Richard und Sophie von Brahmberg Fanpage
  Kapitel 014
 

KAPITEL 14    Schlagabtausch

 

Die nächsten beiden Tage verlebte Lisa ganz in ihrer eigenen Welt gefangen. Zwar telefonierte sie mit Mariella und beruhigte sie über Richards Zustand – der durchaus schlimmer hätte ausfallen können – aber sie sprach mit Niemandem über das Baby.

Auch das war eine ganz neue Erfahrung für Lisa. Noch vor ein paar Monaten wäre sie von einem zum anderen gelaufen und hätte die große Neuigkeit – ob nun gut oder schlecht – sofort herausposaunt. Nun jedoch zog sie sich zurück und versuchte erst einmal mit sich selbst klarzukommen.

Weihnachten rückte immer näher und sie dachte daran, dass sie das nächste Fest dann bereits einen Sohn haben würde. Dr. Vidras und die Frauenärztin hatten mit ihr auch über Abtreibungsmöglichkeiten gesprochen und dieses sehr thematisiert, da Lisa bereits im 4.Monat war – doch das hatte Lisa gleich abgewunken. Sie stand zu ihrem Entschluss das Baby zu behalten und sie gestand es sich ein – sie freute sich darauf. Es stand ihr allerdings ziemlich bevor, es allen zu sagen. Wie würden alle reagieren? Sie wollte ein Kind behalten, das nicht beim friedlichen Liebesakt gezeugt worden war, sondern auf eine Art, die seine Mutter sehr verletzt hatte. Und seinen Vater ins Gefängnis….

Und wo sollte sie mit dem Kleinen leben? Auf ewig konnte sie nicht in Jürgens kleinem Zimmer bleiben und zu ihren Eltern zurück wollte sie nicht.

Lisa beschloss – wie so oft in letzter Zeit – Nägel mit Köpfen zu machen.

Sie sprach Jürgen auf das Geld an, das der Verkauf von B-Style erbracht hatte und die beiden handelten einen Vertrag aus und unterschrieben diesen auch, der Jürgen ermächtigte mit einem Großteil ihres Geld zu arbeiten.

Einen Teil allerdings hielt Lisa zurück. Am Morgen, genau eine Woche vorm heiligen Abend, suchte Lisa ein Immobilienbüro auf. Das Schild war ihr schon aufgefallen, als sie vor einiger Zeit Mariella besucht hatte: Regina und Jessica Martens – stand da draußen an. Schwestern, wie sich herausstellte, als Lisa eintrat und um ein Gespräch bat.

Sie gab den beiden den Auftrag nach einer geeigneten Immobilie für sie zu suchen und gab sehr genau an, was sie sich vorstellte. Die beiden Frauen schrieben eifrig mit und versicherten Lisa, dass sie ihr in Kürze einige geeignete Objekte vorstellen könnten. Zufrieden mit sich verließ Lisa das Büro, als ihr Handy klingelte.

„Lisa Plenkse.“

„Hi Lisa – Nathan hier.“

„Was nicht in Ordnung  - Du klingst so seltsam…“

„Lisa – Du hast zuviel Zeit mit meiner Frau verbracht! Aber Du hast Recht – es ist etwas. Können wir uns treffen?“

Lisa stimmte dem zu und 20 Minuten später trafen sie sich in der Berliner Innenstadt bei Nathan´s Lieblingsitaliener. Nathan sah müde aus, aber er begrüßte Lisa lächelnd und meinte „Meine Güte, Du strahlst ja geradezu von innen heraus!“

Sie lachte „Ja – mir geht´s ganz gut. Und das konnte ich lange nicht sagen.“ Sie beäugte ihn argwöhnisch „Und was willst Du mir jetzt sagen, dass diesen Zustand wieder aufheben wird?“

Nathan rieb sich leicht verlegen den Nasenrücken „Treffer…“

„Es geht um Richard oder?“

„Treffer versenkt… Lisa – ich bin jetzt seit der OP jeden Tag mehrmals bei diesem Sturkopp und komme nicht weiter. Es ist zum Verrücktwerden! Hab noch nie mit einem derart widerborstigen Kerl zu tun gehabt!“

„Aber was ist denn?“

„Er lässt sich nicht behandeln.“

„Was? Also langsam reicht es mir mit ihm!“

„Mir auch… Er sagt, er habe alles getan, was Du wolltest – und nun sei es gut. Er lebt und das reicht. Das Problem ist, je eher man eine Therapie beginnt, je rascher nach der OP, desto besser. Und er hat schon vier kostbare Tage vertan!“

„Besteht denn Aussicht, dass sich etwas bessern kann?“

„Durchaus. Aber er darf sich da nicht verweigern.“

„Warum tut er das?“

„Keine Ahnung – ich komme da nicht mehr mit ihm weiter.“

Lisa begriff „Also soll ich…“

„Es ist viel verlangt, ich weiß – aber würdest Du?“

Lisa sah ihn an und rollte die Augen nach oben – auf Nathans Gesicht machte sich ein Lächeln breit.

