Richard und Sophie von Brahmberg Fanpage
  Rescue me - ausgezeichnet mit dem "Silber Maxi"
 

Die User des fanficsandmore Forums haben diese FF mit dem Silber Maxi prämiert:


                        


1
Nachdenklich saß Lisa Plenske bei Agnes am Catering und rührte mit einem Löffel in ihrem Tee, den Kopf in eine Hand gestützt. Zwei Monate waren vergangen, seitdem sie David gesagt hatte, dass sie ihn liebte. Unbeabsichtigt quasi, es war ihr so rausgerutscht, als er ihr Vorwürfe gemacht hatte, weil sie ihm, ihrem Freund, nicht gesagt hatte, dass Mariella ihn betrogen hatte. Sie wisse doch gar nicht, wie das sei, wenn man jemanden liebe und der reiße einem das Herz raus, weil er die Liebe nicht erwidere

Lisa gab ein leises spöttisches Geräusch von sich, als sie daran zurückdachte. Auch, wenn David es in dem Moment noch nicht gewusst hatte, war sein Spruch der absolute Witz gewesen und bevor sie sich zurückhalten konnte, hatte sie sich selber sprechen hören: “Ich weiß genau, wie das ist, weil ich dich liebe, seit dem ersten Tag!”

Wenigstens war David eine kleine Weile von Mariella abgelenkt gewesen, denn ihr Geständnis hatte ihn wirklich überrascht. Und dabei hatte Lisa eigentlich immer gedacht, dass ihm das irgendwo klar gewesen sei, dass sie ihn liebe - nach all der Zeit und allem, was sie zusammen erlebt hatten. Aber wie Männer nun mal so sind…wenn man es ihnen nicht an den Kopf knallt, sehen und hören sie nichts.

“Lisa…ich weiß jetzt nicht, was ich dazu sagen soll…” hatte er gestottert und sie hatte auch nicht auf eine Antwort gedrängt. So, wie ihn die Trennung von Mariella momentan mitnahm, war ihr eh klar, was er für sie fühlte, nämlich nichts. Seit diesem Tag hatten sie nicht mehr darüber gesprochen. Ein bißchen verletzte es Lisa schon, dass David so tat, als sei gar nichts gewesen, auf der anderen Seite war ihr das fast lieber, als wenn er vor ihr stehen und ihr in die Augen sehen würde, wenn er ihr sagte, dass sie leider immer nur gute Freunde sein würden. Lisa verzog den Mund bei der Vorstellung und legte endlich den Löffel bei Seite.

“Espresso.” knurrte es plötzlich an ihrer Seite. Agnes, die gerade den Tresen abwischte, hob nur eine Augenbraue, während sie Richard durchdringend ansah. “Bitte.” schob dieser schließlich noch nach. “Geht doch.” murmelte Agnes und wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab, bevor sie nach einem kleinen Espresso-Tässchen griff und es in die Espressomaschine stellte.

Ein wenig verunsichert sah Lisa den zweiten Geschäftsführer von Kerima Moda von der Seite an. Obwohl sie die Mehrheitseignerin war, konnte sie ein gewisses Unwohlsein in der Nähe von Richard von Brahmberg, faktisch ihrem Angestellten, nicht verleumden. Seitdem dieser sich von Sabrina getrennt hatte, sah sie ihn in der Firma nur noch selten. Früher war er wesentlich öfter aus seinem Büro herausgekommen, meist, um Sabrina anzufahren, sie solle endlich ihre Arbeit richtig machen.

Doch nach der Trennung im privaten Bereich hatte Richard sich auch eine neue Assistentin zugelegt, die ihre Arbeit wesentlich besser erledigte. Seitdem sah man Richard quasi nur noch morgens aus dem Aufzug kommen, in seinem Büro verschwinden und das war’s. Selbst ihn hier, am Catering anzutreffen, war eine Seltenheit.

Lisa drehte sich um, so dass sie den Platz von Richards Assistentin Nathalie sehen konnte. Wie sie vermutet hatte, war er verwaist, denn sonst hätte er sie über die Sprechanlage aufgefordert, bei Agnes einen Kaffee für ihn zu holen und ihm ins Büro zu bringen.

“So, bitte schön.” Agnes stellte die kleine Tasse nebst Untertasse auf den Tresen vor Richard ab. “Danke.” brummelte dieser, nahm die Tasse und verschwand. Fragend sahen Lisa und Agnes sich an und zuckten gleichzeitig mit den Achseln. “Was ist mit dem eigentlich los…man könnte fast meinen, er vermisst Sabrina.” mutmaßte Agnes. Lisa schüttelte langsam den Kopf und sah Richard nach. Dieser kickte gerade ohne hinzusehen mit dem Fuß seine Bürotür zu. “Wieso sollte er, er hat doch Schluß gemacht.”

Agnes zuckte erneut mit den Achseln. “Wieso ist er dann so komisch drauf die letzte Zeit? Ich meine, er war ja noch nie die Spaßkanone der Firma, aber in den letzten Monaten….da ist er ja regelrecht zum Einsiedlerkrebs mutiert.” Lisa rutschte vom Hocker und seufzte. “Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass oben noch eine Bilanz auf mich wartet. Ciao, Agnes.” Lisa lächelte der Cateringkraft noch einmal zu und machte sich dann auf den Weg in ihr Büro, das eine Etage höher lag.

  

 

2
Als Lisa endlich die letzte Zahl in den Computer eingab, zeigte die Uhr bereits nach 20 Uhr an. Müde streckte sie sich und rieb sich über die Augen. ‘Jetzt aber ab nach Hause.’ dachte sie sehnsüchtig und klappte die drei Ordner, die über den Tisch verstreut waren, zu. Mit den Aktenordnern im Arm verließ sie ihr Büro und fuhr eine Etage tiefer, um sie wieder in das Regal in Davids Büro zu stellen.

Gedanklich schon zu Hause unter der warmen Dusche durchschritt Lisa das Foyer der 13. Etage. Zu ihrem Erstaunen brannte sowohl in Richards als auch in Davids Büro noch Licht. Lisa sah kurz zu Richards Bürotür, als sie daran vorbeiging. Durch die Streifen sah sie ihn ernst wie immer vor seinem Laptop sitzen, scheinbar las er konzentriert etwas.

Lisa ging weiter zu Davids Büro und blieb abrupt stehen, als sie ein Kichern hörte - eindeutig weiblich. Langsam ging Lisa weiter und wollte auch bei ihm durch die durchsichtigen Streifen seiner Glastür linsen, als sie sah, dass die Jalousie davor auf blickdicht gedreht war. Erschrocken blieb Lisa stehen. Sie wusste genau, was das bedeutete: David hatte weiblichen Besuch.

Ihre Vermutung wurde zur Gewissheit, als sie eindeutige Geräusche aus Davids Büro hörte, sowohl von der Frau, als auch von David. Lisas Herz verkrampfte sich und Tränen stiegen in ihre Augen. ‘Wenn du tatsächlich noch auf eine Antwort gewartet hast, hier ist sie!’ meinte ihre innere Stimme zynisch. ‘Bloß weg hier.’ riet ihr eine andere, sanftere Stimme.

Lisa bückte sich, wobei ihr die ersten Tränen über das Gesicht liefen und stellte die Ordner an die Wand von Davids Büro. Dann ging sie schnell, aber leise zurück zum Aufzug und drückte mindestens 10 Mal hintereinander hektisch auf den Knopf. Sie war froh, als die Türen sich umgehend öffneten und stürzte in die Kabine, wo sie die “14” drückte.

Endlich war David frei, endlich war Mariella weg. Sie hatte ihm ihre Liebe gestanden und was passierte? Er dachte nicht mal im Traum daran, sie als die Frau an seiner Seite zu sehen, das auch nur in Erwägung zu ziehen. Nein, er poppte irgendwelche Tussys in seinem Büro, wie eh und je. ‘Nichts hat sich geändert, gar nichts. Als wäre nie etwas passiert…’

Mit dem typischen ‘pling’ öffneten sich die Fahrstuhltüren wieder und Lisa flüchtete in ihr Büro. Geschafft ließ sie sich in das weiche Polster ihres Sessels hinter dem Schreibtisch fallen und schloß die Augen. ‘Er liebt dich nicht….Das war doch klar.’ fauchten sich ihre inneren Stimmen gegenseitig an und Lisa mußte nur noch mehr weinen.

Immer wieder hatte sie das Gestöhne im Ohr und unwillkürlich tauchten die dazu passenden Bilder vor ihrem inneren Augen auf. Lisa kniff ihre Augen zusammen. ‘Ich will das nicht sehen. Ich halte das nicht mehr aus….’

Lisa öffnete ihre Augen wieder und sah doch nichts, sie sah alles nur verschwommen vor Tränen. Sie legte den Kopf in den Nacken und sah an die Decke. Die Tränen lösten sich und rannen ihre Wangen hinab. ‘Ich kann nicht mehr…ich will nicht mehr. Ich will das nicht mehr spüren, ich will nicht mehr weinen wegen ihm. Ich will nicht mehr hoffen und immer und immer wieder enttäuscht werden.’ dachte sie verzweifelt.

‘Mach Schluß.’ flüsterte ihr eine Stimme zu. ‘Mach einfach Schluß. Dann hast du damit keine Probleme mehr.’ ‘Ruhe.’ stimmte eine andere Stimme sanft mit ein. ‘Einfach nur Ruhe. Kein David mehr, kein Kerima, kein Gejammer über Mariella, nichts.’

Lisa nickte sich selbst zu. Sie konnte einfach nicht mehr. Das alles mußte aufhören, mußte ein Ende haben…

 

Richard von Brahmberg rollte mit den Augen, als er etwa zwei Stunden später aus seinem Büro trat und die Geräusche au dem Büro seines Halbbruders hörte. Typisch. Unbedingt Geschäftsführer sein wollen, aber darunter nur verstehen, auf Partys aufzulaufen und Models in seinem Büro flachzulegen, während er hier über die Kalkulation für Hugos nächste Bestellung bei Blum brütete.

Säuerlich forderte er den Aufzug an, um hoch in die 14. Etage zu fahren. Er brauchte noch weitere Unterlagen, die Lisa Plenske in ihrem Büro aufbewahrte. Zu seiner Überraschung brannte in ihrem Büro ebenfalls noch Licht. Richard zog eine Augenbraue hoch. ‘Fahr besser nicht runter, kleine Lisa, wenn dir dein Seelenheil lieb ist.’ dachte er und ging mit festem Schritt zu ihrem Büro. Er wusste von Lisas Schwäche für seinen Halbbruder, auch, wenn er das angesichts dessen Benehmens Frauen gegenüber nicht nachvollziehen konnte. Aber so war es eben schon immer gewesen.

Schlechtgelaunt öffnete er die Tür zu Lisa Büro. “Wenn sie schon noch so spät arbeiten, können sie mir auch die Blum-Kalkulation…” Richard stockte beim Anblick von Lisa, die mit dem Kopf auf ihrer Schreibtischplatte lag. “Frau Plenske?” sprach er sie an. Keine Reaktion. Es sah aus, als würde Lisa schlafen, doch irgendwie hatte Richard so ein Gefühl…ein ungutes Gefühl, das ihm sagte: Hier stimmt etwas nicht.

Richard runzelte die Stirn und trat langsam näher an Lisas Schreibtisch heran, wobei er sich leicht vorbeugte. “Frau Plenske….?” Als immer noch keine Reaktion kam, beschleunigte Richard seinen Schritt und trat um Lisas Schreibtisch herum, neben ihren Stuhl. Hektisch wanderten seine Augen über Lisas Tisch.

Auf dem Tisch stand ein Glas, weiße Pulverrückstände klebten an den Wänden. ‘Ihr Diätpulver.’ dachte Richard, doch dann stockte er, als er die Schachtel Tabletten auf dem Tisch liegen sah. Mindestens 5 Riegel lagen daneben, alle Tabletten waren ausgedrückt. Richard entglitten alle Gesichtszüge und er stürzte den letzten Schritt auf Lisa zu.

Hektisch packte er sie bei den Schultern und rüttelte sie. “Lisa! Lisa!!” Richard riß Lisa aus dem Stuhl und ließ sie in seinen Arm fallen, so dass er ihr ins Gesicht sehen konnte. ‘Sie sieht aus, als würde sie schlafen…’ dachte Richard, doch er wusste, das dem nicht so war.

Mit einer Hand hielt er Lisa fest, mit der anderen fischte er eilig sein Handy aus seiner Hosentasche. Ohne zu zögern wählte er 112...


3

Vornübergebeugt saß Richard ganz vorne auf der Kante des Stuhls, die Ellbogen auf die Knie gestützt. Dann sprang er auf und lief den langen Krankenhausflur rauf und runter. Als der Notarzt gekommen war, hatte er sich geistesgegenwärtig als Lisas Verlobter ausgegeben, so hatte er im Krankenwagen mitfahren dürfen und würde gleich Nachricht bekommen, wie es Lisa ging.

Er wollte erst wissen, wie es um Lisa stand, bevor er ihre Eltern informierte. Er hoffte, sie dann schon etwas beruhigen zu können. Nervös rieb er seine Hände, während er auf die Tür starrte, hinter der die Ärzte mit Lisa verschwunden waren. Es kam ihm eine Ewigkeit vor, bis sich die Türen wieder öffneten und ein Arzt und mehrere Schwestern herauskamen. Zwei davon schoben eine Trage, auf der Lisa lag.

Eilig ging Richard auf einen der Ärzte zu und sah ihn fragend an. “Ihre Verlobte wird es schaffen. Sie haben sie noch rechtzeitig gefunden. Natürlich muß sie noch hier bleiben, ich denke, drei Tage. Zur Beobachtung.” Der Arzt sah ihn eindringlich an. “Was ist passiert, dass ihre Verlobte sich zu so einem Schritt gezwungen sah?” Richard zuckte mit den Achseln. “Das kann ich ihnen leider nicht sagen. Wir arbeiten beide bei….in derselben Firma. Es war spät. Ich kam in ihr Büro und hab sie so vorgefunden. Mehr kann ich ihnen leider nicht sagen.”

Der Arzt nickte. “Normalerweise müßte ich ihre Verlobte auf die psychiatrische Station bringen im Anschluß.” sagte er ernst. “Nein, nein, das wird nicht nötig sein.” erklärte Richard und fand endlich zu seiner gewohnten Form zurück. Seine Stimme klang dominant, mit einer Spur Arroganz, so dass der Arzt nicht einmal in Erwägung zog, ihm zu widersprechen. Richards Blick tat sein übriges dazu. “Ich werde mich um meine Verlobte kümmern.”

Richard nickte dem Arzt zu, als dieser sich verabschiedete und folgte dann den Schwestern zu dem Zimmer, in dem Lisa die nächsten drei Tage verbringen würde. Natürlich war es ein Privatzimmer. Zwar war Lisa nicht privat versichert, was Richard absolut nicht verstehen konnte, er hatte jedoch veranlasst, dass Lisa in ein solches Zimmer kommen würde, auf seine Rechnung. Er schätzte die Gefahr, dass sich herumsprach, dass die Mehrheitseignerin von Kerima Moda nach einem Selbstmordversuch in der Klinik lag, auch so schon hoch genug ein. Tuschelnde Mitpatienten konnte er da nicht auch noch gebrauchen.

Richard sah auf seine Armbanduhr, während die Schwestern Lisa von der Trage in ein Bett hoben und an einen Tropf anschlossen. Beinahe Mitternacht. Er seufzte leise. Wie er seine Schwester kannte, schlief sie bereits. Nun gut, mitten in der Nacht konnte vermutlich auch die beste PR-Managerin der Welt nichts veranlassen. Zum Anderen hatte ja noch keiner von Lisas Zustand erfahren, also gab es keinen akuten Handlungsbedarf.

Eine der Schwestern lächelte Richard zu, als sie verließ das Zimmer, ihre Kollegin blieb allein zurück.

“David?” kam es leise vom Bett aus.

Die Krankenschwester, die gerade Lisas Tropf einstellte und Richard, der unsicher einige Schritte vom Bett entfernt stand, sahen erstaunt zu Lisa. Ihre Augen waren geschlossen, doch sie bewegte unruhig den Kopf.

“David?” kam es erneut gequält von ihren Lippen.

Hilfesuchend sah Richard zu der Krankenschwester, die auffordernd mit dem Kopf in Lisas Richtung nickte. Richard schluckte und ging steif zu Lisas Bett. Vorsichtig beugte er sich über sie. “Ja. Ich bin hier.” sagte er leise.

“David…” weinte Lisa nun und endlich öffnete sie auch die Augen. Eine zittrige Hand streckte sich nach Richard aus. Richard nahm ihre Hand in seine und streichelte sanft mit dem Daumen über ihren Handrücken. “Ich bin ja da….ganz ruhig.” sprach er leise auf sie ein. Die Krankenschwester steckte beide Hände in die Taschen ihrer Jacke und sah Lisa forschend an.

“David….ich liebe dich.” murmelte Lisa müde. Peinlich berührt sah Richard kurz zu der Krankenschwester. Diese lächelte. Scheinbar hielt auch sie ihn für seinen Bruder, da sie weder ihn noch David kannte. Erneut nickte sie auffordernd.

Richard räusperte sich. “Ich…ich liebe dich auch.” krächzte er.

Lisa lächelte selig. “Küss mich.” hauchte sie kraftlos. Richard versteifte sich und schluckte wieder, doch dieses Mal setzte sich ein Klos in seinem Hals fest. Er spürte förmlich die Blicke der Schwester auf sich. Zögernd beugte Richard sich zu Lisa hinab und hielt mehrmals inne. Kurz sah er auf ihren Mund, Lisas volle, sinnliche Lippen und gleichzeitig verbat er sich solche Gedanken angesichts Lisas Zustand. Richard schloß die Augen und senkte seine Lippen auf Lisas.

Ein Gefühl wie ein Stromstoß durchfuhr ihn, aber auf eine angenehme Weise. Lisa übte sanften Druck aus, als sie seinen Kuss erwiderte. Mit klopfendem Herzen löste Richard sich von ihr und sah nachdenklich in ihr nun entspanntes Gesicht.

