Kapitel 1
Grinsend lehnten Richard und David am Tresen des Cateringbereichs und beobachteten das bunte Völkchen ihrer Angestellten. Seit drei Jahren wurde am 21. März der Kerima-Frühlingsball gefeiert und hob die Moral der Belegschaft beträchtlich. Ball war ein wenig zu angeberisch, denn eigentlich war es mehr eine Art ausgelassenes Zusammensein, dass den KollegInnen die Gelegenheit gab, zu tanzen, sich zu amüsieren und ein wenig Dampf abzulassen.
Die beiden ungleichen Brüder hatten sich zuerst gegen die Idee ihres Vaters gewehrt, aber Friedrich Seidel war in diesen Belangen extrem stur. „Das stärkt die Moral und kostet nicht wirklich viel“, hatte er gebrummt und die Organisationsmaschinerie in Bewegung gesetzt. So wie auch heuer. David sah sich um und schloss kurz die Augen. Alleine der Blumenschmuck war sündhaft teuer gewesen und die Idee, eine Partnertombola zu veranstalten hatte Friedrich so lange verteidigt, bis Richard und David freiwillig ihren Beitrag dazu leisteten. Friedrich hatte dies lächelnd zur Kenntnis genommen und sich mit Feuereifer ans Werk gemacht.
Seit er die Leitung von Kerima in die Hände seiner Söhne gelegt hatte, fiel ihm des öfteren die Decke auf den Kopf und Laura war froh, dass es nun neue Aufgaben für ihren Mann gab. Gemeinsam mit ihm organisierte sie nunmehr alle firmeninternen Veranstaltungen und war damit ziemlich ausgelastet.
Der Applaus der Mitarbeiter riss David aus seinen Gedanken und er sah Richard fragend an. „Hab ich jetzt was bestimmtes verpasst, oder sind sie schon so angeheitert, dass sie alles lustig finden“, fragte er mit einem leicht arroganten Unterton, der Richard spöttisch grinsen ließ. „Na ja, dass Max gemeinsam mit Agnes einen Besuch im Saunaclub gewonnen hat, finde ich persönlich auch witzig“, meinte Richard und schaute ein wenig besorgt auf die noch verbliebenen Lose. Die drei Schüsseln enthielten noch je 5 Lose, blau für die Herren, rosa für die Dame, gelb für den Gewinn. „Wieso? Agnes ist doch sehr nett?“ wollte David nun verwirrt wissen und schüttelte den Kopf. „Nett ja, aber doch viel zu alt für Max“, murmelte Richard abgelenkt. „Mensch, denk doch mal an was anderes“, grinste David und schlug Richard leicht auf den Hinterkopf. „Hör auf Du Idiot, das hilft bei mir nichts mehr“, fuhr Richard ihn lachend an und deutete auf Sabrina, die Empfangsdame. „Sabrina war auch noch nicht dran, das lässt Mann hoffen.“
Davids ließ seinen Blick über Sabrinas Figur gleiten. ‚Sie sieht wohl gut aus, aber nach 10 Minuten in ihrer Gegenwart bist Du reif für die Klapse’, sinnierte er vor sich hin. Sein Blick suchte Mariella, die ihm von einem der Tische aus zuwinkte. Bis vor 3 Monaten waren sie verlobt gewesen, aber dann hatte sie nach langem Überlegen die Beziehung beendet. Fast 15 Jahre waren sie ein Paar gewesen und mehr als Gewohnheit, denn aus Liebe waren sie zusammen geblieben. Doch dann war ein neuer Mann in ihr Leben getreten, mit dem sie nun mehr als glücklich war. David mochte Lars von der Lohe, auch wenn er ihn am Anfang am liebsten verprügelt hätte. Schnell war ihm jedoch klar geworden, dass diese Trennung wohl für alle am Besten war und nach einer Phase der Trauer und des Selbstmitleids genoss David das Leben als Single nun in vollen Zügen.