 

Wenn Lisa etwas Unangenehmes oder Schwieriges vor sich hatte, so war es nicht ihre Art dies auf die lange Bank zu schieben. Richard war nach wie vor im Krankenhaus und somit für Besucher noch leichter zugänglich, als im Gefängnis.

Es war kurz nach zehn, als Lisa bei ihm anklopfte und ohne seine Antwort abzuwarten eintrat.

Er saß im Bett, schien aber nichts im Besonderen zu tun. Kein Buch, keine Zeitschrift, kein Fernseher, der ihn unterhielt.

„Lisa! Mit Ihnen hätte ich jetzt nicht gerechnet!“

„Nicht? Das wundert mich jetzt aber. Wen soll Nathan denn wohl schicken, um Ihnen den Starrsinn auszutreiben?“

„Nur diesmal Lisa, haben Sie keinerlei Chance.“ Sein Blick prallte knallhart auf den ihren und sie seufzte laut auf. „Na – das wird ein hartes Stück Arbeit...“

 „Ich will ja nicht unhöflich sein, aber wenn Sie nur hier sind, um mir auf die Nerven zu gehen, können Sie gleich wieder entschwinden.“

Lisa nickte „Ja – das wäre natürlich einfach. Ich bin aber nicht einfach. Und ich habe vor gewaltig zu nerven.“

Er starrte sie an und ihre blauen Augen erwiderten diesen Blick voller Unschuld und mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen.

„Nun – wenn das heute länger dauert – setzen sie sich wenigstens – ich habe keine Lust ständig nach oben zu sehen…“

Sie zog sich einen Stuhl heran und setzte sich.  „Müssten Sie nicht, wenn Sie aufstehen könnten.“

„Ganz billiger Versuch Lisa, weit unter Ihrem Niveau! Aber ich möchte Ihnen trotzdem danken, dass Sie ihr Wort gehalten haben und da waren, als ich aufwachte.“

„Gern geschehen. Könnten Sie mir… Das ist lächerlich.“

Er zog die Brauen hoch „Was ist lächerlich?“

„Dieses Sie! Wenn wir schon bei Lisa und Richard sind… Ich duze jetzt einfach und wenn Dir das nicht recht ist, kann ich da auch nichts bei machen.“

„Es ist recht.“

„Also – Kannst Du mir sagen, warum Du nicht therapiert werden möchtest?“

„Nein.“ Er sagte es leise und sanft, aber unmissverständlich. „Das ist meine Entscheidung.“

„Richard.“ Sie setzte sich gerade auf ihrem Stuhl hin und sagte in einem

Tonfall, der stark an eine Lehrerin erinnerte „ich habe lange im Internet geforscht. Die Möglichkeiten heute sind gut. Und je eher Du beginnst zu üben, desto besser sind die Chancen.“

„Ich weiß.“

Sie sah ihn schockiert an „Du weißt das?“

„Sicher – außerdem erzählen mir das die Ärzte und Nathan unentwegt.“

Lisa öffnete den Mund, schloss ihn wieder, machte ihn wieder auf und sprang vom Stuhl auf. Die Blicke, die sie ihm zuwarf konnte Niemand als freundlich deuten.

„Nathan hat Recht. Du bist ein Sturkopp!“

Er lächelte sie freundlich an „War´s das?“

„Himmel – ich möchte Dich schütteln! Leider weiß ich genau, dass ich das nicht kann!“

Sie ging zur Fensterbank, setzte sich darauf und zog ihre Beine seitlich mit hoch „ich will von Dir eine Erklärung für diese Verhalten. Und ich gehe nicht eher wieder, bis ich sie habe.“

„Du bist doch kein kleines Kind mehr, das mit den Füßen aufstampft und ruft ´Ich will aber`!“

Lisa zuckte die Schultern und sah interessiert aus dem Fenster.

Ein-, zweimal blickte sie ihn seine Richtung und jedes Mal sah sie direkt in seine Augen. Und es war unbequem hier und ihr Bauch zwickte. Sollte sie es ihm jetzt schon sagen? Ne Lisa – noch nicht. Die Argumentation war für wenn gar nichts mehr geht…

„Lisa – komm her…“ er klang seltsam, wenn sie es nicht besser wüsste, fast gerührt. „Du bist wirklich noch ein Kind.“

Doch sie rutschte wieder von der Fensterbank und ging wieder zum Stuhl. Sie setzte sich und sah ihn auffordernd an.

