Richard und Sophie von Brahmberg Fanpage
  Epilog
 

EPILOG

 

Abschnitt 1

 

Mozarts unbeschlagene Hufe verursachten kaum Geräusche auf den mit Rindenmulch versehenen Wegen. Lisa hob und senkte sich im Takte des trabenden Pferdes und sie hielt ihre Nase in die frische Morgenluft. Es war noch immens früh – der Nebel lag wie ein dichter weißer Teppich auf den Weiden und die Tiere sahen aus, als ob sie in Wattewolken stehen oder liegen würden.

Sie hatte es sich angewöhnt jeden Morgen einmal ihren Ritt zu machen und nach dem Rechten zu sehen – bevor die Besucher kamen und meist auch, bevor die Leute, die hier arbeiteten, ihren Dienst antraten. Meist begleitete Richard sie, manchmal Mattias und ab und an…

Lisa drehte sich im Sattel um und warf einen forschenden Blick nach hinten „Alle in Ordnung?“

„Alles bestens!“ erklang Mariellas fröhliche Stimme. Odos dicke Mähe wippte im Takt und schaukelte seine kostbare Last vorsichtig hinter Lisa und Mozart her. Lisa grinste und sah wieder nach vorne.

Es war Richards Idee gewesen, einen Spezialsattel für seine Schwester zu besorgen und sein eigenes Reitpferd so ausbilden zu lassen, dass es von Mariella geritten werden konnte.

Anfangs war es Lisa – als Versuchsobjekt gewesen – die auf Odo festgeschnallt worden war. Doch nun trug er die Reiterin, für die er ausgebildet worden war. Mariella lenkte ihn mit Zügel, Stimme und Gerte. David war Anfangs vor Angst außer sich gewesen, als Mariella mit Lisa das erste Mal aus dem Gelände zurückkam – doch Mariella hatte sich durchgesetzt – diese neue Art der Freiheit wollte sie sich keinesfalls wieder nehmen lassen.

 

Lisa parierte ihren Fjordi zum Schritt durch und Mariella schloss auf. „Ist das zu fassen? Sieh mal Lisa – die sind Gestern tatsächlich noch fertig geworden!“

Lisa sah zu dem neuen Gehege, das noch ohne Bewohner war „Ich hab Richie nicht mehr ins Bett kommen hören. Die Jungs müssen Gestern noch bis weit in die Nacht gewerkelt haben… Hauptsache, die Tiere treffen dann heute auch rechtzeitig ein!“

Mariella lachte „Wird schon alles gut gehen.“

Beide betrachteten das neue Wohnheim für die heute noch erwarteten Tiere.

Mozart wendete den Kopf und drängte Richtung Stall, wo das Morgenmahl auf ihn wartete. „Hey Oldie – mal geduldig hier“, ermahnte Lisa ihn sanft.

Mariella sah auf Mozarts Kopf, auf dem sich die weißen Haare immer deutlicher vermehrten. „Warum nimmst Du nicht eines der jüngeren Pferde, Lisa? Der gehört doch nun wirklich in die Rente!“

Lisa zuckte die Schultern und streichelte die borstige Mähne „Hab ich vor drei Jahren versucht. Der arme Kerl stand die ganze Zeit am Gatter und schrie sich die Seele aus dem Leib. Richard meint, es sei besser ihn morgens weiter zu bewegen, bis er wirklich nicht mehr kann – sonst gibt der sich noch auf…“

Mariella betrachtete kopfschüttelnd den Methusalem „Wie alt ist der jetzt?“

Lisa grinste „Ist gerade dreißig geworden! Ich reite also jeden Tag einen etwa Hundertjährigen…“

Mozart reichte es jetzt – energisch schwenkte er seinen plumpen Kopf Richtung Heimat.

Diesmal gab Lisa ihrem Vierbeiner nach und sie gingen nun im Schritt nebeneinander.

Mariella bemerkte den raschen Blick, den Lisa auf ihre Uhr warf „Komm Süße – noch massenhaft Zeit heute!“

„Ja – aber wir haben auch noch massenhaft vor!“

Vor dem Stall warteten bereits Joshua und Eric auf sie. Der eine hob Mariella vom Pferd und setzte sie in ihren Rolli, während Eric die beiden Pferde Lisa abnahm.

„Puh – seht ihr beide verpennt aus!“

Joshua verzog das Gesicht und schob den Rollstuhl den Kiesweg Richtung Haus „Wir haben bis um zwei gearbeitet… Richard wollte uns eher wegschicken – aber da haben wir ja man auch unseren Stolz!“

Mariella tätschelte seine Hand „Hättest ja gar nicht mithelfen müssen…“

„Ja klar – Joseph und ich drehen Däumchen, während alle anderen sich halb überschlagen. Wann wart ihr zwei denn Gestern mit Dekorieren und Essen vorbereiten fertig?“

„Wir sind ertappt!“ lachte Lisa „aber immerhin waren wir schon gegen eins im Bett.“

Sie erreichten das Haus. Die Tür stand offen und zwei kleine Mädchen warteten bereits ungeduldig „Mama! Tante Lisa! Da seid ihr ja endlich! Joseph hat uns schon anziehen geholfen. Papa schläft so fest – den hab ich nicht wach gekriegt!“

Mit diesen Worten kam ein blondes siebenjähriges Mädchen die Stufen hinunter, hielt aber vor Mariella an und rümpfte die Nase „igitt – Du stinkst nach Pferd.“

Diese seufzte „Lisbeth – ich wünschte, Du würdest Tiere etwas netter finden…“

Doch der blonde Haarschopf flog und sie rannte die Treppe wieder hoch und reichte ihre Hand dem viel kleineren Mädchen, das dort gewartet hatte. Doch dieser Zwerg kannte keine Berührungsängste mit dreckigen Reiterinnen. Eine Menge brauner langer Locken stürmten auf Lisa zu, die sich rasch bückte und das Mädchen auffing. „Na Liebling – Du hast ja auch schon Dein Kleid an!“

Das Kind zupfte daran „Freddy hat geholfen.“

„Oh“, Lisa nahm sich vor noch einmal nachzusehen, ob ihre Tochter auch alles anhatte, wenn ihr so eine Hilfe zuteil geworden war. Eben diese Hilfe kam nun aus dem Haus. Es war ein immens hübsches Kind – und ein aparter Gegensatz: schwere dunkle Locken, ein feines Gesicht und leuchtend grüne Augen. Die Omas wollten ihn in einem Fort knuddeln.

Auch er hatte schon seine guten Sachen an „Ihr seid spät dran. Und Papa und Onkel David schlafen noch!“

„Schon gut junger Mann – wird schon noch.“ Lisa beschloss ein wenig Ordnung in das Chaos zu bringen und setzte das kleine Mädchen wieder runter.

„Lisbeth, Sabrina – versucht mal Eure Väter zu wecken. Cedric – Du kannst mir beim Frühstück machen helfen.“

Ein Augenaufschlag mit dunklen Wimpern über grünen tiefen Teichen „Kannst Du nicht auch Freddy sagen, bitte? Cedric heißt auch dieser grässliche kleine Lord aus dem Kinderfilm!“

Lisa fiel zu Cedrics Ausdrucksweise mal wieder rein gar nichts ein. Er benahm sich und sprach wie ein kleiner Erwachsener. „Schatz – Du bist 6 Jahre alt – kannst Du Dich nicht mal so benehmen?“

Jetzt lachte der Junge „das sagst Du mir dauernd!“ kam ihr aber entgegen und in ihre geöffneten Arme. Sie drückte ihn kurz an sich. Er war ihr Sorgenkind und ihr Liebling in einem. Natürlich liebte sie alle ihre Kinder – aber Cedric war so ein sanftes Kind… und stille Wasser sind tief – und sie erahnte manchmal nur wie tief.

Sie gingen zusammen in die Küche und begannen den Tisch zu decken, während Joshua mit Mariella im Gästezimmer verschwand und die beiden Mädchen die Treppe hochstiegen.

 

„Onkel Richard – bist Du wach?“ Lisbeth beugte sich vorsichtig vor und sah auf das Haar, was von ihm aus der Bettdecke lugte.

Sabrina machte da nicht so viel Federlesens, ihre kräftigen  - noch mit Babyspeck versehenen Beine – erklommen das Bett und sie verteilte feuchte Küsse auf alles, was sie von ihrem Vater erwischen konnte.

Richard beschloss, nicht wach zu sein.

„Der schläft aber tief“, Lisbeth war das Ganze nicht geheuer.

Sabrina stemmt ihre Hände in die dralle Taille „ich hol Mama!“

Die Idee war gut – Richard blieb absolut still liegen. Die kleinste Bewegung konnte die kleinen Piranhas aufmerksam machen… Er spürte, dass sich seine Jüngste wieder zu Boden ließ und riskierte einen Blick, als die beiden den Raum verließen. Während Lisbeth ihr Kleid noch mal glattstrich und dann leichtfüßig loslief, stampfte Sabrina eher hinterher. Es sah ihr liebevoll nach und genoss noch ein paar Minuten vor sich hindämmern, bis er erneut Schritte auf der Treppe hörte.

DIESE Schritte erkannte er unter tausenden heraus.

Lisa ging rasch ins Ankleidezimmer, um ihre Reitsachen loszuwerden und in eine luftdichte Truhe zu verbannen. Die warf sich einen Morgenmantel über, ohne ihn zuzumachen und krabbelte – ähnlich  wie ihre Tochter vor ihr auf das Bett. Ihre Hand stahl sich unter die Decke, begab sich sein Rückgrat hinauf und zog schließlich an seiner Schulter, so dass er sich auf den Rücken legte.

„Gar nicht wach zu bekommen, der Mann...“ moserte sie leise, versenkte ihr Gesicht in seinem Nacken und blies ganz sachte Luft in sein Genick.

Er brummte.

„Er lebt!“ Lisa nahm sein Ohrläppchen zwischen die Zähne.

Er reagierte rasch, warf seine Arme um sie und begrub sie unter sich. „Er lebt definitiv!“ knurrte er und griff mit einer Hand in ihren Nacken „Was fällt Dir ein diese kleinen Geier auf mich loszulassen!“

Lisa lachte und schickte ihre Hände auf Wanderschaft auf seinem Rücken „ich dachte, als Vorhut wären sie gut.“

„Ja – und ich nackt vor der Tochter von David – na danke…“ Er zuckte zusammen, als ihre Hände sich fester um ihn schlossen.

„Was ist?“ ihre Stimme hatte alle Neckerei verloren. Sie schob ihn von sich und er drehte ihr willig seinen Rücken zu „Hab Gestern einen kleinen Steinschlag abbekommen….“

Lisa etwas fassungslos auf die blauen Flecke, die seinen Rücken zierten, den großen Ratscher an seinem Arm und den kleineren, aber tieferen an seinem Bein.

„Solltest erstmal Davids Hände sehen oder Erics Knie!“

„Männer! Das darf doch nicht wahr sein! Ihr solltet etwas gestalten und nicht euch verunstalten.“

„Na ja - wenig Licht und noch weniger Zeit… aber wir sind fertig geworden.“

„Habs gesehen“, sagte sie nun wieder sanft und erinnerte sich daran, dass Eile nottat. „Los komm hoch, müder Krieger – ich verspreche Dir – heute Abend kümmere ich mich um alle Deine großen und kleinen Wehwehchen.“

„Versprochen?“ Er zog sie wieder an sich und raubte ihr nun doch noch einen Kuss.

„Ihhh – Du piekst gar mächtig!“ Sie entzog sich ihm und stand auf.

„Das nennt sich Zweitagesbart…“, auch er schwang nun die Beine aus dem Bett und folgte ihr ins Bad.

Lisa nutzte ihren Vorsprung und kletterte in die Badewanne, um zu duschen. „Ich beeil mich auch...“

„Ich könnt auch mit reinkommen…“

Sie zog den Vorhang noch einmal zurück und grinste ihn an „Sonst herzlich gerne – aber heute müssen wir wirklich ein bisschen hinne machen!“

Das machte sie wirklich, denn als er das Bad verließ, war das Schlafzimmer bereits wieder verwaist. Richard strich sich die nassen Haare zurück und ging Richtung Kleiderschrank – dabei kam er an einem großen Spiegel vorbei. Er stutzte. Drehte sich zum Spiegel um und sah hinein. Na – den hatte er lange nicht mehr gesehen… Durch die nassen zurückgestrichenen Haare, sah er ein bisschen aus, wie früher. Aber nur fast. Seinem Körper sah man an, dass er täglich körperlich arbeitete. Na dafür, dass die vierzig näher war als die dreißig… Richard – was machst Du denn da? Alle warten unten und Du wirst auf Deine alten Tage eitel! Er schüttelte über sich selbst den Kopf und warf seinem Spiegelbild noch einen letzten Blick zu. Ne – den Richard von früher wünschte er sich nicht zurück. Er hätte mit Lisa überall gelebt – aber dass ihm ihr Leben hier auf dem Lande so gefallen würde, hätte er nie für möglich gehalten. Aber er kam gut mit den Leuten aus, er liebte es inzwischen an der frischen Luft zu arbeiten und mit den Tieren umzugehen und ab und an leitete er sogar die eine oder andere Besuchertour. Den Schriftkram erledigte er meist mit Lisa zusammen.

Lisa.

Selbst heute noch vermochte alleine ihr Name bei ihm ein zärtliches Gefühl auszulösen.

Während er rasch seine Sachen aus dem Schrank zusammenklaubte, reisten seine Gedanken in die Vergangenheit.

Der Streichelzoo hatte einen guten Start hingelegt und machte ihm mehr Freude, als er je gedacht hatte. Und Lisas Schwangerschaft machte das Ganze perfekt. Er machte sein Versprechen wahr. Kümmerte sich jeden Abend ausgiebig um seine Frau und cremte und massierte.