Einige Minuten standen er und die Schwester stumm neben Lisas Bett und sahen sie einfach nur an. Sein anhaltendes Herzklopfen schob Richard auf den Streß und die Aufregung der letzten Stunde.

“Ich glaube, sie schläft jetzt.” sagte die Krankenschwester schließlich leise. Richard sah sie gedankenvoll an und nickte. “Hat sie das eben voll mitbekommen? Ich meine…war sie bei klarem Verstand?” fragte er.

Die Schwester lächelte. “Nein, sie steht noch sehr unter dem Einfluss der Medikamente. Aber unbewußt ja. Sie hat gemerkt, dass sie da waren, dass sie sie lieben. Und das hat ihr auf jeden Fall gut getan.” Ihr Blick wanderte zu Lisa und ruhte lächelnd auf ihrem Gesicht. “Sie ist jetzt viel ruhiger.”

Richard räusperte sich. “Äh, ja.”

In der Tasche seines Mantels fischte er nach seinem Handy und trat einige Schritte vom Bett weg. Er stutzte kurz, als ihm klar wurde, dass er natürlich nicht die Nummer von Lisas Eltern kannte. Kurzentschlossen rief er die Auskunft an. “Ja, die Nummer von Bernd und Helga Plenske, Göberitz, bitte. Und verbinden sie mich.”

Richard blieb im Krankenhaus, bis Lisas Eltern dort völlig aufgelöst erschienen. Eine völlig verheulte und verhuschte Helga Plenske lief auf ihn zu und warf sich in seine Arme. Unfreiwillig ließ Richard es über sich ergehen, griff jedoch nach Helgas Schultern und hielt sie ein Stück von sich, wobei er seine Lippen zu einem Lächeln verzog, dem jede Echtheit fehlte.

“Sie haben sie gefunden? Danke, Herr von Brahmberg, danke. Ich danke ihnen so sehr, sie haben sie gerettet.” schluchzte Helga. “Nun ja, ich habe lediglich den Notarzt alarmiert, die Ärzte haben sie gerettet, würde ich sagen.” erwiderte Richard gelassen. Bernd, der neben seiner Frau stand und sich immer wieder durch die langen Haare fuhr, nickte Richard zu. “Trotzdem, Herrn von Brahmberg, wenn sie nicht gewesen wären…”

“Gehen sie doch erstmal zu ihrer Tochter.” schlug er vor. “Ich fahre nach Hause. Ich muß morgen ausgeschlafen sein. Herr Plenske, Frau Plenske.” Richard nickte den beiden zu und ging davon.

Draußen atmete er tief durch. Was für eine Nacht…

  

4
Als Lisa am nächsten wach wurde, hatte sie das Gefühl, jemand habe einen Mixer in ihren Kopf gehalten. Zudem fühlte sie sich schwach und ausgelaugt. Schon während sie die Augen vorsichtig öffnete, runzelte sie die Stirn. Die Bettwäsche, in der sie lag, war steif und kratzig. ‘Wo bin ich….?’

Lisa hob ihren schmerzenden Kopf leicht an und erblickte ein Krankenhauszimmer. Neben ihrem Bett stand ein weiteres Bett, auf dem zu Lisas Erstaunen ihre Mutter saß und scheinbar ein Kreuzworträtsel löste. Als sie in Lisas Bett Bewegung wahrnahm, ließ sie das Heft sinken und sah zu ihrer Tochter hinüber.

“Lisa…!” rief sie in ihrem typischen ich-bin-ja-so-besorgt-um-Dich-Ton, den Lisa nur allzu gut kannte. Langsam kehrte Lisas Erinnerung zurück. Kerima….die Bilanz…die Frau in Davids Büro…die Tabletten. Stöhnend ließ Lisa ihr Gesicht wieder in ihr Kopfkissen fallen.

Mit einem spitzen Schrei sprang Helga von ihrem Bett und war mit zwei Schritten bei Lisa. “Lisa, Mäuschen, geht’s dir nicht gut?” “Doch.” brummte sie in ihr Kopfkissen. ‘Ich hab nur keine Ahnung, wie ich dir beibringen soll, warum ich das getan habe…’ dachte Lisa verzweifelt. Zum Glück war wenigstens ihr Vater nicht auch noch da. Sie konnte sich sehr gut vorstellen, wie die beiden ausgeflippt waren, als sie davon gehört hatten.

Lisa stutzte und hob den Kopf, um ihre Mutter anzusehen. “Wie….bin ich hier her gekommen?” Helga strich ihr immer wieder über den Kopf und sah sie besorgt an. “Mäuschen, stell dir vor, der Herr von Brahmberg, der hat dich gefunden und den Notarzt verständigt. Wenn er nicht gewesen wäre….” Helga schluchzte dramatisch auf bei der Vorstellung.

Lisa robbte sich weiter auf und verzog schmerzerfüllt das Gesicht. Sie hatte das Gefühl, ihr Kopf müsse gleich explodieren. “Richard….Richard von Brahmberg hat mich hier her gebracht?” fragte sie ungläubig. Helga nickte mit Tränen in den Augen. “Er ist auch bei dir geblieben, bis wir da waren.” Lisa sah sie ungläubig an. “Bist du sicher, dass es Richard war und nicht jemand anderes?”

Helga schüttelte den Kopf. “Nein, es war der Herr von Brahmberg, ganz sicher. Mäuschen, vielleicht ist der doch nicht so ein übler Kerl….schau mal, er hat dich auch schon auf dieser Party gerettet, als du beinahe vom Dach gefallen wärst.” sinnierte Helga und setzte sich zu Lisa auf die Bettkante.

Diese hatte sich inzwischen gänzlich aufgesetzt. Bevor sie etwas zu der Theorie ihrer Mutter über Richard sagen konnte, sprach diese schon weiter, während sie ihre Hand tätschelte: “Lisa, Mäuschen, warum hast du das getan?”

Lisa sah ihre Mutter nicht minder verzweifelt an, jedoch weil sie nicht wusste, wie sie ihrer Mutter erklären sollte, was passiert war. “Ach Mama…können wir darüber nicht ein anderes Mal reden?” bat sie. “Es hat mit David zu tun…und deswegen möchte ich dich auch bitten, ihn nicht zu mir zu lassen, falls er mich besuchen möchte. Ich will auch nicht, dass er anruft, Blumen schickt oder so was.”

Ihre Mutter nickte verständig. Sie wusste ja, wie ihre Tochter zu dem jungen Seidel stand und ihr war immer klar gewesen, dass Lisa sich da in etwas verrannte. Lisa passte im Grunde schon nicht zu einer Firma wie Kerima, sie war ganz und gar nicht der Typ Frau, der an Davids Seite passte. Helga seufzte. “Ach Mäuschen…wenn ich dir doch nur helfen könnte.”

Lisa bemühte sich um ein Lächeln. “Du kannst mir helfen, wenn du David ausrichtest, dass ich ihn nicht sehen möchte.”

Helga versprach dieses. Später kam doch noch Bernd vorbei und Lisa ließ seine Betüteleien geduldig über sich ergehen. Sie konnte ihre Eltern ja verstehen und war froh, dass diese sie nicht drängten, sofort zu erklären, warum sie das getan hatte.

Der Arzt kam, um nach Lisa zu sehen und eröffnete ihr, dass sie drei Tage zur Beobachtung da bleiben müsse.

Am Abend bekam sie Besuch von Jürgen, der zwischen Wut auf David (ihm hatte Lisa alles erzählt) und Sorge um seine beste Freundin schwankte.

Hannah, Yvonne und Agnes beschränkten sich aufs Anrufen, worum Lisa im Grunde froh war. Irgendwie war es unendlich peinlich, dass jeder wusste, was sie getan hatte.

Von David hörte und sah Lisa zu ihrer Erleichterung gar nichts. Sie wusste jedoch auch nicht, wie es weitergehen sollte, wenn sie wieder arbeiten und ihn jeden Tag sehen würde.

 

5
Am Nachmittag von Lisas dritten Tag in der Klinik saß sie draußen im Klinikgarten. Sie hatte sich einen der gepolsterten Stühle unter einen Baum gezogen und sah nachdenklich ins Leere, als sie plötzlich Richard den Weg hochkommen sah. Er kam direkt auf sie zu. In seinem langen, schwarzen Ledermantel, den zurückgekämmten Haaren und seinem typisch grimmigen Blick sah er aus wie ein weißer Blade. Verunsichert sah Lisa ihm entgegen.

“Haben sie heute schon Zeitung gelesen?” fragte er, als er nur noch wenige Schritte von ihr entfernt war. Lisa runzelte die Stirn. “Hallo, ja, danke, ich fühle mich schon viel besser!” entgegnete sie schnippisch. Begrüßte man etwa so jemanden, den man im Krankenhaus besuchte?

Richard ignorierte das und faltete sie Zeitung, die er unter dem Arm trug, auseinander. “Mehrheitseignerin von Kerima Moda nach Selbstmordversuch in der Klinik. Wird sie in der Psychiatrie enden?” las er vor.

Lisa wurde blass und sprang auf, um ihm die Zeitung abzunehmen. Jedoch suchte sie vergeblich auf der Titelseite nach einer solchen Schlagzeile. Wütend sah sie Richard an. “Das steht hier doch gar nicht.” Richard zog eine Augenbraue hoch. “Zum Glück. Es wundert mich, dass die Presse das noch nicht herausgefunden hat. Was haben sie sich dabei gedacht?!”

Lisa schossen Tränen in die Augen. Das war mal wieder typisch Richard. Das Einzige, was ihn interessierte, was das Wohlergehen von Kerima. Lisa setzte sich und sah ihm nach, wie er sich ebenfalls einen Stuhl heranzog. Als er schräg neben ihr saß und ihre Tränen bemerkte, seufzte er. “Sie werden morgen entlassen?” fragte er schon sanfter. Lisa, die krampfhaft versuchte, nicht zu heulen, konnte nur nickten.

“Frau Plenske…es geht mich wahrscheinlich nichts an, aber…warum haben sie das gemacht?” Lisa schniefte und schluckte mehrmals heftig. Die unterdrückten Tränen schnürten ihr den Hals zu und machten ihr das Sprechen unmöglich. “Ich nehme an, mein lieber Halbbruder hat was damit zu tun…?” vermutete Richard. Wieder nickte Lisa. “Ja.” piepste sie.

Richard atmete tief durch. “Waren sie zufällig an dem Abend unten auf der 13. Etage?” Lisa senkte den Kopf, ihre Schultern zuckten und sie verlor den Kampf gegen ihre Tränen. “Ja.” quetschte sie heraus, bevor sie der Weinkrampf übermannte. Richard wartete ab, bis sie sich beruhigt hatte und reichte ihr dann wortlos ein Taschentuch. “Danke.” murmelte Lisa.

Richard lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sah Lisa aufmerksam an. “Das muß ein Ende haben, Frau Plenske.” Lisa schniefte. “So war es gedacht.” erwiderte sie sarkastisch. Richard stöhnte genervt. “Doch nicht so. Hat es ihnen nicht gereicht, auf der Togaparty fast vom Dach zu fallen wegen dieser kitschigen Kette?” erinnerte er sie. “Ich kann nicht immer in ihrer Nähe sein, um ihr Leben zu retten.”

Trotzig schob Lisa die Unterlippe vor. “Dann lassen sie es doch einfach.” “Frau Plenske!” polterte Richard los, dass Lisa erschrocken zusammenzuckte. “Hören sie auf mit dem Quatsch! Sie wollen mir doch nicht ernsthaft erzählen, dass jemand wie sie sein Leben wegen Liebeskummer, wegen David Seidel wegwerfen will…!” spottete er.

“Jemand wie ich?” fragte Lisa sarkastisch nach. “Ja, jemand wie sie. Wie viele Leute kennen sie, die sich von der Catering-Kraft über die Assistentin des Geschäftsführers bis zur Mehrheitseignerin innerhalb eines Jahres hochgearbeitet haben?” Bockig sah Lisa ihn an, erwiderte jedoch nichts. “Eben. Ich kenne auch keinen. Sie waren zudem die beste Assistentin, die David je hatte, ihr Verständnis für Zahlen ist unglaublich.”

“Leider gibt es keine Formel, um seine Gefühle abzustellen.” murmelte Lisa, während sie auf ihre Finger sah, die miteinander spielte. Richard stützte seine Ellbogen auf seine Knie, als er sich vorbeugte. “Der Arzt wollte sie eigentlich in die Psychiatrie bringen.” sagte er. Erschrocken sah Lisa ihn an. “Ich habe gesagt, ich würde mich um sie kümmern.”

“Sie wollen sich um mich kümmern?” fragte Lisa irritiert. Ausgerechnet Richard von Brahmberg wollte sie unter seine Fittiche nehmen….? Dieser nickte. “Sie müssen sich endlich von David lösen. Um ihretwillen und auch um Kerimas Willen.” Wieder traten Lisa die Tränen in die Augen und sie sah nach oben, um sie wegzublinzeln. “Das würde ich ja gerne, aber wie?!” Verzweifelt sah sie Richard an. “Ich werde ihnen helfen. Unter einer Bedingung.” Fragend sah Lisa ihn an. “Sie tun exakt das, was ich sage.”

Lisa sah Richard an, als habe er den Verstand verloren. “Ich soll tun, was sie sagen…?” Richard nickte gelassen. “Und am Ende haben ganz zufällig sie das Sagen bei Kerima oder wie?” spottete Lisa. Jetzt verdrehte Richard die Augen. “Frau Plenske. Denken sie bitte logisch!” Lisa bedachte diese Aufforderung mit einem bösen, angenervten Blick.

“Wenn ich Kerima haben wollte, würde ich ihnen wohl jetzt kaum dieses Angebot machen. Ich hätte sie bei der Toga Party vom Dach fallen lassen oder sie gestern ganz einfach ihrem Schicksal überlassen können.” argumentierte er. Lisa sah ihn immer noch bockig an. “Außerdem, mit welchem Trick sollte ich sie ausbooten? Sie wären doch ab jetzt immer auf der Hut und dank ihrer Intelligenz würden sie sofort merken, wenn ich etwas plante.”

Lisa überlegte einige Augenblicke, dann nickte sie. Was Richard sagte, war bestechend logisch. Es war nur gänzlich ungewohnt, dass Richard jemandem helfen wollte. Ihr, Lisa Plenske, helfen wollte!

“Angenommen, ich würde ihr Angebot annehmen - was hätten sie dann mit mir vor?” fragte sie vorsichtig. Richard lehnte sich in seinem Stuhl zurück, seinem Gesicht war keine Regung zu entnehmen. “Sie müssen sich so weit wie möglich von David Seidel fernhalten. Das ist das Einzige, was hilft, wenn man unglücklich verliebt ist: Totaler Kontaktabbruch. Oder wen derjenige, in den man verliebt ist, jemanden anderen liebt, der gänzlich anders ist als man selbst.”

Bei dem letzten Satz hatte Richard den Blick gesenkt. Seine Stimme war leiser geworden und hatte einen eigenartigen Klang angenommen, so dass Lisa ihn irritiert ansah. Als Richard wieder aufsah, bemerkte er ihre Irritation. “Na, so wie sie und Mariella, meine ich. Phänotypisch und charakterlich sind sie beide ja grundverschieden. Also scheinen sie nicht gerade in Davids Beuteschema zu passen.” erklärte er.

Lisa, die immer noch das Gefühl hatte, dass Richard an etwas gänzlich anderes gedacht hatte vorhin, sah ihn immer noch mit einer Mischung aus Mißtrauen und Ratlosigkeit an, doch Richard ging darüber hinweg und sprach weiter: “Löschen sie Davids Handnummer aus ihrem Speicher, treffen sie sich nicht mehr privat mit ihm, gehen sie ihm komplett aus dem Weg. Räumen sie alles weg, was sie an ihn erinnert oder was er ihnen geschenkt hat.” Richards Blick wanderte sie Lisas Dekolleté, wo sonst die Kette von David zu sehen war. Hier im Krankenhaus hatte man ihr diese jedoch abgenommen und Lisa hatte sie bislang auch nicht wieder angelegt. Sie lag in der Schublade ihres Nachttisches.

Merkwürdigerweise machte Richards Blick sie nervös und Lisa fuhr mit der Hand über die Stelle, an der sonst der Pferdanhänger lag. “Wie stellen sie sich das vor? Immerhin ist er einer meiner Geschäftsführer. Es wird sich wohl kaum vermeiden lassen, dass ich ihm begegne.”

Richard sah Lisa wieder in die Augen. “Machen sie sich darum keine Sorgen. Sie haben ja mich.” Er lächelte sie spitzbübisch an. ‘Wie beruhigend.’ dachte Lisa ironisch und hätte am liebsten die Augen verdreht. “Ich werde ihr Mittelsmann sein. Was immer sie David zu sagen haben: Sagen sie es mir. Ich werde alles mit David besprechen und ihnen Bericht erstatten. Ihre Aufgabe wird es lediglich sein, David Seidel aus dem Weg zu gehen, wenn sie bei Kerima sind.” Zufrieden mit sich und seinem Plan legte Richard die Fingerspitzen aneinander und sah sie mit einem leisen Lächeln an.

Lisa überdachte kurz, was er vorgeschlagen hatte. “Und sie glauben, das funktioniert?” zweifelte sie. Richard nickte. “Das ist natürlich nur ein Teil meines Planes.” Er beugte sich vor. “Den Rest werde ich ihnen nach und nach erläutern. Morgen werden sie entlassen?” Lisa nickte. “Wann hatten sie gedacht, wieder zu Kerima zu kommen?”

Lisa dachte kurz nach. Heute war Mittwoch. “Nächsten Montag?” schlug sie vor. “In Ordnung. Bis dahin werde ich ein ernstes Wörtchen mit meinem Bruder reden.” Erschrocken sah Lisa ihn an. “Das heißt, wenn sie mein Angebot denn annehmen.” schob Richard nach, als er ihren Blick bemerkte.

