Kapitel 24
Wie so oft in der letzten Stunde sah David auf die Uhr und verfluchte sich für die Idee, Sabrina in ihrem angeschlagenen Zustand mit zum Minigolfen zu nehmen. Sie war von Anfang an von der Idee nicht begeistert gewesen, aber jetzt war es fast nicht auszuhalten. Ihre schlechte Laune wurde nur noch von ihrer Langsamkeit und dem zu Schau getragenen Widerwillen übertroffen, der David in der letzten halben Stunde mehrere bedauernde Blicke von den anderen Spielern eingebracht hatte. Am Anfang waren Sabrina noch bewundernde und begehrliche Blicke gefolgt aber mittlerweile gingen alle in Deckung wenn Sabrina auf sie zukam oder sie ansah.
David hatte vorgehabt, diese ‚Pflichtübung’ zu genießen und Sabrina mal so richtig zu ärgern, aber selbst das machte keinen Spaß, wenn die Zielperson mit eisigem Schweigen oder mit hysterischen Anfällen antwortete. Rasch hatte er festgestellt, dass Sabrina absolut keine Ahnung von dem Spiel hatte und so hatte David schnell entschlossen einige Stationen einfach ausgelassen. Sabrina war es nicht aufgefallen und David rechnete damit, dass er sich mit diesem Schachzug zumindest eine halbe Stunde einsparen würde.
„Mensch, Sabrina. Jetzt mach doch. Der Ball geht nicht von selbst ins Loch, da musst Du schon ein wenig nachhelfen“ murrte er genervt und musterte Sabrinas extrem wohlgeformtes Hinterteil, dass sie ihm bei jeder Gelegenheit stolz präsentierte, so wie auch ihre nicht gerade geringe und extrem nach oben gepuschte Oberweite. Schon bei der Fahrt zum Minigolfplatz hatte sie versucht, ihn zu einem Abendessen und einer Runde heftigen Matratzensport zu überreden. Seine kalte und harte Ablehnung hatte ihrer Laune nicht wirklich gut getan, aber so ganz aufgegeben hatte sie noch immer nicht. David verdrehte die Augen und sah einigen anderen Paaren zu, die sich am Platz tummelten. Er beneidete diejenigen, die so liebevoll und zärtlich miteinander umgingen, und sich nicht scheuten, ihre Liebe auch offen zu zeigen. Es wurde viel gelacht, ein wenig gestritten, was zumeist in einem Kuss und schallendem Gelächter endete.
Er schloss kurz die Augen und hielt das Gesicht in die Sonne. ‚Wie es wohl wäre, mit Lisa hier zu sein?’ überlegte er und ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. Er hatte keine Ahnung, ob Lisa Minigolf spielte, aber sie würde es zumindest versuchen und Ehrgeiz entwickeln, da war er ganz sicher. Als er die Augen öffnete sah er einen großen dunkelhaarigen Mann, der eine zierliche blonde Frau an sich zog und leidenschaftlich küsste. „Auch wenn Du gewonnen hast“, neckte die junge Frau ihren Gefährten gerade und fuhr ihm zärtlich durch die Haare „bleibt Dir der Abwasch heute nicht erspart.“ Ihr Grinsen wurde intensiver und sie errötete leicht, als der Mann ihr etwas ins Ohr flüsterte. Sie nickte, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn sanft auf den Mund. „Ja, das lässt sich einrichten“, meinte sie und schmiegte sich eng an ihren Begleiter. Nur mit Mühe wendete David den Blick ab und wünschte sich, dass Lisa sofort und gleich auftauchen würde. ‚So könnte es auch mit uns beiden sein’, träumte er ein wenig vor sich hin und war ganz in seine eigene Welt abgetaucht. Umso härter traf ihn die Realität, als er Sabrinas quengelnde Stimme hörte. „Nicht nur, dass Du mich hierher schleppst, jetzt ignorierst Du mich auch noch. Du und Richard gehört doch echt zum Mond geschossen. Beide feinfühlig wie ein Panzer“, giftete sie David an, der erstaunt die Augenbraue hochzog. „Wenn mich eine Frau interessiert, dann bin ich auch aufmerksam, aber bei der Show, die Du abziehst könnte Mann sich an den Gedanken gewöhnen, enthaltsam zu leben“, giftete er zurück und funkelte sie böse an.
