Richard und Sophie von Brahmberg Fanpage
  Kapitel 018
 

KAPITEL 18 – Die Zeit davor

 

Am selben Tag, zur selben Zeit erhielt Richard unerwarteten Besuch. Niemand anderer als sein Halbbruder kam an diesem Morgen durch die Tür des Krankenzimmers. Richard hatte bereits die erste Gymnastik hinter sich und erst nach dem Mittag die Arbeit an den Geräten im Gymnastikraum.

Als David eintrat, maßen sich die beiden ungleichen Brüder nur mit den Blicken und nickten sich knapp zu.

Richard saß auf dem Bett und David ging zum Kleiderschrank, lehnte sich dagegen und verschränkte die Arme.

Keiner von beiden wollte der sein, der zuerst den Blick abwandte und keiner wollte der sein, der zuerst sprach.

Schließlich war es doch David, der das Wort ergriff „Wenn Du Dich fragen solltest, warum ich hier bin…“ Er verschränkte die Arme fester „Wenn Du Lisa auch nur ein Haar krümmst, wirst Du Dir wünschen, dieser Tumor hätte wirklich Deinen Geist vernebelt!“

„Das musst ausgerechnet Du sagen, dass ich Lisa nicht wehtun soll!“

„Wie meinst Du das?“

„Komm David – mehr als Du konnte ihr nie Jemand wehtun – nicht einmal ich!“

David war etwas aus dem Konzept gebracht „Das zwischen Lisa und mir war ein Irrtum. Von uns beiden.“

„Meinst Du, das sieht sie auch so?“

David zog drohend die Brauen zusammen „Darum geht es hier auch gar nicht! Ich weiß, dass Lisa Dich häufig besucht. Warum kann ich zwar nicht begreifen – aber sie tut es. Also noch mal – wenn Du ihr wehtust…“

„Ich habe Dich schon beim ersten Mal verstanden!“ Richard streifte seine Sandalen von den Füßen, schwang die Beine auf das Bett und lehnte sich mit dem Rücken gegen das Kopfteil. „David – hör zu. Ich bedaure, was ich Lisa angetan habe. Und wenn sie hier ist, bin ich so sanft ich nur kann.“

David schnaubte „Du und sanft!“

„Wie ein Lämmchen!“ Richard seufzte „David – ich verspreche Dir -  ich werde Lisa wissentlich niemals etwas antun.“

„Das ist eine beängstigende Antwort.“

„Die Ärzte sagen, dass ich wieder vollkommen gesund im Oberstübchen bin. Ich hoffe, dem ist so. Der Kontrollverlust, den ich Damals hatte – war … unbeschreiblich.“

„Auch das lässt sich unterschiedlich interpretieren.“

„Mehr kann ich dazu nicht sagen.“

David ließ die Arme sinken und trat näher. Er stützte sich links und rechts von Richard ab und brachte sein Gesicht ein paar Zentimeter vor das von Richard „Im Gegensatz zu Lisa habe ich keine Schwierigkeiten Jemanden zu berühren. Wenn Du verstehst was ich meine.“

„Glaub mir – Du drückst Dich ganz unmissverständlich aus!“

„Gut – und wenn sie das nächste Mal hier ist, wirst Du ihr sagen, dass sie ihre Besuche ruhig einschränken kann.“

„Vergiss es.“

David knirschte fast mit den Zähnen „Richard – ich meine es ernst.“

„Ich auch. Lisa kann kommen und gehen, wie sie will. Sie hat lange genug unter Irgendjemandes Knute gestanden. Sie tut das erste Mal das, was sie möchte. Und das soll so bleiben.“

David richtete sich wieder auf, den Blick weiterhin auf das unbewegliche Gesicht seines Halbbruders „Was zum Henker bedeutet Lisa Dir?“

„Lieber David – nicht auf alle Deine Fragen, wirst Du heute eine Antwort bekommen.“

Dieses Gespräch lief nicht ganz so, wie David sich das gewünscht hatte. Er schlenderte betont lässig zur Tür und wandte sich kurz vorher noch einmal um „Ein negatives Wort von Lisa über Dich und ich sorge dafür, dass Du vom Gefängnis direkt in die Klapse gehst.“

Richards Gelächter schlug gegen die geschlossene Tür, als David ging – aber er hörte es noch als er den Flur hinab schritt.

 

Richard wurde Ende Januar wieder in das Gefängnis rückverlegt. Bis dahin war Lisa nahezu täglich bei ihm und auch längere Zeit. Sie hatten eine stillschweigende Übereinkunft, dass sie ihre derzeitige Situation nicht näher erläutern wollten – oder mussten.