Lisa sah ihn nachdenklich an. “Wieso wollen sie das tun, Herr von Brahmberg? Reine Nächstenliebe wird es wohl kaum sein?” Richard lachte sein typisches, humorloses Lachen. “Liebe Frau Plenske, ich möchte lediglich verhindern, dass Kerima doch noch in der Yellowpress landet, weil sie irgendeinen Blödsinn wegen meinem Brüderchen gemacht haben. Wer weiß schon, was sie als nächstes tun, nachdem sie sich wegen ihm schon fast vom Dach eines Hochhauses gestürzt und sich mit Tabletten vergiftet haben.”

Richard grinste sie an, doch das Grinsen erreichte seine Augen nicht. Im Gegenteil, sie sahen sie ernst und beinahe bedrückt an. Trotzdem war Lisa einigermaßen ernüchtert über seine Antwort. Wie sie nun einmal war, hatte sie gehofft, dass Richard etwas wie “ich will ihnen einfach helfen” sagen würde, auch, wenn das völlig untypisch für ihn gewesen wäre.

“Also? Nehmen sie mein Angebot an?” fragte er. Lisa sah überlegend ins Leere. Was konnte ihr schon passieren? Was Kerima betraf, hatte Richard recht: Er hätte in letzter Zeit wesentlich einfacher die Macht bei Kerima ergreifen können. Stattdessen war er es, der ihr - bereits zum 2. x - das Leben gerettet hatte. Und sonst? So intensiv Lisa auch nachdachte, ihr fiel kein hinterhältiges Ziel ein, das Richard ansonsten verfolgen könnte. Und selbst wenn, konnte sie ja jederzeit aussteigen, sollte sie etwas bemerken.

“Also gut.” Lisa nickte und sah Richard ernst an. “Ich begebe mich in ihre Hände.” Richard grinste. “Interessante Formulierung.” schmunzelte er. Lisa überlief ein Schauer. So, wie er das sagte, bereute sich fast schon wieder, ja gesagt zu haben.

Doch bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, stand Richard auf. “Gut, dann sehen wir uns wohl am Montag in der Firma.” Lisa stand ebenfalls auf und nickte. So recht wusste sie immer noch nicht, was sie von Richards Aktion halten sollte. “Frau Plenske.” Richard nickte ihr zu, drehte sich um und ging. Nachdenklich sah Lisa ihm nach…

 


6
Sie begriff nicht, was auf einmal mit Richard los war, egal, ob seine Motive nun Kerima oder ihr persönlich galten mit dieser Aktion. Denn seit der Toga Party, auf der er sie vor dem Absturz bewahrt hatte, hatte Richard kaum mehr als “Guten Morgen” mit ihr gesprochen. Selbst das hatte er oft nur mit einem Zunicken zum Ausdruck gebracht.

Während der Arbeitstage hatte er sein Büro kaum mehr verlassen. Sabrina war quasi sein verlängerter Arm nach draußen geworden und Richard kam eigentlich nur raus, um diese zusammenzustauchen. Vor allem aber zu Lisa war er mehr als reserviert gewesen und vermied, wenn es ging, jeglichen Kontakt.

Lisa hatte seine abrupte Verhaltensänderung damals zwar verwundert, aber im Grunde hatte es sie auch nicht weiter interessiert. Sie war sich nicht bewusst, etwas getan zu haben, was dieses ablehnende Verhalten bei Richard hätte ausgelöst haben können. Wie Agnes schon gesagt hatte: Richard war noch nie der wahre Teamplayer gewesen und die meisten in der Firma waren sicherlich nicht besonders böse, ihm weniger zu begegnen.

Als Richard außer Sichtweite war, setzte Lisa sich wieder nachdenklich in ihren gepolsterten Stuhl und sah in den Garten hinaus ins Leere. Die Toga Party….Lisa überkam heute noch eine Gänsehaut, wenn sie daran dachte. Es war kurz nach der Übernahme Kerimas durch BStyle gewesen. David war so beleidigt, dass er Lisa mit Richard zu dieser Party hatte gehen lassen.

Weder Lisa noch Sabrina, die nach Richards Willen nicht mitgehen sollte, waren darüber besonders glücklich gewesen. Sabrina war schließlich doch noch ungebeten auf der Party aufgetaucht, was Richard zur Weisglut getrieben hatte. Während er Sabrina wieder nach draußen bugsierte, war Lisa auf die Terrasse gegangen, um frische Luft zu schnappen.

Sie hatte an David gedacht, als ihr plötzlich seine Kette, die sie in der Hand gehalten hatte, über das Geländer gefallen war und auf dem schmalen Sims lag. Erschrocken hatte Lisa auf die Kette gestarrt. Auch, wenn sie sich derzeit nicht wirklich gut mit David verstand, mußte sie die Kette auf jeden Fall wiederhaben. Denn was hatte David damals gesagt, als er sie ihr umlegte? ‘Diese Kette beweist, dass wir auch gute Zeiten zusammen hatten, das ist mir wichtig.’ Sie war einfach eine zu wertvolle Erinnerung für Lisa.

Kurzentschlossen war Lisa über das Terrassenbegrenzung geklettert und hatte die Kette tatsächlich zu fassen bekommen. Als sie jedoch zurückklettern wollte, war sie mit einem Fuß abgerutscht und konnte sich nur noch mit den Händen an dem schmalen Sims festhalten. Unter ihr ging es mindestens 20 m in die Tiefe.

Lisa rieb sich über ihre Unterarme, auf denen sich eine Gänsehaut gebildet hatte, als sie sich daran erinnerte, wie sie um Hilfe geschrieen hatte. Alle anderen außer ihr waren drinnen gewesen, sie hatte den Partylärm gehört, aber keiner schien sie zu hören. Sie hatte gespürt, wie ihre Kräfte in Händen und Armen langsam nachließen und zu weinen begonnen, als sich plötzlich Richard über die Terrassenabtrennung gebeugt hatte.

Lisa war nie im Leben so froh gewesen, ihn zu sehen wie in diesem Moment. “Lisa!” hatte er entsetzte ausgestoßen und ihr sofort seine Hand hingehalten. Doch Lisa hatte sich nicht getraut, eine Hand von dem Sims zu lösen, zu groß war ihre Angst gewesen, sofort abzustürzen. “Los! Nimm meine Hand!” hatte Richard sie angeherrscht.

Lisa hatte all ihren Mut zusammengenommen und ihm tatsächlich eine Hand entgegengestreckt. Sie war erstaunt gewesen, mit welcher Kraft Richard sie ruckartig hochriss. Lisa hatte mit den Händen die Abtrennung zu fassen bekommen und ihre Füße fanden wieder Halt auf dem schmalen Sims. Richard hatte sie nicht losgelassen, während sie zurück auf die Terrasse kletterte und als er sie anschließend in seine Arme zog, wehrte Lisa sich nicht.

Sie war zu geschockt gewesen und einfach nur froh, noch zu leben, dass sie in diesem Moment jeden umarmt hätte und wenn es Sabrina gewesen wäre. Sie wollte sich einfach an jemandem festhalten. Zitternd hatte Lisa sich an Richard geschmiegt, ihre Wange lag an seiner Brust. Während sie mit schreckgeweiteten Augen auf die Terrassenabtrennung starrte, bemerkte sie am Rande, dass auch Richards Herz wie ein Vorschlaghammer schlug.

“Sie haben mich zu Tode erschreckt!” flüsterte er geschockt und strich ihr über den Rücken. Lisa schloß die Augen. Nach dem Schrecken tat die Berührung so gut, sie nahm sie mit allen Sinnen auf. “Was haben sie denn hinter der Abtrennung gemacht um Himmelswillen?”

Lisa hatte zittrig ihre rechte Hand gehoben, die zu einer Faust geballt gewesen war. Als sie diese öffnete, kam die Kette zum Vorschein, die sie trotz allem nicht losgelassen hatte. Stirnrunzelnd hatte Richard sie angesehen. “Wegen dieser kitschigen Kette?” hatte er voller Unverständnis gefragt.

Lisa hatte nur Nicken können, während sie ihn ansah. “Geschenk von David.” war alles, was sie herausgebracht hatte. Sie fühlte sich regelrecht steif vor Schock. Sie hatte förmlich sehen können, wie die Besorgnis aus Richards Gesicht gewichen und die Maske, der er für einen kurzen Moment abgenommen hatte, zurückgekehrt war. “Verstehe.” hatte er gemurmelt und sie losgelassen.

“Vielleicht wäre es sicherer, wenn sie sich nur noch im Innenraum aufhalten.” riet er ihr kühl und sein Gesichtsausdruck verhieß nichts Gutes. Lisa fröstelte unter seinem Blick und sie war ihm ohne Widerrede rein gefolgt.

Nach nur zwanzig Minuten jedoch hatte Richard ihr mitgeteilt, dass sie die Party nun verlassen würden. Da Lisa mit ihm hergefahren war, blieb ihr nichts anderes übrig, als ihm ohne Gegenworte zu folgen. Richard hatte sie zwar noch nach Hause gefahren, die Fahrt verließ jedoch in eisigem Schweigen. Als sie sich beim Aussteigen von ihm verabschiedet hatte, hatte er nur genickt.

Seit diesem Abend war Richard Lisa geradezu aus dem Weg gegangen bei Kerima…

 

7
Am nächsten Morgen passte Richard David am Catering ab, als dieser sich gerade einen Kaffee bei Agnes holte. “Morgen, David. Komm bitte gleich in mein Büro.” Überrascht sah David seinen Halbbruder an. “Es geht um Lisa.” schob Richard hinterher, dann drehte er sich - ohne eine Antwort abzuwarten - um und verschwand in seinem Büro.

Zwar störte David Richards Art, da es jedoch um Lisa ging, folgte er schließlich seinem Bruder. Die Nachricht, dass Lisa sich im Krankenhaus befand, hatte sich bei Kerima wie ein Lauffeuer verbreitet. David, der völlig geschockt gewesen war, hatte sofort zum Telefon gegriffen und Helga Plenske angerufen, um zu fragen, was Lisa fehle und wo er sie besuchen könne.

Helga hatte ihm erst gar nichts sagen wollen, außer, dass Lisa keinen Besuch haben wolle. David hatte jedoch nicht locker gelassen, bis Lisas Mutter ihm zerknirscht erzählt hatte, dass Lisa versucht hatte, sich mit Tabletten das Leben zu nehmen. David war zutiefst geschockt gewesen. Noch Stunden nach dem Telefonat mit Helga hatte er über Lisa nachgedacht, sich Sorgen gemacht und schon kurz danach hatte sich das Gefühl bei ihm eingestellt, dass Lisas Wunsch zu sterben etwas mit ihm zu tun hatte. Er bekam jedoch aus niemandem Näheres heraus, keiner wollte oder konnte Details über Lisas Zustand und ihre Beweggründe berichten. Trotzdem quälte ihn ein schlechtes Gewissen.

Richard saß bereits wieder an seinem Schreibtisch, als David eintrat und sah auch nicht auf. Stattdessen tippte er geschäftig in seinem Laptop. David nahm ihm gegenüber Platz und sah ihm eine kurze Weile zu. Dann räusperte er sich. “Du wolltest mit mir reden, wegen Lisa?” versuchte er das Gespräch in Gang zu bringen.

Richard tippte weiter, während er den Blick hob und seinen Halbbruder mit einem abschätzenden Blick bedachte. Dann klappte er das Laptop zu und faltete die Hände darauf, während er David ernst ansah. “Ich nehme an, du hast gehört, was passiert ist?” David nickte, während er sehr besorgt aussah. “Ja. Ich…”

Richard unterbrach ihn: “Es war genau an dem Abend, als du dieses Mäuschen bei dir im Büro hattest.” David sah ihn mit offenem Mund an. “Lisa hat auch noch gearbeitet und war kurz hier unten.” deutete Richard an. David begriff und sackte in sich zusammen. “Oh nein…” seufzte er und fuhr sich mit einer Hand über die Augen.

Richard lehnte sich in seinem Stuhl zurück. “Oh ja!” Seine Stimme war lauter geworden und als David seinen Halbbruder ansah, erwiderte dieser mit wütender Härte seinen Blick. “Du hättest doch ahnen müssen, was Lisa für dich empfindet!”

David holte tief Luft. “Ich hab es nicht geahnt. Ich habe es gewußt.” gab er zu. Fragend hob Richard eine Augenbraue. “Lisa hat mir gesagt, dass sie mich liebt, kurz nach meiner Trennung von Mariella.”

Richard starrte David eine volle Minute stumm an. Sein Gesicht war zu einer Maske erstarrt, lediglich eine Ader an seiner Schläfe pochte. David wusste genau, dass Richard innerlich vor Wut kochte und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Nervös schluckte er. “Du hast es gewußt.” wiederholte er drohend. “Und hast die Unverfrorenheit, in deinem Büro mit irgendwelchen Frauen herumzumachen!”

“Ich wusste doch nicht, dass Lisa noch im Haus ist!” verteidigte David sich. Auch er hatte nun seine Stimme erhoben. “Es ist ihre Firma….!” entgegnete Richard nicht minder laut.

Dann schnaufte er jedoch durch und besann sich. “Ich habe Lisa gestern im Krankenhaus besucht.”

“Was!” David sprang aus seinem Sessel auf. “DU warst bei ihr?! DU?? Ihre Mutter hat mir gesagt, sie will keinen Besuch…!”

Richard blieb ruhig sitzen und sah ihn spöttisch an. “David, Lisa möchte dich nicht sehen. Jeder andere durfte zu ihr.” lächelte er sarkastisch.

Völlig fertig ließ David sich wieder in den Sessel fallen. Er konnte nicht glauben, was er hier hörte. Lisa hatte tatsächlich wegen ihm versucht, sich das Leben zu nehmen. Sie wollte jeden sehen - außer ihm. Das durfte doch alles nicht wahr sein…

Richard holte ihn aus seinen Gedanken: “Lisa und ich haben beschlossen, dass sich hier einiges ändern muß.” David warf ihm einen merkwürdigen Blick zu. “Lisa und du.” echote er. “Habt beschlossen.” Er kam sich vor, als wäre er plötzlich in einem Paralleluniversum gelandet. Richard, Richard von Brahmberg besuchte Lisa Plenske im Krankenhaus, während ihm, David, das Besuchsrecht bei seiner besten Freundin verwehrt wurde. Richard und Lisa schmiedeten Pläne miteinander. David konnte es nicht fassen.

“Montag wird Lisa wieder zu Kerima kommen. Du!” Richard sah ihn scharf an. “Wirst dich von Lisa Plenske ab sofort komplett fernhalten. Beruflich und privat. Keine Anrufe, keine Meetings, keine E-Mails, SMS, Faxe, Briefe und erst recht keine Besuche.”

David federte in seinem Sessel nach vorne. “Hast du komplett den Verstand verloren!” herrschte er seinen Bruder an. Richard blieb vollkommen cool und sparte sich eine Erwiderung. “Alles, was du mit Lisa zu besprechen hast, sagst du mir. Ich gebe es an sie weiter und werde dir ihre Antwort ausrichten.” sprach er stattdessen weiter. David konnte nicht verhindern, laut aufzulachen. “Wir sind doch hier nicht im Kindergarten!” spottete er. “Außerdem lasse ich mir den dir sicher nicht verbieten, Lisa zu sehen.”

“Das ist nicht mein Gebot, sondern Lisas Wunsch.” informierte Richard ihn und genoss Davids verblüfften Gesichtsausdruck. “Das glaube ich dir nicht.” Richard grinste ihn zufrieden an. “Es ist aber so, Brüderchen.”

Richard zog eine Schublade an seinem Schreibtisch auf und hielt David anschließend seine Hand hin. Zwischen seinem Daumen und Zeigefinger baumelte die Kette, die David Lisa zum Geburtstag geschenkt hatte. “Die soll ich dir zurückgeben.”

Konsterniert nahm David die Kette entgegen und betrachtete sie fassungslos. Lisa gab ihm seine Kette zurück. Das war ein Gefühl wie damals, als Mariella ihm den Verlobungsring wiedergegeben hatte. Sein Herz schlug wie ein Vorschlaghammer und er konnte den Blick kaum von der Kette abwenden. Als er hochschaute, lächelte Richard ihn süffisant an.

Doch dann erstarb Richard Lächeln und er beugte sich vor, um David scharf anzusehen. “Du hast Lisa sehr weh getan. Wenn du noch einen Funken Anstand hast, wenn sie dir nur ein bißchen was bedeutet, rate ich dir: Halte dich von ihr fern!” Richards Stimme war leise, gefährlich leise.

David sah ihm zwei, drei Sekunden in die Augen, dann stand er auf, stürmte zur Tür und verließ das Büro seine Bruders. In seinem eigenen Büro ließ er sich geschafft in seinen Sessel fallen und starrte ins Leere, die Kette in der geschlossenen Hand. Das alles konnte doch nur ein Alptraum sein…

 

8
Als Lisa am folgenden Montag in den Lift des Kerima Gebäudes stieg, holte sie tief Luft und drückte die 14. Normalerweise wäre sie erstmal in der 13. Etage ausgestiegen, um sich bei Agnes einen Kaffee zu holen und einige ihrer Mitarbeiter zu begrüßen. Doch die Gefahr, David zu begegnen, war zu groß. Nicht nur wegen Richards Anweisung wollte sie David nicht sehen. Sie war einfach noch nicht bereit dafür, es tat noch zu weh. Allein die Vorstellung, ihn wieder zu sehen, versuchte einen schmerzhaften Stich in ihrem Herzen.

Lisa legte den Kopf in den Nacken und blinzelte, weil die Deckenbeleuchtung des Aufzugs sie blendete. Der Arzt hatte sie vor ihrer Entlassung noch einmal eindringlich gebeten, eine Therapie zu machen, was Lisa jedoch auf keinen Fall wollte. Sie hatte darauf verwiesen, dass Richard versprochen hatte, sich um sie zu kümmern und schließlich hatte der Arzt aufgegeben. Lisa hatte keinerlei Lust, einem Fremden alles von ihr und David zu erzählen. Wenn, dann besprach sie ihre Probleme mit Jürgen, da konnte sie wenigstens sicher sein, dass man sie verstand.