Für Lisa war es das erste Mal in ihrem Leben gewesen, dass sich Jemand so intensiv um sie kümmerte. Sie fanden täglich mehr zusammen.

Und dann Cedrics Geburt…

 

Sie waren bei der Strohernte. Lisa hatte den Männern eine Erfrischung gebracht und presste ihre Hände in den schmerzenden Rücken.

„Wird er Dir zu schwer Liebes?“ Richard sah mitfühlend auf den Bauch, der sich schon gewaltig gerundet hatte.

„Na ja – noch 17 Tage, dann…“ Lisa schnappte nach Luft und stellte rasch den Krug ab, den sie in der Hand hielt. „Verdammt – das ist noch früher als bei Matty!“

„Willst Du damit sagen? Du meinst?“

„Oh ja – ich seh zu, dass ich noch duschen kann, bevor es richtig losgeht.“

„Duschen?“ Richard musste ziemlich verdattert ausgesehen haben, doch Lisa war schon auf dem Weg zurück zum Haus.

Er regelte nur schnell alles und folgte ihr dann.

Er fand sie im Bad im Gästezimmer, wo sie sich gerade unter dem Wasserstrahl krümmte.

„Viel schneller als gedacht! Verdammt! Rufst Du bitte die Hebamme?“

Sie hatten sich auf eine Hausgeburt eingestellt. Aber es life mitzubekommen, war eine ganz andere Geschichte. Richard telefonierte rasch und ging dann schnell zu ihr zurück. Lisa hielt sich am Waschbecken fest und er trocknete sie ab.

„Richie – ich weiß nicht, ob Doris (so der Name der Hebamme) rechtzeitig hier ist…“

„Was?“ Fass dich – einen aufgelösten Ehemann kann sie jetzt nicht gebrauchen. Ok – was zuerst? „Ich mach eben die Haustür auf, dass sie auf jeden Fall rein kann.“

Sie war immer noch im Bad, als er diesmal retour kam. „Willst Du nicht ins Bett?“

Lisa schüttelte den Kopf. Sie hockte vor der Badewanne, hielt sich am Rand fest. „Pack mir Handtücher drunter.“

Handtücher? Oh mein Gott… Er tat es und wischte mit einem anderen das Wasser auf „Lisa … ist das?“

„Jepp – das Fruchtwasser ist schon raus!“ Sie warf den Kopf in den Nacken und ein gequälter Laut kam.

„Was kann ich tun?“ Doch seinem Instinkt folgend trat er hinter sie, gab ihr mit seinen Beinen einen Rückenhalt und als sie nach oben griff, verschlangen sich ihre Arme und Hände miteinander.

In dieser Position fand die Hebamme sie. Diese fand das eher erheiternd. „Mit Indianern verwandt Kindchen? – die haben das auch so gemacht!“

„Sollen wir sie nicht ins Bett bringen?“

„Ach was!“ sprach die gute Dame und packte weitere Handtücher unter Lisa. Immer wenn die Schmerzwellen Lisa durchliefen, bekam er das nun hautnah mit. Was für eine Urkraft steckte in diesem Vorgang!

Als das Baby mit dem Kopf durchstieß, warf Lisa den Kopf zurück und schrie. Doris nahm das Kind direkt unter Lisa entgegen und diese fiel schnaufend in sich zusammen.

„Gut gemacht Lisa! Jetzt warte da mal ab, bis die Nachgeburt kommt – dann haben wir die ganze Sache hier schön erledigt.“

Richard half ihr, sich auf den Rand zu setzen. Das war mal eine Geburt! Konnte bei ihnen mal was normal laufen?

Kurze Zeit später säuberte die Hebamme das Baby und bei Lisa kam die Nachgeburt.

Richard wusch Lisa ab und verfrachtete sie dann endlich ins Bett.

Doris drückte ihm seinen Sohn in die Arme und sagte „Geh mal kurz raus – will sehen, ob mit Lisa alles klar ist!“ Und er stand im Flur, ein wohlverpacktes Bündel Mensch im Arm.

In ihm war Erleichterung und Erschöpfung und …Liebe.  Zu Lisa. Und zu diesem winzigen Geschöpf, das die Nase kräuselte und nicht sehr glücklich dreinsah.

…..

 

 

Abschnitt 2

 

 

„Richie!“ Lisa kam ins Zimmer gestürmt „schau Dir die Sauerei an!“ Sie hielt ihre Bluse möglichst weit von sich und betrachtete sie mit angeekeltem Gesichtsausdruck.

Er sah genauer hin „Sieht aus wie rohes Ei…“

„Ist es auch! Lisbeth wollte unbedingt helfen Löcher in die Eier zu pieksen!“ Sie zog die Bluse aus und schmiss sie im Bad in eine Ecke.

„Zieh doch Dein buntes Kleid an – das gefällt mir eh viel besser!“

„Seit was realisierst Du, was ich trage?“ Sie fixierte ihn überrascht.

„Immer!“ betonte er fest und verschwand im begehbaren Kleiderschrank, um kurze Zeit später mit dem Kleid in der Hand wieder aufzutauchen.

Verdattert nahm sie es entgegen und zog es an. Dann kam sie auf ihn zu und begann seine Krawatte zurecht zu zupfen.

Er umarmte sie „Komisch – ich musste gerade an Cedrics – äh pardon – Freddys Geburt denken...“

„Oh je“, Lisa verzog das Gesicht „unsere wildes-Badezimmer-Aktion…“

Er lachte „Ja und danach wurde es ganz friedlich…“

Sie blieben einen Augenblick stehen und hielten einander im Arm. Er berührte sanft ihre Stirn mit seinen Lippen „Er war schon ein seltsames Baby …“

Lisa seufzte „Hat kaum geweint, war immer so lieb und still und hat mich immer mit seinen riesigen Augen verfolgt…“

Richard drückte sie sanft „Ich hab wirklich gedacht, dass der Kleine behindert ist. Aber Du wusstest es besser nicht wahr Liebes?“

Lisa kuschelte sich an ihn „Da war viel zu viel Verstehen in seinem Blick…“

„Na toll, Matty ist unser kleines Genie, Freddy – der große Schweiger und Brinchen wird Miss Bauernhof!“

„Na Richie!“ Sie zwickte ihn ein bisschen in die Taille „Das ist Babyspeck, bestimmt. Pass auf - unsere Maus wird noch hübsch! Und was Cedric-Freddy angeht – ich glaube nicht, dass er in der Intelligenz hinter Mattias zurücksteht.“

Er sah sie skeptisch „Aus Dir spricht der Mutterstolz mein Liebes.“ Und als sie den Mund öffnete, um ihren Sohn zu verteidigen, begann er sie zur Tür zu dirigieren „Komm – mit einer Mutter diskutiere ich nicht. Und Du sagst selbst – wir haben heute noch viel vor!“

Sie ließ sich nach unten dirigieren und sie betraten gemeinsam eine irgendwie ziemlich vollgestopfte Küche.

Eric hatte sich Sabrina auf die Hüfte gesetzt und war mit einer Hand dabei, die Kaffeemaschine zu bedienen. David deckte mit Lisbeth und Cedric den Tisch, Mariella verteilte die Sachen darauf und Joshua und Joseph betraten eben vor ihnen die Küche.

Lisa flüsterte „Ich hätte die Küche größer machen lassen sollen...“

Mariella war wohl zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen „Himmel, der Rollstuhl stört hier überall – könnte mich einer der Herren auf die Bank setzen?“

Die Kinder begannen zu kichern, als gleich vier Herren Kurs auf sie nahmen. Cedric sagte, in seiner viel zu altklugen Art „Papa ist der Einzige, der nicht wollte. Soll er es doch machen!“

Richard ging an Lisa vorbei zu seiner Schwester „Genau – wozu sind große Brüder denn sonst da?“ Er hob sie hoch und Mariella lachte ihn an „Von so was hab ich als Kind immer geträumt – ein großer Bruder, der mich auf Händen trägt!“

„Hmh – als kleine Schwester warst Du aber eine arge Nervensäge... Richie – mein Kleid wird ganz schmutzig! Richie – ist das etwas ein Falter? Richie – das sag ich Mutter!“

Mariella tätschelte seine Wange „Armer großer Bruder...“

Lisbeth sah ihre Mutter vorwurfsvoll an „Du mochtest auch keine Falter? Und Du wolltest nicht, dass Dein Kleid schmutzig wird?“

David hob seine Tochter schwungvoll hoch „Na jetzt weiß ich ja, von wem Du das hast!“

Es wurde eine nette, große Frühstücksrunde. Die Herren waren allesamt ein bisschen müde und kaputt, aber guter Dinge.

Lisa fiel auf, dass David sein Besteck sehr umständlich handhabte. Sie fing seine Hand ein und drehte sie um. „Himmel noch eins! Schon mal, was von der Erfindung Namens Handschuh gehört?!“

An Davids Hand waren zahlreiche Blasen – einige offen, die meisten noch gefüllt. Er warf ihr einen kläglichen Blick zu „Hab nicht dran gedacht.“

Lisa schüttelte den Kopf „Joshua kann das nachher verarzten.“

„Nicht nötig...“

„Blödsinn – das ist nötig! Und Erics Knie kann er sich auch gleich ansehen.“ Sie sah zu Eric, der kurz nickte und wandte sich dann an Mariella und redete mit ihr weiter.

David guckte Lisa etwas perplex an und sah dann zu Richard „Ist sie immer so energisch?“

Richard grinste „Ist sie nicht entzückend?“

 

Lisa war es auch, die das Chaos im Blick behielt und dafür Sorge trug, dass alle kurz vor zehn abfahrbereit waren – inklusive unverzichtbarem  Kuscheltier, was zu trinken für die Kinder und an was man sonst noch alles denken musste. Von der etwas schüchternen, leicht weltfremden Lisa war an solchen Tagen nicht mehr viel zu sehen. Richard und sie waren ein eingespieltes Team und meisterten die Situation einwandfrei.

Lisas blaue Augen hefteten sich fragend auf David (dessen Hände inzwischen verbunden waren) „Was ist – hab ich einen Schmutzfleck im Gesicht?“

David sah sie recht eigenartig an „Lisa – so kenn ich Dich gar nicht. Ein Feldwebel ist nichts gegen Dich!“

Richard trat von hinten an seine Frau heran und umarmte sie „Dann müsstest Du sie mal erleben, wenn sie voll in Fahrt ist. Wie letztes Jahr beim Schützenfest“ – er drückte sie leicht und Lisa errötete „mitten im Fest gab es ein Gewitter – alles wollte kopflos in Trockene stürzen. Aber Lisa ließ uns Salut schießen und jeder musste was vom Buffet mit reintragen!“

„Na aber“, verteidigte sich Lisa „wäre doch schade gewesen, wenn das ganze Essen vermatscht wäre...“ Sie grinste zu ihm hoch „Und außerdem hättet ihr alle nichts als Unterlage gehabt, um Dich als neuen Schützenkönig und feiern..“

Richard überging diesen, ihm etwas peinlichen Preis und fuhr fort „Und letzte Woche? Der Knirps, der in den Teich gefallen ist?“

„Wieso – den hast Du doch raus gezogen!“

„Schon – aber wer hat mich nachher vor der rasenden Muter beschützt und die mit immens treffenden Worten mundtot gemacht? Und wer hat dann den kleinen Hosenscheißer kurzerhand in trockene Sachen gepackt und seiner Mutter zurückgegeben mit Worten, die ich so schnell nicht vergessen werde?“

David lachte „Und ich sehe Dich immer noch wie Damals...“

Lisa lachte nun auch „Dann würde ich hier untergehen!“ sie sah schräg nach oben in Richards Gesicht „und es gibt da Jemanden, der mir beigerbacht hat, wie viel ich kann, wenn ich muss!“

Sie tauschten einen kurzen Kuss und dann schob Richard sie energisch von sich  „Wenn wir heute noch losfahren wollen...“

Sie traten vor die Haustür – Mariella saß inzwischen wieder in ihrem Rolli - und beratschlagten kurz über die Verteilung in den Autos.

Lisa seufzte „Schade, dass der Benz nicht mehr da ist, der hatte so schön viel Platz!“

Cedric wandte sich erklärend an David „Das Auto hat Papa verschrotten lassen. Der war hin!“

„War – ist das richtige Wort“, Richard grinste und zeigte nach vorne, wo in diesem Moment Eric das Auto aus der Scheune fuhr.

„Oh“ – Lisa drückte Richard ihre Tochter in die Arme, die sie eben noch an der Hand gehalten hatte und lief zum Wagen. Richard – Sabrina im Arm – ging ihr hinterher. „Konnte ich nicht mit ansehen, wie Du dem Auto hinterhergetrauert hast.“

Da stand Lisas Auto – frisch lackiert und wie neu. Ungeachtet ihrer Tochter fiel Lisa ihrem Mann um den Hals. Aber das Mädchen war stabil, quietschte vergnügte auf und versuchte ebenfalls ihren Vater zu umarmen – dieser in Anbetracht von zwei weiblichen Wesen am Hals mit unzähligen Armen - lachte „Hilfe! Brina – umarm lieber die Mama“, aber er sah sehr zufrieden aus, während er sprach. „Dein Töff-Töff ist wie neu Liebes. Hat  TÜV und wird wohl auch die nächsten Jahre wieder durchkommen. Eric hat den Wagen extra nach Essen in eine Spezialwerkstatt gefahren.“

Er tauschte einen Blick mit Eric und die Männer nickten sich zu. Sie hatten zusammen hinter Lisas Rücken die Sache ausgeheckt und – es hatte sich definitiv gelohnt.