Sabrina musterte ihr kurz, dann ging sie hüftenschwingend auf ihn zu. „Enthaltsam? Du weißt doch gar nicht, wie man das buchstabiert“, raunte sie ihm zu und ließ ihre Hand langsam von seiner Brust nach unten gleiten und fuhr fest und fordernd über seine Schritt. David zog überrascht die Luft ein und riss ihre Hand hoch. Genervt funkelte er Sabrina an. „Was an dem ‚Ich habe kein Interesse’ hast Du eigentlich nicht verstanden?“ fragte er leise und stellte erstaunt fest, dass sie absolut keine Reaktion bei seinem kleinen Freund ausgelöst hatte. „Hey, jetzt tu nicht so. Du besteigst doch sonst alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Ich möchte doch nur ein bisschen Spaß“, versuchte es Sabrina noch einmal und fuhr sich mit der Zunge aufreizend über die Lippen. „Sabrina, hör auf“, herrschte David sie an und riss ihr den Golfschläger aus der Hand. „Wir gehen jetzt. Ich fahre Dich nach Hause und am Montag möchte ich kein Wort mehr über diesen Nachmittag hören. Wir waren hier, haben gespielt – Ende der Sache.“ Sabrina verzog ihren Mund zu einem Lächeln. „Und wenn uns jemand fragt, dann haben wir nicht fertig gespielt ... weil?“ Ihr anzüglicher Ton ließ David herumfahren. „Wage es ja nicht und verbreite irgendwelche dummen Geschichten über diesen Nachmittag. Wenn ich auch nur eine Andeutung in diese Richtung höre, dann kannst Du in den nächsten Jahren Belege in der Buchhaltung kopieren“, fuhr er sie an und stapfte wütend zur Verwaltung um die Schläger und Bälle zurückzugeben.
Sabrina sah ihm beleidigt nach, dann schüttelte sie leicht den Kopf. „Ich krieg Dich schon noch so weit ... ist nur eine Frage der Zeit, Seidel“, murmelte sie vor sich hin und folgte ihm aufreizend langsam. David würdigte sie keines Blickes und wartete, bis sie eingestiegen war und sich angeschnallte. Schweigend startete er den Wagen und parkte aus. „Wo geht es jetzt hin?“ wollte er wissen und freute sich, dass der Nachmittag mit Sabrina fast hinter ihm lag. „Ins Wolfhardts zu einem guten Abendessen?“ versuchte Sabrina ihr Glück und sah ihn aufreizend von der Seite an. David schloss für Sekunden die Augen und fragte sich, wie Richard das einige Wochen ausgehalten hatte ohne wahnsinnig zu werden. So gut konnte Sabrina gar nicht im Bett sein, dass es ihre anderen Charakterzüge vergessen machte. „Ich lass Dich bei der nächsten Busstation raus. Das ist mir absolut zu blöd“, herrschte er sie an und atmete erleichtert auf, als er eine Haltestelle entdeckte. Sabrina konnte sich nicht vorstellen, dass David das ernst meinte und sah ihn verwirrt an. „Aber ... also, Du könntest mich schon noch nach Hause bringen“, stotterte sie und sah ihn bittend an. „Könnte ich, will ich aber nicht. Sabrina tu uns bitte beiden einen Gefallen und steig einfach aus.“ Störrisch sah sie ihn an, doch schnell wurde ihr klar, dass David es ernst meinte. Mit einem bösen Lächeln stieg sie aus und sah ihn kurz an.