In der 14. Etage war es wesentlich ruhiger als in der 13. und als Lisa ausstieg, fühlte sie sich fast ein wenig isoliert. In getrübter Stimmung steuerte sie ihr Büro an. Drinnen machte sie Licht, stellte ihre Tasche ab, fuhr den PC hoch und rief Agnes an, um sich bei dieser einen Kaffee zu bestellen. Agnes reagierte verwundert und Lisa bekam prompt ein schlechtes Gewissen, Agnes zu herumzukommandieren, auch, wenn es nicht unüblich war, dass Agnes Kerima Mitarbeitern Essen oder Getränke ins Büro brachte. Lisa hatte sich bis jetzt jedoch ihrem Kram immer selber bei Agnes abgeholt.

“Ja?” Lisa sah auf, als es an ihrer Tür klopfte. Doch statt Agnes trat Richard mit einer Tasse Kaffee in der Hand ein. “Guten Morgen.” lächelte er. Überrascht sah Lisa ihn an. “Guten Morgen.” Ihr Blick wanderte zu der Tasse in seiner Hand. “Ich war zufällig am Catering, als Agnes sich auf den Weg zu ihnen machten wollte und da ich eh mit ihnen sprechen wollte…Bitte schön.” Richard stellte die Tasse vor Lisa auf ihrem Schreibtisch ab.

Dann nahm er unaufgefordert Platz und sah Lisa forschend an, während diese vorsichtig einen Schluck trank. “Wie fühlen sie sich.” fragte er in neutralem Ton, doch sein Gesicht drückte Besorgnis aus. Lisa, die sich an sein freundliches Verhalten noch nicht gewöhnt hatte, nickte vorsichtig. “Gut….ganz gut.” “Haben sie David schon gesehen?” Eilig schüttelte Lisa den Kopf. “Nein. Ich bin direkt hier hoch durchgefahren.” Richard nickte. “Gut. Ich habe ihn instruiert. Ich hoffe, er hält sich daran.” Verunsichert trank Lisa einen weiteren Schluck Kaffee und vermied es, Richard anzusehen.

Dieser griff in die Innentasche seines Jacketts. “Ich nehme an, dass sie für nach der Mittagspause noch keine Termine haben. Ich hab nämlich einen für sie vereinbart.” Mit diesen Worten reichte er ihr eine Karte. Lisa nahm die Karte an, in der Erwartung, den Namen eines neuen Geschäftspartners zu lesen. Statt dessen stand dort: “Shirin. Haare * Make Up * Maniküre”

Fragend sah Lisa auf. “Was soll ich da?” Richard lächelte. “Man sagt doch immer, dass Frauen ihr Äußeres verändern, wenn ein neuer Lebensabschnitt ansteht. Sie haben einen Termin bei der Friseurin und auch bei dem Make-Up-Artist. Wenn sie dort fertig sind, rufen sie mich bitte an.”

Lisas Gesichtsausdruck wurde verschlossen. “Ich soll meine Frisur ändern? Wieso?” Richard schnaufte tief durch. “Frau Plenske. Das beste Mittel, einen Mann zu vergessen, ist ein anderer Mann. Und den müssen wir erstmal anlocken. Ich bin sicher, dass sie viel mehr aus ihrem Typ machen können.” erklärte er, bewirkte damit jedoch nur, dass Lisa einen Schmollmund zog.

“Ich mag meine Frisur. Und David mag sie auch.” schmollte sie. Richard, der beides bezweifelte, verzog wie unter Schmerzen das Gesicht. “Ein Grund mehr, es zu ändern, oder?” Er zog eine Augenbraue hoch und sah Lisa intensiv an. Diese erwiderte seinen Blick einige Momente und schluckte dann. “Ok. Wahrscheinlich haben sie recht. Um wie viel Uhr soll ich da sein?” Lisa nahm die Visitenkarte wieder zu Hand und studierte sie. Das Salon lag in Mitte.

Richard stand auf. “Sehr schön. Sie werden es nicht bereuen, glauben sie mir. Ihr Termin ist um 13 Uhr. Und denken sie bitte daran, mich anzurufen, wenn sie fertig sind. Ich werde sie abholen.” Richards Tonfall ließ vermuten, dass das nicht alles war. “Was haben sie vor?” fragte Lisa nach. Richard lächelte. “Überraschung!” Damit ging er zur Tür und verließ Lisas Büro.

 

“Fertig?” fragte die junge Friseurin und legte bei Hände auf die Rückenlehne von Lisas drehbaren Stuhl, um sie zum Spiegel zu drehen. Sie war nervös, ob ihrer Kundin ihr neues Styling gefallen würde. Der Mann, der den Termin gemacht hatte, Richard von Brahmberg, hatte ihr und dem Make-Up-Artist genaue Anweisungen gegeben. Extreme Veränderungen sollten nicht stattfinden. Alles Künstliche sollte vermieden werden. Dinge wie Nagellack, insbesondere roten, wie auch knalliger Lippenstift hatte er kategorisch ausgeschlossen. Die Friseurin erinnerte sich, dass er etwas von “…keine zweite Sabrina” gemurmelt hatte.

Die Kundin war kein leichter Fall. Sie hatten ihren Haare eine Intensivkur verpasst und ihre Haare anschließend auf große Lockenwickler gedreht. Das Pony hatten sie angeschrägt. Der Make Up Artist hatte Lisa lediglich eine Foundation, einen leichten, goldenen Lidschatten, Mascara und Lipgloss verpasst. Trotzdem war die Veränderung enorm.

“Ja.” antwortete Lisa nervös und hielt die Augen geschlossen, als die Friseurin den Stuhl umdrehte. Dann öffnete sie vorsichtig die Augen und sah ihr Spiegelbild verblüfft an. “Wow…” sagte sie leise und beugte sich vor, um sich näher zu betrachten. Vorsichtig griff sie in ihre Haare, die nun in sanften Wellen über ihre Schultern fielen. Zum ersten Mal in ihrem Leben sah Lisa Glanz in ihren Haaren. Ihr Gesicht wurde durch das dezente Make-Up wunderschön zur Geltung gebracht, ohne künstlich zu wirken.

Das Geräusch von einzelnem Applaus lenkte Lisa von ihrem Spiegelbild ab. Sie sah Richard, der auf sie zukam und zufrieden lächelte, während er in die Hände klatschte. “Wunderschön. Ich wusste doch, dass das in ihnen steckt.” lobte er und Lisa wurde rot. “Gefällt es ihnen?” fragte die Friseurin aufgeregt. Immerhin hatte er ihr den Auftrag erteilt. Als Antwort zückte Richard seine Kreditkarte. “Buchen sie 20% Trinkgeld mit ab.”

Während Lisa noch verblüfft der Friseurin nachsah, die aufgeregt mit der Kreditkarte zur Kasse gelaufen war, hielt Richard ihr seine Hand hin. Lisa ergriff sie und stand auf. Lächelnd musterte Richard sie und Lisa bemerkte irritiert, dass sein Blick sie nervös machte. “Drehen.” bat er und Lisa kam dem nach. “Einfach hinreißend.” urteilte Richard zufrieden und Lisa wurde erneut rot. Richard legte eine Hand unter ihr Kinn und hob ihr Gesicht an, um ihr in die Augen zu sehen. “Das müssen sie sich abgewöhnen, Frau Plenske.” sagte er leise.

Der Blick aus seinen Augen war so intensiv, dass Lisa Herzklopfen bekam. “Es ist zwar ausgesprochen süß, wenn sie rot werden, aber sie müssen lernen, Komplimente als selbstverständlich hinzunehmen.” Automatisch dachte Lisa daran, dass David etwas Ähnliches zu ihr gesagt hatte, als er mit ihr das Flirten für die Verhandlungen für Blum trainiert hatte. “Ich versuch’s.” sagte sie leise.

In diesem Moment kam die Friseurin mit Richards Kreditkarte zurück. “Vielen Dank, Herr von Brahmberg. Ich hoffe, sie waren vollauf zufrieden.” Richard hielt Lisa seinen Arm hin, damit sie sich einhaken konnte und sah sie lächelnd an. “Das bin ich.”

Richard führte Lisa aus dem Salon, vor dem sein dunkler Jaguar parkte. Bereits bei den wenigen Schritten zum Auto drehten sich einige Männer nach Lisa um. Richard schmunzelte, als er Lisa die Beifahrertür aufhielt. “Wo fahren wir hin?” fragte sie, als Richard ebenfalls eingestiegen war. “Sie sehen wundervoll aus. Nur eins stört jetzt noch: Ihre Brille. Und deshalb fahren wir jetzt zu einem Optiker.” antwortete Richard und ließ den Motor an.

 

9
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Herr von Brahmberg!” begrüßte der Optiker Richard freudestrahlend und kam ihnen durch das Ladenlokal entgegen, um ihm die Hand zu schütteln. Dann sah er Lisa lächelnd an. “Frau von Brahmberg?” fragte er und deutete einen Handkuss an. Richard lachte amüsiert, während Lisa rot wurde. “Nein nein, das ist Frau Elisabeth Plenske, Mehrheitseignerin von Kerima Moda.” klärte er den Mann auf. Dieser starrte Lisa ehrfurchtsvoll an. “Kerima Moda…entschuldigen sie vielmals, liebe Frau Plenske, ich habe angenommen, dass sie…” Er deutete mit der offenen Hand auf Richard. Lisa lachte. “Nein, nein, wir sind nur Kollegen.”

“Wir würden gerne einige Brillen ansehen, für Frau Plenske.” erklärte Richard und sein Ton machte klar, dass er sich keinesfalls irgendeinen Schund von dem Optiker andrehen lassen würde. Lisa grinste innerlich. Wo immer Richard auftauchte, es war überall dasselbe. Während Richard weitersprach, gingen die drei zu einem der kleinen Tischchen, die im Raum verteilt waren. An allen Wänden hingen Brillengestelle.

“Das Modell, das Frau Plenske jetzt trägt…” Richard sah Lisa an. “Ist ja etwas….retro. Wir brauchen etwas, das ihre Schönheit unterstreicht, das nicht von ihren strahlenden, blauen Augen ablenkt.” Lisa wäre am liebsten unter dem Teppich versunken. Erst vor Peinlichkeit, als Richard ihre Brille als “retro” bezeichnete - sie wusste genau, was er eigentlich sagen wollte: Total daneben! Dann, als er ihr diese Komplimente machte - meinte er das etwa ernst?? Bislang hatte sie Richard nicht gerade als Charmeur erlebt.

Der Optiker lächelte Lisa gewinnend an. “Das dürfte nicht schwer sein. Wir finden da bestimmt etwas Schönes für sie, Frau Plenske.” Er bat Lisa und Richard, an einem der Tische Platz zu nehmen und sah Lisa dann einige Augenblicke von der anderen Seite des Tisches aus prüfend ins Gesicht, um dann zielsicher mindestens 10 Brillengestelle von den Ständern an den Wänden zu holen.

“Darf ich?” Richard lächelte den Optiker an, als dieser das Tablett mit den Gestellen brachte, doch es war klar, dass dies eine rein rhetorische Frage war. Richard schaute sich die Auswahl kurz an und griff dann nach dem ersten Modell. Lisa setzte sich so, dass sie Richard ansah und zog ihre Brille ab. Vorsichtig setzte Richard ihr das Modell auf, sah sie kurz prüfend an und beugte sich dann zurück, um sie anzusehen.

Da in dem Gestell lediglich Fensterglas war, konnte Lisa Richard nicht richtig erkennen und auch seinen Gesichtsausdruck nicht deuten. Fragend zog sie eine Augenbraue hoch und lächelte. Richard beugte sich wieder vor und jetzt konnte Lisa ihn auch wieder klar erkennen. Richard legte zwei Finger unter ihr Kinn und hob es an, um ihr besser in die Augen schauen zu können. Und das tat er. Lange. Intensiv. Richard dachte scheinbar gar nicht daran, den Blick wieder abzuwenden und langsam wurde Lisa nervös. Unruhig rutschte sie auf ihrem Stuhl hin und her. “Und?” krächzte sie.

Richard wandte den Blick immer noch nicht von ihr ab, auch hielt er immer noch ihr Kinn. “Nein.” sagte er lediglich und zog ihr das Gestell wieder aus. Dabei streiften seine Fingerspitzen wie zufällig Lisas Wangen und zu ihrem Erstaunen schauderte sie kurz. Es war jedoch kein unangenehmes Schaudern, was Lisa noch mehr verwirrte.

Richard legte das Gestell weg und griff nach dem nächsten. Bevor er es Lisa aufsetzte, strich er ihr sanft eine Haarsträhne hinters Ohr. Lisas Kopfhaut kribbelte und sie steckte beide Hände zwischen ihre Knie, während Richard ihr das Gestellt aufsetzte. Wieder beugte er sich erst zurück, dann wieder vor, um ihr in die Augen zu sehen.

Sein intensiver Blick ließ Lisa unbewußt die Luft anhalten. Erst, als ihr Herz bedenklich schwer schlug, fiel ihr auf, dass sie nicht mehr atmete und sie holte tief Luft. Richard sah sie bestimmt eine volle Minute unverwandt an und Lisa bezweifelte, dass er beurteilen konnte, ob ihr die Brille stand oder nicht, wenn er ihr lediglich in die Augen schaute und nicht ihr gesamtes Gesicht ansah. “Nein.” urteile Richard wieder, zog ihr die Brille ab und griff nach dem nächsten Modell.

So wurden auch die nächsten 7 Modelle abgeurteilt, wobei Richard jedes Mal unendlich lange zu brauchen schien, um seine Meinung zu fällen. Lisa hatte langsam das Gefühl, direkt neben einer Heizsonne zu sitzen, je länger Richard sie ansah, desto schlimmer wurde es. Richard hingegen war völlig cool. In seinem Gesicht spiegelte sich nicht eine Regung, sie konnte nicht in seinen Augen lesen, egal, wie lange er sie ansah.

Erst bei dem letzten Modell, einer randlosen Brille mit dünnen Metallbügeln, nickte Richard schließlich. “Das ist es.” sagte er zufrieden. Der Optiker griff nach einem großen, goldenen Handspiegel, der auf dem Tisch lag und reichte ihn Lisa. Diese sah mit zusammengezogenen Augenbrauen hinein. So richtig konnte sie nicht was erkennen und schon gar nicht beurteilen, ob ihr die Brille stand oder nicht.

Richard bemerkte ihr ratloses Mienenspiel amüsiert und schob mit einer Hand den Spiegel zur Seite. “Glaub mir, sie steht dir. Ganz ausgezeichnet sogar.” versicherte er. Als er ihr jetzt in die Augen sah, lächelnd, nahm er für einen kurzen Moment seine unsichtbare Maske ab. Lisa sah ihn fasziniert an. Es lag soviel Gefühl in Richards Blick, dass es sie gefangen nahm. Dieses Mal war sie es, die den Blick nicht anwandte, nicht abwenden konnte, sie war wie gebannt. “Meinst du?” hörte sie sich schließlich selber murmeln.

Dann riß sie sich zusammen und schüttelte den Kopf. “Äh, ich meine, sie, meinen sie?” korrigierte sie sich. Richard nickte lächelnd. “Die nehmen wir.” entschied er und griff in die Innentasche seines Jacketts, um erneut seine Brieftasche zu zücken. “Halt, ich zahle! Und sie müssen mir noch sagen, was sie für den Friseur und den Kosmetiker bezahlt haben.” sagte Lisa.

Richard beachtete sie gar nicht und reichte dem Optiker seine Karte. “Ich zahle.” sagte er dann bestimmt zu Lisa. “Aber…!” Noch bevor Lisa die richtigen Worte fand, um zu protestieren, legte Richard ihr sanft seinen Zeigefinger auf die Lippen und sah sie eindringlich an. “Auch das müssen sie lernen, Frau Plenske - nehmen sie Geschenke an, lassen sie sich einladen. Das sollten sie einem Mann schon wert sein.” Er lächelte gerissen.

Die Berührung an ihren Lippen verwirrte Lisa so sehr, dass sie ihn nur mit großen Augen ansehen konnte. “Ok…” meinte sie schließlich, als er ihre Lippen wieder freigab. Der Optiker hatte derweil den Bestellschein ausgefüllt und reichte Richard den Durchschlag. “Die Brille wird in etwa 3 Tagen fertig sein.”

“In Ordnung.” Richard stand auf und hielt Lisa den Arm zum Einhaken hin. “Und wir gehen jetzt noch eine Kleinigkeit essen im Wolfhardts.” beschloss er.

 

10
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Ist das zu fassen?! Richard! Richard war bei ihr im Krankenhaus, während ich ein ungebetener Gast war…!” Sauer sah David Max an. Die beiden saßen im Wolfhardts an der Bar. Eigentlich hatten sie nach Feierabend noch was zusammen essen wollen, doch bis jetzt hatten sie es nur bis zu einem Aperitif geschafft: Whiskey.

Max sah David an und verzog das Gesicht. “Was erwartest du, David. So, wie ich das verstanden habe, stand Lisas Selbstmordversuch in direktem Zusammenhang damit, dass sie dich mit diesem Model in deinem Büro erwischt hat.” Er sah David von der Seite an, der trübsinnig in seine Wiskeyglas starrte.

“Und ganz ehrlich, ich kann Lisa schon verstehen. Ich meine, sie gesteht dir ihre Liebe, rechnet sich Chancen aus, weil du endlich nicht mehr mit Mariella zusammen bist und du? Du reagierst gar nicht darauf und stattdessen poppst du wie eh und je in deinem Büro mit irgendwelchen Mädels. Du hast dich nicht gerade sensibel oder rücksichtsvoll verhalten, David.”

David drehte den Kopf weg und umklammerte sein Glas mit beiden Händen. “Ja ja…ich weiß ja…ich hab mich verhalten wie ein Arsch. Aber deswegen will ich es ja wieder gutmachen! Das alles…hat mir die Augen geöffnet!” deutete er an. Max zog beide Augenbrauen fragend hoch. “Das heißt was…?”

