war Jungfrau oder?“

„Ich denke schon.“

Eine Schwester brachte ein Krankenhausnachthemd und Mariella zog Lisa gänzlich aus und wieder an. Danach wurde sie in ihr Zimmer gefahren und eine weitere Schwester kam mit einer Wasserschüssel, Waschlappen und Handtuch „Wollen Sie?“ fragte sie Mariella und diese nickte und wusch Lisa nun, wobei sie versuchte so sachte wie möglich vorzugehen. Lisa schien sich bei dieser Tätigkeit etwas zu entspannen. Das leise Gewimmer hörte auf und auch der Griff in Mariellas Kleid lockerte sich.

Die Ärztin, die Lisa untersucht hatte, kam erneut und hielt eine Spritze in der Hand „Halten Sie sie bitte.“

Mariella nahm Lisa wieder in die Arme, sprach ihr tröstende Worte zu und die Ärztin konnte die Spritze setzen. Kurze Zeit später entspannte sich Lisas ganzer gepeinigter Körper und der Schlaf übermannte sie.

„Frau Seidel?“

Mariella reagierte nicht.

„Frau Seidel?“ Himmel – das war ja sie!

„Ja?“

„Die Polizei möchte noch einmal mit ihnen sprechen.“

„Ja – ist gut. Ich komme gleich.“

In diesem Moment öffnete sich die Tür und Helga und Bernd Plenske betraten das Zimmer. Beide wirkten besorgt und gingen rasch an Lisa´s Bett. Die Schwester sagte „Sie schläft jetzt, wir haben ihr was zur Beruhigung gegeben.“

Helga nickte, ging an das Kopfende des Bettes und strich Lisa die Haare aus der Stirn „Mäuschen, was machst Du denn für Sachen?“ Sie hob den Kopf und sah Mariella an „Frau von Bram…. Äh, nein, Frau Seidel – wissen Sie was die Lisa für einen Unfall hatte? Wir wurden benachrichtigt, dass Lisa hier eingeliefert worden ist.“

Mariella starrte Helga an. Sie wusste noch nichts? Und ausgerechnet sie sollte der armen Mutter jetzt sagen, dass ihr behütetes Töchterchen geschändet worden war? Sie rieb sich geistesabwesend die Arme „Sie sollten darüber lieber mit der Ärztin sprechen“, meinte sie dann nachdrücklich.

In diesem Moment kam die Ärztin in das Zimmer und lächelte Mariella an  „Das haben Sie eben ganz wunderbar gemacht. Wirklich. Ohne Sie wäre die Patientin viel mehr in Panik geraten. Ihre Schwester?“

Mariella sank auf einen der Besucherstühle, ihre Kraft war erschöpft „Nein“, flüsterte sie fast „nur die Frau, die ihr den Mann weggenommen hat, den sie liebt.“

Die Ärztin guckte etwas schockiert, doch nun mischte sich Bernd ein „Watt denn nu´ los mit unserer Lisa?“

„Herr Plenske, nehme ich an?“

„Jawoll – und dat is´ meene Frau Helga.“

Die Ärztin schüttelte beiden die Hand „Mein Name ist Dr. Vidras. Angelika Vidras.“  Sie wies auf die kleine Sitzgruppe am Fenster „Wollen wir uns nicht setzen?“

Helga sah sich in dem Zimmer um „Das sieht aber nach Privatzimmer aus…“

Dr. Vidras nickte „Herr Seidel bestand darauf.“ Sie sah zu der unschlüssig stehenden Mariella „Bleiben Sie doch bitte noch kurz.“

Mariella setzte sich zögernd dazu.

Die Ärztin sah die Eltern fest an „Es wird ein Schock für sie sein, aber ich muss es Ihnen sagen: Ihr Tochter wurde vergewaltigt.“

Helga schlug die Hand vor den Mund und Bernd sprang auf „Watt?!?“

„Bitte beruhigen Sie sich, sonst wecken Sie ihre Tochter noch auf!“ Das war eine glatte Lüge, nicht einmal Handgranaten hätten Lisa jetzt wecken können, aber es wirkte. Beide setzten sich wieder und wechselten mehr als entsetzte Blicke. Sowas passierte doch nur anderen, doch nicht ihrer Lisa…

„Sie hatte dabei aber noch großes Glück…“

Bernd schnaufte auf.

„Ja – Glück. Er hat sie wirklich nur vergewaltigt. Sie hat weder Messerstiche noch Würgemale. Und“ Dr. Vidras legte ihre Hand auf Mariellas Arm „..sie wurde rasch gefunden und Herr und Frau Seidel haben ganz hervorragend reagiert. Frau Seidel hat sich ganz ganz phantastisch ihrer Tochter angenommen.“ Sie lächelte der jungen Frau zu.

Helga blickte Mariella etwas skeptisch an „Sie? Sie haben sich um Lisa gekümmert?“

„Es war doch sonst keiner da. Und Männer durften sie nicht berühren.“

„Aber…“ Helga brach traurig ab und schenkte Mariella ein halbes Lächeln „Danke.“

Mariella stand auf „ich werde mal sehen, was die Polizei noch von mir will.“  Sie ging nach draußen, wo David noch im Gespräch mit zwei Beamten stand.