„Das wird Dir noch leid tun. Mit einer Sabrina Hoffmann geht man nicht so um“, fuhr sie ihn an und schloss die Wagentüre mit Schwung. ‚Mir ist alles Recht, wenn ich Dich nur los bin’, atmete David auf, doch dann beschlich ihn ein bisschen das schlechte Gewissen. Sabrina war heute einfach schlecht drauf und mit seiner Aktion hatte er sie natürlich herausgefordert. ‚Das wäre sonst auch nicht besser gewesen’ murrt seine innere Stimme und David nickte heftig. Normaler Weise fiel es ihm nicht schwer mit Menschen zu reden, aber Unterhaltungen mit Sabrina drifteten extrem schnell in Richtung Geld oder Sex ab. Beides keine Themen, die er mit ihr diskutieren wollte. Dazu kam noch, dass Sabrinas Gesprächsthemen des Nachmittags ‚Davids bescheuerter Bruder’ und ‚Lisa’ waren. Genüsslich ließ sich Sabrina über Lisas Naivität und Freundlichkeit aus. Sie sah nicht, dass sie damit David immer mehr reizte und er sich sehr zurückhalten musste, um Sabrina nicht den Mund zu verbieten. In den schillerndsten Farben malte sich Sabrina aus, wie langweilige das Wochenende in London gewesen sein musste und wie sehr Richard sicher darunter gelitten hatte. Eine Annahme, der David nicht zustimmen konnte und die ihn merkwürdig unruhig machte. Lisa und Richard verstanden sich seit ihrer Rückkehr von London ausgesprochen gut und das war es auch, was Sabrina wirklich auf die Palme brachte. Richard hatte sie wegen ihres Verhaltens gegenüber Lisa ziemlich zusammengestaucht und sie fragte sich die ganze Zeit, was für einen Narren Richard an dem Göberitzer Landei gefressen hatte. David hatte irgendwann aufgegeben, Sabrina zuzuhören und sich darauf konzentriert, das Spiel so schnell wie möglich enden zu lassen.
Er grinste und hielt an einem Supermarkt an, um sich Wurst, Käse, Brot und Bier zu holen. Auf einmal hatte er wahnsinnige Sehnsucht nach seiner neuen Wohnung und beschloss, diese mit einem kleinen Picknick einzuweihen. Außerdem wollte er vor Ort überlegen, welche Vorgaben er dem Innenarchitekten am nächsten Tag geben sollte. Zufrieden parkte er vor der Villa und ging mit der Einkaufstüte direkt auf die Terrasse. Da es noch recht warm war, ließ er sich auf einem der großen Holzbetten nieder und machte es sich richtig gemütlich. Grinsend holt er sein Schweizermesser heraus, das Lisa ihm vor einigen Monte spontan geschenkt hatte und das ihn seit damals immer begleitete. ‚Lisa’, lächelte er und da war es wieder, dieses warme und zärtliche Gefühl, das er noch nie in dieser Form erlebt hatte. Nach dem Abendessen sah sich David um und wurde zusehends unruhig. Es war noch nicht mal 21 Uhr und er hatte – so wie das ganze Wochenende – keine Verabredung. ‚Ein komisches Gefühl’, überlegte er und holte die Pläne, die er in der Küche – dem einzigen noch eingeräumten Raum der Villa – gelagert hatte. Mit einem breiten Lächeln strich er durch das Haus und ließ die Räume auf sich wirken. Der Grundriss war mit seinen 160 m2 extrem großzügig geschnitten und die Anordnung der Räume fand David gelungen. Das große Wohnzimmer würde sicherlich der zentrale Raum der Villa werden und als Ess- und Wohnzimmer dienen, während ein schmaler Gang zum Schlafzimmer und zwei kleineren Zimmern führte. Die diversen Nebenräume wollte sich David erst am nächsten Tag ansehen, aber das Schlafzimmer mit seinen riesigen Flügeltüren zu einem kleinen Balkon hatte es ihm von Anfang an angetan. Doch zuvor öffnete er die Türen zu den kleineren Zimmern und lächelte. Die Zimmer waren eindeutig als Kinderzimmer genutzt worden und würden jetzt als Gästezimmer und als Arbeitszimmer umgebaut werden. Später konnte man sie ja noch immer ganz leicht für die Kinder einrichten.
Ein heftiger Ruck ging durch seinen Körper, als ihm bewusst wurde, worüber er gerade nachdachte. Das Thema Kinder war mit Mariella nie ein Thema gewesen und in seinem Freundeskreis gab es keine kleinen Terroristen, wie David Kinder im Allgemeinen nannte. ‚Willst Du eigentlich welche?’ fragte er sich und musterte die Ziertapete mit Zügen und Teddybären. Er brauchte eine Weile um sich einzugestehen, dass ihn der Gedanke nicht wirklich erschreckte, was aber vor allem an der für ihn dazugedachten Mutter lag. ‚Lisa wird sicher eine tolle Mutter. Sie ist so natürlich und sie würde nie zulassen, dass die zwei nur bei der Nanny bleiben“, grübelte er weiter und begann zu lächeln. ‚Zwei also, Herr Seidel? Junge und Mädchen, so wie es halt ist’, verspottete er sich selbst, musste aber zugeben, dass es genau das war, was er sich wünschte. ‚Ob sich Lisa ihr Leben schon so weit geplant hat? Weiß sie, wie viele Kinder sie will, ob Jungen oder Mädchen?’ Der Gedanke sie zu fragen ließ ihn grinsen. ‚Wenn es leicht geht, dann aber nicht gleich am Montag. Sie denkt sonst noch, Du bist völlig durchgeknallt’, rief er sich zur Ordnung, konnte aber nicht verhindern, dass er fröhlich vor sich hin pfiff. ‚Jetzt schau erst mal, dass sie beginnt zu vertrauen. Sie hält sich verdammt zurück und warum ist ja wohl sonnenklar’, murmelte sein Gewissen und David blieb in der Türe zum Schlafzimmer stehen.