David sah seinen besten Freund ernst an. “Ich dachte immer, ich könne nicht mit Lisa zusammen sein, sie sei nur meine beste Freundin. Aber jetzt, nachdem ich sie fast für immer verloren hätte…jetzt weiß ich, dass sie mir so viel mehr bedeutet!”

In Max’ Gesicht spiegelte sich unendliche Überraschung. “Wie bitte? Das ist doch jetzt nicht dein Ernst!” Abschätzig sah er David an. “David…wo sollen denn diese Gefühle für Lisa Plenske auf einmal herkommen?!” sagte er nach einigen Augenblicken, in den David nichts gesagt hatte.

“Sie sind nicht auf einmal da…ich hab sie nur nicht wahrgenommen!” verteidigte dieser sich jetzt. Doch Max winkte ab. “Ist doch Quatsch. Du hast ein schlechtes Gewissen, das ist alles!” vermutete er, doch David schüttelte langsam den Kopf. “Nein. Du weißt doch: Man weiß erst, was man hat, wen man es verliert. Zum Glück hat Richard Lisa rechtzeitig gefunden.” sinnierte er.

“Na dann kannst du ihm ja gleich persönlich danken.” sagte Max trocken und sah zum Eingang. “Was? Wieso?” Max nickte in Richards Richtung. “Da ist er. In weiblicher Begleitung. Kennst du die?” Neugierig drehte David sich um und erstarrte. Besorgt sah Max ihn an. “Was? Was ist denn? Kennst du die?”

“Bist du blind?!” fuhr David ihn an. “Das ist Lisa!”

Richard entdeckte Max und David im selben Augenblick, als er Lisa ihren Mantel abnahm. Diese stand zum Glück gerade mit dem Rücken zum Raum, so dass sie Max und David nicht sehen konnte. Richard gab Lisas Mantel an den Garderobier weiter und lächelte sie freundlich an. “Entschuldigen sie bitte. Bleiben sie einen kurzen Augenblick hier. Ich komme sofort wieder.” bat er.

Lisa wusste zwar nicht, was er vorhatte, nickte aber. Richard ging in das Nobelrestaurant hinein und als sie ihm nachsah, erkannte Lisa, wohin er ging. Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus, als sie David neben Max an der Bar sitzen sah. Richard steuerte direkt auf die beiden zu. “Oh nein…” murmelte Lisa und drehte sich weg. Sie wollte David auf keinen Fall begegnen.

“David. Würdest du bitte das Wolfhardts verlassen.” sprach Richard seinen Halbbruder ohne Umschweife an. Dessen Gesichtsausdruck wurde bei Richards befehlsmäßigen Ton widerwillig. “Wieso sollte ich. Gehört dir etwa jetzt das Restaurant?” blaffte er seinen Halbbruder an.

Richard steckte beide Hände in seine Hosentaschen und sah David ernst an. “Nein. Aber ich möchte hier mit Lisa in Ruhe essen. Und du weißt, dass sie dich nicht sehen möchte. Du wirst doch sicher noch eine andere Lokalität finden, in der ihr euren Feierabend-Whiskey trinken könnt.” sagte Richard mit einem Blick auf die Gläser auf dem Tresen.

David sah an Richard vorbei zu Lisa. Diese hatte sich von ihnen abgewandt. “Ich glaube dir kein Wort, Richard. Lisa ist meine beste Freundin. Wenn sie mich nicht sehen möchte, soll sie mir das selbst sagen.” Richards Gesichtsausdruck wurde angespannt. Max sah ihn nervös an. Er hatte den Eindruck, dass Richard seinem Bruder am liebsten eine reingehauen hätte.

“Wag es nicht, an unseren Tisch zu kommen oder Lisa anzusprechen. Ich warne dich.” Richards Stimme ließ keinen Zweifel daran, dass er es todernst meinte. David erwiderte nichts mehr und drehte sich wieder zur Bar um. “Was bildet der sich ein…” nuschelte er, als Richard weg war.

“Keine Angst. Er wird sie in Ruhe lassen.” versuchte Richard zu Lisa beruhigen, als er sie am Eingang abholte. Ihm war ihr nervöser Blick zu David nicht entgangen. “Kommen sie.” sagte er sanft und hielt ihr seinen Arm zum einhaken ein. “Und denken sie daran: Sie sind schön. Ihnen gehört Kerima Moda, ein weltweit operierendes Modeunternehmen. Sie haben allen Grund, selbstbewusst zu sein.”

Lisa holte tief Luft und straffte die Schultern. Dann nickte sie und betrat mit Richard das Restaurant, wo die Kellnerin sie an ihren Tisch begleitete. Richard zog Lisa einen Stuhl heraus und sie setzte sich so, dass sie David den Rücken zuwandte. Die Kellnerin reichte ihnen die Karte. “Darf es schon etwas zu trinken sein?” fragte sie höflich.

Richard sah Lisa fragend an. “Ein Wasser für Frau Plenske?” bestellte er und Lisa nickte. “Und zwei Glas Champagner bitte.” Mit einem “Sehr wohl.” verschwand die Kellnerin und Lisa sah Richard fragend an. “Champagner? Haben wir was zu feiern?” Richard lächelte sie an. “Sogar sehr viel. Die neue, selbstbewusstere und bezaubernde Lisa Plenske.” Verlegen senkte Lisa den Blick, konnte jedoch ein Lächeln nicht unterdrücken. “Außerdem soll er ihre Nerven etwas beruhigen und…”

In diesem Moment erschien die Kellnerin mit einem kleinen Tablett, auf dem zwei Champagnergläser standen. Richard nahm diese dankend entgegen. “Wir brauchen den Champagner, um anzustoßen, wenn ich ihnen gleich das “du” anbiete.” “Oh!” überrascht sah Lisa ihn an und nahm ihr Glas Champagner entgegen.

“Richard!” sagte er und hielt ihr sein Glas zum Anstoßen hin. “Lisa!” erwiderte sie. “Auf dich, Lisa.” lächelte Richard und stieß mit ihr an. Beide tranken einen Schluck. Dann stellte Richard sein Glas weg und winkte Lisa dann mit zwei Fingern zu sich heran. Fragend sah Lisa ihn an. “Brüderschaftskuss!” sagte er ruhig. Lisa wurde rot, stand aber leicht auf, um sich über den Tisch hinweg zu ihm rüber zu beugen.

Richard sah kurz zur Theke hinüber und wie er vermutet hatte, ließ David ihn und Lisa nicht aus den Augen. Er legte zwei Finger unter Lisas Kinn, beugte sich vor und berührte ihre Lippen mit seinen.

Es war, als führe ein Stromstoß durch Lisas Körper. Niemals hätte sie erwartet, dass Richard von Brahmberg so zärtlich küssen konnte. Seine Lippen waren warm und weich und er legte sie unendlich sanft auf ihre. Richard löste sich kurz von ihr, um ihr gleich darauf einen weiteren Kuss auf die Lippen zu hauchen. Dann löste er sich endgültig von ihr.

Verlegen über ihre eigenen Gefühle senkte Lisa den Blick und spielte mit ihrer Serviette. Und das alles vor Davids Augen….wie peinlich!!

Richard sah erneut hinüber zu David. Dessen Gesichtsausdruck war mühsam beherrscht und Richard lächelte. Er konnte sich vorstellen, dass David am liebsten zu ihnen rüberkommen kommen würde, um ihm mindestens zwei Zähne auszuschlagen.

Provokant hob sein Champagnerglas und prostete David ironisch lächelnd zu. Dieser wandte sich ruckartig ab.

Max fiel förmlich die Kinnlade herunter, als er sah, wie Richard und Lisa miteinander anstießen und sich anschließend küssten. Aufgeregt legte er David eine Hand auf dessen Unterarm und beugte sich zu ihm hinüber. “Sag mal…läuft da was zwischen den beiden oder wie?!” fragte er ungläubig.

Stocksauer sah David ihn an. “Was weiß ich denn!” fauchte er eine Spur zu laut. Mehrere Gäste sahen böse zu ihnen hinüber. “Lisa küsst ja nicht jeden, zieh deine eigenen Schlüsse!” David stand auf und feuerte einen 50 € Schein auf den Tresen. “Ich verschwinde!” Mit diesen Worten verließ er eilig das Restaurant, ohne Richard und Lisa noch einen Blick zu gönnen.

 

11
Am nächsten Tag stand David lauernd an der Tür seines Büros und linste durch die Lamellen. Er wusste, dass Richard noch einen Außentermin hatte und wartete darauf, ihn zum Aufzug gehen zu sehen. Für den Fall, dass er ihn verpasste, hatte er seine Assistentin gebeten, ihm Bescheid zu geben, sobald Richard das Haus verließ.

Nervös tigerte David in seinem Büro auf und ab. Der Zeiger der Uhr schien wie festgeklebt zu sein. Als sein Telefon klingelte, hechtete David zum Schreibtisch. “Ja?” “Herr Seidel, Herr von Brahmberg steigt gerade in den Aufzug.” “Endlich. Danke.” David legte auf und schloß kurz die Augen, um sich zu sammeln. Er ließ seine Schultern kreisen, legte den Kopf kurz in den Nacken und verließ dann entschlossen sein Büro, um ebenfalls zu den Aufzügen zu gehen.

Zappelig stieg er in der 14. Etage aus, ging zu Lisas Büro und klopfte an. “Ja?” hörte er sie dumpf von innen. Ohne weiter darüber nachzudenken öffnete David die Tür. Er sah, wie Lisa alle Gesichtszüge entglitten, als sie ihn erkannte. “David….!” Sie klang beinahe entsetzt.

Als er in ihr Büro trat, rollte Lisa mit ihrem Bürostuhl zurück, als wolle sie Abstand zu ihm wahren. “Hallo Lisa…hast du ein paar Minuten Zeit?” begann David unsicher. Lisa sah ihn panisch an. “Hat Richard dir nicht Bescheid gesagt? Wenn du mit mir reden willst, wende dich bitte an ihn.”

Davids Blick wurde verzweifelt. “Er hat es mir gesagt. Aber ich habe es ihm nicht geglaubt. Lisa, das kann doch nicht wirklich dein ehrlicher Wunsch sein!” Lisa erwiderte seinen Blick fest. “Doch, David. Es ist sogar mein ausdrücklicher Wunsch. Ich wäre sehr froh, wenn wir uns eine ganze Zeit überhaupt nicht sehen oder sprechen würden. Sofern das möglich ist.”

Fassungslos trat David einige Schritte näher zu ihrem Schreibtisch. Fast schon panisch sprang Lisa aus ihrem Stuhl und wich bis zu ihrem Fenster zurück. “Lisa, ich glaub das einfach nicht! Weißt du denn nicht mehr, wie nahe wir uns waren…?”

Verletzt sah Lisa ihn an. “Waren wir das wirklich, David? War es nicht vielmehr so, dass ich dich geliebt habe und ich im Gegenzug für dich immer nur recht nützlich war? Sei es, um deine Affären vor Mariella zu vertuschen, Mariella wieder mit dir zu versöhnen, um heimlich B.Style zu gründen oder sonst was. Du hast dich und die Firma immer in die Sch*** geritten und ich durfte es dann wieder richten. Dann war ich wieder die ‘liebe Lisa’, deine ‘beste Freundin’ - die du leider nie lieben könntest.”

Lisas Blick wurde verbittert. “Und weil das so war, poppst du irgendwelche Models in deinem Büro, als würde ich nicht existieren. Wahrscheinlich war ich für dich in diesem Moment auch nicht existent, weil ich dir nämlich in Wahrheit total egal bin!” Lisas Stimme war schrill geworden und Tränen liefen über ihre Wangen.

David wollte näher zu ihr gehen, doch Lisa hob einen Arm, um ihn aufzuhalten. “Stop! Bleib wo du bist!” forderte sie ihn panisch auf. Widerwillig blieb David stehen. Er wusste sich nicht zu helfen. “Lisa, ich weiß, ich habe gedankenlos gehandelt, ich bin eben ein egoistischer Arsch.” redete er auf sie ein.

Lisa sah ihn nur an, widersprach ihm nicht. “Wenn ich gewusst hätte, vorher gewusst hätte, dass du das mitbekommen würdest…” David schüttelte den Kopf. “Dann hätte ich doch nie….!”

Lisa gab ein ironisches Lachen von sich. “Es war ja auch so wahnsinnig unwahrscheinlich, dass ich noch im Haus sein würde. David, wenn du nur einmal im Leben an jemand anderen denken würdest als dich und dein Vergnügen….” Verächtlich sah sie ihn an. “Du wusstest, was ich für dich empfinde. Du hättest dir an zwei Fingern abzählen können, dass zumindest die Möglichkeit bestand, dass ich auch noch in der Firma war. Aber nein, es war ja so schön praktisch!”

Die Tränen nahmen Überhand und hinderten Lisa am weiterreden. Mühsam schluckte sie und biß sich auf die Unterlippe, um die Tränen zurückzukämpfen. David, der völlig hilflos wirkte, sah sie nur stumm an. Er wusste nicht, wie er Lisa klarmachen sollte, wie gänzlich anders er nunmehr die ganze Situation zwischen ihnen sah, dass er sich heute nicht mal mehr annähernd so verhalten würde. Er sah, wie verletzt Lisa war und er sah momentan keine Chance, zu ihr durchzudringen.

“Es war dir egal, David, ich war dir egal.” sagte Lisa mit tonloser Stimme. “Und jetzt leb bitte mit den Konsequenzen.”

In diesem Moment klopfte es kurz an Lisas Bürotür und bevor sie noch “Herein” sagen konnte, trat Richard ein. Sein Gesichtsausdruck wandelte sich zu Stein, als er seinen Halbbruder in Lisas Büro sah. Ertappt sah David ihn an. “Was tust du hier!” zischte Richard und war mit wenigen Schritten bei David, um ihn am Arm zu packen. “Hab ich mich nicht klar ausgedrückt?! Laß Lisa in Ruhe! Raus hier, aber sofort!” brüllte er.

Ohne nennenswerte Gegenwehr ließ David sich von Richard zur Tür führen. Dort drehte er sich jedoch noch einmal zu Lisa um. “Lisa, es tut mir alles so leid, bitte, verzeih mir!” bettelte er. Weinend sah Lisa ihn an, erwiderte jedoch nichts. Richard stieß ihn aus Lisas Büro und schloß von außen die Tür. Lisa ließ sich erschöpft in ihren Stuhl fallen und legte ihr Gesicht in ihre Hände. Draußen hörte sie, wie Richard David anbrüllte. Nach einer kurzen Weile wurde es still, dann hörte sie ihre Tür klappen und jemand kam herein. Lisa sah nicht auf.

Richard trat neben Lisas Stuhl und hockte sich neben sie. Besorgt sah er sie an. Sie wirkte wie ein Häufchen Elend, wie sie zusammengesunken in dem Sessel hing und ihr Gesicht hinter ihren Händen verborgen hielt. “Es tut mir leid, Lisa…” sprach er sie leise an und legte eine Hand auf ihren Oberarm. Lisa reagierte nicht.

Richard stand auf und umschloss ihre Handgelenke mit beiden Händen. Sanft zog er ihre Hände von ihrem Gesicht weg und sah sie traurig an. Lisa sah ihn dermaßen verzweifelt und traurig an, dass sich sein Herz schmerzhaft zusammenzog. “Komm her.” sagte er leise und zog sie an sich. Ohne zu zögern ging Lisa auf die Umarmung ein und schmiegte sich schluchzend an ihn. Richard legte seine Arme um sie und stützte sein Kinn auf Lisas Scheitel. Ihre Wange ruhte an seiner Brust und er spürte, wie ihre Tränen sein Hemd durchdrangen.

 

“Es tut mir so leid, Lisa. Ein Glück bin ich noch mal zurückgekommen, weil ich was vergessen hatte. Ich verspreche dir, dass so etwas nicht noch mal vorkommen wird.” versuchte er sie zu trösten und strich vorsichtig über ihren Rücken und ihre Haare.

“Ich hasse ihn.” weinte Lisa leise. ‘Das tust du nicht.’ dachte Richard traurig. Er wünschte, es wäre so, dann wäre Lisa schon halb über den Berg. Aber die Intensität, in der sie David immer noch verletzen konnte, sprach Bände zu ihm. Sie standen noch ganz am Anfang. “Ich weiß.” sagte er leise und drückte sie an sich. “Ich fürchte, ich hab mich nicht klar genug ausgedrückt. Ich werde ihm noch mal in aller Deutlichkeit klarmachen, dass er dich in Ruhe zu lassen hat.” Grimmig sah Richard ins Leere.

Schniefend löste Lisa sich von ihm. “Ich hab ihm das auch noch mal gesagt. Vielleicht hält er sich ja jetzt daran, wo er weiß, dass es wirklich mein eigener Wunsch ist.” Besorgt sah Richard sie an. Er konnte nur hoffen, dass Lisa Recht behielt. Ungern würde er zu drastischeren Mitteln gegenüber David greifen, denn er wusste, dass es Lisa nicht recht sein würde.

Lisa wischte sich mit dem Handrücken die Tränen von den Wangen. Ihr Mascara war über beide Wangen verteilt. “Warte.” sagte Richard lächelnd und holte ein sauberes Taschentuch aus seiner Jackettinnentasche. Damit säuberte er sanft Lisas Gesicht und nahm dann ihr Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger, um sie zu betrachten. “Wieder so schön wie eh und je.” urteilte er dann und entlockte Lisa ein Lächeln.

Richard lachte. “Und lächeln kann sie auch wieder. Meinst du, ich kann dich alleine lassen? Der Termin mit Reichenberger…” Fragend sah er sie an, doch Lisa nickte. “Ja. Ich komm schon klar und du bist jetzt schon zu spät.” Forschend sah Richard ihr ins Gesicht, ob sie auch wirklich meinte, was sie sagte. Dann nickte er. “Ich beeil mich auch.” versprach er.