Lisa löste sich nach diesen Worten von Richard und fiel nun Eric um den Hals, dem dieses etwas peinlich war. Da er aber sah, dass Richard grinste, tätschelte er Lisa ein bisschen. „Wär´ doch ein Jammer um das Teil gewesen...“

Eric. Er war im Laufe der Jahre ein Teil ihrer Familie geworden. Lisa hatte ihn – wie sollte es anders sein – mit offenen Armen aufgenommen. Aber auch Richard hatte mit der Zeit seine Anwesenheit zu schätzen gelernt. Eric – in schlechten Verhältnissen aufgewachsen – gänzlich ohne Verwandtschaft und obendrein vom Leben nie verwöhnt worden – hatte hier eine Familie gefunden – und auf seine stille und zurückhaltende Art war er mehr als treu. Besonders Mattias hing sehr an ihm und es war jedem klar, dass er bleiben würde. Für immer. Zudem hatte die weibliche Dorfbevölkerung Interesse an ihm bekundet. Bislang ohne Erfolg. Wenn beispielsweise Zäune geflickt wurden und Eric mit nacktem Oberkörper arbeitete – so konnte man sicher sein, dass ein paar kichernde Backfische in der Nähe waren und ihn begafften.

Nun allerdings entschloss er sich den Mund aufzumachen „Heißt das, ich darf das gute Stück nach Berlin fahren?“

Lisa lachte ihn an und nickte.

Ein weiteres Auto fuhr auf den Hof. Niklas stieg aus „Ihr seid ja immer noch nicht weg!“

„Aber so gut wie!“ Richard bedeutete Eric einzusteigen, schob Lisa zum Wagen und drückte Niklas die Haustürschlüssel in die Hand „Schick mir eine SMS, wenn die Tiere angekommen sind, ja?“

„Ja – mach ich – und nun fahrt endlich!“

Mit drei Wagen fuhren sie vom Hof und kamen genau zwei Minuten vor elf in Berlin an.

 

Lisa warf einen halb belustigten und halb mitleidigen Blick auf das stoische Gesicht von Richard. Er war ein wunderbarer Ehemann, ein liebevoller Vater und ein erfolgreicher Geschäftsmann – aber nichts und Niemand würde ihn dazu bringen, Veranstaltungen dieser Art gut zu finden.

Zuerst hatte der Schulleiter sie kurz begrüßt (nach Richards Meinung nicht kurz genug!) – dann hatte es ein kleines Konzert gegen, ein frei vorgetragenes Gedicht und nun führten gerade vier Jungen ein Mini Theaterstück auf. Lisa schob ihre Hand in seine und er begegnete ihrem Blick und rollte die Augen nach oben. Doch seine Finger schlossen sich um die ihren und er zog sie an seine Lippen. Er würde klaglos durchhalten bis zum bitteren Ende. Lisa sah in sein betont unbeteiligtes Gesicht – wie sehr sie ihn liebte – wie sehr!

 

„Lisa – hör doch mal zu!“

„Ich will nicht, dass Mattias in eine Schule geht, wo er abends nicht nach hause kommt! Ich will das nicht! Er ist zu klein!“

Richard zwang sich zur Ruhe – er war sich wohl bewusst, dass er hier gegen eine liebende Mutter antrat „Der Junge ist zehn Liebes – und seinem Alter weit voraus.“

Lisa war inzwischen den Tränen nahe „Aber... Richie – bislang ist es doch auch so gegangen! Er ist in die normale Schule gegangen, die Lehrerin hat sich extra Zeit für ihn genommen und zuhause hat er noch zusätzlich Privatlehrer gehabt!“

„Lisa...“, er hatte sie sanft in die Arme gezogen „er ist viel weiter als die anderen Kinder, die jetzt in die fünfte Klasse kommen. Willst Du, dass er gleich in die siebte oder achte kommt?“

Nun rannen wirklich Tränen „Nein! Dann wäre er der Kleine, der Streber...“

„Siehst Du.... Lisa – diese Schule ist spezialisiert auf Kinder wie Matty. Sie werden ihn mehr und besser fördern können, als wir das hier können.“

„Wir schicken ihn fort!“

„Nein mein Herz – wir tun das Beste für ihn. Er weiß doch, wie sehr wir ihn lieben. Und diese Schule hat mehrere Projektwochen im Jahr. Matty kann diese Projekte zuhause machen. Er wäre alle Ferien hier – und die Projektzeiten – und fast alle Wochenenden...“

„Richard – ich kann das nicht. Es zerreißt mich!“

„Und welche Alternative gibt es? Soll er hier bleiben, sich langweilen und anfangen dummes Zeug zu machen“ – und leise fügte er hinzu „wie ich damals...“

Lisa sah ihn nur betroffen – aber immer noch mehr als unglücklich an.

Richard zog zärtlich die Form ihres Gesichtsovals nach. „Was hältst Du davon, wenn wir ihn fragen, was er möchte?“

Das hatten sie dann getan und Mattias freudige Reaktion spottete jeder Beschreibung...

 

„Und als nächsten Akteur sehen sie Mattias von Bramberg – mit einer etwas ungewöhnlichen Darbietung. Unser Hausmeister ist ein absoluter Hundenarr und unsere Schüler führen die Tiere gerne ab und an aus – aber was ich eines Tages beobachtet hab – davon lassen Sie sich nun überraschen...“ – der Rektor verließ die Bühne und alle sahen gespannt, was nun passieren würde.

Zunächst schossen drei Promenadenmischungen auf die Bühne, liefen umher und kläfften wild durcheinander. Alles lachte. Dann trat Mattias auf. Langsam schritt er auf die Plattform und stellte sich inmitten des Hundechaos. Lisa schluckte – er war noch höher und noch dünner geworden! Er sah aus, als hätte man ihn langgezogen und dabei die Breite vergessen.

Mattias trug Jeans, weißes Hemd und eine grässlich purpurfarbene Weste. Er klatschte in die Hände und alle drei Hunde fielen um und lagen regungslos da. Totenstille – in die hinein Sabrina rief „Matty – mach die wieder ganz!“

Um Mattias Mundwinkel zuckte ein Lächeln, das Lisa zuhause nur zu oft sah – auch ohne ihren Sohn.

Er pfiff leise und die Hunde sprangen auf und postierten sich zu seinen Füßen. Dann folgte eine – mit Zirkusmusik – unterlegte fröhlich-freche Show, in der Mattias seine Schützlinge apportieren und fangen ließ, zwischen seinen Beinen durchlaufen, übereinander springen oder in seine Arme oder durch Reifen. Die Hunde hingen an seinen Lippen und jedes seiner Worte war Evangelium.

Es gab tosenden Applaus und Mattias winkte ins Publikum und grinste frech.

Richard beugte sich jetzt zu Lisa „Ob er jetzt Löwendompteur werden will?“

Sie schüttelte den Kopf „Ich glaube, das war eher ein bisschen Spaß haben...“ Ihr Blick folgte ihrem Sohn, der sich zu seinen Klassenkameraden gesellte. Wieso der Gedanke kam, wusste sie nicht – aber ihr eigener Vater hätte an dieser Darbietung bestimmt seine Freude gehabt. Sie hatte seit Jahren nichts mehr von ihm gehört. Ihre Mutter – Helga Plenkse – war vor zwei Jahren gestorben, Lisa wusste nicht einmal woran. Laura hatte es ihr erzählt. Auch ans Sterbebett hatte sie Lisa nicht gerufen... Lisa riss ihre Gedanken von dem traurigen Thema los und sah wieder auf die Bühne.

Es gab noch einige anderen Darbietungen – besonders die Darstellung der Balkonszene mit Romeo und Julia ließ Richard sich tiefer in seinen Sitz pressen und dann kam wieder der Schulleiter ans Mikrophon.

„Da unsere Schüler nun in die Projektwochen gehen und das Schuljahr danach zuende ist, möchte ich die fünf besten Schüler unserer gesamten Schule über alle Schulstufen gerne schon heute auszeichnen.“

Es folgte drei sehr stolze und schüchterne Kinder auf den Plätzen 3-5, die ihre Urkunde entgegennahmen und dann hob der Rektor die Hand „Platz eins und zwei teilen sich dieses Jahr zwei Schüler: Melanie Silk für ihre herausragende Analyse und Diskussion rund um die Relativitätstheorie (ein älteres Mädchen trat vor) und Mattias von Bramberg für seine Arbeit an der Mendelsonschen Vererbungslehre am Beispiel des Phänomens der Taubheit bei Perserkatzen.“

Mattias – schlaksig und erneut grinsend –aber ohne die bunte Weste (er trug nun ein schwarzes Jackett) - nahm seine Urkunde entgegen und gratulierte dann artig seiner Mitgewinnerin, nicht ohne ihr ein Küsschen auf die Wange zu geben.

Danach war die Veranstaltung zuende und Mattias sprang von der Bühne und kam - seine langen Beine schwingend - auf sie zu. Auch seine Besucher erhoben sich alle. Bevor Mattias bei ihnen anlangte, kamen jedoch seine Mitschüler zum Gratulieren.

„Aye – Alter – saftige Sache!“

„Mensch Bramberg – ausgerechnet mit dem Haustierscheiß abzusahnen...“

„Hey Rafe – sehn wir uns noch?“

Rafe? Lisa und Richard sahen sich an. Konnten ihre Kinder nicht mal bei ihren Namen bleiben?

Richard zog seine Brauen hoch und streckte seinem Sohn die Hand hin „Gratuliere... Rafe...“

Mattys Grinsen war ansteckend „Klingt doch mega. Kommt von Raphael – ist ja klar.“

Lisa umarmte ihren Ältesten und stellte fest, dass er ihr über den Kopf gewachsen war. Ohne zu zögern nahm er sie auch in die Arme. „Herzlichen Glückwunsch Matty – auch zum Geburtstag.“

„Rafe – Mann – Deine Olle hat sich aber prima gehalten!“

Bevor Richard reagieren konnte, hatte Mattias Lisa losgelassen und den Sprecher am weißen Hemd gepackt „Das ist meine Mutter – für Dich Frau von Bramberg! Verstanden?“

„Hey – ist ja gut – Mann – alles roger. Bist Du empfindlich...“

Mattias nickte und wandte sich dann den anderen zu. Auch Mariella und die Kinder wurden umarmt. Richard sah ihm mit mehr als leisem Stolz zu. Lisa stellte sich an seine Seite „Richard? Er wird erwachsen... viel zu früh!“

„Er ist doch in allem viel zu früh – aber er ist richtig Lisa – goldrichtig!“

Mattias kam wieder zu ihnen „Und? Können wir heim?

 

 

Abschnitt 3

 

Zuhause gab es zunächst ein verspätetes Mittagessen auf die Schnelle. Die Gäste zur Geburtstagsfeier wurden erst gegen fünf erwartet.

Mattias hielt sich viel bei Lisa auf, aber auch bei Eric und bei seinem kleinen Bruder. Als Nathan und Conny ankamen (seine Paten) – ging er sofort zu ihnen und ließ sich in ein Gespräch verwickeln.

Lisa trat zu den dreien, als Nathan gerade sagte „Und – was willst Du mal werden? Vielleicht doch Arzt?“

Mattias verzog das Gesicht „Ne – zu blutig und zu viel Krankheit. Lieber was mit Tieren. Verhaltensforscher vielleicht. Oder Ozeanologe. Oder ich bleib einfach hier und übernehme Mamas Lieblinge eines Tages...“ Mit diesen Worten wandte er sich ihr lächelnd zu.

„Na Matty – oh pardon – Rafe...“

„Ne – lass mal – Du darfst… Und Tantchen Majella...“

Sie hakte sich bei ihm ein „Die Gäste sind jetzt alle da. Bereit für Deine Geburtstagsüberraschung?“

Er drückte ihre Hand „Aber immer doch. Was ist – krieg ich Deinen Benz? Oder die lieben Esel?“

„Frechdachs!“ Sie führte ihn nach draußen. Eric und Richard sahen zu, dass auch die anderen mit nach draußen gingen.

„Cedric, ich meine Freddy – da kann man ja nur noch durcheinander kommen! Hast Du die Augenbinde Schatz?“

„Hab ich“ – Cedric kam zu ihnen und reichte seiner Mutter einen roten Schal. Eric führte einen der Norweger vor die Haustür und meinte „Dann mal hoch da Rafe!“

Mattias sprang mit einem Satz seiner langen Gräten auf das ungesattelte Pferd, nahm seiner Mutter

dann den Schal ab und verband sich die Augen. „Kann losgehen!“

„Will mit rauf!“ Sabrina stand vor Pferd und Bruder und stampfte mit dem Fuß auf.

Eric nahm sie und setzte sie hinter Mattias. „Gut festhalten, hörst Du?“

Sabrina schlang ihre kompakten Ärmchen um ihren Bruder, presste ihr Gesicht an seinen Rücken und strahlte.

Die ganze Prozession setzte sich in Bewegung. Eric führte das Pferd, das mit seinen Reitern an der Spitze ging. Lisa zupfte an Richards Arm „Weißt Du, ob Niklas fertig geworden ist?“

Er antwortete leise „Ich hoffe doch...“

Sie gingen eine Weile durch den Tierpark und blieben schließlich vor dem neuen Areal stehen. Von den Zuschauern kamen die ersten „Ahhs“ und „Ohhs“.

Richard zwängte sich nach vorne „Ok – nimm das Ding ab!“

Mattias tat so und sah nach vorne. Vor ihm war ein Gehege, wie es noch keines hier gegeben hatte. Eine Art Steinberg bildete die Mitte und viele unterschiedliche Steinformationen ließen das Ganze sehr interessant aussehen. Richard reckte den Daumen nach oben und Niklas, der ganz oben auf dem Berg war winkte zurück.