Das Zimmer war echt ein Traum. Es bot genug Platz für ein großes Bett, einen riesigen Schrank und für andere kleinere Einrichtungsgegenstände. ‚Französisches Bett oder so ein altmodisches mit Stahlrohren oder ein ganz normales aus Holz?’ überlegte er und biss sich heftig auf die Lippen, bevor er doch laut loslachte. „Genau David, ruf Lisa an und frag, wie es ihr geht, wie der Abend war und dann so nebenbei, was sie gerne für ein Bett in Deinem Haus hätte. Die lässt Dich doch glatt in die Klapse einweisen, wenn Du sie das fragst.“ Seine eigene laute aber sehr vergnügte Stimme brachte ihn zum Lachen. ‚Mann, Seidel! Dich hat es aber erwischt’, wurde ihm wieder bewusst und er beschloss, ein schönes freundliches Schlafzimmer mit hellen Holzmöbeln in Auftrag zu geben. Lisa würde er die Entwürfe sowieso zeigen und sich von ihr als Freundin beraten lassen, dann konnte er ja noch immer alles ändern, so wie sie es gerne hätte. ‚Ganz unauffällig! Guter Plan’, spottete die innere Stimme wieder, doch diesmal ignorierte David sie.
In Lisas Wohnung war es für einige Zeit sehr ruhig geworden. Nur Richards heftiger Atem war zu hören und Lisa versuchte, das Gehörte zu verdauen. Irgendetwas störte sie an der Erzählung, aber sie konnte nicht genau sagen was es war. ‚Vielleicht liegt es auch nur an Deiner Unerfahrenheit mit Beziehungen, dass Du Dir nicht vorstellen kannst, dass eine Frau so handelt’, überlegte sie, aber die Beschreibung, die Richard von Sarah gegeben hatte, deutete darauf hin, dass diese sehr verliebt gewesen war und genau das war der springende Punkt. Und auch Helens Verhalten passte nicht ins Bild. Sie hatte sich Richard gegenüber extrem feindselig verhalten und das machte Lisa stutzig. ‚Richard hat jeden Grund Helen zu hassen, aber warum war Sarahs Mutter nicht gut auf Richard zu sprechen? Das war ja alles schon einige Jahre her, ihre Tochter mittlerweile Witwe und gut situiert. Richard konnte Helen eigentlich völlig egal sein’, grübelte Lisa weiter und fuhr auf, als sie Richards Hand auf ihrem Bauch fühlte. Sanft streichelte er sie und vergrub sein Gesicht in ihrem Haar. „Du riechst extrem gut“, murmelte er und spreizte seine Hand auf ihrem Bauch. „Du hast noch abgenommen“, stellte er fest und fuhr einen spürbaren Rippenbogen nach. „Denkst Du nicht, es ist jetzt genug?“ fragte er und küsste ihr Haar. „Ist nur der Stress der ganzen Woche. Du siehst ja, was ich so verdrücke“, meinte Lisa ein wenig abwesend und verschränkte ihre Hand mit der seinen.
