KAPITEL 28 - Holmes, Marple und Poirot
„Lisa!!“ Jürgen winkte ihr schon von weitem zu und kam ein Ohr über das andere grinsend näher, eine beulige Jeanstasche über der Schulter und die Arme nach ihr ausgestreckt.
Lisa rannte fast auf ihn zu und umarmte ihn ihrerseits – und zum ersten Mal seit langer Zeit konnte sie dieses tun, ohne sich überwinden zu müssen, ohne das Gefühl, die Umarmung schnell beenden zu wollen.
Auch Jürgen bemerkte dies, schob sie an den Schultern von sich weg und musterte sie „Du sieht gut aus Lieselotte! Und das, obwohl ein neuer Mist-Brief gekommen ist?“
Lisa wurde ein bisschen rot „… hab Dir viel zu erzählen!“
„Lieselotte – was hast Du angestellt?!“
Sie gingen nebeneinander zum Wagen und Jürgen ließ nicht locker.
Lisa setzte sich ans Lenkrad (Jürgen war einer der Wenigen, die nicht so großen Wert darauf legten, das Auto ´auch mal` fahren zu dürfen), startete aber den Motor noch nicht, sondern wandte sich Jürgen zu „Auch auf die Gefahr hin, dass Du mir jetzt den Kopf abreißt…“
„Richard ist bei Dir.“
Lisa riss Mund und Augen auf „Wie…woher…wieso…“
Er grinste „Ich war immer gut in Mathe! Eins – Richard ist nach der Haft spurlos verschwunden, Zwei – Du rufst viel weniger an als sonst, Drei – Du hast schon wieder dieses Funkeln im Blick wie in der Zeit, wo Du täglich im Krankenhaus warst…“
Lisa ließ den Kopf hängen „Bin ich so leicht zu durchschauen? Dabei war mir das selber noch nicht einmal so klar…“
„Lisa – aber Du weißt doch, dass das Scheiße ist, was Du da treibst oder?“
Sie nickte „Und obendrein so sinnlos – ich glaube nicht, dass ich je normal mit einem Mann zusammen sein kann...“
Jürgen murmelte, fast gegen seinen Willen „Und dennoch – kaum kommt dieser miese Typ daher, machst Du enorme Fortschritte. Ist schon komisch!“
Kaum hatte Lisa das Auto vor dem Haus geparkt, kam Matty schon angeschossen und umklammerte Jürgens Bein. „Hey Matty!“ Jürgen zerstrubbelte die Haare des Kindes „Alles roger?“
Mattias nickte begeistert „Alles roger!“ Er ergriff Jürgens Hand – „Komm mit – Du musst meinen Papa kennenlernen!“
Jürgen warf Lisa einen Auch-das-noch-Blick zu und ließ sich mitziehen. Lisa hörte noch Matty´s aufgeregte Stimme „Er heißt Richard, aber ich nenne ihn Papa. Und ein Hund hat ihn gebissen. Aber der wollte eigentlich Mama und mich beißen. Und Jürgen – schenkst Du mir einen Delphin?“
Oh je – armer Jürgen. Lisa ging langsamer hinterher
Die Begrüßung zwischen Richard und Jürgen fiel naturgemäß frostig, aber immens höflich aus.
Lisa sah überrascht auf den Küchentisch „Du hast ja alles schon fertig!“
„Matty hat geholfen.“
„Hab ich!“ Mattias nickte, immer noch Jürgens Hand umklammernd „Aber die Eier rausnehmen durfte ich nicht.“
„Welch ein Glück“, kam es trocken von Jürgen.
Man konnte nicht behaupten, dass das Frühstück harmonisch verlief, aber Matty plapperte munter drauflos und berichtete vom Angriff des Dobermanns und was er alles mit Richard zusammen erlebt hatte und was sie alles gewerkelt hatten. Jürgens Blick streifte mehrmals überrascht Richards unbewegte Miene. Letzterer trug zwar nicht viel zur Unterhaltung bei, war aber weder unhöflich noch abweisend.