„Scheiße, jetzt sind nur mehr wir beide übrig“, hörte er Richard ein wenig panisch flüstern. „Und wer bleibt von den Damen übrig?“ wollte David neugierig wissen. Er folgte Richards Blick und zuckte zusammen. „Da darf Mann ja zwischen Pest und Cholera wählen“, entfuhr es ihm und er verdrehte die Augen. Ganz hinten, im letzten Winkel des Raumes stand seine Assistentin und knetete verlegen ihre Hände. „Lisa und Sabrina? Darf ich einfach auf meinen Preis verzichten?“ fragte er leise und schüttelte den Kopf. Richard seufzte auf und sah David vorwurfsvoll an. „Du hast uns das eingebrockt. Du hättest Friedrich davon abbringen müssen. Mit meinem Glück bekomme ich einen Besuch im Schwimmbad mit der Plenske. Na herzlichen Dank auch.“
„Was hast Du denn? Wenn sie nur einen Badeanzug trägt, dann kann sie ja nicht so viel falsch machen. Im Gegensatz zu ihren Alltagsklamotten kann der ja gar nicht so schlimm sein“, feixte David und rückte ein Stück zur Seite, um nicht von Richards Ellbogen getroffen zu werden.
Lisa war – wie David zugeben musste – ein Kapitel für sich. Eine äußerst fähige Assistentin, aber nur für ein abgedunkeltes Zimmer geeignet, wie Richard zu sagen pflegte. Ihr Modestil war undefinierbar, dafür altmodisch und hässlich. Ihre Haare ungepflegt und mit ihrer riesigen Brille sah sie aus wie eine Eule. Ganz zu schweigen von der Zahnspange, die in Davids Augen einfach lächerlich aussah. Trotzdem mochte er sie, was er aber nie vor anderen zugeben würde. Sie hatte einen feinen Humor und durch ihre Tollpatschigkeit war sie manchmal richtig liebenswert. Ihre Gabe in die unmöglichsten Situationen zu stolpern, dann heftig zu erröten und vor Scham nicht mehr zu wissen, wie sie sich aus der Lage befreien konnte, hatten von Anfang an Davids ‚Beschützerinstinkt’ geweckt.
Friedrich Seidel bat um Ruhe und zog so die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf sich. „So meine Lieben, jetzt sind nur mehr zwei Preise über und ich kann getrost sagen, dass es der Hauptpreis ist und na ja, sagen wir mal eine Niete.“ Er öffnete die gelbe Rolle und grinste wie ein Lausbub. „Der Hauptpreis, na wer sagt es denn. Es geht für ein verlängertes Wochenende nach London.“ Als sich der Applaus legte, zog Friedrich die blaue Rolle und sah zu seinen Söhnen. „Es ist ja eigentlich nicht o.k., dass einer der beiden jetzt den Hauptgewinn bekommt, aber so ist das halt bei einer Tombola.“ Sein Blick schweifte zwischen Richard und David hin und her und sein Schweigen erhöhte die Spannung.
„Viel Spaß in London“, raunte Richard David zu, der ihn erstaunt ansah. „Wie jetzt?“ „David, ich hab noch nie in meinem ganzen Leben irgendetwas gewonnen, warum sollte sich das gerade jetzt ändern?“ David wollte gerade etwas erwidern, als Friedrich auf Richard deutete. „Herr von Brahmberg, würden sie mir die Ehre geben und sich zu mir gesellen?“ Erstaunt sah dieser seinen Vater an und stand ein wenig beschwipst auf. „Wer hätte das gedacht, ich hab mal was gewonnen“, grinste er David an und beeilte sich auf die Bühne. David drehte sich ein wenig um und bemerkte, dass Lisa immer mehr Richtung Ausgang verschwand.