„Sag mal, die Frau in der Orangerie ... das war doch Sarah?“ erkundigte sie sich vorsichtig und spürte sofort, wie sich Richards Finger fest um ihre schlossen. „Ja, das war Sarah“, antwortete er leise und wartete ab. Er hatte schon befürchtet, dass Lisa nicht so leicht aufgeben würde, aber es hatte unendlich gut getan, sich mal alles von der Seele zu reden. „Weil Du gesagt hast, dass Du sie nur mehr einmal gesehen hast.“ Richard lächelte. „Typisch Lisa, alles gleich hinterfragen. Ich habe Sarah vor der Hochzeit dieses eine Mal gesehen und dann nur mehr Berichte über sie gelesen. Die Begegnung in der Orangerie war die erste seit damals. Sie hat sich fast nicht verändert, ist nur viel ernster geworden und sieht erwachsener aus“, stellte er klar und schloss die Augen. „Ist ja auch kein Wunder“, meinte Lisa vorsichtig und schluckte hart. „Was meinst Du damit?“ fragte Richard nach und drehte ihren Kopf sanft zu sich. „Ich ... also, nach dem Gespräch bei den Seidels habe ich ein wenig recherchiert. Dieser Charles Stevenson ist vor gut einem Jahr bei einem Segelunfall ums Leben gekommen und Mrs. Stevenson kehrte daraufhin mit ihren Kindern, Philipp und Nicola nach London zurück. Sagt zumindest die Klatschpresse“, berichtete Lisa und beobachtete Richard genau. Sein Gesicht zeigte keine Regung und sie befürchtete schon, dass sie zu leise gesprochen hatte, als Leben in Richard kam. „Stevenson ist tot? Das muss heftig für sie gewesen sein. Seine Familie ist groß und jeder hat einen ganz bestimmten Platz im Machtgefüge“, meinte er und schob Lisa von sich. Er stand auf und stellte sich zum Fenster. Lisa sah ihm eine Weile zu, wie er in die Dunkelheit starrte. „Der Junge heißt Philipp?“ vergewisserte er sich und Lisa konnte sehen, wie er seine Backenknochen aufeinander presste. „Ja, zumindest stand das so in diesen Berichten. Ich hab einige ausgedruckt, wenn Du sie lesen möchtest“, bot Lisa an und hatte das Gefühl, dass gerade etwas passiert war, was sie nicht zuordnen konnte.
„Später, vielleicht ein anderes Mal. Das interessiert mich nicht wirklich“, kam es relativ desinteressiert von Richard, aber seine Stimme hatte einen extrem seltsamen Klang. „Richard? Was ist los? Stimmt was nicht?“ Dieser schüttelte den Kopf und sah weiter aus dem Fenster. ‚Fips, wenn Du nicht sofort aus der Küche verschwindest, dann bekommst Du die Pfanne zu spüren’, hörte er Sarahs lachende Stimme und fühlte sich wieder in die winzige Küche seiner Wohnung zurückversetzt. ‚Nenn mich nicht so, du undankbares Weib’, hatte er geantwortete und ihr einfach die Pfanne aus der Hand genommen, sie fest an sich gezogen und so lange und leidenschaftlich geküsst, bis sie beide völlig außer Atem waren. ‚Warum?’ hatte sie geschnurrt und sich an ihn geschmiegt. ‚Der Name passt doch zu Dir. Hört sich so wichtig an’, hatte sie ihn geneckt und ihn sanft geküsst. ‚Richard Philipp von Brahmberg – sei froh, dass Du nur mit einem Namen unterschreiben musst’, hatte sie hinzugefügt und ihn mit sich ins Schlafzimmer gezogen. Langsam hatte sie ihre Bluse geöffnet und aus der Hose gezogen, während sie ihm tief in die Augen sah. ‚Du kannst mich ja jedes Mal bestrafen, wenn ich Dich Philipp oder Fips nenne’, hatte sie ihn angeboten und in dieser Nacht war er diesem Angebot – wie auch in vielen anderen Nächten – sehr gerne nachgekommen. Das war eines ihrer vielen Geheimnisse, die sie miteinander teilten und das wirklich niemand außer ihnen wusste. ‚Seltsam, dass sie ihren Sohn Philipp getauft hat’ überlegte er und drehte sich langsam zu Lisa um.