Lisa lächelte. “Ich pass schon auf mich auf.” Richard erwiderte ihr Lächeln und ging dann zur Tür. Dort drehte er sich noch einmal um. “Meine Handynummer hast du? Für den Notfall…” Lisa setzte sich und lächelte Richard beruhigend zu. “Ich glaube nicht, dass David sich heute noch mal in meine Nähe wagen wird.” “Ich will es ihm raten!” knurrte Richard. Dann zwinkerte er ihr zu und verließ ihr Büro. Lächelnd sah Lisa ihm nach.

 
 

12
Tatsächlich hielt David sich in den nächsten Tagen zurück. Ob Zufall oder nicht, sie begegneten sich nicht mal bei Kerima, worüber Lisa mehr als froh war. Die ersten ein, zwei Tage war sie noch angespannt gewesen, hatte förmlich darauf gewartet, dass David sie doch wieder ansprechen würde. Doch als nichts geschah, entspannte sie sich langsam. Sie spürte förmlich, wie sich ihr Speicher langsam aber sicher wieder etwas auflud. Sie konnte sich wieder besser konzentrieren, lachte wieder öfter und verspürte wieder mehr Tatendrang.

Vielleicht hatte auch Richards kleine Aufmerksamkeit etwas damit zu tun. Eines Morgens war sie in ihr Büro gekommen und hatte eine Schachtel Melissentee auf ihrem Schreibtisch gefunden. Darauf ein großes Post-It: “Für Deine Nerven. Jeden Tag eine Tasse. Versprochen? Richard” Lächelnd hatte Lisa den Post-It vorsichtig abgelöst, die Schachtel geöffnet und Richards Nachricht innen an den Deckel geklebt, bevor sie den ersten Teebeutel herausnahm.

An diesem Morgen saßen sie und Richard wieder einmal zusammen und besprachen die Termine für die nächsten Tage. “Ab Freitag wird David erstmal weg sein.” sagte Richard ernst und sah von seinem Planer auf. “Fashion Week in London.” Lisa nickte. Das hatte sie tatsächlich in dem ganzen Trubel vergessen. ‘Seltsam.’ dachte sie. ‘Noch vor zwei Wochen wäre ich zu Tode betrübt gewesen, David eine ganze Woche nicht zu sehen und jetzt….kommt es mir wie die reinste Erholung vor.’

“Lisa?” fragend sah Richard sie an. “Alles o.k.?” Lisa riß sich aus ihren Gedanken und sah ihn an. Als sie seinen besorgten Blick bemerkte, lächelte sie. “Ja, alles bestens. Wirklich.” Richard klappte seinen Planer zu. “Es war doch ruhig die letzten Tage, oder?” erkundigte er sich. Lisa nickte. “Ja, absolute Funkstille. Ganz wie gewünscht.” lächelte sie. Richard lächelte sein typisches grimmiges Lächeln. “Dann hat meine Ansage ja doch noch etwas genützt.” sagte er zufrieden und zog eine Augenbraue hoch.

Richard sammelte seine Unterlagen zusammen und stand auf. “Hast du Lust, mich heute zum Mittagessen ins Wolfhardts zu begleiten?” fragte er. Lisa nickte. “Ja. Gerne.”

 

“Noch einen Espresso bei Agnes?” fragte Richard, als sie nach dem Essen im Wolfhardts am Mittag den Aufzug bei Kerima betraten. Zögernd sah Lisa ihn an. “Keine Sorge, David hat heute Nachmittag Außentermine.” beruhigte er sie. “Dann gerne.” lächelte Lisa und Richard drückte die 13. Normalerweise vermied Lisa es, sich auf der 13. Etage aufzuhalten, wenn es ging. Die Gefahr, David über den Weg zu laufen, war einfach zu groß.

Als sie aus dem Aufzug traten, zeigte Natascha, die neue Empfangsdame, auf Lisa. “Das ist Frau Plenske.” sagte sie zu dem Blumenboten, der vor ihrem großen Schreibtisch stand. Der junge Mann ging zielstrebig auf Lisa zu. “Frau Plenske? Für sie!” mit diesen Worten drückte er ihr einen riesigen Strauß Tulpen in die Hand. “Und die Karte. Schönen Tag noch!” Er tippte sich an die Mütze und verschwand.

Verdattert sah Lisa ihm nach, in der einen Hand die Karte, in der anderen die Blumen. Zornig starrte Richard den Strauß an. Ihm schwante nichts Gutes. “Laß uns erstmal zum Catering gehen.” sagte er beherrscht zu Lisa und fasste sie am Ellbogen, um sie zu Agnes zu führen, wo sie beide je auf einem der Barhocker Platz nahmen.

“2 Espresso bitte.” bestellte er bei Agnes. “Und eine Vase.” fügte Lisa hinzu. Lächelnd sah Agnes auf den Strauß Tulpen. “Wow, wer schickt dir denn so einen schönen Strauß?” “Das werden wir gleich herausfinden.” murmelte Lisa und öffnete das Kuvert der Karte. Richard beobachtete sie aufmerksam, als Lisa die Karte aufklappte und las. Ihm entging nicht, dass ihr Gesichtsausdruck trauriger wurde.

Ihr Blick war bedrückt, als sie aufsah und ihn anschaute. Wortlos reichte sie ihm die Karte. “Lisa, bitte glaube mir, wenn ich könnte, würde ich alles ungeschehen machen, womit ich Dir jemals wehgetan habe. Laß uns bitte reden, wenn ich aus London zurück bin. David.”

Richard presste die Lippen zusammen und beherrschte sich, die Karte nicht augenblicklich zu zerknüllen. Er wollte vor Lisa nicht ausrasten, das letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte, war noch mehr Aufregung.

“So, die Vase.” Beschwingt stellte Agnes eine mit Wasser gefüllte Vase auf den Tresen und stellte den Strauß hinein. “Agnes, stell die Blumen bitte woanders hin.” sagte Richard mit gepresster Stimme. Lisa hielt den Kopf gesenkt und sagte nichts, als Agnes sie fragend ansah. “Woanders?” “Irgendwohin, Hauptsache nicht in….unserer Nähe!” zischte Richard.

Agnes verstand zwar nicht, worum es ging, griff jedoch trotzdem nach der Vase und brachte die Blumen weg. Besorgt sah Richard zu Lisa. Diese starrte auf den Tresen und zerpflückte eine Serviette in den Händen. ‘Kann er sie nicht einfach in Ruhe lassen!’ dachte Richard wütend und ballte in der Hosentasche seine Hand zur Faust . Er konnte David nicht verstehen. Wieso bohrte er immer wieder in Lisas Wunde herum?! Gerade, nachdem sie wieder etwas zur Ruhe gekommen war. Hatte er ihr denn nicht schon genug angetan?

“Lisa.” sprach er sie an und legte eine Hand auf ihren Unterarm. “Komm, ich fahre dich nach Hause. Du mußt mal raus aus dem Trubel hier. Mach dir einen ruhigen Nachmittag. Leg dich hin oder geh was spazieren.” Gequält sah Lisa ihm in die Augen. “…muß noch arbeiten.” murmelte sie kaum hörbar. Richard schüttelte den Kopf und stand auf. “Nein. Nichts ist so wichtig, als dass du jetzt bleiben müßtest. Komm.” Er hielt ihr seine Hand hin. “Ich fahr dich nach Göberitz.”

Lisa ergriff seine Hand und glitt von dem Barhocker. Ohne Widerstand zu leisten ließ sie sich zurück zum Aufzug führen. Sie fuhren bis hinab in die Tiefgarage, wo Richards Jaguar stand. Richard hielt ihr die Beifahrertür auf und Lisa ließ sich müde in den Sitz fallen. Die Fahrt nach Göberitz verlief schweigend.

Richard parkte vor Lisas Elternhaus, stellte den Motor ab und sah Lisa von der Seite an. “Wollen wir noch etwas spazieren gehen oder möchtest du allein sein?” fragte er. Lisa schnallte sich ebenfalls ab und lächelte ihn traurig an. “Sei mir nicht böse, aber ich glaube, ich möchte jetzt ein wenig allein sein. Nachdenken.” Richard erwiderte ihren Blick und nickte. “O.k. Aber nicht grübeln, hörst du? Das bringt nichts.” Lisa nickte lächelnd. “In Ordnung.”

Doch statt auszusteigen sah sie ihn nachdenklich an. Gerade, als Richard fragen wollte, was los sei, beugte sie sich überraschend vor und umarmte ihn. Perplex erwiderte Richard die Umarmung und genoss das warme Gefühl, das ihn durchströmte, als er realisierte, dass er Lisa in seinen Armen hielt. Er schloß die Augen und drückte sie leicht an sich. “Danke.” murmelte Lisa leise. “Wofür?” erwiderte Richard ebenso leise.

Zu seinem Bedauern löste Lisa sich wieder von ihm und sah ihm in die Augen. “Dafür, dass du die letzten Tage immer für mich da warst. Ich hätte nie gedacht, dass es mal so zwischen uns sein könnte.” Verlegen lächelte sie und biss sich auf die Unterlippe. Richard lächelte dünn und nickte. “Schon o.k.” Lisa spürte, dass ihm dieses Gespräch unangenehm wurde und griff nach ihrer Tasche. “Bis morgen bei Kerima.” verabschiedete sie sich. “Bis morgen.” erwiderte Richard leise und sah ihr nach, wie sie zur Haustür ging und schließlich im Haus verschwand. Richard startete den Motor und fuhr nachdenklich zurück zu Kerima.


13
R
ichard war kaum gestartet, als er beschloss, eine Weile einfach durch die Gegend zu fahren. Statt nach Berlin schlug er die entgegengesetzte Richtung ein und fuhr aus Göberitz hinaus auf die Landstraße.

Der Motor des Jaguars schnurrte. Richard drückte auf einen Knopf in dem Armaturenbrett aus Wurzelholz und eine Lade klappte lautlos hoch. Dahinter kam ein CD-Player zum Vorschein, auf dem Richard ohne hinzusehen mehrere Knöpfe betätigte, bis der Song, den er hören wollte, erklang.

Die Landstraße lag einsam vor ihm, kein Auto kam ihm entgegen. Entspannt fuhr Richard weiter. Mit etwa 100 Stundenkilometern rollte der Jaguar elegant die breite Straße entlang. Die Musik passte genau zu seiner Stimmung:

He broke your heart (Er hat dein Herz gebrochen)
He took your soul (er hat dir deine Seele genommen)
You're hurt inside (du bist innerlich verletzt)
'cause there´s a hole, (weil da nichts mehr ist)
You need some time to be alone, (du brauchst einige Zeit allein)
Then you will find what you´ve always known, (dann wirst du finden, was du immer wußtest)

I´m the one who really loves you baby, (ich bin derjenige, der dich wirklich liebt, Baby)
I've been knockin´ at your door, (ich habe an deine Tür geklopft)

As long as I´m livin´, (so lange ich lebe)
I´ll be waitin´, (werde ich warten)
As long as I´m breathin´, (so lange ich atme)
I´ll be there, (werde ich da sein)
Whenever you call me, (wann immer du mich rufst)
I´ll be waitin´, (ich werde warten)
Whenever you need me, (wann immer du mich brauchst)
I´ll be teere (ich werde da sein)

I´ve seen you cry (ich habe dich weinen gesehen)
Into the night, (in der Nacht)
I feel your pain, (ich spüre deinen Schmerz)
Can I make it right? (Kann ich es wieder gut machen?)
I realize there´s no end in sight, (ich verstehe, da ist kein Ende in Sicht)
Yet still I wait (immer noch warte ich)
For you to see the light (dass du das Licht siehst)

I´m the one who really loves you, baby (ich bin der, der dich wirklich liebt, Baby)
I can´t take it any more (ich kann es nicht mehr länger aushalten)

You are the only ohne (du bist die Einzige)
I´ve ever known (die ich jemals kannte)
That makes me feel this way, (die mich so fühlen läßt)
Couldn't on my own (kann nicht alleine)
I wanna be with you (ich möchte mit dir sein)
Until we´re old (bis wir alt sind)
You've got the love you need right in front of you (du hast die Liebe, die du brauchst, direkt vor dir)
Please come home (komm bitte heim)

(Songcredit: Lenny Kravitz, alle Rechte liegen bei L. Kravitz) 

Als Richard sich in dem Sitz bewegte, spürte er, wie etwas im Inneren des Jacketts ihn in die Brust stach. Er griff in die Innentasche und hielt Davids Karte in den Händen. Entschlossen drückte er auf den elektrischen Fensterheber und warf die Karte aus dem fahrenden Wagen.

 

Zur gleichen Zeit saß Lisa an ihrem Lieblingsplatz am Fenster ihres Zimmers und sah hinaus. Ihre Gedanken waren bei David, der im Moment auf dem Weg nach London sein dürfte. Die Blumen, die Karte - beides hatte sie nicht unberührt gelassen.

Gerade jetzt, wo sie sich die letzten Tage so gut gefühlt hatte, eben weil David sich so zurückgezogen und sie völlig in Ruhe gelassen hatte. Gequält verzog Lisa das Gesicht. Sie hasste das. Sie wollte sich nicht immer wieder dieselben Gedanken machen und doch tat sie es.

Jedes Mal, wenn David eine solche Aktion brachte, überlegte sie aufs Neue, ob er nicht doch etwas für sie empfand, das über Freundschaft hinaus ging. Ob sie nicht doch einen Fehler machte, wenn sie gerade jetzt nicht reagierte und auf stur schaltete.

Diese Gedanken machte sie sich auch jetzt, obwohl sie die Erfahrung gemacht hatte, dass sie damit jedes Mal falsch gelegen hatte. Egal, was David tat oder sagte: Es steckte nie das dahinter, was Lisa sich erhoffte. Es war schlicht bedeutungslos. Wahrscheinlich war es auch dieses Mal so. Lisa seufzte.

Sie konnte das nicht verstehen. Sie selbst würde so etwas niemals tun, wenn sie es nicht ernst meinen würde. Wieso tat David es dann?? Dachte er sich wirklich gar nichts dabei? Dachte er vor allem nicht mal daran, wie sie sich dabei fühlte? Offensichtlich nicht.

Ihr Handy, das Lisa in den Händen hielt, vibrierte kurz. Sie hatte es mit zu ihrem Platz genommen, weil sie anfangs darüber nachgedacht hatte, sich bei David mit einer sms zu bedanken. Den Gedanken hatte sie inzwischen jedoch verworfen.

Lisa sah auf das Display. Eine sms war eingegangen: „Hey, was hab ich gesagt? Nicht grübeln! Richard.“ Lisa lachte auf. „Woher weiß er….?“ sprach sie mit sich selbst und schüttelte grinsend den Kopf. Sie war wirklich froh, dass Richard sich um sie kümmerte. Auch, wenn ihr dieser Gedanke selbst noch fremd und komisch vorkam. Es war ungewohnt, Richard so zu erleben, doch er war ihr wirklich eine Hilfe. Er kannte David ziemlich gut und zudem war er ebenfalls ein Mann, der gut einschätzen konnte, warum David dieses oder jedes tat und sagte.

‚Er hat mir geraten, jeglichen Kontakt zu David zu meiden.‘ erinnerte Lisa sich und öffnete das Telefonbuch ihres Handys. ‚Und das werde ich auch tun…‘ Lisa suchte Davids Nummer und klickte auf ‚löschen‘. Ein Papierkorbsymbol erschien und Davids Nummer war Vergangenheit. Lisa lehnte ihren Kopf an die Wand hinter ihr und sah hinaus in den Garten. Sie war entschlossen, auf Richard zu hören und seinen Rat zu befolgen. ‚Leb wohl, David…‘

 

14
Zwei Tage darauf trat David aus dem Eingang des Hotels, in dem die aktuelle Modenschau gerade Pause machte. Seine Stimmung war bedrückt und er atmete tief die frische Luft ein. Dann griff er - wohl zum hundertsten Mal die letzten Tage - in seine Manteltasche, um sein Handy rauszuholen. Keine sms, kein verpasster Anruf. Auch seine Mobilbox hatte nichts Neues zu verkünden.

Davids Gedanken waren nahezu ausschließlich bei Lisa. Die Modenschauen nahm er kaum war und auf den After-Show-Partys schloß er tatsächlich nur Geschäfte ab. Keines der Modells hatte eine Chance bei ihm und viele seiner Stamm-Affären waren ziemlich beleidigt gewesen, doch das war ihm egal.

Wieso meldete Lisa sich nicht bei ihm? Sie mußte doch seine Blumen und die Karte bekommen haben. Das passte so gar nicht zu ihr. Wahrscheinlich steckte mal wieder Richard dahinter. Ein eifersüchtiger Stich fuhr in Davids Herz. Nie hätte er gedacht, dass ausgerechnet sein Halbbruder mal zwischen ihm und Lisa stehen würde. Was auch immer zwischen den beiden lief.

David senkte den Blick und schluckte bei der Vorstellung, dass die beiden tatsächlich ein Paar sein könnten. Er mußte unwillkürlich an die Szene im Wolfhardts denken, wie die beiden sich geküsst hatten und Richard ihm danach zugeprostet hatte. Sein Grinsen hatte doch alles gesagt…

Wahrscheinlich hatte er auch Lisa dazu animiert, sich optisch zu verändern. David waren im Wolfhardts beinahe die Augen ausgefallen, als er Lisa gesehen hatte. Nie hätte er gedacht, dass sie so hübsch aussehen könnte. Dabei waren die Veränderungen nicht groß gewesen. Und doch….Lisa war eine schöne, begehrenswerte Frau. ‚Und du Trottel hast es dir bei ihr völlig versaut.‘ knurrte er sich selbst an.

Entschlossen griff er erneut nach seinem Handy, um Lisa eine weitere sms zu schreiben.

 

In Berlin sah Lisa auf ihr Handy und warf es dann mit einem entnervten Stöhnen auf ihre Schreibtischplatte. Richard, der ihr in ihrem Büro gegenüber saß, sah sie fragend an. Auf dem Schoß hielt er ein Clipboard mit Unterlagen, die er gerade mit Lisa durchging.