Friedrich war nun ganz in seinem Element. „Nun, dann wollen wir mal sehen, welche charmante Dame Dich nach London begleitet“, rief er Richard zu und sah sich im Raum um. „Wenn ich richtig mitgezählt habe, dann sind Frau Hoffmann und Frau Plenske noch nicht unter den Gewinnerinnen“, stellte er fest und griff nach einem rosa Röllchen. Richard schloss die Augen und schlagartig war sein Lächeln verschwunden. ‚Bitte nicht, alles, nur nicht die Plenske. Ich hab doch niemanden was getan ... also schon, aber ich hab mich richtig gebessert. Meine Wutausbrüche kommen nur mehr ganz selten und außerdem habe ich gelernt mit meinem Halbbruder in Frieden zu leben’, betete Richard vor sich hin. Friedrich, der seinen Sohn beobachtete lächelte ein wenig, bevor er den Zettel entrollte und sich suchend umsah. „Frau Plenske, kommen sie bitte zu mir. Nicht so schüchtern, da hinten kann sie ja keiner sehen“, lächelte er sie herzlich an und winkte Lisa heftig zu.
Mit hochrotem Kopf wurde Lisa von den Kolleginnen in die Mitte des Raumes geschoben und stand mit groß aufgerissenen Augen vor Richard. ‚Bitte sag, dass das nicht wahr ist’, dachte sie bei sich und kniff kurz die Augen zusammen. Als sie sie wieder einen Spalt öffnete sah sie in Richard verkniffenes Gesicht und schluckte hart. ‚Ja klar, einmal gewinne ich was und dann ... gerade den von Brahmberg, schlimmer geht es immer.’ Sie wusste nicht, dass man ihre Gedanken recht gut von ihrem Gesicht ablesen konnte und war erstaunt, als Richard freudlos auflachte. „Na juhu, da freue ich mich aber“, stieß er hervor, blieb aber stehen, um Friedrich nicht zu enttäuschen. Dieser sah lächelnd von Lisa zu Richard und wieder zurück. Schnell warf er die Lose in den Abfalleimer und winkte David zu sich. „Für Dich und Frau Hoffman bleibt ein Nachmittag auf der Minigolfbahn“, flüsterte er diesem zu und hängte sich bei Lisa und Richard in. „Und mit Euch zwei stoße ich jetzt gerne auf das Wochenende in London an. Ihr werdet sicher viel Spaß haben. Es ist eine tolle Stadt. Waren Sie schon mal da, Frau Plenske?“ plauderte er weiter und zog die beiden mit sich.
David musste sich ein Lachen verkneifen und winkte Sabrina zu. ‚Strafe muss sein, wenn ich nicht so blöd über Lisa gespottet hätte, wäre ich vielleicht in den Genuss der Reise gekommen’, dachte er bei sich und überreichte Sabrina den gelben Zettel. „Minigolf? Was soll ich damit? Die Planschkuh darf mit Richie nach London und ich soll zum Minigolf? Ne Du, das kannste vergessen“, fuhr sie David an und stöckelte höchst aufgebracht davon.
Ein leises Lachen neben ihn ließ David herumfahren. Mariella lehnte sich zu ihm und sah ihrer einstigen besten Freundin hinterher. „Sie will Deine Gesellschaft nicht? Muss ich mir um Dein Ego Sorgen machen?“ neckte sie David, der heftig den Kopf schüttelte. „Lass mal, das verkrafte ich schon. Aber vielleicht sollten wir uns um Lisa Sorgen machen. Sie sieht nicht so aus, als ob sie sich über den Hauptgewinn freuen würde.“ Nachdenklich betrachtete er Lisas Gesicht und zog Mariella an sich. „Richard mag Lisa nicht.“ „Ich weiß, kam es leise von Mariella, die die letzte rosa Rolle aus der Schale zog. „Dein Vater dürfte ihm eine Lektion erteilen wollen, sieh mal“, kam es leise von ihr. Erstaunt las David Lisas Namen und sah Mariella fragend an. „Lisa hat ihm doch nichts getan, warum mutete er ihr so was zu?“ „Das ist eine extrem gute Frage“, antwortete Mariella leise und zerknüllte das Papier. „Vielleicht will er Richard zeigen, dass nicht nur das Äußere wichtig ist?“