Aber Lisa redete mit ihm über die Fortschritte, die der Hofausbau machte und zeigte ihm die neuesten Ultraschallbilder. Er versuchte sie zu überreden wieder mit ihren Eltern Kontakt aufzunehmen. Tatsächlich rief Lisa diese dann am nächsten Tag an. Doch Helga fragte nur „Behältst Du das Kind?“ Und als Lisa bejahte, legte sie auf.

Es war am letzten Tag, bevor Richard wieder ins Gefängnis ging und Lisa und er waren gerade dabei eine Art Tauziehen zu veranstalten – natürlich um Richard linken Arm zu trainieren (Lisa musste nur ein bisschen ziehen und schon hatte sie das Seil...) – als sie plötzlich losließ und aufkeuchte.

„Lisa – was ist denn?“ Instinktiv hatte er näher treten wollen, beherrschte sich aber gerade noch.

Lisa trug einen eigenartig entrückten Gesichtsausdruck und ihre Hände legten sich um ihren – nun schon recht deutlich zu sehenden Bauch.

„So ist das also...“ murmelte sie.

„Lisa – sag bitte was...“

Sie lachte ihn an. In diesem Moment war sie wieder die Lisa, die er früher gekannt hatte. Aber er machte nicht den Fehler noch näher zu kommen.

„Es ist ein Gefühl wie... wie Schmetterlinge im Bauch. Ganz federleicht. Aber es ist da!“

Er sah auf ihren Bauch.

Sie schüttelte leicht den Kopf „Tut mir leid Richard – aber ich kann nicht. Keine Berührung, bitte.“

„Schon gut, Lisa - ich weiß. Mir kam nur gerade der Gedanke, wie viel einfacher alles wäre, wenn das ein ganz normal gezeugtes Kind wäre...“

´Dann wärst Du die ganze Zeit dabei` dachte Lisa – ´dann müsste ich die nächsten Monate nicht alleine durchstehen.`

Lisa senkte den Blick und versuchte das Gefühl der Einsamkeit anzuschütteln, das so plötzlich über sie gekommen war und als sie den Blick wieder auf ihn richtete, hatte er wieder seine Maske aufgelegt und sein undurchdringlicher Gesichtsausdruck verriet ihr überhaupt nichts.

 

Lisa reduzierte ihre Besuche bei Richard auf einmal die Woche. Zum einen, weil es immer ein ziemliches Unterfangen war und zum anderen, weil sie nun doch langsam die Schwangerschaft deutlich merkte. Sie hatte bislang so wenige Beschwerden gehabt, dass sie wohl den Neid vieler Frauen auf sich gezogen hätte. Lediglich ihr Kreislauf spielte manchmal verrückt und sie hatte in den ersten Monaten einen gesegneten Appetit gehabt. Aber ihr war nie übel gewesen, sie hatte keine Wassereinlagerungen und auch ihr Rücken hatte bisher gut durchgehalten. Allerdings wurde nun alles doch deutlich beschwerlicher – und auch wenn Jürgen ihr soviel abnahm, wie ihm nur möglich war… Er war kein Ersatz für einen Lebensgefährten. Sie hatte sich früher oft ausgemalt, wie es wohl sei, mit David verheiratet zu sein, sein Kind zu bekommen… Sie hatte sich vorgestellt, wie sie es sich abends gemütlich gemacht hätten und er vielleicht ihre Beine oder ihren Rücken massiert hätte…

Sie schlief nun schlechter und in den Stunden, die sie manchmal wach lag, floss so manche Träne.

Doch am Morgen stand sie wieder auf und packte den Tag auf´s Neue an. Nach außen hin wirkte sie inzwischen sehr ausgeglichen und fast heiter – in Wirklichkeit hatte sie ziemlich viel Angst.

Vor der Geburt, vor der Verantwortung, die das kleine Wesen bringen würde, davor alleine zu leben – obwohl sie es sich gleichzeitig sehnlichst wünschte.

Nicht einmal Conny konnte sie all das ganz detailliert anvertrauen. Sie verstand sich ja selbst manchmal nicht.