„Ich denke ich geh dann mal. So ein Ausflug in die alten Zeiten ist verdammt anstrengend. Zu Hause gebe ich mir dann so richtig die Kante, wie Max zu sagen pflegt, und schlafe morgen meinen Rausch aus“, fügte er hinzu und zog Lisa in seine Arme. „Schön, dass Du Dich in mein Leben geschmuggelt hast“, murmelte er an ihrem Mund und küsste sie sanft. Als der Druck seiner Lippen stärker wurde, wich Lisa zurück und sah ihn schuldbewusst an. „Das ist vielleicht keine so gute Idee“, stotterte sie und strich über seine Oberarme. „Hast ja Recht“, stimmte er grummelnd zu, küsste sie noch einmal sanft auf den Mund und legte seine Wange an ihre. „Warum können wir nicht ein ganz normales Liebespaar sein. Wäre doch so einfach. Aber nein, Du verlierst Dein Herz an den großen Womanizer von Berlin und meines schwimmt anscheinend noch immer irgendwo in der Themse und kann sich nicht von alten Zeit trennen. Das ist doch sch****, also irgendwie nicht so gut, meine ich.“ Richard hatte sich ein bisschen von Lisa gelöst und sah sie frustriert an. Lisa zog die Schultern hoch und strich sanft über seine Wangen.
„Weißt Du was? Wenn wir es in einem Jahr nicht geschafft haben, dieses Chaos in unserem Leben in den Griff zu bekommen, dann ziehen wir zusammen und gründen eine Familie“, meinte sie scherzhaft und musste lächeln, als Richard aufstrahlten. „Guter Plan. In einem Jahr wirst Du dann also meine Frau“, meinte er leise und umfasste ihre Taille. „Wenn wir unser Leben nicht auf die Reihe bekommen“, ergänzte Lisa. „Und was ist, wenn das nur einer von uns schafft, wird der andere dann Bigamist?“ fragte Richard so ernst wie möglich nach und musste eindeutig das Lachen verbeißen. „Vielleicht kann ja der, wo es gut läuft, dem anderen ein bisschen helfen“, schlug Lisa vor und begann zu kichern. „Du solltest lieber gehen, bevor wir uns jetzt Dinge ausmachen, die zu kompliziert werden“, stellte sie fest und ließ es zu, dass Richard sie nochmals ganz eng an sich zog. „Du bist süß, wenn Du Dich in einen Wirbel redest“, stellte er fest, ließ sie los und holte seine Jacke. „Bis Montag meine Kleine, genieße das Wochenende mit Yvonne und mach Dir keine Gedanken um den alten Richard. Der ist morgen mit seinem Kater beschäftigt und am Sonntag hat mich Mariella eingeladen, da werde ich ihr mal auf den Zahn fühlen, wie sie sich das mit der Auszeit vorstellt.“
Er winkte ihr zu und verschwand so schnell, dass Lisa ihm verwirrt nachsah. Sie räumte noch die leeren Bierflaschen und Chips in die Küche und holte sich einen großen Eisbecher. Einige Zeit lag sie nachdenklich auf der Couch, dann jedoch ging ein Ruck durch ihren Körper. Sarahs Verhalten ging ihr nicht aus dem Sinn und ihre Gedanken kreisten immer wieder im die Frage, warum eine Frau den Mann den sie liebt einfach verließ und in Kauf nahm, dass er sie hasste. „Weil sie ihn liebt“, murmelte Lisa vor sich hin und starrte auf das Bild von Kew Gardens, dass an der gegenüberliegenden Wand klebte. ‚Sie hat es ihm leicht gemacht und gedacht, dass er es leichter verkraftet, wenn er sie hasst’, wurde ihr klar. Schnell stellte Lisa den Eisbecher weg und rieb sich über die Oberarme, die von einer Gänsehaut überzogen waren. „Ihre Eltern brauchte Geld, der Besitz war in Gefahr und ihr Vater hatte wahrscheinlich Spielschulden. Sie hat zugelassen, dass ihre Eltern sie an Stevenson verkauft haben um den Besitz und die Ehre der Familie zu retten.“
Ihre eigene Stimme ließ Lisa zusammen zucken, aber sie war sich ganz sicher dass dies so gewesen war. ‚Und die schnelle Hochzeit?’ überlegte sie und ganz langsam wurde ihr bewusst, was Richard vorhin erzählt hatte. Er heißt mit zweitem Vornamen Philipp, eine Tatsache, die außer seiner Mutter und Mariella wohl niemand weiß. ‚Könnte es sein, dass Stevenson das Kind von Sarah akzeptiert hat um keinen gesellschaftlichen Skandal auszulösen?’ überlegte sie weiter und stellte sich an das Fenster, an dem Richard vor kurzem gestanden hatte. ‚Mein Gott, dann wäre der Kleine Richards Sohn’, schluckte sie und schloss die Augen. ‚Das ist es, was Richard gerade so aus der Bahn geworfen hat. Ihm ist wahrscheinlich auch gerade klar geworden, dass der Junge von ihm sein könnte’, überlegte sie weiter und verdrehte die Augen. ‚Na toll und seine Konsequenz darauf? Er betrinkt sich – extrem erwachsene Lösung für Deine Probleme’, murrte sie und wählte Richards Nummer.