„Kann ich Jürgen den Brunnen zeigen? Und den neuen Zaun? Und den neuen Eingang für Tiger? Und…“
„Schon gut“ – unterbrach ihn Jürgen „wir gehen gleich mal los…“
Lisa zupfte ihn am Ärmel und meinte leise „Pass bitte gut auf ihn auf.“
Jürgens Augen schossen zwar in die Höhe, aber er sagte nichts weiter.
Da Jürgens Zug erst am nächsten Vormittag zurückging, verbrachten sie den Tag ohne über die Vorkommnisse zu sprechen.
Erst als Lisa ihren Sohn ins Bett verfrachtet hatte, ging sie Richtung Wohnzimmer. Richard hielt sie vorher auf „Ich lass Dich dann mit Jürgen alleine…“
Sie war überrascht „Aber nein. Ich dachte wir versuchen mal die Fakten zusammen zu tragen. Und drei Köpfe wissen doch meist mehr als zwei oder?“
Von hinten sagte Jürgen „Da hat sie mal ausnahmsweise recht, unsere Lisa. Nun – gehen Sie schon!“
Lisa hatte Tee auf ein Stövchen getan und auch Wein und Bier auf den Tisch gestellt. Ebenso ein paar Knabbersachen.
In dem Moment, da Lisa sich Tee einschenkte und sich in die Polster der Couch zurücksinken ließ, ging ihr auf, dass sie sich überhaupt nicht unwohl fühlte, obwohl sie mit zwei Männern alleine in einem Raum war.
Jürgen holte den einen Schmierbrief hervor und Lisa den anderen, den sie mit Handschuhen in eine Klarsichtsfolie getan hatte.
Alle drei lasen die beiden Schreiben nochmals durch:
Das Schattenkind, es ward geboren heut,
allerdings nicht zu Jedermanns Freud!
Ist Dir klar – Lisa Plenske – was Du hast getan?
Die Chance zur Abtreibung leichtsinnig vertan?
Kannst Du mir sagen, was Du über seinen Vater weißt?
Kann es nicht sein, das David´s Peiniger Richard von Bramberg heißt?
Glaub nicht, nur weil der Wolf seine Zähne verbirgt,
die Schuld dadurch einen langsamen Tode stirbt!
Lisa – pass auf Dich auf und auf das Kind –
Die Dinge sind nicht alle so wie Du glaubst, dass sie sind!
Eingelassen mit dem Teufel hast Du Dich,
frag Dich lieber – warum verstellt er sich?
Von Jemanden, der Dich nur so warnen kann.
und
Du hast den Teufel auch noch ins Haus gelassen –
Ist denn das noch zu fassen?
Es wird ein Nachspiel haben, Du wirst sehen,
unschöne Dinge werden gescheh´n!
Kerima ist nicht das Maß aller Dinge –
Und doch wird gewetzt die Klinge!
Dies ist eine Warnung – von mir an Dich
Weine nachher nicht bitterlich!
„Wenn Du mich fragst“, sagte Jürgen „ist das eine einzige Schmiererei!“
„Und nicht mal eine besonders gute!“ fügte Richard hinzu „Was mir allerdings auffällt – der Ton ist erheblich schärfer im zweiten Pamflät. Lisa hat wohl nicht das getan, was der Schreiber oder die Schreiberin wünschte.“ Er sah nochmals auf die Zettel „Und derjenige hat was gegen mich.“
Jürgen stützte sein Kinn auf einer Bierflasche ab „Oder aber gegen den Schutz, den Sie ihr geben können. Dann kann man lesen, wie man will!“
Lisa saß immer noch stirnrunzelnd da.
„Lieselotte?“
„Kerima – es muss was mit Kerima zu tun haben. Sabrina sagte das auch, als sie mich kurz vor ihrem Tod anrief. Sie hatte Angst zuviel am Telefon zu sagen, aber es ginge um Kerima.“
Jürgen ergriff Zettel und Stift, die Lisa auch hingelegt hatte.