Bei einer weiteren Stunde bei Conny Rittinghaus, fasste sich Lisa ein Herz und fragte nach „Conny – meinst Du, dass ich je wieder Berührungen zulassen werde? Oder ist das mein Los – keinen männlichen Kontakt mehr für die nächsten Jahrzehnte…“

„Ich dachte, es sei besser geworden?“

„Nun – ich kann mich etwas besser beherrschen, aber wenn ich die Wahl habe, weiche ich immer noch jeder Berührung aus. Sogar die von meinem Vater – oder von Jürgen… Die sind doch nun wirklich keinerlei Bedrohung für mich!“

Conny ließ sich Zeit mit der Antwort „Lisa – dass Du das alles noch nicht wirklich verarbeitet hast ist klar – das wäre auch unnatürlich, wenn es so schnell ginge. Ich denke – und das ist meine ganz persönliche Meinung – dass diese Kontaktangst einfach zeigt, dass Du noch einen weiten Weg vor Dir hast.“

„Geht das wieder ganz weg?“

„Das kann ich Dir nicht sagen. Der menschliche Geist ist ein sehr kompliziertes Ding – wer kann da schon sagen, was sich wie entwickeln wird. Aber ich bin mir sicher, dass es besser werden wird.“

Lisa nickte und streichelte ihren Bauch „Dann ist das vielleicht das einzige Kind, das ich je haben werde.“

 

Anfang April besuchte Lisa Richard das letzte Mal im Gefängnis.

„Ich pass immer schlechter hinters Lenkrad und es wird mir auch zuviel…“ versuchte sie sich zu entschuldigen.

„Lisa – Du musst gar nichts sagen.“ Instinktiv hatte er die Hand nach ihrer ausgestreckt, zog sie jedoch schnell wieder zurück. „Wirst Du mir schreiben, wenn das Kind da ist?“

Lisa nickte und sie verstand überhaupt nicht, warum ihr nach heulen zumute war. Sie blickte hoch, schneller, als er erwartet hatte – zu schnell, als das er seine Maske hätte aufsetzen können.

Dieser Ausdruck… was war das gewesen? Bedauern? Gar Zärtlichkeit? Doch als sie jetzt wieder hinsah, war es wieder der altbekannte Richard, der dort saß.

„Versprichst Du mir etwas?“ Sie sah ihn bittend an.

„Nicht ohne zu wissen, was es ist!“

„Bis Weihnachten kannst Du wieder laufen, ohne ein Bein nachzuziehen, ohne dass man sehen kann, das da je was war!“

Da war er wieder – dieser Ausdruck in seinen Augen – kurz durchgehuscht wie ein Schatten…

„I´ll do my best.“

“I hope so!”

 

Die letzten Wochen vor der Geburt schleppten sich dahin. Lisa kam sich immer mehr vor wie der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen. Sie hatte mit Mariella zusammen längst alles besorgt, was Mattias so brauchen würde. Der Hof war fast fertig und sie konnte jederzeit einziehen. Die letzten Tage vor der Niederkunft wurde sie immer rastloser. Jürgen wurde fast wahnsinnig, weil sie ständig spazieren ging und er nicht wusste, wo sie war.

„Was – wenn es unterwegs losgeht? Lisa – denk doch mal nach!“

Ok – er hatte ja Recht. Aber es war, als ob sie alles erledigt hätte, alles war vorbereitet – das Kind konnte kommen – und andererseits hatte sie eine Heidenangst davor. Wie gerne hätte sie ihre Mutter um sich gehabt! Durch Zufall hatte sie mitbekommen, wie Jürgen mit ihr telefoniert hatte. Doch auch er hatte nichts ausrichten können. Aber es war tröstlich zu wissen, dass Mariella auf Abruf stand – jederzeit bereit, alles stehen und liegen zu lassen und zu ihr zu eilen.

Am Morgen des 12. Mai wachte Lisa aus einer unruhigen Nacht auf. Es waren noch acht Tage bis zum errechneten Geburtstermin – aber sie fühlte sich komisch. Da war ein Ziehen in ihrem Unterleib… Aber das konnte doch keine Wehe sein…

Nein – das hatte sie sich nur eingebildet! In den nächsten Minuten ging Lisa drei Mal auf Toilette. Doch alles sehr seltsam! Dann – wieder dieses Ziehen. Etwas deutlicher, nicht unbedingt sehr schmerzhaft – aber definitiv vorhanden. „Willst Du heute kommen Matty?“ Lisa streichelte ihren nackten Bauch „Du bist aber früh dran!“

Eine seltsame Ruhe kam über sie. Sie ging duschen. Zog sich an. Sie griff zum Telefon – David meldete sich.

„Hi -  Lisa hier. Sagst Du Mariella Bescheid – ich glaube, es geht los.“

„Jetzt?!“

„Äh – ja.“

„Wo bist Du denn?“

„Bei Jürgen – wo denn sonst?“

„Leg Dich bloß hin. Bleib ganz ruhig! Alles wird gut! Soll ich Dir einen Krankenwagen schicken?“

Lisa prustete los, japste aber im nächsten Moment, als die nächste Wehe nun doch schon etwas heftiger anrollte. „Nein Dummer – nur Mariella bitte.“

Sie legte kopfschüttelnd auf. Männer!

 

 

 
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