„Frau Seidel?“

„Die bin ich.“

Ihr Mann hat uns schon alles berichtet. Würden Sie bitte dennoch kurz berichten, was sich zugetragen hat?“

Sie tat dies und bemühte sich um einen ruhigen Tonfall und Sachlichkeit.

„Stimmt es, dass Frau Plenske einen Namen geäußert hat?“

„Ja – den meines Bruders – Richard von Bramberg.“

Nach einigen Nachfragen und der Bitte Morgen noch einmal im Präsidium vorbei zu schauen, gingen die beiden und ließen  David und Mariella zurück.

„Komm – raus hier“, sagte David, schlang einen Arm um seine Frau und zog sie durch den Flur nach draußen. Er nahm sie fest in die Arme. Die letzten Stunden mussten ihr viel abverlangt haben.

Mariella begann zu zittern und schmiegte sich eng an ihn an „David  - die arme Lisa. Wie konnte Richard so etwas tun?“

 

Seltsam – so seltsam. Ihr war ganz leicht zumute. Dabei lag sie doch im Bett – oder nicht? War das Bett jetzt aus Watte gemacht? Lisa Plenske – was redest Du da für einen Unsinn? Betten sind nicht aus Watte! Und ganz langsam verging dieses schwerelose Gefühl und machte Platz für etwas, das ihr gar nicht behagte. Je mehr die Watte verging, je mehr sie ihren Körper spürte, desto mehr tat er ihr weh. Seltsam – war sie gefallen, hatte sie einen Unfall gehabt?

Sie runzelte die Stirn und versuchte sich zu bewegen. Auh – das tat weh!

„Bernd, Bernd – ich glaub´ sie kommt zu sich!“

„Mama?“ fragte Lisa leise und verwundert.

„Ich bin hier. Mama ist hier.“

Ihre Hand wurde leicht hektisch gestreichelt.

„Mensch Lisa – hast Du uns einen Schrecken eingejagt!“

Die Stimme – diese tiefe dunkle Stimme! Lisa verkrampfte sich. Da war etwas! Es war etwas passiert.

„Lisalein – beruhige Dich doch.“

„Schnattchen – Papa ist doch da!“

Nein! Nein! „Geh weg!“ schrie sie gepeinigt auf „Geh weg!“

Bernd sprang völlig schockiert vom Bett weg und sah seine Frau entgeistert an.

„Bernd – hol doch eine Schwester!“

Lisa riss die Augen auf, doch es war alles unscharf und verschwommen um sie herum.

Sie entriss Helga ihre Hand, setzte sich auf und robbte ans Kopfende, die Bettdecke mit sich ziehend und sie schützend vor sich haltend.

„Lisa, Lisa – Mama ist da. Keiner tut Dir mehr was!“

Tut Dir was? Tut Dir etwas an? Ihr Gehirn meldete Alarm. Sie kauerte sich zusammen und begann unkontrolliert zu zittern.

Die Tür ging auf und Dr. Vidras kam herein. „Gehen Sie bitte raus“, sagte sie zu Helga.

„Aber…“

„Bitte!“

Helga warf noch einen Blick auf ihre Tochter, dann ging auch sie hinaus.

Angelika Vidras holte sich einen Stuhl heran und setzte sich. Ein Psychologe wäre jetzt besser, aber der war so schnell nicht herzubekommen. Außerdem tat Heute ein Mann Dienst.

Lisa´s Blick war starr auf die Bettdecke gerichtet. Von dem Personenwechsel im Zimmer hatte sie nichts mitbekommen. Noch immer versuchte sie Klarheit in ihre Gedanken zu bekommen. Und immer und immer stärker war ein immens großes Angstgefühl.

„Lisa? Ich bin Dr. Vidras. Lisa – wissen Sie, wo Sie sind?“

Ein Doktor? Ein weißes Bett? Denk nach Lisa, denk nach?

„Lisa – hören Sie mich? Wissen Sie, was passiert ist?“

Passiert?  War etwas passiert? Lisa´s Atmung ging immer schneller. Es ist etwas passiert. Lisa wippte vor und zurück und vor und zurück… Seine Stimme! ´Das wollte ich nicht`, ´es tut mir leid Lisa`.

Es war, als ob ein eiskalter Wasserschwall über ihr ausgeschüttet werden würde. Sie rang nach Luft, stopfte sich die Bettdecke zwischen die Zähne und biss darauf. Ein Schrei war in ihr, der nach draußen wollte, aber würde sie ihn rauslassen, würde sie verrückt werden.

Und gleichzeitig – es war ganz seltsam – war da die Erinnerung an etwas weißes, sanftes, ruhiges. Halt Dich daran fest, denk daran, denk an „Mariella.“

„Was sagen Sie Lisa? Was haben Sie gesagt?“

„Mariella.“

„Mariella? Die Frau, die Gestern bei Ihnen war? Soll sie kommen? Lisa? Soll Mariella kommen?“

Dr. Vidras war schon grenzenlos erleichtert, dass Lisa überhaupt Reaktion zeigte. Dass sie sogar einen Namen gesagt hatte… Sie zögerte nicht. Sie ging auf den Flur zum Elternpaar.