Mattias lachte „Ich bekomme Onkel Niklas zum Angucken – cool!“

Doch in diesem Moment begann das Wasser zu fließen und eine kleiner Wasserfall und ein Fluss füllten sich rasch. Es bildeten sich kleine Seen und es entstand vor den Augen der Zuschauer eine wunderschöne Seenlandschaft.

Lisa trat an Richards Seite „Und jetzt Schatz – kommt das Beste!“ Sie winkte hoch zu Niklas und dieser gab das Zeichen zurück. Erst passierte gar nichts, doch dann bewegten sich oben auf dem Berg kleine Gestalten. Mattias kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können – doch schon rutschte der erste der kleinen Pelztiere das Wasser hinunter.

„Otter!“ Mattias sprang vom Pferd, nahm seine Schwester vom Pferd, drückte sie der verdatterten Sophie in die Arme und lief an die Umzäunung „das sind Otter!!“

Richard legte ihm den Arm um die Schultern „Dein Gehege, Deine Otter. Wir haben mit Deinem Lehrer über Dein Langzeitprojekt gesprochen und er hat gesagt, Du würdest gerne Tiere beobachten – vorzugsweise welche, die im Wasser leben. Delphine gehen immer noch nicht... da dachten wir...“

Mattias vergaß sich. Er warf sich seinem Vater in die Arme und kämpfte mit den aufsteigenden Tränen. Als nächstes war Lisa dran. Ihren Sohn im Arm, blickte sie zu Richard „Ich glaube, er freut sich!“

 

Der Rest des Tages verlief in fröhlicher Stimmung. Mattias war von seinem Geschenk hin und weg. Er wollte alles genau wissen – woher die Tiere stammten, wie viele es seien, welche Geschlechter, wie alt, wer das Gehege entworfen hatte, und, und, und...

Sie grillten draußen im Garten und Dank des schönen Maiwetters konnten sie auch alle anschließend draußen sitzen und das Eis zum Dessert im Freien genießen.

Sabrina schlief schließlich – die Arme fest um ihren Bruder geschlungen – ein.

Richard nahm sie ihm ab „Gib sie mir – ich bring sie ins Haus.“ Er wehrte Lisa ab, die sie ihm abnehmen wollte und trug sein kleines Mädchen in ihr Zimmer. Sie wurde noch kurz wach „Papa – Mattias noch da?“

„Aber ja Brinchen – und Morgen früh siehst Du ihn schon wieder.“

Er verzichtete auf großes Waschprogramm und steckte sie in ihren Schlafanzug. Sie war so müde, dass sie ihm vorkam, wie eine große Puppe. Er legte sie ins Bett und zog die Decke hoch. Schon halb schlafend ergriff das Mädchen seine Hand und zog sie an sich.

Richard blieb über das Bett gebeugt stehen und sah sie an. Sie war ein wirkliches Wunder. Ein Wunder, das sie gezeugt worden war und ein noch größeres, das sie heil und gesund das Licht der Welt erblickt hatte...

Er war ein paar Tage verreist gewesen und hatte sich Zoos angesehen, um neue Ideen zu sammeln. Leider war er Damals mit einer saftigen Grippe nach hause gekommen, die er dann auch noch an seine Söhne und Eric weitergegeben hatte. Lisa – die Arme – hatte zeitgleich vier kranke männliche Wesen zu versorgen.

Danach war sie von Laura nach Berlin beordert worden. Dieser Besuch war schon lange geplant gewesen und Lisa blieb ein paar Tage dort. So waren mehrere Wochen der unfreiwilligen Enthaltsamkeit zwischen ihnen zustande gekommen, die sich bei Lisas Rückkehr in einer legendären Nacht entluden.

Richard musste jetzt noch grinsen, wenn er an die komplette Erschöpfung am nächsten Tag dachte... Lisa war fest davon überzeigt, dass die Enthaltsamkeit seine „kleinen Freunde“ wie sie sie gerne nannte, gekräftigt hatte und ihr Power Programm ein Übriges getan hatte. Als sie ihm sagte, dass sie erneut schwanger sei, hatte er es nicht glauben können. Lisa hatte – wie immer – wenig Probleme beim Austragen des Kindes gehabt. Sie freuten sich auf ihr drittes Kind und alles lief bestens – bis zu jener Nacht, fünf Tage vorm errechneten Stichtag...

 

„Plantschie... hey Plantschie... Du musst mich hören... Lisa bitte!“

Lisa murrte unwirsch. Sie war müde – ihr dicker Bauch hatte sie erst spät einschlafen lassen und sie war nicht gewillt nun schon wieder aufzuwachen.

Dennoch – wer nannte sie denn ´Plantschie` - das hatte doch nur eine je getan...

„Sabrina?“

„Ja – Lisa – hör mir zu. Deine Tochter ist auf dem Weg hierher. Lisa – Du musst ins Krankenhaus – sofort! Das Kind muss mit Kaiserschnitt geholt werden! Jede Minute zählt!“

In Lisas umnebelten Gehirn formten sich tausend Fragen „Sabrina – Du bist doch...“

„..tot – ja. Lisa – wach auf! Du hast Richie so glücklich gemacht. Ich will nicht, dass er wieder leidet. Wach auf!! Lisa – mein zweiter Vorname ist Marga – nur Richie weiß das...“

Jemand hatte sie in den Arm genommen „Scht Liebes – nur ein Albtraum. Scht.“

Doch im Aufwachen, sah Lisa hinter Richard – wie ein kurz eingeblendetes Dia – das Gesicht von Richards Exfreundin – eindringlich sie ansehend.

Schlagartig war Lisa wach „Richard – wir müssen nach Berlin – ich muss zu Angelika Vidras – sofort!“

„Hast Du Schmerzen?“

„Nein... aber es stimmt was nicht. Wir müssen...“

„Ok – dabei bist Du der Boss.“

Richard schwang sich aus dem Bett und half ihr aufstehen. Er weckte Eric per Handy, damit er ins Haus kam und auf die Jungs aufpasste. Keine zwanzig Minuten später fuhr Richard Lisa Richtung Berlin. Es war gerade mal fünf – doch ein Blick auf Lisas Gesicht, sagte ihm, dass er das Richtige tat. Sie morste Dr. Vidras per Handy an – doch sie konnte nur auf die Mailbox sprechen.

Nathan brauchte sie nicht zu versuchen – er und Conny waren in London – auf einem Kongress.

„Wie geht es Dir Liebes?“

„Mir geht es gut – es ist das Baby... Es stimmt was nicht. Sie ist sehr ruhig – zu ruhig.“

„Vielleicht schläft sie...“

„Richard – Sabrinas zweiter Name – war der Marga?“

Verblüfft warf er ihr einen Seitenblick zu „Wie kommst Du denn jetzt darauf? Aber ja – es stimmt. Sie war aber nicht sehr stolz darauf!“

„Sabrina hat mich gewarnt. Das Baby ist in Gefahr. Es muss mit Kaiserschnitt kommen.“

„Du machst mir Angst Lisa.“

„Ich habe Angst. Unendliche Angst. Sie hat gesagt, jede Minute zählt und dass sie nicht will, dass Du wieder leidest...“

„Lisa – Du hattest nur einen Traum...“

„Nein Richard – das war viel mehr. Und ich weise nicht mehr von mir, dass da etwas ist, von dem wir kaum wissen...“

Mit diesen Worten schloss sie die Augen, lehnte den Kopf seitlich und schob ihre Arme schützend um ihren Bauch.

Im Krankenhaus angelangt wurde Lisa sofort eingehend untersucht. Dann wollte man sie beruhigen. Alles sei in Ordnung. Eine gewisse Nervosität so kurz vor der Geburt sei normal.

„Meine Frau ist nicht hysterisch! Bei der Geburt unseres letzten Kindes war sie erschreckend ruhig! Wenn Lisa sagt, dass da was nicht stimmt, dann stimmt da was nicht!“

Doch es half nichts. Lisa sollte zur Beobachtung den Tag und über Nacht bleiben, doch Richard wich nicht von ihrer Seite. Mit jeder Minute, die verging, wurde Lisa unruhiger und verzweifelter. Sie wies Beruhigungsmittel von sich und flehte die Ärzte an, das Kind zu holen.

Gegen acht setzten die Wehen ein. Lisa lag da – weinte und bettelte um einen Wehenhemmer. Gegen jede Wehe arbeitete sie gegenan.

Richard war am Verzweifeln. Er konnte schlecht selbst seine Frau aufschneiden und er hätte am liebsten jeden erwürgt, der ihm lächelnd versicherte, dass er bald wieder Vater sein würde.

Endlich kam Dr. Vidras. In knappen Worten teilte ihr Richard alles mit. Nun war es natürlich so, dass sie sehr genau wusste, wer Richard war und ihre Bereitschaft ihm zuzuhören, war nicht sonderlich groß.

Schließlich ließ sie sich überreden einen Wehenhemmer zu injizieren.

Lisa lag da. Stumme Tränen rannen ihr die ganze Zeit die Wangen hinab und sie war jeden Trostes abholt. Richard war an ihrer Seite festgenagelt und konnte so verhindern, dass ihr Beruhigungsmittel gespritzt wurde.

Ungeachtet der Spitalvorschriften zückte er sein Handy „Laura – hier Richard... Nein – nichts ist gut.... Bist Du noch aktiv in dieser Hilfe-Hospital-Aktion?... Gut. Bitte komm ins Krankenhaus.... Erkläre ich dann... Beeile Dich bitte ... es geht um alles.“

Laura war in unglaublich kurzer Zeit da. Zusammen mit Richard gelang ihr das Unmögliche. Da es der Wunsch der Patientin war und sie die Kosten selbst tragen würden – wurde ausnahmsweise ein gesundes Kind per Kaiserschnitt geholt.

Der alte Richard war wieder da. Kühl und überlegt, eiskalt seine Karten ausspielend, drohend, manipulierend – was es gerade sein musste – setzte er all seine Fähigkeiten nur für ein Ziel ein: Lisa zu helfen.

Dann überschlugen sich die Ereignisse. Noch während Lisa zur OP fertig gemacht wurde, wurden die Herztöne des Kindes leiser und unregelmäßiger.

Lisas riesengroße Augen schnitten nicht nur Richard ins Herz.

Dr. Vidras leistete Abbitte „Du hattest Recht Lisa – ich weiß nicht, wieso Du es wusstest – aber Du hattest Recht. Wir sind gleich soweit – alles wird gut.“

Sie holten das Kind in einer unvorstellbaren Geschwindigkeit. Richard trug nicht einmal OP Kleidung und sie hatten auch vergessen Laura aus dem Saal zu weisen.

Beide saßen an Lisas Kopf, wischten ihr die Tränen ab und versuchten sie aufzumuntern.

Das Kind kam gesund zur Welt – gerade noch. Im Geburtsvorgang hätte die Nabelschnur das Kind endgültig stranguliert.

„Aber Lisa – das konnten Sie doch nicht wissen und auf dem Ultraschall war das nicht zu sehen!“ Dr. Vidras war ratlos.

Doch Lisa – nun wieder die Ruhe selbst – lächelte und hielt ihre Tochter im Arm. „Jemand hat mich gewarnt...“ Sie suchte Richards Blick „Darf ich ihr einen Namen geben? Ich weiß, ich habe schon Cedric einen gegeben...“

Richard, der sich fühlte, als hätte er es überlebt, dass ein D-Zug über ihn wegratterte, lächelte ihr unendlich müde und zärtlich zu. „Alles, was Du willst mein Herz, alles was Du willst.“

„Dann nenne ich sie nach ihren beiden Retterinnen. Willkommen bei uns - Sabrina Laura von Bramberg.“ Und ihr war, als würde ein sachter Luftzug an ihr vorbeiziehen – es war wie ein Streicheln. Lisa schloss die Augen und versuchte sich Sabrina´s Bild  in Erinnerung zu rufen. Tatsächlich erschien vor ihrem inneren Auge ein klares Bild. Danke Sabrina – ganz ganz doll Danke!“

Und ihr war, als ob sie ein ganz leises ´da nich für` hören würde und dann das Hallen von hohen Absätzen – Sabrina war gegangen.

Richard sagte verwundert „Zieht ganz schön hier – dabei ist doch gar kein Fenster auf!“

Bevor Lisa mit ihrer Tochter nach hause fuhr, hielten sie am Friedhof an. Das Grab hielt Jürgen tadellos in Schach.

Als sie wieder gingen lag ein großer Blumenstrauß vor dem Grabstein – und ein sehr teures Maniküreset.

...

 

Richard registrierte, dass er immer noch am Bett seiner Tochter hockte und stand langsam auf. Sie war ein so gesundes, robustes Kind geworden. Nicht auszudenken, wenn ihr was passiert wäre. Er zog die Vorhänge vor die Fenster und schloss leise von außen die Tür.

 

 

Abschnitt 4

 

Zur selben Zeit stand Lisa schon eine ganze Weile mit Jürgen zusammen und unterhielt sich mit ihm. Um sie herum waren noch einige Gäste – aber das Feld begann sich bereits zu lichten. Als gute Gastgeberin versuchte sie alle ein wenig im Blick zu behalten und so fiel ihr auch als erstes Mattias seltsames Benehmen auf. Er sah starr in eine Richtung, eiste sich dann rasch von Mariella und David los und ging – rannte fast – Richtung Einfahrt.

Irgendetwas war da doch... Lisa entschuldigte sich bei Jürgen und folgte ihrem Ältesten. Erst waren ihre Schritte rasch und energisch, dann stockte sie... Dort, unter der großen Rotbuche, stand ein Mann. Selbst auf diese Entfernung wusste sie, wer es war. Zögernd ging sie näher und hörte voller Erstaunen die Worte ihres Sohnes „Was wollen Sie hier? Sie haben hier rein gar nichts zu suchen!“

Der Mann rang die Hände und blickte bittend in das versteinerte Gesicht von Mattias. Niemals, wirklich niemals, hatte er Richard so ähnlich gesehen.