Lisa griff auf seinen Blick hin erneut zu ihrem Handy und rief den sms-Ordner auf. „Hier. So geht das schon seit Tagen. Mindestens zwei am Tag.“ grantelte sie und reichte Richard ihr Handy. Stirnrunzelnd las Richard die sms, die Lisa von David erhalten hatte. Immer wieder bat er darum, dass sie sich doch melden solle, fragte, ob sie die Blumen erhalten hatte, was los sei, er vermisse sie. Und so weiter und so fort.

Richard biß die Zähne fest aufeinander, um die Wut, die er verspürte, zu unterdrücken. Zwar war Lisa ebenfalls genervt von David, doch Richard wusste, dass er sie verschrecken würde, wenn sie mitbekam, wie er ausrastete. ‚David hat verdammtes Glück, dass er gerade in England ist.‘ dachte er und wusste: Wenn David in Berlin gewesen wäre, hätte er sich wahrscheinlich nicht beherrschen können, ihm eine reinzuhauen.

Richard sah auf und begegnete Lisas Blick, die ihn mit einer Mischung aus Verzweiflung und Hoffnung zugleich ansah. „Was meinst du, warum er das macht? Ich meine…er bemüht sich in letzter Zeit ja doch sehr um mich.“ fragte sie vorsichtig. Richard sackte bei ihren Worten innerlich zusammen. ‚Oh nein…sie macht sich immer noch Hoffnungen.‘ wurde ihm klar. Er seufzte beinahe lautlos.

„Lisa…mach dir bitte keine Hoffnungen. David hat kein wirkliches Interesse an dir.“ begann er vorsichtig. Schon jetzt sah er, wie Lisas Gesichtsausdruck trauriger wurde und sie schluckte. Tapfer erwiderte sie seinen Blick und nickte. „Du warst für David immer verfügbar. Er hat es sicherlich genossen, zu wissen, dass da immer jemand war, der ihn liebte, für ihn da war, bei dem er sich ausholen konnte, wenn ihm danach war. Eure Freundschaft bedeutete für ihn keinerlei Verpflichtung, aber sehr viele Annehmlichkeiten. Und das alles ist für ihn jetzt nicht mehr greifbar.“ erklärte Richard. „Wie ein Spielzeug, das er eigentlich nicht mehr wollte, aber ein anderer soll es auch nicht haben.“

Traurig nickte Lisa. „Meinst du?“ Richard sah sie bedrückt an und nickte ebenfalls. „Vielleicht spielt auch sein schlechtes Gewissen eine Rolle, aber echte Gefühle…nein.“

Lisa atmete tief ein und dachte über Richards Worte nach. „Wahrscheinlich hast du recht.“ sagte sie schließlich ergeben.

Richard öffnete ihn Lisas Handy das Telefonbuch und rief die standardmäßig eingespeicherte Nummer ihrer Telefongesellschaft an. „Von Brahmberg hier. Ich rufe für Frau Elisabeth Plenske an. Sie braucht eine neue Handynnummer. Eine Geheimnummer.“ sagte er mit bestimmter Stimme, während er Lisa in die Augen sah.

Dann hörte er zu, wobei sein Gesichtsausdruck wütender wurde. Er beugte sich vor. „Hören sie.“ zischte er in den Hörer. „Frau Plenske ist Mehrheitseignerin von Kerima Moda. Sie können sich ja mal die Rechnungen ansehen, die ihre Firma uns jeden Monat ausstellt. Wir können auch gerne über einen anderen Anbieter telefonieren und noch lieber erkläre ich ihrem Chef persönlich, wie es dazu gekommen ist!“

Scheinbar war die Dame im Callcenter nicht so hilfsbereit, wie Richard es gerne hätte, da Lisa nicht persönlich am Apparat war. „Sie können sich sicher sein, dass ich im Namen und Willen von Frau Plenske handele.“ schob Richard noch nach, klang jedoch keinen Deut freundlicher. Lisa beobachtete ihn mit einer Mischung aus Faszination und leichter Angst. Richard hatte wirklich zwei Gesichter. Zu ihr war er so ausgesprochen lieb und fürsorglich, doch ihn zum Feind zu haben war sicherlich mehr als unangenehm.

„Schalten sie die Nummer umgehend frei.“ befahl er nun seiner Gesprächspartnerin. „Und das heißt sofort!“ Seine Stimme klang scharf. Dann notierte er sich etwas auf seinem Clipboard und nickte zufrieden, als er auflegte. Richard riß ein Stück Papier von seinem Board ab und reichte es Lisa. „Deine neue Nummer. Über die Auskunft nicht zu erfragen. Das heißt, wenn du sie David nicht gibst, wird er sie auch nicht bekommen.“

Als er Lisa in die Augen sah war da nichts mehr von dem wütenden Richard von eben. Im Gegenteil, er lächelte sie warm an. Verblüfft nahm Lisa das Zettelchen an. ‚Wie kann er nur so dermaßen schnell umschalten…?‘ fragte sie sich. „Danke.“ sagte sie. Richard reichte ihr ihr Handy über den Tisch. „Dein Handy.“ Lisa nahm es ihm ab und hielt überrascht inne, als Richard sanft über ihre Hand strich, in der sie das Handy hielt. Fragend sah sie auch. Richard zwinkerte ihr zu und stand auf. „Wir schaffen das schon. Zusammen.“

 

15
Richards Lächeln erstarb augenblicklich, als er Lisas Büro verließ. Mit finsterem Blick ging er zu den Aufzügen und fuhr hinab in die 13. Etage. Dort steuerte er schnurstracks sein Büro an, ließ sich in seinen Sessel fallen und wählte auf seinem Telefon Davids Handynummer.

„Seidel?“ meldete dieser sich schon nach wenigen Klingeltönen.

„Von Brahmberg hier.“ knurrte Richard.

„Richard? Was gibt‘s?“ frage David unbefangen. Richard hörte im Hintergrund die typische Geräuschkulisse einer Modenschau. Er lehnte sich in seinem Sessel zurück.

„Ich wollte dir nur mitteilen, dass weitere sms an Lisa ins Leere gehen werden. Sie hat soeben ihre Handynummer geändert, um ihre Ruhe vor dir zu haben.“

Richard grinste und genoss Davids folgende Sprachlosigkeit.

„Was hast du eigentlich mit ihr gemacht!“ schnauzte David ihn nach einigen Sekunden an. „Bis vor zwei Wochen was noch alles in Ordnung zwischen Lisa und mir, bis du dich da eingemischt hast!“

Richard lachte trocken auf. „David, es ist mal wieder typisch, dass du versuchst, die Schuld auf mich zu schieben, wie bei allem, das du verbockst, aber wie ich dir schon ungefähr 15 x gesagt habt: Ich befehle Lisa nicht, sich von dir fernzuhalten, sie möchte dich einfach nicht mehr sehen, nicht mehr sprechen, nichts von dir hören. Wieso kannst du das einfach nicht kapieren, Brüderchen?“ Richard lächelte süffisant.

„Weil ich dir nicht glaube. Weil ich dich kenne, Richard!“ fauchte David zurück. „Du hast irgendein Ziel und benutzt Lisa, um es zu erreichen. Du willst uns trennen, weil du genau weißt, dass wir ein super Team sind.“

Richards Gesichtsausdruck wurde angespannt und er fixierte einen Punkt an der gegenüberliegenden Wand, als er antwortete: “Allerdings verfolge ich ein Ziel, Brüderchen.”

“Ich wusste es!” schrie David auf.

Richard atmete tief durch. “Allerdings benutze ich Lisa nicht. Das ist eindeutig dein Part!” schleuderte er seinem Bruder hasserfüllt entgegen.

“Wer’s glaubt.” murmelte David abfällig.

“Mein Ziel ist es tatsächlich, euch beide auseinanderzubringen. Aber nicht, weil ich euch als Geschäftsteam fürchte. Du machst Lisa unglücklich und ich will, dass sie endlich wieder glücklich wird.”

David schüttete sich am anderen Ende der Leitung aus vor Lachen. “Oh mein Gott, Richard.” Er war sichtlich amüsiert. Doch dann verstummte sein Lachen. “Ich hoffe, du hast diese Sch*** nicht Lisa aufgetischt. Sie bringt es fertig und glaubt dir.”

“Lisa ist eine überaus intelligente junge Frau. Und wenn du dir solche Sorgen um sie machst, dann erfülle ihr doch endlich ihren Wunsch und laß sie in Ruhe, David.” Richard beugte sich vor und sprach bedrohlich leise weiter: “Und ich würde dir raten, das zu tun, Brüderchen, denn sonst müßte ich andere Saiten aufziehen. Das ist deine letzte Chance. Nutze sie.”

Noch bevor David etwas erwidern konnte, hatte Richard die Verbindung unterbrochen. Er konnte sich vorstellen, wie David jetzt tobte und grinste amüsiert bei der Vorstellung.

 

16
Am Abend saß Richard allein auf der Terrasse seines Penthouses, rauchte und sah über das nächtliche, erleuchtete Berlin. Seine Gedanken galten David und Lisa. Montag würde David wieder bei Kerima erscheinen. Wie würde er sich weiter Lisa gegenüber verhalten? Es nervte Richard zunehmend, dass er David immer wieder dieselbe Ansage machen mußte. Immer dann, wenn Lisa einen zaghaften Schritt von David wegmachte, funkte dieser wieder dazwischen.

Mit unbewegtem Gesicht schnippte Richard die Asche in den Aschenbecher auf dem kleinen Tisch neben seiner Liege, doch in seinem Inneren ging vieles drunter und drüber. Er wusste, Lisa gab sich Mühe, sich von David zu lösen. Sie widersprach Richard nie, tat ohne nachzufragen, was er von ihr verlangte. Und doch: David hatte sich tief in ihr Herz gegraben und der kleinste Hoffnungsschimmer genügte, um sie wieder umzudrehen gefühlsmäßig. Diese Tatsache frustrierte Richard.

Er war sich im Nachhinein unsicher, ob es richtig gewesen war, David gegenüber zu sagen, dass er das Ziel verfolge, ihn und Lisa zu trennen…wahrscheinlich glaubte sein Halbbruder nun, er verfolge irgendwelche hinterhältigen Pläne, benutze Lisa und versuchte in Zukunft womöglich, Lisa vor ihm zu schützen.

Richard seufzte leise. Das würde ihm gerade noch fehlen….David, der sich als Lisas Retter aufspielte. Ein ritterlicher David würde es nicht gerade einfacher machen, ihn aus Lisa Herz zu streichen.

Richards eigenes Herz zog sich merkwürdigerweise schmerzvoll zusammen, als ihm wieder einmal klar wurde, dass Lisa noch weit davon entfernt war, sich zu entlieben. Unwillkürlich blitzten die Bilder der Nacht im Krankenhaus vor Richards innerem Auge auf, wie er sich über sie gebeugt hatte… ‘…ich bin hierich liebe dich auch…’ Er wusste noch allzu genau, wie es sich angefühlt hatte, sie zu küssen, diese sinnlichen Lippen auf seinen zu spüren.

“Schluß jetzt.” murrte er sich selbst an, drückte sein Zigarillo aus und ging in seine Wohnung, um sich bettfertig zu machen. Vor Davids Rückkehr am Montag lag ein ganzes Wochenende. Ein Wochenende ohne Kerima, ohne David….und ohne Lisa. In gedrückter Stimmung warf Richard sich auf sein Bett. Den erhofften Schlaf fand er jedoch lange nicht. Stattdessen lag er auf dem Rücken, die Hände hinter dem Kopf verschränkt und starrte im Dunkeln an die Decke.

 

Das Wochenende über hatte Richard mehr schlecht als recht versucht, sich abzulenken, war unter anderem an beiden Tagen lange joggen gewesen. Trotzdem war es ihm nicht gelungen, seinen ewig kreisenden Gedanken zu entrinnen.

Am Montag war er angespannt zu Kerima gefahren, etwas früher als sonst, um auf jeden Fall vor David dort zu sein und ihn die ganze Zeit im Auge behalten zu können. Zu seiner Erleichterung blieb alles ruhig. Er sah durch seine halbdurchsichtige Bürotür David gegen neun das Foyer durchschreiten, offensichtlich ging er direkt zu seinem Büro. Den Rest des Vormittages sah und hörte er nichts mehr von seinem Bruder.

Mittags war er mit Lisa zum Essen verabredet gewesen und danach hatten sie sich zusammen an eine schwierige Kalkulation gesetzt, die sie über Stunden in Beschlag nahm. Da sie in Lisas Büro arbeiteten, merkten sie beide nicht, wie sich das Kerima -Gebäude immer mehr leerte. Nach und nach machten alle Feierabend, bis auf Lisa und Richard.

Erst, als die von Agnes servierten Schnittchen längst verputzt waren und Lisa erneut Hunger bekam, sah sie auf die Uhr. “Ach du Schande!” entfuhr es ihr erschrocken. Richard sah ebenfalls auf seine Armbanduhr. “Oh, schon so spät.”

Lisa verzog das Gesicht. “Mist. Die letzte S-Bahn ist mir soeben weggefahren.” seufzte sie frustriert. Richard legte seinen Stift aus der Hand, streckte sich und lockerte seinen Krawattenknoten. “Willst du wirklich noch raus nach Göberitz?” fragte er. Ratlos sah Lisa ihn an. “Ich meine, meine Wohnung ist ja quasi um die Ecke…ich habe ein Gästezimmer und würde dir sogar morgen früh ein Frühstück kredenzen.” schlug er lächelnd vor.

Überrascht von seinem Vorschlag sah Lisa ihn an. “Ja also….wenn ich dir keine Umstände bereite?” sagte sie zögerlich. Die Aussicht, recht schnell in ein warmes Bett zu kommen, war weitaus verlockender, als jetzt noch durch die Dunkelheit nach Göberitz zu fahren. Auch, wenn der Gedanke, bei Richard zu übernachten, sie merkwürdig nervös machte. ‘Er ist nur ein Kollege. Und er will lediglich nett sein. Also hör auf zu spinnen.’ ermahnte sie sich selbst, doch ruhiger wurde sie dadurch nicht.

“Unsinn.” winkte Richard ab und stand auf, um sein Jackett, das er über die Stuhllehne gehängt hatte, wieder anzuziehen. “Komm, schalt den PC aus und dann laß uns abhauen. Ich wette, wir sind mal wieder die Letzten.” “Das fürchte ich auch.” murmelte Lisa, als sie sich zu ihrem Tower herunterbeugte, um den PC abzudrehen. Kurz darauf fuhren sie mit dem Aufzug hinab in die Tiefgarage, wo Richards Jaguar geparkt war.

 

“Ich habe zwar ein Gästezimmer, aber nur ein Bad. Willst du zuerst rein?” fragte Richard, während Lisa sich noch interessiert in seiner Wohnung umsah. Dunkle Möbel beherrschten das Wohnzimmer. Ein kleiner Glastisch vor einem braunen Ledersofa. Ein großer, edler Schreibtisch. Ein riesiges, massives Bücherregal. Alles wirkte sehr stilvoll und teuer. ‘Das komplette Kontrastprogramm zu meinem Zimmer.’ dachte Lisa und grinste innerlich.

Dann folgte sie Richard zum Bad. Dieses war hell und freundlich gefliest. Goldene Armaturen blinkten Lisa entgegen. Es gab eine Dusche und eine Badewanne. Auf dem Boden lagen weiße, flauschige Vorleger. “Ich müßte irgendwo noch….Moment…” murmelte Richard und wühlte in dem Schränkchen unter dem Waschbecken. Schließlich hielt er triumphierend eine noch eingepackte Zahnbürste hoch. “Wußte ich’s doch! Sonst mußt du dich an meinem Kram bedienen.” meinte er und zeigte auf die Ablage. “Zahnpasta, Deo, Kamm….” Richard zuckte mit den Achseln. Lisa lächelte. “Schon o.k.. Danke.”

“Wenn du noch irgendwas hättest, was ich heute Nacht tragen könnte…?” bat sie. Richard überlegte kurz und nickte dann. “Einen Moment, bin gleich wieder da.” Mit diesen Worten verschwand er und Lisa nutzte die Zeit, um sich schon einmal die Zähne zu putzen. Schließlich kehrte Richard mit einem großen, weißen Poloshirt zurück.

“Hey, das kenne ich doch!” grinste Lisa. “Von Brahmberg” prangte über der linken Brusttasche. Richard reichte es ihr lächelnd. “Ist XL. Dürfte ein gutes Nachthemd für dich abgeben.” meinte er und sah an ihr herab. Lisa spürte, wie sie leicht rot wurde und nahm ihm das Polohemd an. “Danke. Ich….zieh mich dann mal kurz um, dauert nicht lange.” Richard verstand den Wink und ging zurück ins Wohnzimmer, wo er sich auf die Couch setzte und sich eine Zigarillo anzündete.

Geduldig wartete er, bis Lisa im Bad fertig war. Es war ein merkwürdiges Gefühl, sie hier, in seiner Wohnung zu haben und zu wissen, dass sie über Nacht bleiben würde. Auch, wenn klar war, dass nichts passieren würde. Trotzdem…es war irgendwie eine intime Situation. Intim im Sinne von vertraut. Richard lächelte leicht. Wie schnell sich doch alles ändern konnte…

Er sah auf, als er hörte, wie die Badtür geöffnet wurde. Lisa trat schüchtern ins Wohnzimmer, ihre Kleider auf dem Arm. “Von Brahmberg” stand über ihrem Herz. Richard schluckte. Obwohl das Shirt recht lang war, endete es mindestens 2 handbreit über ihren Knien. Erneut wanderte sein Blick über Lisas Körper. ‘Sie hat hinreißende Beine….’ dachte er erstaunt. “Bin fertig.” sagte Lisa leise und holte Richard so aus seinen Gedanken.

Lächelnd stand Richard auf. “O.k. Dann zeig ich dir jetzt, wo du heute Nacht schläfst.” sagte er und ging voraus zu einem der Zimmer. Lisa folgte ihm. Im Gästezimmer gab es ein Bett, ein Nachttischschränkchen, einen Stuhl und eine kleine Kommode. Spartanisch, aber gemütlich. Lisa legte ihre Kleider auf dem Stuhl ab und sah sich um.

