Richard und Sophie von Brahmberg Fanpage
  Kapitel 033
 

KAPITEL 33 -  Dorfgemeinschaft

 

Zunächst dachte sich Lisa nichts dabei, dass Richard nicht zugegen war. Vielleicht holte er noch frische Brötchen oder sah nach den Tieren.

Aber er kam nicht.

Lisa sah sich in den Ställen, der Scheune und den Weiden um. Mozart graste wieder mit den anderen zusammen auf der Weide.

Sie fand Richard nicht.

Niklas kam zum morgendlichen Plausch und traf eine ziemliche unruhige Lisa vor.

Richards Auto war noch da, Lisa zauderte kurz und ging in sein Zimmer – alle seine Sachen waren noch da.

Niklas versuchte sie zu beruhigen – umsonst.

Lisa hatte den Eindruck, als wolle man ihr die Luft abschnüren. Sie konnte es nicht erklären. Bei David hatte sie es immer gefühlt, wenn er in Gefahr war – schlugen ihre Alarmglocken nun auch bei Richard an?

Niklas wurde nun auch zunehmend nervöser.

„Ich klappere mal die umliegenden Höfe ab.“

Lisa nickte und durchsuchte erneut Haus und Hof. Sie lief sogar die Weiden ab.

Nichts.

Es fehlte nicht einmal ein Fahrrad und an der Garderobe hing sowohl seine Arbeitsjacke als auch die Lederjacke. Er konnte nur vorgehabt haben eben kurz etwas zu erledigen, zu holen, zu bringen...

Lisa rief den Pfarrer an.

„Herr Herrmann – Lisa Plenske hier.“

„Was ist geschehen? Sie klingen ja vollkommen aufgelöst.“

Lisa begann zu weinen und berichtete ihm dennoch alles. Er musste recht durcheinander klingen – aber als Pfarrer war er wohl einiges gewohnt.

„Sie machen sich Sorgen, dass ihrem Freund etwas zugestoßen ist?“

„Ja. Große sogar.“

„Gut – das heißt Großeinsatz.“

„Wie bitte?“

„Liebes Kind – Sie sind aufs Land gezogen – hier hilft immer noch jeder jedem!“

Was nun geschah – so etwas hatte Lisa noch nie erlebt. Ein ganzes Dorf machte mobil. Auf Lisas Hof waren zig Menschen, die jeden Winkel durchkämmten, sie gingen jeden Meter ab, durchstaken sogar alle Wassergräben.

Lisa erhielt zwischendurch immer wieder Geburtstagsanrufe – sie wimmelte sie rasch ab.

Konstantin Hermann errichtete in Lisas Wohnzimmer so eine Art Einsatzzentrale. Das Telefon klingelte laufend. Schnell wurde klar – Richard war zu Fuß im Dorf gewesen und hatte tatsächlich Brötchen gekauft – danach verlor sich die Spur.

Konstantin rieb sich die Stirn – „das sieht aber nicht nach einem Mann aus, der die Kurve kratzen möchte... Entschuldigen Sie die Ausdrucksweise...“

Sie suchten den Weg genau ab, den Richard vom Bäcker zum Hof genommen haben müsste.

Nichts.

Es war zum verrückt werden – ein Mann konnte doch nicht spurlos verschwinden!

Lisa telefonierte mit Bea, das diese Matty abholen möge. Sie beruhigte Lisa – Matty könnte solange bei ihr bleiben, bis etwas bekannt war.

Etwas. Was war dieses Etwas?

In Lisa wurde alles ganz taub und kalt. Ihr wurde erst jetzt klar, wie sehr sie sich an seine Anwesenheit gewöhnt hatte. An die Sicherheit, die er ihr gab. Er war ihr Ansprechpartner, ihr Gefährte bei der Planung des Hofes, er war Mattys Vater – er fehlte ihr unendlich.

Und sie hatte Angst. Große Angst. Um ihn. So sehr. Das Gefühl blieb. Lisa wusste es genau. Richard war in Gefahr. Jede Minute, die dahinkroch mehr. Es war ein Wettlauf mit der Zeit. Sie war sich sicher. Wo bist Du Richard?