„Du bist Mattias, nicht wahr? Das Schnattchen – die Lisa – Deine Mutter hat immer Bilder von Dir geschickt...“

„Ja – und sie haben durch Abwesenheit geglänzt. Hab sie gleich erkannt – Mama hat uns Fotos ihrer Eltern gezeigt.... Schöne Eltern – ehrlich!“

Bernds Gesicht – über die Jahre stark gealtert – verzog sich schmerzlich „Du verstehst nicht Junge...“

„Nennen Sie mich nicht Junge! Was wollen Sie hier? Haben Sie sich daran erinnert...“

„Mattias.“ Lisas sanfte Stimme unterbrach ihn und er stoppte sofort.

„Mama. Ich wollte ihn fortschicken, bevor Du ihn siehst. Ich will nicht, dass er Dir wieder wehtut.“

„Schon gut Schatz. Lass uns bitte alleine.“

Mattias nickte kurz, warf Bernd noch einen drohenden Blick zu und ging – seine langen schlaksigen Beine schlenkernd – zu den anderen zurück.

„Hallo Schnattchen.“ Bernd stand da, mit hängenden Armen und seine Augen waren unendlich traurig auf Lisa geheftet „Ich hab Helga versprochen keinen Kontakt mit Dir zu suchen…“ – er schniefte auf „aber – ick kann das nicht! Ich wollt Dich so gerne wiedersehen!“

In Lisa stritten sämtliche Gefühle miteinander: Mitleid mit diesem ungepflegtem, alten Mann – Liebe zu ihrem Vater – Wut, darüber, dass er nicht zu ihr gestanden hatte – Trauer, dass ihre Mutter sie bis zuletzt abgelehnt hatte…

Lisa hoffte, dass ihre Stimme einigermaßen fest klang „Und – was willst Du nun hier?“

Bernd schluchzte nun wirklich auf „Lisa – ich bin so einsam! Und ick hab Dir so doll vermisst – hab ick!“ In einer verzweifelten Geste streckte er Lisa seine Arme entgegen.

Sämtliches Denken in Lisa schaltete sich auf. Sie überbrückte die letzten Meter und versank in seiner prankenhaften Umarmung.

„Schnattchen!“ Bernd packte zu und Lisa meinte ihre Rippen müssten brechen. Es war nicht so, dass sie ihm gänzlich verziehen hatte – aber vor ihr stand ein gebrochener Mann – sie konnte ihm nicht auch noch den Gnadenstoß geben.

Sich rasch nähernde Schritte veranlassten Bernd Lisa loszulassen, sie ein Stück von sich zu schieben und an den Schultern umzudrehen. Sie stand nun schräg vor ihm – fast wie ein Schutzschild, das man sich vor den Körper hält – und sah, wer zu ihnen gekommen war.

„Richard!“ Lisa lächelte ihm zu und ergriff seine ausgestreckte Hand. Er zog sie von ihrem Vater weg und sein Arm legte sich besitzergreifend um ihre Schultern „Alles klar Liebes?“ fragte er leise.

Sie nickte.

Die beiden Männer tauschten ein Kopfnicken aus. Während Bernd immer noch mit den Tränen kämpfte, war auf Richards Gesicht rein gar nichts zu lesen.

Lisa wusste, dass es an ihr war, zu entscheiden. Ein Wort und Richard würde ihren Vater achtkantig vom Hof werfen. Sie holte etwas zittrig Luft und wandte sich an ihren Mann „Papa ist gekommen, um nach mir zu sehen…“

Richards Blick streifte Bernds leicht verlotterte Gestalt, aber er sagte höflich „Sehr zuvorkommend. Ist bloß etwas ungünstig heute. Unser Ältester hat Geburtstag.“

Bernd nickte und wandte sich zum Gehen. Richard begegnete dem flehenden Blick seiner Frau. Er seufzte. „Herr Plenske… Bernd – bitte warte. Ich meinte nur – ist jetzt etwas ungünstig. Warum übernachtest Du nicht in einem unserer Gästehäuschen“ – er zeigte auf die drei kleinen, vor ein paar Jahren errichteten Häuschen – „Lisa und Du könnt dann Morgen in Ruhe reden.“ Er gab sich einen Ruck „… und Du kannst Deine Enkel kennenlernen.“

Bernd forschte in Richards unbewegter Miene – aber er nickte dankbar. „Gerne Herr von Bramberg.“

„Richard – immerhin hab ich Deine Tochter geheiratet“ – und du hast durch Abwesenheit geglänzt – fügte er in Gedanken hinzu. Doch er winkte Eric zu sich und  wies ihn an Bernd ein freies Quartier zu zeigen.

Lisa und Richard sahen zu, wie die beiden Richtung Gasthäuschen gingen. Lisa streichelte sanft seinen Arm. Er sah sie an und lüftete fragend eine Braue.

Lisa stellte sich auf Zehenspitzen, umschlang seinen Nacken mit einer Hand und zog sein Gesicht etwas herunter. Ihre Lippen verschmolzen. „Ich liebe Dich Richie – jeden Tag mehr.“

 

 

Später am Abend verabschiedeten sich die Gäste nach und nach.

An Richards Seite tauchte seine Mutter auf. „So – ich werd auch mal wieder los.“

Er wandte sich ihr zu. Sophie zögerte kurz, dann sagte sie leise „Verrat es bitte außer Deiner Lisa keinem. Aber – ihr braucht Euch um Sabrinas Aussehen keine Sorgen zu machen…“

„Ach was, wir…“

„Du verstehst nicht, Richard.“ Sophie klappte zögernd ihre Handtasche auf und zog ein Foto heraus und gab es ihrem Sohn. Auf dem Bild war ein dickliches Kleinkind abgebildet – es hätte die Schwester seiner kleinen Tochter sein können.

Er zog die Brauen zusammen „Du willst damit doch nicht etwas sagen….“

„Doch – das bin ich. Aber wehe, Du zeigst es anderen als Deiner Frau!“ Mit diesen Worten umarmte sie ihn rasch – so als sei ihr dies ein bisschen peinlich und ging dann raschen Schrittes davon.

Richard steckte das Bild leicht kopfschüttelnd ein – Frauen! – und begab sich zu den letzten Übriggebliebenen.

Cedric, der müde gegen seinen Bruder gelehnt da saß, wurde von Richard nach oben geschickt. „Mama oder ich kommen gleich und gucken, ob Du im Bett liegst!“

Er schlurfte ins Haus.

Richard stand auf und reckte sich „Ich mach eben noch den Rundgang, ob mit den Tieren alles in Ordnung ist!“

Auch Eric verabschiedete sich.

 

So blieben Mattias und Lisa noch sitzen. Die Sonne war untergegangen und nur ein paar Kerzen erhellten den Garten.

„Mama? Ist gut, dass wir ein bisschen Zeit für uns haben. Ich wollt mit Dir reden...“

Lisa zog ihn an sich und nun – wo es keine Zuschauer mehr gab – schmiegte er sich an sie.

„Worüber denn Schatz?“

„Mehreres...“ er rieb sich die Nase „ich glaube, ich fang mit dem Handfestesten an... Danke für das wundervolle Geburtstagsgeschenk. Ich freu mich schon riesig darauf, die Tiere zu beobachten. Allerdings…“

„…allerdings was, Liebling?“

„Hmh... ich… also ich habe mehrere Praktika angeboten bekommen. Eines davon für 3-4 Wochen der Sommerferien. Auf der Heulerstation nahe Helgoland…“

Lisa stutzte „Und Du denkst, wir wollen Dir das verbieten?“

„Nein...“, sagte er gedehnt „aber ihr habt Euch so viel Mühe gegeben, dass ich mehr Zeit hier verbringen kann und dann komme ich daher und will einen Großteil der Ferien lieber mit Robben verbringen…“

Lisa strich ihm sanft durch das Haar „Matty – hör mal. Wir haben Dich gerne hier. Aber wir wollen Dich doch nicht festbinden oder Dich in Deinem Wissensdunst behindern!“

„Ich weiß“, sprach er ganz leise „aber ich wusste, dass Du traurig sein würdest.“

„Matty – Schatz. Ich bin vielleicht traurig, weil ich eine sentimentale Närrin bin – aber ich würde mir nie verzeihen, wenn ich Dich zu sehr einenge.“

Er schmiegte sich noch näher an sie heran „Im nächsten Jahr wird es noch schlimmer. Übers Internet hab ich Kontakt mit einem Walforschungsschiff aufgenommen. Die nehmen mich gerne für die Sommerferien und haben auch versprochen, dass ich deren Unterlagen über Delphine studieren darf.“

Nun kicherte Lisa „Was wird das Matty – ein zweiter Jaque Costeau?“

„Hätte nichts dagegen“, sagte er erleichtert, ob ihrer Reaktion „aber ich denke immer mehr darüber nach hier mit einzusteigen.“

„Schatz – du bist zwölf – seit ein paar Stunden – lass Dir Zeit!“

Er nickte an ihrer Seite „Mama? Schickt ihr Freddy zum Herbst auch auf meine Schule?“

„Cedric? Zum Herbst? Ich weiß nicht…“

„Dann doch eine andere? Schade – hatte mich schon auf unseren Einstein gefreut.“

„Einstein? Matty – werd mal bitte deutlicher…“

Er kam hoch und sah sie verwundert an „Aber ihr müsst das doch bemerkt haben! Gegen Freddy bin ich ein Stümper. Wusstest Du, dass der schon alle meine Kinderbücher durchhat? Dass er im Kopfrechnen so fix ist, dass ich nur so staune und dass er jede falsche Note hört?“

„Er liest nicht fließend – er guckt sich nur die Bilder an!“

„Ne Mama. Ich hab mir von ihm drei Seiten der geheimnisvollen Insel vorlesen lassen…“

„Ach – Du lieber Himmel!“ Aber so gänzlich verblüfft war sie nicht. „Noch einen Sohn, den ich ziehen lassen muss…“

„Ach Mama – umso lieber kehren wir heim. Und Dein Ceddy sowieso.“

„Wie meinst Du das?“

„Na – der hängt an Dir mindestens genauso viel, wie Du an ihm. Ist nun mal Dein Liebling.“ Er sagte das ganz sachlich.

„Matty!“ Lisa war entsetzt, doch Mattias lachte sie nur sehr zärtlich an.

„Du konntest Deine Gefühle noch nie verbergen – aber ich weiß genau, das für Brina und mich noch reichlich über bleibt… Aber Du wirst Freddy auch fördern oder?“

„Ich sprech´ mit Richard darüber. Aber sei unbesorgt – wir werden versuchen das Beste für ihn zu tun.“

„Ist nicht leicht für Euch mit uns komischen Kindern, was?“

„Blödsinn – ich genieße jeden Augenblick mit Euch – und Richie auch…“

Bei diesen Worten stand Mattias auf, kehrte ihr den Rücken zu und sah über das inzwischen stockdunkle Land. Lisa stand ebenfalls auf und stellte sich neben ihn. Eine Weile sagten sie nichts. Lisa wartete – sie kannte ihren Sohn – er hatte noch etwa auf dem Herzen.

Er atmete schwer ein und aus. „Mama? Ich wollte es Dir schon letzte Ferien sagen, wusste aber nicht wie…“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und sah ins Dunkle. „Ich weiß, wer ich bin.“

In Lisas Magen krampfte sich alles zusammen – es konnte doch nicht sein, dass er wusste…

Mattias fuhr fort „Letztes Jahr sollten wir das I-Net als Infoquelle total ausschöpfen. Thema war – unsere Eltern… ich fand viel über die frühen Zeiten bei Kerima – vor allem über Dich. Dann lange Zeit gar nichts. Na ja – bis auf eine winzige Nachricht, dass Richard v.B., ehemaliger Geschäftsführer einer Berliner Modefirma wegen Vergewaltigung von Elisabeth P. zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt worden ist.“

Es war raus. Mattias stand reglos da. Lisa wankte zurück und ließ sich schwer auf eine der Bänke fallen. Mattias setzte sich neben sie und nun war er es, der sie in die Arme zog. „Mariella hat als Pr-Kraft Damals wahre Wunder bewirkt. Es war Zufall, dass ich auf die richtige Spur gekommen bin.“

Lisa weinte inzwischen „So solltest Du das nicht erfahren…“

„Weist Du, wie man Kinder wie mich nennt? Schattenkinder…“

„Matty…“ Lisa erkannte ihre eigene Stimme nicht.