„Könnten Sie zusehen, dass Mariella Seidel herkommt? Möglichst rasch?“

„Die? Die soll kommen?“

„Ja – rasch bitte.“

„Können wir zu Lisa?“

„Nein – noch nicht. Morgen vielleicht.“

Die beiden sahen sich verdattert an. Aber Helga nickte. „Ich hab die Nummer von ihrem Mann – ich rufe gleich an.“

Dr. Vidras ging wieder zu Lisa und setzte sich. Sie versuchte noch mehrmals mit Lisa zu sprechen,  doch es kam keine Antwort. Zwischenzeitlich war auch eine Psychologin eingetroffen, doch auch diese kam nicht weiter. „Wir sollten sie noch mal beruhigen.“

„Ich möchte noch Frau Seidel abwarten.“

Mariella kam keine 40 Minuten, nachdem Helga Plenske sie angerufen hatte. Diesmal trug sie Jeans und ein schwarzes T-Shirt. ´Mist`, dachte die Ärztin – `sie hätte weiß tragen sollen´.

Doch kaum war Mariella in der Tür, sah Lisa auf. Wie ein kleines Kind streckte sie ihrer Retterin die Arme entgegen und Mariella zögerte nicht, stürzte zu ihr und umschloss sie fest.

„Ist gut Süße, alles wieder gut.“ Wie gestern wiegte sie sie. Es war egal, dass das eigentlich unnatürlich war. Es war egal, dass sie eigentlich Rivalinnen waren und denselben Mann liebten. Mariella streichelte Lisas Rücken, küsste ihr das Haar und wiegte sie weiter. Sie sah kurz in Dr. Vidras Richtung, die ihr ermutigend zunickte.

„Mariella.“

„Ich bin da Kleine. Ich bin da.“

Die Psychologin, die auch noch anwesend war, ging leise von hinten an Mariella heran. „Versuchen Sie sie zum Reden zu bringen. Einen Zugang zu ihr haben Sie schon.“

Mariella nickte „Lisa – weißt Du wo Du bist?“

„Dunkel.“

„Nein Lisa – Du bist im Krankenhaus.“

„Im Krankenhaus.“

„Ja. David und ich haben Dich Gestern gefunden und ich bin mit Dir zusammen hergefahren.“

„David.“

„Ja – David. Du weißt doch, Du hast Gestern noch mit ihm gesprochen.“

Lisa zog die Stirn kraus „Gestern?“

„Ja Gestern. Du warst bei unserer Hochzeit. Weißt Du noch?“

„Hochzeit.“

Mariella blickte etwas verzweifelt zu den Ärztinnen, aber diese nickten ermutigend und Dr. Vidras bewegte die Hand – sie solle weitermachen.

„Du warst mit Jürgen und Deinen Eltern dort und hast zugesehen.“

„Jürgen.“

„Ja Jürgen. Dein guter Freund Jürgen.“

Lisa atmete schwer, stützte sich etwas von Mariella ab und sah ihr ins Gesicht „Mariella?“

„Ich bin da.“

In Lisa´s Gesicht arbeitete es heftig. „Er hat meine Brille kaputt gemacht.“

„Wer? Lisa – wer hat Deine Brille kaputt gemacht?“

Lisa flüsterte „Richard.“ Sie riss die Augen auf, sah Mariella zum ersten Mal direkt an „Richard von Bramberg.“ Sie ließ Mariella los, schlug die Bettdecke zurück und betrachtete das Krankenhausnachthemd. „Da war Blut.“

„Das ist jetzt weg, ich hab es weggewischt.“

Lisa sah wieder Mariella an und hielt sich an ihrem Blick fest. Stumme Tränen liefen ihre Wangen hinunter „Er hat mir wehgetan! Er hat mir fruchtbar weh getan!“

„Wer?“ Flüsterte Mariella jetzt, selbst weinend „wer hat Dir wehgetan?“

„Richard. Richard von Bramberg. Und danach hat er gesagt, es tut ihm leid.“ Lisa schluchzte auf „Mariella, Mariella es war so furchtbar!“

Mariella zog sie wieder in die Arme. „Wein Dich aus, Lisa – das tut Dir gut.“

Mariella und die beiden Ärztinnen warteten so lange, bis Lisa´s Schluchzen fast verebbt war, dann bekam Lisa wieder ein Beruhigungsmittel und schlief ein.

Mariella stand auf, sie war kreidebleich.

„Das haben Sie wieder sehr gut gemacht. Wir haben Sie fast wieder. Könnten Sie nochmal kommen, wenn wir sie brauchen?“

Mariella sah auf die schlafende Lisa hinab und schüttelte den Kopf „Das wird nicht notwendig sein. Ich bleibe hier!“ 

 

 
 
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