 

Am frühen Abend ging der Pfarrer unverrichteter Dinge wieder nach hause. Sie würden Morgen weiter machen. Doch Lisa war sich sicher – Morgen würde es zu spät sein.

Lisa ging in die Küche. Sie stellte sich Richard vor, wie er Frühstück machte. War alles da gewesen? Was hatte gefehlt? Doch nur die Brötchen oder? Tee noch da, Marmelade, Zitrone, Käse, Aufschnitt – alles da.

Eier.

Er hatte Eier von den Hühnern eingesammelt. Sie lagen im Korb, den Lisa immer dafür verwendete. Der Korb war voller Eier – aber es waren keine Eierbecher auf dem Tisch.

Richard hatte die Eier eingesammelt und dann...?

Lisa ließ sich auf die Kücheneckbank sinken. Denk nach Lisa – das ist wichtig! Im Hotel hatte es Morgens Rühreier mit Speck gegeben. Lisa fand die sehr gelungen und Richard hatte gesagt, er könne die viel besser machen. Sie hatten beide gelacht.

Speck. War Speck im Kühlschrank?

Kein Speck, kein Schinken im Kühlschrank.

Sollte es so einfach sein?

Lisa erhob sich und griff mit zitternden Fingern den Autoschlüssel vom Haken.

Das Dorf besaß ein Kühlhaus. Jeder kannte es. Der Schlüssel war versteckt, aber jeder wusste, wo er war. Die Dorfleute bedienten sich aus diesem Kühlhaus und schrieben peinlich genau auf, was sie herausgenommen hatten. Gelegentlich wurde dann abgerechnet.

Aber – Lisa war selbst schon häufig dort gewesen – die Tür ließ sich doch von innen öffnen...

Doch ihrem Instinkt folgend fuhr Lisa ihren Wagen zum nicht weit entfernten Hof.

Es war bereits nach acht, als sie dort klingelte.

„Frau Plenske  - da haben Sie aber Glück, dass Sie uns antreffen - wir waren den ganzen Tag in Berlin!“

Lisa erklärte rasch den Sachverhalt und der Bauer nickte, griff den Schlüssel des Kühlhauses und schritt mit Lisa über den Hof.

Der Gemeindeschlüssel war an Ort und Stelle – die Tür verschlossen. Auf Lisas Bitten hin schloss er dennoch auf. In ihr war ein Gefühl, als könne das alles gar nicht schnell genug gehen. Ihr Gefühl täuschte sie nicht…

Richard saß zusammengekauert, nur in Jeans und T-Shirt gleich neben der Tür.

„Ach Du meine Güte – wie konnte denn das passieren?“

„Ich hole den Wagen, helfen Sie mir bitte, ihn hinein zu bekommen.“

Gesagt, getan.

Zu zweit schafften sie Richard auf den Beifahrersitz. Er bewegte sich schwerfällig, aber er erkannte Lisa anscheinend.

Lisa jubelte die Heizung ihres Autos hoch und fuhr heim.

Auch später blieb es ihr ein Rätsel, warum sie Richard nicht zum Arzt geschafft hatte – oder ins Krankenhaus – oder einen Krankenwagen gerufen hatte.

In ihr war nur der Gedanke ihn heim zu bringen und in die Wärme.

Richards Kopf sackte nach hinten, er schloss die Augen.

„Richard – nicht schlafen! Von allem, was ich über Unterkühlung weiß – und das ist wenig! – heißt es immer, das man wach bleiben muss.“

„So müde...“

Verdammt! Lisa schaltete das Radio an und dreht die Lautstärke hoch. Laut, noch lauter...

Irgendwann war es seine Hand, die nach dem Ausschalter tastete und es herrschte wieder Stille.

„Lisa. Du hast mich gefunden...“

„Ja – und wir sind gleich daheim. Wie fühlst Du Dich?“

„Müde. Kalt. So müde.“

Lisas stoppte den Wagen hart direkt vor der Haustür, der Motor erstarb. Sie stieg rasch aus und lief um den Wagen herum und riss die Beifahrertür auf. „Richard, komm raus – rasch!“

Es half nichts – sie hatte ihn eben schon angefasst. Sie packte mit beiden Händen zu „Komm Richard – Du musst raus da!“

Er stieg langsam aus und sie schafften es gemeinsam ins Haus und in das Bad des Gästezimmers.