„Ich hab mich nie wie eines gefühlt. Dank Dir Mama. Ich glaube nicht, dass ein Kind mit mehr Liebe aufwachsen kann, als Du mir gegeben hast.“

„Matty – Du hast Richie heute umarmt… Du warst herzlich zu ihm…“

„Oh Anfangs dachte ich, ich müsse verrückt werden. Dann, ich müsste Dich hassen, weil Du den Typen geheiratet hast, der Dir so etwas angetan hat. Dann, ich müsste Papa hassen und dürfte ihn nur noch als meinen Erzeuger betiteln…“

In Lisa wuchs Verzweiflung und Hoffnung in einem „…und dann?“

„Dann habe ich begriffen, dass das gegen alles verstoßen würde, was Du mir beigebracht hast. Du hast Papa verziehen. Und dass ihr euch liebt, sehe ich immer wieder. Da wusste ich: Es ist egal, wie ich gezeugt wurde – wichtig ist, wie ich aufwuchs und dass ich nicht das Recht habe zu verurteilen, wenn Du verziehen hast.“

„Matty – bitte lass Dir erklären…Richard war krank…“

„Nein Mama. Ich will es nicht wissen. Papa hat etwa Schlimmes getan und der Mensch, dem er das angetan hat, hat ihm verziehen. Und ihr beide liebt mich. So einfach ist das. Ich habe einen wunderbaren Vater und das bleibt er… Ich habe eine Mutter mit einem Herzen aus Gold… außerdem einen Einstein und einen süßen Pummel als Geschwister und ein wunderbares Heim.“

Mattias zog sie eng an sich „Nicht weinen Mama. Ich wollte nur, dass Du es weißt und das es gut ist.“

„Matty – soll ich Richard sagen, dass Du es weißt?“

Er dachte kurz nach „Sag es ihm, wenn der geeignete Zeitpunkt ist. Es eilt nicht. Und sag ihm, er kann mit mir darüber reden, wenn er will – er muss aber nicht. Ich liebe ihn. Nichts wird daran etwas ändern.“

Lisa erwiderte die Umarmung „Schatz, Du bist keine zwölf – Du bist zweiundsiebzig!“

„Nein Mama – ich hab bloß von Dir gelernt…“ Er zog einen Umschlag aus seiner Jackettjacke hervor und betrachtete ihn „ich hab mal gesagt, in Musik bin ich eine Niete. Nur einmal habe ich eine eins bekommen – für diese Arbeit. Mach es bitte erst oben auf in Eurem Zimmer ja? Gute Nacht Mama.“

Er stand auf und umarmte sie. Sie erwiderte und sah seiner schlaksigen Gestalt nach und dann auf den weißen Umschlag, der neben ihr auf der Bank lag. Sie nahm ihn und ging langsam Richtung Haus.

 

Aus dem Umschlag fielen zwei ineinander gefalteter Zettel und eine CD. Auf deiner Zettelrückseite  stand „Bitte erst CD anmachen – dann lesen.“

Mit zitternden Händen machte Lisa die Anlage an und schon die CD hinein.

Aus dem Player erklang ein recht altes, ihr gut bekanntes Lied. Es war ´Stand by your man` von Tammy Wynette. Lisa setzte sich auf das Bett und faltete die Zettel auseinander. Lisa musste lächeln – im Gegenzug dazu, dass sie ihren Sohn für sehr klug hielt, meinte er wohl, sie sei es nicht... Die Zettel waren überdeutlich mit eins und zwei gekennzeichnet.

Lisa nahm den ersten und begann das handschriftliche Gekrakel ihres Sohnes zu entziffern.

 

Diese Aufgabe hatten wir letztes Jahr bekommen – kurz nachdem ich erfahren habe, was ich Dir heute hoffentlich erzählt habe. Wir sollten innerhalb einer Stunde ein Lied finden, das auf einen Familienangehörigen passt und sagen warum. Ich habe die Arbeit abgegeben – nicht ohne dem Lehrer das Versprechen abzunehmen, dass er es Niemanden zeigen oder weitersagen sollte...

Ich wollte es Dir heute geben, um Dir zu zeigen, dass ich verstanden habe – und dass ich Dich liebe. Matty

 

 Lisa wischte sich mit dem Handrücken über das Gesicht, schniefte ein bisschen auf und faltete den zweiten Zettel auseinander:

 

 

 

Originaltext

Übersetzung

Anmerkungen Mattias v.B.

Sometimes it’s heard to be a women, given all your love to just one men

Manchmal ist es hart
eine Frau zu sein – Deine ganze Liebe genau einem Mann zu geben

...und doch habe ich es bei Dir nie anders gesehen.

Deine ganze Liebe gehört unverbrüchlich meinem Vater....

You’ll have bad times
And you’ll have good times  Doing things that you don’t understand.

Du wirst schlechte Zeiten haben
und Du wirst gute Zeiten haben - 
er wird Dinge tun, die Du nicht verstehst

...und es gab schlechte und viele gute Zeiten – und er hat Dinge getan, die Du nicht verstehen konntest...

But if you love him,
You’ll forgive him even though he’s hard to understand.

Aber wenn du ihn liebst
Wirst du ihm vergeben - auch wenn er schwer zu verstehen ist.

... ich bin sicher – kaum einer konnte Dich verstehen – aber Du hast ihm verziehen...

And if you love him,
Ohh, be proud of him
‘Couse after all he’s just a men!

Und wenn du ihn liebst
Oh - sei stolz auf ihn -
weil letztendlich ist er einfach ein Mann

...und bin sicher, dass Du ihn liebst – und Du zeigst immer, wie stolz Du auf ihn bist – weil er letztendlich einfach Dein Mann ist...

Stand by your men
Give him to aim to find to.

Steh zu deinem Mann
Lass ihn den Sinn des Lebens sehen.

...nichts war für mich je steter als Deine Liebe zu ihm und zu Euren Kindern ... und die Ziele und den Sinn des Lebens gabt ihr Euch gegenseitig...

And something warm to come to
When nights are cold and lonely

Und gib ihm Wärme, zu der er gerne kommt, wenn Nächte kalt
und einsam sind

...und Deine Wärme hüllt unsere ganze Familie ein – egal ob es kalte Nächte sind oder nicht....

Stand by your men
And show the world you love him
Keep giving all the love you can Stand by your men!

Steh zu deinem Mann
Und zeig der Welt Deine Liebe zu ihm – Bewahre all Deine Liebe zu ihm.

Steh zu Deinem Mann.

Du stehst immer zu meinem Vater. Du zeigst der Welt immer Deine Liebe zu ihm.

Und ich weiß, diese Liebe wirst Du immer in Deinem Herzen bewahren – denn er ist Dein Mann.

 

Gewidmet der Frau, die mich empfing und behielt, die mir eine wunderbare Kindheit gab und gibt und so viel Liebe. Gewidmet meiner Mutter, die mir gezeigt hat, dass Liebe, Verständnis, Mitgefühl und Offenheit stärker sind als Krankheit, Gewalt und Vorurteile. Gewidmet der Frau, die die Liebe zu ihrem Mann lebt und zeigt. Gewidmet meiner Mutter – in tiefer Liebe – ihr Sohn.

 

Dieses Lied habe ich immer mit meiner Mutter in Verbindung gebracht – da es genau das beschreibt, was sie ausmacht. Eine gradlinige, starke und liebende Frau. Eine Frau, die zu dem steht, was sie fühlt – die zu ihrem Mann steht – auch wenn das nicht immer einfach für sie war.

Würde es mehr Frauen geben wie sie, wäre die Welt ein bisschen wärmer, ein bisschen offener, ein bisschen toleranter, ein bisschen liebevoller.

Die Liebe zwischen meinen Eltern ist immer da, fast greifbar. Sie ist immer in unserem Haus, immer in meinem Herzen. Ich wurde im Schatten gezeugt, auf der Erde geboren und bin im Licht groß geworden. Mattias Raphael von Bramberg

 

Lisa liefen die Tränen die Wangen hinab. Sie stand rasch auf, lief die Treppen hinab ins Erdgeschoss, klopfte sachte und betrat leise Mattias Zimmer. Er saß mit rundem Rücken am PC – wahrscheinlich, um sich mit seinen Mitschülern auszutauschen. Und … Lisa müsste unter Tränen lächeln… in seinem Bett schliefen aneinandergekuschelt Cedric und Sabrina.

Mattias lächelte ihr zu, als sie eintrat und sie umarmte ihn im Sitzen von hinten. „Matty – ich weiß gar nicht, was ich sagen soll… mir fallen nur die Worte ein, die ich schon einmal Deinem Vater gesagt habe:  Das ist zu groß für mich.“

„Nein Mama. Ist es nicht. Genau so sehe ich Dich.“

Sie legte ihr Gesicht seitlich an das seine „Matty – ich liebe Dich auch. So sehr.“

Er erwiderte ihre Geste „Ich Dich auch Ma. Aber – nicht böse sein – die Jungs und ich wollen noch ein bisschen palavern.“ Sein Gesicht war auf die Mattscheibe fixiert.

In manchem, dachte Lisa, ist er doch noch ein kleiner  Junge – und das ist gut so!

Sie wuschelte ihm kurz durch das Haar, wünschte ihm eine gute Nacht und ging wieder ins Dachgeschoss.

 

Abschnitt 5

 

Richard war bereits da. Er stand am Fenster und las Mattias Arbeit – das Lied dudelte dabei in einer Endlosschleife im Player. Sein Gesichtsausdruck… Lisa erschrak und ging rasch zu ihm und schmiegte sich an ihn.

In seiner Stimme klang, trotz aller Bemühungen es nicht zuzulassen, sehr viel Traurigkeit mit „Der Knirps weiß es…“

„Ja.“ Sie nahm ihm die Zettel aus der Hand, legte sie auf die Fensterbank und stellte sich vor ihn. Ihre Arme umschlangen seine Mitte und sie legte ihr Gesicht an seine Brust.
Zögernd legten sich seine Arme um sie. „Er muss mich hassen.“

Ohne den Kopf zu heben und mit den Händen seinen Rücken streichelnd, sagte sie „er hat es mir vorhin erst gesagt, dass er die Wahrheit kennt. Er ist eben ein schlauer Junge…“ Sie hob den Kopf, löste einen Arm von seinem Rücken, zog ihn nach vorne und hob ihn. Mit einer zärtlichen Geste fuhr sie ihm seitlich durch die Haare, strich seine Schläfe entlang, die Form seines Kinns folgend – um auf seiner Brust zu liegen zu kommen.

Seine Arme schlangen sich fester um sie und er barg das Gesicht auf ihrer Schulter.
Sie schmiegte sich noch enger an ihn „Richard – er hasst Dich nicht. Wirklich nicht. Er ist sogar bereit, mit Dir über die Sache zu reden, wenn Du möchtest.“ 

Seine ganze Antwort bestand in einer Art Stöhnen.

„Matty ist wirklich über seine Jahre hinaus – zur weit hinaus...  – ich bin sicher – er hört zu.“

Richard sprach in ihre Kleidung „Ich wusste immer, dass dieser Moment kommen würde… wie soll ich ihm erklären, was passiert ist, wenn das etwas ist, was ich mir nie verziehen habe?“

„Dann sag ihm das.“ Ihre Hände glitten wieder gänzlich um ihn, rutschten tiefer und legten sich auf ihr Lieblingskörperteil von ihm. „Aber Richard – verzeih Dir endlich selbst. Meinst Du, ich hätte noch Angst vor Dir?“ Sie begann seinen Hintern entlang zu streichen. „Meinst Du, ich würde noch oft an diese Nacht denken? Tue ich nicht. Habe ich eigentlich schon sehr lange nicht mehr…“

Er sagte nichts, rührte sich nicht – aber Lisa war sich seiner Aufmerksamkeit sicher.

„In all den Jahren, die ich Dich nun kenne, hast Du mir nie wieder etwas getan, mir nie wieder Angst gemacht. In mir ist für Dich nur Liebe und Zärtlichkeit und Achtung.“

„Matty hatte Recht mit seinen Worten über Dich…“  Er hob den Kopf und seine Lippen streiften ganz sachte ihre Stirn. „Mit jedem Wort. Gut – ich werde mit ihm reden. Gleich Morgen.“

„Ihr überschätzt mich – beide. Aber ich nehme es als Kompliment.“

„Als Kompliment, als Liebeserklärung – ganz wie Du willst…“ Seine Lippen streiften ihre  Schläfe „...sogar Deinem rückratlosen Vater hast Du heute verziehen…“

Sie seufzte.

„Was bedeutet dieser kleine Laut?“

Lisa legte ihren Kopf schräg, suchte sich nun seine Schulter zum Verweilen „Weißt Du Richie – erst dachte ich nur – auch das noch! – als ich ihn sah. Es ist soviel geschehen, mein Leben hat sich so sehr geändert. Er hat eigentlich gar keinen Anteil mehr daran. Und nun ist er wieder da.“

„Ich kann ihn immer noch rausschmeißen!“

„Nein – so meinte ich das nicht.“ Sie kicherte „Du nun wieder – gleich zur Sache! Ich meinte – es gibt inzwischen Menschen, die mir mehr bedeuten. Und ich sehe auch, dass er sich von meiner Mutter arg hat gängeln lassen und ich fühle mich von ihm im Stich gelassen.“

„Du siehst ihn nicht mehr durch die Augen eines Kindes…“

„Vielleicht hast Du Recht. Aber inzwischen ist es wohl so, dass ich ihm wichtiger bin, als er mir. Ist das schlimm, dass ich das so sage?“

„Mir kannst Du alles sagen.“

Eine Weile sprach keiner ein weiteres Wort.

Nach etlicher Zeit sah sie zu ihm empor, ihre Finger fassten um seine Krawatte, zogen leicht daran und er senkte wieder seinen Kopf.

„Richie – magst Du uns noch eine Flasche Wein holen, bitte?“ Sie blinzelte ihn an und sein Lächeln kam spontan.

„Wenn Du mich so nett bittest…“ Er löste sich sachte von ihr und verließ den Raum, lief die dunklen Stufen hinab und fand blind den Weg Richtung Küche, wo sie den Wein in einem Regal in der Speisekammer lagerten. Mitten in der Küche prallte er mit Jemanden zusammen und etwas fiel zu Boden und kollerte über die Steinzeugfliesen.

„Mist!“

„Shit!“

„Matty?“

„Papa?“

„Was machst Du hier?“ „…Du hier?“

Richard tastete nach dem Schalter der Dunstabzugshaube und die Küche wurde in milchiges Licht getaucht, das sehr viele von Mattias Lieblingsbonbons preisgab, die quer durch die Küche verteilt waren.