„Die Wahrheit ist – ich will gar nicht, dass es besser wird.“

Ihr Blick schien sich in ihn hineinzubohren „Warum nicht?“

„Es ist … gut so.“

Sein Gesicht war so ausdruckslos es nur ging, doch in Lisa´s Kopf ratterte es los. Er hatte ihr einen Krümel zu viel hingeschmissen. „Dein Zustand ist gut so? Für wen? Für Dich oder für andere? Oder gar für mich?“

Er antwortete nicht, sondern behielt seine versteinerte Mimik.

„Ich verstehe…“ Lisa erhob sich wieder und begann diesmal langsamer durch das Zimmer zu  tapern. „In diesem Zustand kannst Du für keinen eine Gefahr werden, richtig? Du bestrafst Dich selbst… Was für ein elender Feigling Du doch bist!“

„Feigling?“ Der Groll in seiner Stimme war unüberhörbar „Ich?“

„Ja – DU!“ Sie ging wieder zum Fenster, stützte die Arme darauf ab und sah hinaus. „Nimmst den einfachen Weg, anstatt zu kämpfen! Wozu denn auch? Das Leben könnte ja hart und dornig werden! Was wäre, wenn ich so gehandelt hätte, nachdem Du Dich an mir vergangen hast? Wäre es besser gewesen, ich hätte mich in ein Schneckenhaus zurückgezogen und wäre nie wieder heraus gekommen?“

„Lisa, nicht. Das kann man nicht vergleichen!“

„Doch – das kann man. Meinst Du, mir fällt es leicht wieder in das zurückzukehren, was man normales Leben nennt?“ Ihre Stimme wurde lauter und hatte einen sehr harten Unterton „Meinst Du es ist einfach, wenn die eigenen Eltern Dich anstarren und sich fragen, was denn bloß aus ihrer Tochter geworden ist? Meinst Du es gefällt mir, dass ich vor so vielem Angst habe? Dass kaum ein Mann mich berühren kann, nicht mal mit einem normalen Händedruck? Dass ich meinen eigenen Vater gekränkt habe, weil ich in seiner Umarmung angefangen habe zu krampfen? Ich kann nicht mehr S-Bahn fahren, ich habe meine Arbeit bei Kerima aufgegeben, ich breche mit meinem früheren Leben und versuche mir ein neues aufzubauen – und Du“ ihre Stimme bebte „Du legst Dich da ins Bett und denkst, Du bist gar so toll, dass Du andere vor Dir schützt! Scheißdreck!!“

Er war bei ihren Worten leichenblass geworden „Ich wusste nicht, dass es noch so schlimm ist. Mariella…“

Sie unterbrach ihn „Nur, weil ich gelernt habe, ein Lächeln über meine Angst zu ziehen, heißt das nicht, das sie fort ist.“ Sie wurde wieder lauter „Und nur weil Du einmal etwas Schreckliches getan hast, heißt das nicht, dass Du Dich ab jetzt vorm Leben verstecken darfst!“

„Ich tue es für Dich!“ Auch er war laut geworden.

Es herrschte absolute Stille.

Schließlich ging Lisa an die Wand ihm gegenüber, ließ sich an ihr herabrutschen und im Sitzen zog sie die Knie an und barg ihre Kopf darauf.

„Lisa.“ Er versuchte hochzukommen, doch mit einer Seite, die ihm nicht gehorchte ein unmögliches Unterfangen „Lisa – bitte.“ Er sah ihre Schulten zucken. „Bitte, hör auf zu weinen, bitte.“

Endlich – nach sehr langer Zeit hob sie den Kopf, ihre rot geschwollenen Augen sahen ihn anklagend an „Wenn Du meinst, das für mich zu tun, kennst Du mich überhaupt nicht. Gar nicht. Nicht ansatzweise!“

„Lisa – das Letzte, was ich möchte, ist Dir erneut wehzutun.“

„Und doch tust Du es gerade.“

„Lisa – komm wieder her und setz Dich – bitte.“

Unendlich langsam zog sie sich wieder hoch und fasste nochmals an der Wand nach. Nicht jetzt Zwerg, nicht jetzt, Mama braucht noch Kraft, bitte. Die Welt klarte wieder auf. Lisa ging zum Stuhl vor Richards Bett und setzte sich wieder.

Als sie sprach klang ihre Stimme sehr rau „Ich will, dass Du mir hier und jetzt versprichst, dass Du Deinen Hintern wieder aus diesem Bett bekommst! Ich will, dass Du mir versprichst, dass Du alle Anstrengungen unternehmen wirst, um wieder deine volle Beweglichkeit und Kraft zu bekommen.“

„Und wenn ich es nicht tue?“

„Hast Du mich heute das letzte Mal gesehen. Und das ist ein Versprechen. Und ich werde es halten.“

Er sah lange auf die weiße Bettdecke und sie hätte gerne gewusst, was er gerade dachte. Seine Stimme war leise, aber fest.

„Ich verspreche es.“

 

 

 
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