Es dauerte nicht lange bis er sich meldete und Lisa stellte erleichtert fest, dass der Alkohol zumindest seiner Stimme noch nicht anzuhören war. „Was ist denn Kleines?“ meldete er sich erstaunt und schenkte sich seine zweite Tasse Kaffee ein. „Ich ... also, ich hab noch einmal nachgedacht und da ist mir aufgefallen, dass ... also, der Junge ... das ist schon komisch ... ich meine die schnelle Hochzeit und so“, stotterte Lisa und seufzte genervt auf. „Ja, das ist komisch“, stimmte Richard zu und wurde sehr ernst. „Keine Sorge, Kleines. Ich hab mir einen Kaffee gemacht und versuche mich in Vergangenheitsbewältigung. Du findest mich Morgen nicht mit einer Alkoholvergiftung in der Charité.“ Lisa ignorierte seine Worte und holte tief Luft. „Philipp ist ein schöner Name“, meinte sie so unverbindlich wie möglich und wartete auf Richards Antwort. „Das hat Sarah auch immer gesagt, aber ich mochte ihn nicht so gerne. Zumindest am Anfang, dann habe ich mich daran gewöhnt.“ Richards Stimme war leise und zurückhaltend. „Ja, das ... also, wenn es Dir gut geht, dann ... dann schlaf gut“, stammelte Lisa und verdrehte die Augen. ‚Komm zum Punkt’, rief sie sich zur Ordnung, schaffte es jedoch nicht, einen klaren Gedanken zu fassen. „Er ist vielleicht mein Sohn“, hörte sie Richards leise Stimme und atmete tief durch. „Ja, das ... das hab ich mir auch gedacht, deshalb wollte ich noch einmal mit Dir reden“, bestätigte Lisa und war froh, dass Richard es ausgesprochen hatte.
„Könntest Du das? Einen Mann heiraten, wenn Du das Kind eines anderen Mannes unter dem Herzen trägst?“ fragte er sie gequält und nahm einen großen Schluck Kaffee. Lisa überlegte ein wenig, dann nickte sie. „Das kommt auf die Umstände an ... wenn ich Dich richtig verstanden habe, muss das eine ziemlich ausweglose Situation für Sarah gewesen sein. Ihre Familie brauchte Geld ... Stevenson hatte es ... sie war diejenige, die die Familie vor dem Ruin retten konnte. Hört sich vielleicht pathetisch an, aber vielleicht tickt die High Society so.“ „Ja, vielleicht. Aber warum hat sie nichts gesagt? Wir ... wir hätten eine Lösung gefunden, ganz sicher“, kam es leise von Richard, der die letzten Gespräche mit Sarah immer wieder vor seinem geistigen Auge abspielte.
„Vielleicht weil sie Dich so sehr geliebt hat, dass es ihr Dein Hass lieber war, als Deine Verzweiflung?“ Lisas Worte brachten Richard nur mehr mühsam aufrecht erhaltene Fassade nun endgültig zum Einstürzen. „Lisa ... ich ... ich muss jetzt auflegen, darüber muss ich nachdenken“, verabschiedete er sich schnell und beendete das Gespräch. Missmutig sah er den Kaffee an und lehrte ihn in die Spüle. Mit großen Schritten ging er ins Wohnzimmer und goss sich einen großen Whiskey ein. ‚Mach es bitte nicht noch schlimmer’ hörte er Sarahs verzweifelte Worte und konnte sie ganz genau vor sich sehen. Der Glanz in ihren großen blauen Augen war erloschen gewesen und sie war ihm unnatürlich blass und sehr schmal vorgekommen. ‚Ich muss mir ihr reden’, dachte er verwirrt und goss sich nochmals ein Glas ein. ‚Meredith wird wissen, wie ich sie erreiche ohne dass Helen und Geoffrey es mitbekommen. Das müssen wir klären’, waren seine letzten klaren Gedanken bevor der Whiskey zu wirken begann und seine Gedanken langsam in Watte packte.