Da standen sie sich nun gegenüber. Richard noch im vollen Anzugsoutfit, Mattias in einem sehr verschossenen schlapprigen Jogginganzug, der einstmals die Farbe blau gehabt hatte und nun von seiner mageren langen Gestalt herabfiel. Nur ein einzelner Bonbon machte noch ein Geräusch, da er um die eigene Achse hin- und herrollte.

Mattias vollführte eine schwungvolle Handbewegung Richtung Boden „Wolltest Du auch noch was zu Naschen holen?“

Richard lehnte gegen die Küchenzeile „Lisa wollte noch Wein…“

Mattias bückte sich und begann die verstreuten Karamellen einzusammeln.

„Mattias – ich hab gelesen, was Du Lisa geschrieben hast.“

Sein Sohn hielt inne und blickte ihn schräg von unten an „...und? Hab ich nicht Recht? So sehe ich sie.“

„Du hast mit jedem Wort Recht.“ Richard senkte den Blick „Mir ist aber dabei auch klar geworden, dass Du Bescheid weißt. Über mich. Über Dich.“
Mattias beendete das Einsammeln der Süßigkeiten und erhob sich. Wie sie jetzt einander gegenüber standen, sahen sie sich ähnlicher denn je.

Ihre Blicke begegneten sich.

Mattias war der erste, der sprach „Ich hab Mama gesagt, dass ich letzte Ferien was sagen wollte... Da ich es da nicht getan hab, habe ich Tante Conny darauf angesprochen – und mich vorher ihrer ärztlichen Schweigepflicht versichert.“

Richard seufzte „Ausgerechnet Conny...“

Mattias nickte „Das hat sie auch gesagt...

 

...Matty – warum ausgerechnet ich?“ Conny wippte mit ihrem übergeschlagenen Bein und sah Mattias etwas unsicher an „Ich weiß nicht, ob ich die Richtige dafür bin... Ich bin in dieser Angelegenheit lange nicht sehr gut auf Richard zu sprechen gewesen...“

„Aber warum – warum hat er es getan?“ Mattias grüne Augen bohrten sich geradezu in sie hinein.

Conny sammelte sich – jetzt bloß genau überlegen. „Also zum einen – Richard war krank. Er hatte einen Gehirntumor – was er allerdings zu dem Zeitpunkt noch nicht wusste. Nathan hat mir erklärt, dass dieser so lag, das er die Gefühlskontrolle erschwerte.“

„Heißt das -  Papa war verrückt?“

„Nein...“ Sie begegnete diesen grünen Augen, die denen seines Vaters so unendlich ähnlich waren „nein, nicht verrückt... aber – ja wenn ich es recht bedenke... sieh es mal so – jeder will mal etwas im Zorn tun – aber unser Gewissen hindert uns daran. Richards Gewissen schwieg zu der Zeit.“

Der Junge verdaute das „Aber warum wollte er Mama denn wehtun?“

Himmel – stellte der Junge Fragen! Conny grübelte „Ich glaube nicht, dass er ihr wirklich wehtun wollte. Er wollte... er wollte...“

„...mit ihr schlafen...“ ergänzte Mattias sachlich.

„Ja – vielleicht. Oder zumindest hat er ihre Nähe gesucht – und dann ist alles außer Kontrolle geraten. Er ist außer Kontrolle geraten – und hat sich das bis heute nicht verziehen.“

„Hast Du ihm verziehen?“

Conny sah ihn verblüfft an „Ja – und das ist die Wahrheit – ich hab ihm verziehen...“

„Und Mama auch...“

„Ach Matty – deine Mutter... keiner konnte wirklich verstehen, was sie immer wieder zu ihm zog, warum sie sich so um ihn sorgte – immer wieder versuchte, zu ihm durchzudringen. Aber sie hat gut daran getan. Ich kenne kaum ein Paar, das so liebevoll  miteinander umgeht.“

Conny stand auf und zog ein Buch aus einem Regal „Ich weiß nicht, ob Du noch zu jung bist, das zu verstehen – aber mir haben diese Sätze geholfen zu begreifen...“

 

Mattias zitierte:
Kein Blick zurück im Zorn!
Schau vorwärts nur, dort liegt Dein Glück.
Zur Höhe hinauf erhebe den Blick
Was einst geschah, es bleibe gescheh'n.
Schweres vergessen, vorwärts geseh'n!“
Er lächelte Richard nun wirklich an „Noch besser gefällt mir allerdings Ernst Moritz Arndt – der stand auch in dem Buch: Wer nie im Zorn erglühte, kennt auch die Liebe nicht. Ich glaube – oder vielmehr Tante Conny glaubt - Du hast Mama schon Damals so geliebt, dass nur dadurch die Krankheit Dich hat die Kontrolle verlieren lassen.“
Richard hatte geschwiegen. Das eine oder andere Mal hatte er seinen Sohn zwar scharf angesehen, aber nichts gesagt, nun jedoch sagte er leise „Egal ob krank oder nicht – was ich getan habe, war furchtbar. Es wird mich immer belasten und ich muss damit leben. Es ist lieb, dass Du Entschuldigungen für mich suchst. Aber wenn Zorn auf mich da ist – dann lass ihn zu – ich halte das aus.“

Mattias kam langsam näher „Aber da ist kein Zorn mehr. Du hast lange Zeit im Gefängnis gesessen. Du hast Dein Leben für Mama und mich aufs Spiel gesetzt. Ich erinnere mich noch gut daran, wie krank Du warst. Du hast Mama glücklich gemacht. Und ich hätte mir keinen anderen Vater gewünscht.“

Richard sah seinem Sohn lange ins Gesicht und Mattias hielt dieser Prüfung stand. Zögernd streckte Richard einen Arm nach seinem Sohn aus und zog ihn kurz und hart an sich. „Du bist unglaublich Matty. Frühreif, manchmal nervtötend, altklug – aber Himmel nochmal – ich liebe Dich.“

Mattias löste sich etwas verlegen, mit etwas geröteten Wangen und kniete sich wieder hin, um seine Schätzchen weiter einzusammeln. Richard wandte sich zum Gehen.

„Papa?“

„Ja?“

„Vergiss den Wein nicht.“

Richard kehrte um und ging in die Speisekammer. Mit dem Wein in der Hand passierte er Mattias erneut.

„Papa? Conny hat noch etwas gesagt. Sie meinte, ich soll es Dir sagen, wenn es gerade passt... Sie meint, Du sollst Dir endlich selbst vergeben. Denn sie meint, Mama hat das schon längst getan. Und sie auch. Und ich auch. Ich möchte eines Tages auch so eine Frau haben, die so ist, wie Mama.“ Seine Stimme war immer leiser geworden.

Richard nickte kurz und ging dann rasch die Treppe hinauf. Seine Gefühle fuhren Achterbahn – wieso wurde gerade heute alles wieder so aufgewühlt?

 

 

Abschnitt 6

 

Dankbar schloss er die Tür des Dachgeschosses hinter sich und lehnte sich kurz dagegen. Es war recht dunkel hier, stellte er fest, Lisa hatte lediglich eine der Nachttischlampen brennen lassen, der Rest des großen Raumes lag im Schummern. Er stieß sich von der Tür ab und ging Richtung Nische, wo er die Flasche, den Öffner und zwei Gläser abstellte.

Eben in diesem Moment kam Lisa aus dem Bad und ging lächelnd auf ihn zu. Sie trug einen schwarzen hochgeschlossenen Kimono und hatte die Haare mit einer Spange hochgesteckt.

„Hey – was machst Du denn für ein Gesicht?“ Ihre Hand legte sich auf seinen Arm.

„Hab eben Mattias getroffen und wir haben geredet…“

„Oh“, Lisa trat hinter ihn, zog ihm das Jackett von den Schultern, ließ es zu Boden gleiten und stellte sich vor ihn, damit beginnend den Schlips zu lockern.

Er hielt ihre Hände fest. „Wir müssen über Mattias reden…“

Sie schob seine Hände fort und zog ihm den Schlips über den Kopf. Ihre Finger öffneten die Knöpfe seines Hemdes. „über Mattias müssten wir reden, der ein waschechter Teenie Namens Rafe ist und schon erschreckend erwachsen  … über meinen Vater, der gerade in unserem Gästehaus schläft und dem ich Morgen gegenüber treten muss und ich nicht weiß, wie… über Cedric, der nun Freddy sein will und der nach Mattys Meinung ein Genie ist und schon jetzt ins Internat sollte – was ich nicht will…“ Erneut umrundete sie ihn und zog das Hemd herunter. Da er noch Manschettenknöpfe trug, baumelte der weiße Stoff von seinen Handgelenken hinab.

Sie strich zart über seine blauen Flecke und hauchte kleine Küsse darauf. Seine Muskeln erzitterten, als sie begann die blauen Male ganz sachte anzupusten.

Er murmelte „…und über Sophie müssen wir reden, die meint, Brinchen würde ihr nachkommen…“

Lisa kicherte während sie wieder vor ihn trat, und – ihre Hände an seiner Taille – begann sie ihn Richtung Bett zu dirigieren. Er ging langsam rückwärts und blieb stehen, als er die Bettkante in den Kniekehlen spürte. Ihre Hände legten sich mit ganzer Handfläche an seine Brust „Du bist recht emotional aufgewühlt heute – kann das sein?“

„Wie sollte ich nicht?! – erst sagst Du mir, ich solle mit der Vergangenheit abschließen und nun auch Matty – und – über ihn – auch Conny  - könnt ihr mir mal sagen, wie das gehen soll?! … Zudem haben wir mal wieder mehr Sachen zu klären, als mir lieb ist…“ Seine Stimme hatte sich fast zornig gehoben, während er sprach.

Lisa gab ihm einen kräftigen Schubs und er fiel rückwärts auf das Bett und stützte sich jedoch gleich auf seine Ellenbogen auf. Er lachte nun doch „Lisa – DAS verstehe ich eigentlich nicht unter reden…“ und sah ihr zu, wie sie sich bückte, um ihm die Schuhe auszuziehen.

„Weißt Du Richie – unsere Kinder, Sophie, mein Vater – all die können bis Morgen warten – und ich bin sicher, wir lösen all diese Probleme – wie wir es immer getan haben…“

Sie erhob sich und ging langsam Richtung Tür. Als sie sich auf Zehendspitzen stellte und die Arme emporreckte, um an den Schlüssel zu kommen, den sie immer auf dem Türrahmen legten, damit er kindersicher verwahrt war – sah er, dass sie hochhackige Schuhe unter dem Kimono trug… - was sollte das denn werden?

„Du schließt ab Liebes? Was hast Du vor, wenn nicht über unsere Kinder und Anverwandte zu reden?“

Sie ging langsam seitlich an das Bett, setzte sich und begann seine Manschettenknöpfe freizulegen. Als er nicht mehr durch sein Hemd eingeschränkt war, zog sie zwei Perlonstrümpfe aus ihrem Kimono und begann erst den einen, dann den anderen um seine Handgelenke zu knoten.

Ein Lachen schüttelte ihn „Lisa – was machst Du da?“ Doch er rutschte höher im Bett, als sie leicht an seiner Hand zog und sie band ihm die Hände über dem Kopf am Bettgestell fest.

Seine Stimme war leicht heiser „Lisa – das passt doch gar nicht zu Dir...“

Langsam ging sie ans Fußende, schob ihre Finger sein Bein hoch und begann sehr behutsam seine Socken herunter zu ziehen. „Wird Zeit endlich mit dieser Nacht vor Jahren abzuschließen…“ Beim Ausziehen der Socke kratzten ihre Fingernägel seine Fußsohle entlang.

Richard zuckte leicht zusammen und sah sie fragend an „Und wie soll das gehen?“

Ihre Hände glitten in sein anderes Hosenbein „damals hat Du mich gezwungen – wird Zeit, dass ich mich räche…“

Richards Leistengegend meldete sich fast schmerzhaft zu Wort. Er rutschte unruhig auf dem Bett hin und her „das liegt Dir doch gar nicht Liebes – Du magst es doch viel lieber umworben zu werden…“

Die zweite Socke landete auf dem Fußboden und Lisa richtete sich langsam auf. Ihre Augen glitzerten „Ja - ich liebe es, wenn Du aktiv wirst. Aber erinnerst Du Dich an unsere erste Nacht?“

„Wie könnte ich die vergessen?“

„Aber da war ich die Aktivere… heute mögen die Gründe anders sein – aber diese Nacht bist Du mein Gefangener.“

Sein Glied pochte bereits schmerzhaft gegen sein Gefängnis und ihm wurde warm.

„Und was hast Du vor mit Deinem Gefangenen?“

„Erstmal ausziehen…“ mit diesen Worten öffnete Lisa den Gürtel des Kimono und ließ diesen an sich herab gleiten.

Richard rang nach Luft. Sie trug weiß. Eine geschnürte Korsage, die ihren Busen in ungeahnte Höhen hob. Eben jener Busen bedeckt mit einem Hauch von Spitze. Dazu die gerüschten Strumpfbänder, die weißen Netzstrümpfe, die hochhackigen Schuhe… Er versuchte seine Hände zu befreien, doch sie hatte gut geknotet. Lisa griff nach hinten, entfernte die Spange und ihre langen Haare fielen herab. Sie schüttelte mutwillig ihre Mähne aus.

Sie krabbelte seitlich neben ihm hoch, setzte sich auf ihre Unterschenkel und legte ihre Hand auf sein Gemächt. Sie schnurrte „Richie – Schatz – Du hättest die Hose etwas größer kaufen sollen…“

Er hob das Becken, presste sich gegen ihre Hand „Da siehst Du, was Du angerichtet hast…“

„Ich?“ sie streichelte den Stoff und grinste ihn an „das wird eine lange Nacht...“

Er grinste zurück „Ich gehöre ganz Dir!“

„Das will ich Dir auch geraten haben…“ Sie öffnete Gürtel, Knopf und Reißverschluss und zog beide Hosen hinab. Er machte ihr die Sache leicht und hob seinen Körper von der Matratze. Sofort reckte er sich ihr stolz entgegen – wobei ihm durchaus klar war, dass es so schnell keine Erlösung für ihn geben würde.