„Ok – versuchen wir mal die Spur… Wer hat welche Anteile an Kerima?“
Einige Minuten später hatten sie eine Liste zusammengestellt:
Kerima-Verteilung Aktien
1. David 20 %
2. Friedrich 10 %
3. Laura 0 %
4. Kim 10 %
5. Sophie 15 %
6. Mariella 10 %
7. Richard 20 % (5 % von Sabrina)
8. Sabrina 0 % (5 % gingen nach Tod zurück an Richard)
9. Frei verfügbar 15 % (tw. von Lisa und Jürgen)
Jürgen fasste zusammen „Damit haben wir zwei Haupteigner – David und Sie“ er deutete mit dem Kopf zu Richard „und 15 % der Aktien, von denen wir nicht wissen, bei wem diese sind oder ob sie noch auf dem freien Markt herumschwirren. Um die freien kümmere ich mich, wenn ich wieder zuhause bin.“
„Himmel“, Lisa starrte auf das Papier „das belastet Richard aber schon wieder! Durch Sabrinas Tod hat er die 5 % zurück erhalten, die er ihr übereignet hatte. Und wäre Sophie gestorben…“
„Wären die Anteile zu gleichen Teilen an Mariella und mich gegangen…“ ergänzte Richard.
Er wurde immer blasser, während er den Zettel fixierte, sprang plötzlich auf und ging ans Fenster „Wie konnte ich so blöd sein!“
„Richard?“ Lisa sprach ihn sanft an „Wann hast Du erkannt?“
Seine Stimme klang fürchterlich gepresst „Der Angriff des Hundes. Du hattest Recht, Lisa. Er wollte auf Matty los!“
„Wie kommen Sie denn darauf?“
Richard drehte sich um und sah die anderen beiden an. „Meine erste Handlung, nachdem ich aus dem Gefängnis kam, war – mein Testament zu ändern. Ich habe Mattias als Alleinerben eingesetzt und Lisa als Treuhänderin, bis er alt genug ist!“
Lisa starrte ihn an und versuchte zu verarbeiten, was er da gerade gesagt hatte.
Doch Jürgen, da selbst nicht betroffen, schaltete schneller „Wer wusste davon?“
„Nur meine Mutter und Mariella.“
Jürgen lachte etwas hölzern „Also auch David und der Rest der Seidels – das bringt uns nicht weiter!“
Lisa stand auf und ging zu Richard „Du hast Matty als Erben eingesetzt?“
„Ich habe ihn offiziell anerkannt und als Erben benannt – ja.“
Wieso nur, wieso stand ihr das Wasser bis zu den Augen?
Jürgen jedoch sagte plötzlich „Leute – da spielt Jemand zehn kleine Negerlein. Durch die Hochzeit von David und Mariella ist die Verbindung zwischen den Familien geknüpft. Wer immer übrig bleibt, erbt alles! Und Matty war oder ist das Fremdglied dazwischen! Sabrina war das andere – und die ist weg!“ Seine Stimme war zum Ende hin immer härter geworden.
Er sah noch einmal alles durch „Damit haben wir sieben Verdächtige, wenn wir Laura mit dazunehmen: Alle Seidels, also Friedrich, Laura, David und Kim, sowie alle von Brambergs, also Sophie, Richard und Mariella.“
„Aber“ Lisa sah verzweifelt von einem zum anderen „Aber das kann doch nicht sein – die kenne ich doch alle und keiner von denen…“ sie brach traurig ab.
Doch Jürgen für gnadenlos fort „Und derzeit sieht es so aus, das besonders zwei Personen besonders große Vorteile haben.“
„David und ich.“ Ergänzte Richard tonlos.
„Ganz genau“ – sagte Jürgen.
Lisa brach in Tränen aus.