Lisa ließ sofort die Badewanne voll laufen und herrschte ihn an „Du musst Dich ausziehen!“

„Was?“ er war auf den Toilettendeckel gesunken und sein Kopf neigte sich gen Wand. 

Lisa ging zu ihm, ergriff das T-Shirt und zerrte es ihm über dem Kopf, zog ihm Schuhe und Strümpfe aus. „Aufstehen, sofort!“

Schwankend kam er wieder auf die Füße. Lisa versuchte nicht mehr zu denken und öffnete seine Jeans und zog beide Hosen zusammen nach unten.

Sie bemühte sich nicht hinzuschauen und prüfte stattdessen die Wassertemperatur.

„Richard – Du musst in die Wanne steigen, hörst Du?“ Aber er stand nur da. Schließlich drückte sie ihn auf den Rand der Badewanne nieder und brachte ihn dazu, die Beine hoch- und ins Wasser zu heben. In dem Moment, da seine Füße ins Wasser kamen, stöhnte er auf, doch Lisa schubste, zog, trug – sie wusste es selbst nicht so genau – so lange, bis er gänzlich im Wasser war.

Da er Anstalten machte, wieder aufzustehen, hielt sie ihn an beiden Schultern fest, so dass er mit Wasser bedeckt blieb. Was tat sie da? Entgeistert sah sie auf ihre Hände, die seine nackten Schultern umklammerten. Doch dafür war jetzt keine Zeit.

Eine Hand glitt um seinen Nacken, die andere ergriff einen Waschlappen und so gelangte auch warmes Wasser in sein Gesicht.

Ihre Augen trafen sich.

Trotzdem er im warmen Wasser lag, begann er heftig zu zittern.

Lisa ließ heißes Wasser nachlaufen, doch er zitterte weiterhin.

Lisa zog ihr Handy aus der Hosentasche. Komisch, es war noch keine zehn, sie hätte gedacht, es wäre schon viel später...

„Dr. Nathan Rittinghaus.”

“Nathan – hier ist Lisa. Was soll ich machen? Unterkühlung. Hab ihn in die Badewanne gesteckt. Zittert ganz furchtbar.“

„Lisa! Ganz langsam. Ist was mit Matty?“

„Nein! Es ist Richard. War im Kühlhaus eingeschlossen – hab ihn eben erst gefunden.“

„Und Du hast ihn in die Badewanne gesteckt?“

„Ja – war das verkehrt?“

„Warum hast Du nicht einen Krankenwagen geholt?“

„Ich ...ich...“

„Egal jetzt – er hat das überlebt. Lisa – Du sagst, er zittert. Das ist schon mal gut. Ist er ansprechbar?“

„Ja – mehr oder minder – aber sehr langsam in allem.“

„Lisa – taste nach dem Puls – am einfachsten an der Halsseite, da wo die Hauptschlagader sitzt.“

Lisas Finger legten sich sachte an Richards Hals. „Schnell und flach.“

„Ok – das ist auch gut. Es scheint ihn nicht ganz so schlimm erwischt zu haben. Pass auf – steck ihn ins Bett. Pack Wärmflaschen, Heißkissen dazu – was Du da hast und dann füllst Du ihn mit heißen, gezuckerten Getränken ab. Keinen Alkohol! Er muss warm werden und darüber hinaus. Wenn er anfängt zu schwitzen, ist das gut. Und nicht rubbeln oder massieren.“

„Ja – verstanden.“

„Lisa – wenn es ihm schlechter geht, holst Du einen Krankenwagen, verstanden?“

„Ja.“

„Ich sag alle Termine Morgen ab und bin Morgen gegen zehn bei Euch.“

„Danke.“

„Lisa – nochmal – wenn es ihm schlechter geht...“

„..ich habe verstanden. Danke Nathan, danke.“

Lisa legte auf.

Richard hatte die Augen geschlossen, zitterte aber weiterhin und sein rascher Atem schloss aus, dass er schlief.

Lisa, die bis dato neben der Wanne gehockt hatte, stand auf. „Richard – ich komme gleich wieder. Bleib wo Du bist, verstanden?“

„Ok“ – es kam sehr leise, aber verständlich.

 

 

 
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