Sie ging zum Tischchen, entkorkte in aller Ruhe die Flasche und schenkte ein Glas ein. Kam zurück, stand vor im und betrachtete ihn in all seiner Nacktheit. Richard fand immer mehr Vergnügen an dieser Situation. Sonst war zumeist er der aktivere Teil. Lisa liebte es umgarnt zu werden – es musste sie Überwindung kosten, nun so zu agieren… Er fühlte sich unendlich ...lebendig...

Sie nippte an dem Wein, ihre Augen fest auf die seinen gerichtet.

Er spielte gerne mit.

„Willst Du mich verdursten lassen, mein Herz?“

Sie zwinkerte ihm zu, kam näher, krabbelte – das Glas hochhaltend – auf das Bett und setzte sich auf seine Magengegend. Sein Glied reckte sich ihr entgegen, jedoch ins Leere.

„Brauchst Du Nachhilfe in Anatomie Liebes – etwas weiter hinten wäre mir lieber…“

Doch sie ignorierte ihn, tunkte einen Finger in den Wein und hielt ihn ihm hin. Er nahm ihn in den Mund, leckte ihn vorsichtig ab. Sie nahm einen Schluck Wein, beugte sich vor und legte ihre Lippen auf die seinen. Er trank aus ihrem Mund. Sie wiederholte das mehrmals. „Noch Durst mein Gemahl?“

„Mehr Hunger, liebes Weib – nach Dir..“

Ihr Finger zeichnete seine Lippen nach „Glaubst Du ernsthaft, dass ich Dich jetzt schon erlöse?“

Sie zupfte an dem dünnen Stoff über ihrem Busen „Das Ding hier muss sich doch erstmal amortisieren… Weihnachtsgeschenk von Mariella – niedlich nicht?“

„Ganz reizend – bin gerne behilflich es Dir auszuziehen.“

Sie schloss ihre Beine enger um ihn, quetschte leicht seine Seiten „Aber Du bist gefesselt...“

„Du kannst das ändern…“

„Noch nicht – noch lange nicht...“

Sie ließ sich Zeit, bis sie – mit Richard zusammen - das Glas geleert hatte. Sie stellte es auf dem Nachttisch ab, griff dann an ihren Rücken und knöpfte die Korsage auf. Das Oberteil fiel herab, sie fegte es vom Bett. Ein Blick auf ihre Brustwarzen zeigte ihm, dass das Spiel auch an ihr nicht ohne Auswirkungen vorüber ging.

Sie rutschte tiefer (aber nicht tief genug) und eroberte seinen Mund, glitt neben ihn und begann ihn mit Händen und Lippen zu erkunden. Doch, welch Unterschied zu der Situation vor ein paar Jahren. Sie war kein unerfahrenes Mädchen mehr. Während ihr Mund sich mit seinem Oberkörper beschäftigte, glitt ihre rechte Hand bereits tiefer, streichelte seine Seite, seinen Hintern, seinen Oberschenkel.

Sie bewegte sich etwas höher, sah ihm in die Augen „Leidest Du schon, mein Herz?“

„Unendlich“, murmelte er und versuchte ihr einen Kuss zu rauben, doch sie entzog sich ihm, glitt vom Bett und ging ans Fußende und zog empörend langsam ihre Schuhe aus. Dann teilte sie seine Beine, stellte sie auf und hockte sich dazwischen.

Er sag sie fragend an „Das ist sonst eher Deine Position…“

„Wie fühlst Du Dich so?“ Ihre Hände glitten unter ihn, er hob sich etwas empor und sie streichelte in langen Linien Rücken, Po und Oberschenkel.

„Verletzlich….“

„Gut…“ sie beugte sich vor „hab da was gelesen… wollte ich schon lange ausprobieren…Bist Du bereit?“

Sein Hintern lag auf ihren Oberschenkeln und er war so bereit, wie er nur sein konnte – dachte er…

Sie wartete seine Antwort nicht ab, sondern legte ihre Hände an seine Hüften und zog nun lange Linien in Richtung seiner Geschlechtsteile. Kurz vor seinem Penis stoppte sie, liebkoste die zarte Haut um sein Glied herum und begann erneut an seinen Hüften.

Seine Baumuskeln spannten sich an, sein Atem beschleunigte sich und über seinen Körper zog sich ein leichter Schweißfilm. In ihm pochte alles, ihm entfuhr ein Stöhnen.

Ihr Blick ruhte auf seinem fast fiebrigen Gesichtsausdruck „Der Bereich um Dein bestes Stück soll sehr empfindlich sein, noch verstärkt, wenn man das Blut dahinstreicht...“

„Ist mir aufgefallen“, kam es halb erstickt, halb lachend von ihm.

„Hmh ... aber Du hast noch andere... hmh extrem sensible Bereiche...“

„Noch sensibler? Lisa – was machst Du nur mit mir?“

Mit ihren Händen weiterhin seine Leistengegend streichelnd, beugte sie sich vor und ließ ihre Zunge mit Eichel und Vorhaut spielen. Ganz sachte, ganz zart. Als er ihr entgegen kam, sein ganzer Körper sich aufbäumen wollte, hielten ihre Hände und die Fesseln ihn fest. Kurz bevor es kein Zurück mehr gab, ließ sie von ihm ab, zog seine Beine herunter und streichelte sie sachte und beruhigend.

„Meine kleine Hexe…“ flüsterte er leise und sein Blick bohrte sich in den ihren.

Sie kicherte „...eine lange Erregungsphase soll es nachher umso schöner machen...“ –  sie rutschte ein Stück zurück, so dass sein Becken wieder flach lag, lüftete ihren Po von ihren Beinen und griff sich an den Slip. Ein paar Drückknöpfe später trug sie nur noch Strumpfbänder und Netzstrümpfe.

„Eigentlich wollte ich ja noch weiter spielen...“ sie grätschte ihre Beine über die seinen „…aber jetzt will ich mehr...“ Diesmal setzte sie sich wirklich auf ihn und sein Glied glitt so leicht in sie hinein, als gehöre es dahin.

Lisa lehnte sich ein bisschen nach hinten, stützte sich mit ihren Händen auf seinen Beinen ab und begann sich zu bewegen. Wenn sie diese Position einnahmen, unterstütze er sie sonst mit seinen Händen. Diesmal war alles an ihr – er konnte nichts anderes tun, als sie gewähren zu lassen – und zu genießen. Dank ihrer Vorarbeit war er mehr als bereit und auch Lisa war bereits mehr als stimuliert.

Sie kamen fast synchron - keuchend sank sie auf ihm zusammen, glitt seitlich weg, kuschelte sich an seine Seite und löste mit einer Hand seine Fesseln.

Richard ließ seine Arme, die so lange in einer Position verharrt hatten, langsam sinken und zog Lisa in seine Arme. Seine Lippen liebkosten sanft ihre Stirn. „Und das soll Rache sein?“

Ihre Hand glitt auf seinen Bauch. „Ich hatte noch eine zweite Variante im Petto – aber ich musste mich entscheiden...“

Sein Arm hielt sie umfangen und seine Hand streichelte ihren Oberarm „Du machst mich neugierig. Gib mir ein bisschen Verschnaufzeit – dann stehe ich gerne wieder zur Verfügung.“

Sie sah forschend zu ihm hoch „Keine Angst, Dich mir anzuvertrauen... auszuliefern?“

Er beugte sich vor und sie tauschten einen langen Kuss „Keine. Ich hole uns den Wein her.“

Sprachs, stand auf und brachte die angefangene Flasche. Eine Weile lagen sie eng beieinander, genossen die Nähe und den Wein.

Lisa war es, die sich erhob und kurz etwas im Zimmer zusammensuchte.

Sie stellte sich – immer noch in Netzstrümpfen vor ihn hin „Willst Du wirklich?“

„Wirklich was?“ grinste er.

Sie kam näher „Mich weiter spielen lassen?“

„Spiel mit mir Liebes...“

Sie legte einige Dinge auf das Bett, jedoch bevor er sehen konnte, was es war, verband sie ihm mit seinem eigenen schwarzen Kaschmirschal die Augen.

 

Er sah nichts mehr.

 

Dann setzte sie ihm einen Walkman auf und er erkannte eine CD mit Liebesliedern – zur Zeit wurde gerade „Je t´aime“ in sein Ohr gehaucht.

 

Er hörte nichts mehr – außer der Musik aus dem Walkman.

 

Er spürte, dass das Bett etwas herunterging, als Lisa wieder zu ihm kam. Unwillkürlich hielt er den Atem an. Seine Hände waren frei – er hätte dem ein Ende machen können – aber er dachte nicht daran.

Lisa nahm zunächst eine Blume in die Hand und führte sie über seinen Körper. Fasziniert sah sie, wie sich seine Bauchmuskeln zusammenzogen und wie sich seine Männlichkeit schneller wieder erhob, als sie gedacht hatte – auch daran strich sie mit der Blüte entlang. Ein unwillkürliches Zittern durchfuhr ihn. Während sie ihn mit der Blüte in Aufruhr versetzte, streichelte ihre andere Hand ihn sanft.

Dann nahm sie ihr Weinglas, wo noch etwas Rebensaft darin wahr und goss etwas auf seinen Bauch, nur um ihn dann mit ihrer Zunge wieder davon zu befreien.

Richard wehrte sie nicht ab, noch versuchte er seine Reaktionen unter Kontrolle zu bringen – er ergab sich ihr vollkommen. Die Macht, die er ihr gab, war berauschender als der Wein und machte ihr Mut.

Lisa nahm einen Hauch von einem Seidentuch und führte es über seinen Körper: Über seine Brust, um seine Schenkel, über sein Glied – Richard wand sich zwar, hinderte sie aber nicht an ihrem Tun.

Schließlich legte sie sich neben ihn und zog ihn über sich. Er versuchte seine Beine zwischen die ihren zu platzieren, doch sie hielt sie zusammen, zog ihm den Walkman von den Ohren und flüsterte „Nichts da mein Lieber – so nicht...“ und schob mit ihrer Hand seine Beine an den ihren vorbei.

„Lisa...“ er lachte etwas außer Atem „Anatomie ist heute nicht Deine Stärke oder?“

Sie knabberte an seinem Hals und neckte ihn „Musst Dich schon ein bisschen anstrengen...“

Das Eindringen in sie war so um vieles schwieriger – und blind war er obendrein. Aber schließlich  schob er sich kraftvoll in sie. Schon im Eindringen schnappte Lisa nach Luft und ihre Hände krallten sich in seine Schultern. „Oh Richie – das ist ... oh ... mehr davon..."

Er musste jeden Stoß mit sehr viel Nachdruck ausführen, da alles enger und weniger zugänglich war. Lisa wimmerte, sie wand sich unter ihm und ihre Beine wollten sich nun öffnen, wurden aber durch die seinen begrenzt.

Lisa hatte gut recherchiert – durch den Druck, den er aufwenden musste, schien sich alles zu intensivieren... Wirklich alles...Dann vergaß er alles um sich herum. Sein Selbst schien ihn zu verlassen, sein Geist machte sich selbstständig und er kam mit einer solchen Kraft und Intensität, dass es beängstigend war. Lisas Finger gruben sich immer tiefer in ihn und er hörte sie seinen Namen rufen, kurz bevor er fast auf sie fiel.

 

Schweiß. Haut an Haut. Wärme. Geborgenheit. Vertrauen. Nähe. Richard. Lisa.

 

Er legte sich neben sie auf den Rücken, nahm den Schal von den Augen und sah an die Decke. Die Befreiung war grenzenlos. Er begann zu lachen, fuhr sich mit den Händen durch die Haare und lachte noch lauter. Er packte sie, zog sie halb auf sich, doch er war unfähig dem Gelächter Einhalt zu gebieten.

Lisa stützte sich auf einen Ellenbogen auf seinen Brustkasten und betrachtete ihn fasziniert. Nie – nie – seit sie ihn kannte, hatte er so gelacht. So voller Inbrunst, so natürlich, so frei...

Er begegnete ihrem Blick, immer noch grinsend, wickelte er sich eine Haarsträhne von ihr um die Finger „Ich möchte bloß wissen, mein Herz, was Du gelesen hast...“

„Warum – hat es Dir nicht gefallen?“

„Lies weiter – nichts dagegen – gar nichts dagegen...“

„Ich hab Dir wehgetan...“ Sie fuhr über seine Schultern, wo ihre Hände und Fingernägel sichtbare Spuren hinterlassen hatten.

Er grinste ihr zu, gab ihr einen sanften Kuss und legte den Kopf wieder in die Kissen.

Lisa wurde durch seinen immer noch recht angestrengten Atem sanft hoch und runter gehoben. Zärtlich strich ihre Hand seine Wange entlang. Er sah so entspannt aus, so jung... „Und?“

„Und was?“

„Habe ich mich gerächt? Kannst Du jetzt endlich einen Schlussstrich unter jene Nacht setzen?“

Er schmiegte sein Gesicht in ihre Hand „Ich denke ja. Ich fühle mich großartig. Was kümmern mich nun so kleine Problemchen wie Dein Vater oder unsere lieben Kleinen?“

Ihre blauen Augen forschten zärtlich weiter „Bist Du jetzt frei – endlich erlöst?“

Er schloss die Augen, legte seinen Kopf in ihre Hand „Erlöst hast Du mich schon längst und frei werde ich nie mehr sein und will es auch nicht. Alles, was ich bin, gehört Dir – schon so lange Zeit.“

 

ENDE

 

 
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