“Komm mal her.” forderte Richard sie mit einem Ton auf, als habe sie etwas angestellt. Fragend sah Lisa ihn an. Richard streckte auffordernd die Hand nach ihr aus. Als Lisa zu ihm kam, zog er sie zu seiner Überraschung in seine Arme und fuhr mit einer Hand über ihren Rücken, über ihre Hüfte nach vorne und wieder nach oben. In Höhe ihrer Rückenbögen stoppte er.

“Hab ich’s mir doch gedacht.” grummelte er, ließ Lisa los und sah sie strafend an. Irritiert schüttelte sie den Kopf. “Hast du in letzter Zeit regelmäßig gegessen? Du hast abgenommen!” Ertappt wandte Lisa den Blick ab. “Ich….hatte nicht viel Appetit.” sagte sie leise. Richard verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf. “O.k. Frühstück morgen früh war ja eh vereinbart. Und ab sofort essen wir jeden Tag zusammen zu Mittag. Und du isst nicht bloß einen Salat, verstanden?”

Lisa mußte ob seines tadelnden Blickes lachen. “Ja, mein Herr und Gebieter!” neckte sie ihn. Überrascht zog Richard eine Augenbraue hoch. “Sie wollen frech werden, Frau Plenske?” fragte er drohend und erntete doch nur ein erneutes Kichern von Lisa. “Tz.” Ungläubig schüttelte er den Kopf. “Sie lacht über mich….! Kein Respekt mehr vor Richard von Brahmberg!” Lisa trat einen Schritt auf ihn zu und Richards Herz stolperte, als sie sich vorbeugte und auf die Wange küsste. “Doch, Herr von Brahmberg.” Lisa sah ihn mit blitzenden Augen an und Richard mußte lächeln. “Gute Nacht.” sagte Lisa sanft und er nickte. “Gute Nacht, Lisa.” erwiderte er ebenso sanft.

Lisa ging zu Bett und Richard zurück ins Wohnzimmer, wo er sich mit einem Whiskey ans Fenster stellte. Der Alkohol sollte seinen Herzschlag entschleunigen. Seit er Lisa im Arm gehalten und nur mit der Spitze seines Daumens den Ansatz ihres Busens berührt hatte, als er ihre Rippenbögen hochgefahren war, hatte er massive Kreislaufprobleme. Lisas Lächeln hatte sein übriges dazugetan. “Was ist bloß los mit dir, Richard von Brahmberg.” fragte er sich selbst halb amüsiert, halb besorgt. “Lisa Plenske kichert über dich und du führst dich auf wie ein Teenager, der einen Blick erhaschen konnte…” Er schüttelte über sich selbst den Kopf.

  

17
Richard hatte eine kurze Nacht hinter sich. Erst fand er keinen Schlaf, dann wurde er früh wieder wach. Gegen sieben stand er schließlich auf, ging ins Bad und zog sich an, bevor er leise die Tür des Gästezimmers öffnete und vorsichtig den Kopf hineinsteckte. “Lisa?” rief er leise, bekam jedoch keine Antwort. Lautlos ging er zu dem Bett und mußte lächeln, als er Lisa sah.

Sie lag auf dem Rücken, ihr Kopf war zur Seite gekippt und ihre Lippen leicht geöffnet. Sie sah unglaublich entspannt und sanft aus. Eine volle Minute stand Richard unbeweglich neben Lisas Bett, schaute in ihr Gesicht und lächelte, ohne, dass er es selbst bewusst bemerkte.

Dann riss er sich los, verließ so leise, wie er gekommen war wieder Lisas Zimmer und ging aus der Wohnung, um Brötchen zu holen.

 

Eine halbe Stunde darauf betrat er erneut das Gästezimmer. Dieses Mal gab er sich jedoch keine Mühe, besonders leise zu sein. Er zog die Gardinen ein kleines Stück auf und ging dann mit einer Tasse Kaffe zum Bett. Richard hockte sich daneben und wedelte mit einer Hand den Kaffeeduft in Lisas Richtung. “Aufwachen, Schlafmütze!” rief er halblaut und grinste.

Tatsächlich rührte Lisa sich. Sie zog ihre Nase kraus und runzelte die Stirn, bevor sie langsam die Augen öffnete. “Guten Morgen!” lächelte Richard sie an und hielt die Tasse hoch. “Kaffee.” sagte er und stellte die Tasse auf dem Nachttisch neben dem Bett ab. Lisa robbte sich langsam hoch. “Oh, danke schön.” murmelte sie verschlafen. “Wie spät ist es denn?” “Gleich viertel vor acht. Frühstück wartet im Wohnzimmer.” informierte Richard sie und ging zur Tür.

 

Wenige Minuten später erschien Lisa im Wohnzimmer, wo Richard Zeitung lesend am Tisch saß. Dieser war reichlich gedeckt. Eine Kanne Kaffee stand auf einem Stövchen, ein Körbchen voller verschiedener Brötchen, verschiedenen Sorten Marmelade, Honig und Nußnougatcreme sowie eine Platte mit Wurst erwarteten Lisa. “Du willst mich wohl mästen? Oder frühstückst du immer so üppig?” schmunzelte Lisa. Richard sah lächelnd auf und ließ die Zeitung sinken. “Nein. Extra nur für dich. Normalerweise trinke ich nur einen Kaffee.” meinte er und hob bedeutend seine Tasse, bevor er einen Schluck nahm.

“Ich lass dich nicht eher zu Kerima, bevor du nicht mindestens zwei Brötchen gegessen hast.” kündigte er dann an. Seine Augen blitzten sie an und er konnte ein kleines Lächeln nicht ganz verbergen. Lisa stöhnte, griff aber brav nach dem ersten Brötchen.

Nach eineinhalb Brötchen machte sie jedoch schlapp. “Ich kann nicht mehr!” stöhnte sie und sah Richard bettelnd an. Dieser schnappte sich die Brötchenhälfte von Lisas Teller, bestrich sie mit Marmelade und legte sie wieder auf ihren Teller. Dann stand er auf und ging zu seinem Schreibtisch. “Die isst du noch auf dem Weg zu Kerima!” sagte er, während er noch einige Unterlagen zusammensuchte. Lisa stöhnte erneut. “Ja, Papa!” maulte sie. Richard senkte schnell den Kopf, damit sie sein Grinsen nicht sah.

 

Kurz darauf fuhren sie bei Kerima gemeinsam mit dem Aufzug in die 13. Etage. Richard fühlte sich an diesem Morgen so locker und gut gelaunt, wie schon lange nicht mehr. Eigentlich - wenn er es so recht bedachte - wie noch nie. So kannte er sich selber nicht und er war sich sicher, dass er heute einige verwunderte Blicke ernten würde.

Die Anzeige sprang gerade auf “11”, als Richard nach rechts zu Lisa sah und grinste. “So würde ich allerdings nicht oben aussteigen.” schmunzelte er. Fragend sah Lisa ihn an. “Was? wieso?” Richard deutete auf ihren Mundwinkel. “Man sieht, dass du ein Marmeladenbrötchen gegessen hast!” Lisa hob die Hand, doch Richard war schneller. Mit dem linken Zeigefinger nahm er den Klecks Marmelade auf und hielt ihn vor ihre Lippen.

Ohne ihn anzusehen spitzte Lisa die Lippen, berührte damit Richards Zeigefinger und strich anschließend kurz mit der Zunge über seine Fingerspitze, um die Marmelade wegzuschlecken. Richard sah ihr fassungslos zu und schluckte, während eine Hitzewelle seinen Körper durchlief. Er spürte, dass Lisa sich gar nichts dabei dachte. Sie war nicht die Art Frau, die Männer mit solchen Gesten verrückt machte und - nicht zuletzt - war es wohl schlicht ihre Unerfahrenheit. Und gerade das ließ Richard von Brahmberg gerade fast in die Knie gehen.

Lisa hingegen sah völlig unberührt auf die Etagenanzeige, während Richard um seine Fassung rang. Er bemerkte weder, dass sie in der 13. Etage ankamen, noch, dass sich die Aufzugstüren geöffnet hatten. “Richard?” Lisa sah ihn abwartend an. “Hm?” Aus seinen Gedanken und vor allem seinem Gefühlsstrudel gerissen sah Richard sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. “Du mußt hier raus….?!” schmunzelte sie. “Oh. Äh. Ja.” Richard schüttelte den Kopf, um wieder klar denken zu können und trat aus dem Aufzug.

Ohne auf links und rechts zu achten hechtete er in sein Büro, schloß die Tür hinter sich und lehnte sich von innen dagegen, um die Augen zu schließen und tief durchzuatmen. Er brauchte eine kurze Weile, um sich wieder zu beruhigen. Dann stieß er sich von der Tür ab, um stirnrunzelnd zu seinem Schreibtisch zu gehen. ‘Was ist los mit dir, Richard von Brahmberg?!’ fragte er sich selbst ärgerlich. ‘Seit wann läßt du dich so leicht aus der Bahn werfen….?’

 

 

18
Einige Tage darauf. David hielt sich Lisa gegenüber total zurück und diese kam erneut zur Ruhe. Alles ging seinen gewohnten Gang. Richard und Lisa hatten es sich zur Gewohnheit gemacht, mittags zusammen zu essen und Richard achtete penibel darauf, dass Lisa nicht nur pickte oder einen Salat aß. Dank ihm hatte sie bereits schon wieder 1 kg zugenommen.

Lisa stieg an diesem Morgen gerade aus der S-Bahn am Potsdamer Platz, als ihr Handy klingelte. “Richard” zeigte das Display und Lisa lächelte. “Richard!” meldete sie sich gut gelaunt. Statt einer Antwort hörte sie Husten und Krächzen. “Hallo?” Lisa runzelte die Stirn. “Lisa.” krächzte Richard. “Ich fürchte, ich kann heute nicht zu Kerima kommen. Mir geht’s überhaupt nicht gut. Grippe.” Ein erneuter Hustenanfall folgte und Lisa hielt ihr Handy etwas vom Ohr weg.

“Du hörst dich gar nicht gut an. Warst du schon beim Arzt?” fragte sie. “Mein Hausarzt war eben bei mir, hat mir was aufgeschrieben. Werde mich wohl gleich mal in die Apotheke robben.” Lisa schüttelte den Kopf, was er natürlich nicht sehen konnte. “Nein nein, warte. Ich komm kurz bei dir vorbei und hol das Rezept. Dann schick ich Timo los, der kann dir alles bringen.” schlug sie vor und bog bereits ab, um zu Richards Wohnung, statt zu Kerima zu gehen.

“Gute Idee.” kam es matt zurück. Verwundert hob Lisa beide Augenbrauen. ‘Keine Widerrede? Dann muß es ihm wirklich schlecht gehen.’ “Ok, ich bin gleich da. Ciao.” Nachdem Richard sich verabschiedet hatte, legte Lisa auf und beschleunigte ihren Schritt.

Nachdem Lisa bei Richard geklingelt hatte, dauerte es eine Weile, bis ihr geöffnet wurde. Richard trug lediglich einen braunen Seidenbademantel und Schlappen, seine Haare waren gel-los und verwuschelt. Er sah jedoch müde und kaputt aus. “Komm rein.” bat er Lisa und trat zur Seite. Lisa ging ins Wohnzimmer, wo auf dem Tisch eine Monsterpackung Taschentücher neben einer dampfenden Tasse Tee stand. Auf der Couch lag eine zerknüllte Wolldecke.

Richard ging zu seinem Schreibtisch und gab ihr das Rezept. Dann warf er sich auf die Couch und mummelte sich in die Wolldecke. “Ach, hier…” krächzte Richard und robbte sich noch einmal auf, um nach seinem Schlüsselbund, der ebenfalls auf dem Tisch lag, zu grabschen. Er zog einen Schlüssel von dem Ring ab. “Gib den Timo, dann brauch ich gleich nicht noch mal aufstehen.” Stöhnend lehnte Richard sich wieder zurück und hielt sich die Stirn.

“Kopfschmerzen?” fragte Lisa mitfühlend und nahm den Schlüssel, den er ihr mit geschlossenen Augen hinhielt, an. Richard nickte bloß. “Hast du eine Tablette genommen?” “Dazu müßte ich erstmal bis ins Bad kommen.” murmelte er. Lisa schüttelte belustigte den Kopf und ließ ihre Tasche von ihrer Schulter auf den Boden gleiten. Dann ging sie ins Bad. Dank ihrer Übernachtung bei Richard kannte sie sich ja ein wenig in seiner Wohnung aus.

An der Wand im Bad hin ein kleiner Medizinschrank, in der Lisa tatsächlich ein Päckchen Paracetamol fand. Auf dem Weg zurück ging sie noch durch die Küche, um ein Glas Wasser mitzunehmen. Als sie zurück ins Wohnzimmer kam, fand sie Richard in der Waagerechten und mit geschlossenen Augen vor.

Lisa drückte eine Tablette aus dem Riegel und hockte sich neben das Sofa. “Hier.” sagte sie leise und hielt ihm das Glas mit der Tablette hin. Richard öffnete die Augen nur eine Spalt, robbte sich dann aber ein Stück auf, um ihr beides abzunehmen. “Danke.” murmelte er und nahm die Tablette.

“Übrigens….den Schlüssel soll Timo dir zurückgeben. Du kannst ihn behalten, ist ein Zweitschlüssel. Falls mal was ist.” Erstaunt sah Lisa ihn an. “Falls mal was ist…?” echote sie. Richard sah sie unbewegt an. “Ja. Falls du mal wieder ein Nachtlager brauchst.” lächelte er. “Oder falls ich hier umfalle und nicht aufmachen kann.” Lisa schlug nach ihm, traf ihn jedoch extra nicht. “Sag so was nicht!”

Abwartend sah sie ihn an. “Kann ich sonst noch was für dich tun?” Richard mummelte sich wieder in die Decke. “Nur das Rezept. Ich komm schon klar, danke.” Er hielt inne. “Da fällt mir ein….das Angebot für Kersting - das müßte spätestens morgen raus.” Nachdenklich biß er sich auf die Lippe. “Das muß ich selber machen….” murmelte er zu sich selbst. Dann sah er Lisa bittend an. “Würdest du die Unterlagen zusammensuchen und mir in der Mittagspause bringen?”

Lisa lächelte. “Ja. Aber erst morgen. Heute ruhst du dich aus!” Grimmig erwiderte Richard ihren Blick. “Ich kann es nicht leiden, wenn man in der Interjektionsform mit mir spricht!” brummte er. Lisa lachte. “Ich weiß. Ich geh dann mal.” verabschiedete sie sich um beugte sich über Richard. Erstaunt sah dieser sie an. Lisa sah ihm in die Augen und lächelte sanft. Der Blick in ihre Augen erhöhte seinen Puls beträchtlich. ‘Bestimmt hab ich Fieber.’ dachte er, denn ihm wurde erheblich wärmer.

“Gute Besserung.” sagte Lisa sanft und küsste ihn kurz auf den Mund. Ihre Lippen streiften seine nur, doch Richard versteifte sich förmlich vor Schock. Unbeweglich sah er ihr nach, wie sie das Wohnzimmer verließ. Auch, als er die Wohnungstür klappen hörte, erwachte er nicht aus seiner Starre. Lediglich sein Herz raste wie verrückt und pumpte Adrenalin durch seinen Körper.

 

19
Nur im Halbschlaf bekam Richard mit, dass seine Wohnungstür erneut klappte. Er nahm an, dass es Timo mit den Medis sei und das war es ihm nicht wert, die Augen zu öffnen oder gar ganz wach zu werden. Er hörte leise Schritte, die in sein Wohnzimmer kamen und einen Schlüssel, der auf dem Tisch abgelegt wurde.

Dann legte sich ein Schatten über sein Gesicht, als beuge sich jemand über ihn. Richard hörte knisternde Kleidung, als dieser jemand noch tiefer über ihn beugte und schließlich sanft seine Lippen auf seine legte. Jetzt ließ Richard erst recht die Augen geschlossen, denn der Kuss fühlte sich einfach wundervoll an. Er war zärtlich und elektrisierte ihn gleichzeitig bis in die Fußspitzen.

Eine Hand strich über seine Brust, tastete sich unter die Wolldecke und dort zwischen die Seiten seines Bademantels, um dazwischen zu schlüpfen. Richard stöhnte leise in den Kuss hinein, während es seinen Rücken gleichzeitig heiß und kalt runterlief. Er wurde sanft gestreichelt und noch nie hatte eine derart simple Berührung Richard von Brahmberg derart elektrisiert.

Die unbekannte Hand fuhr über seine Brust, streichelte sie, glitt weiter hinab zu seinem Bauch. Lange Haare kitzelten ihn ihm Gesicht, während die Küsserin sanft mit ihrer Zunge seine Lippen berührte. Richard kam der zarten Aufforderung gerne nach und öffnete den Mund. Ein Stromschlag der angenehmen Art schien ihn zu durchfließen, als seine Zunge ihre berührte. Erneute stöhnte er leise auf und hob die Hände, um die Unbekannte zu umarmen.

Plötzlich rüttelte ihn jemand an der Schulter. “Herr von Brahmberg?” Er spürte den Kuss, die ihn streichelnde Hand und die Gefühle, die von beiden ausgelöst wurden, undeutlicher. Unwillig knurrte er. “Herr von Brahmberg!” hörte er die Stimme erneut. “Lisa?” murmelte Richard. Wieder wurde er an der Schulter gerüttelt. “Nein, hier ist nicht Lisa. Ich bin es: Timo!”

Geschockt riß Richard die Augen auf. Timo zu sehen war wie einen Kübel Eiswasser über dem Kopf ausgeschüttet zu bekommen. “Timo!” erschrocken riß Richard seine Wolldecke bis zum Kinn hoch. “Geht es ihnen nicht gut? Sie haben im Schlaf leise gestöhnt!” erkundigte Timo sich und sah ihn besorgt an. Richard hoffte bloß, dass sein berühmtes Pokerface auch jetzt funktionierte und er nicht so peinlich berührt aussah, wie er sich fühlte.

“Na ja, egal.” Timo stellte eine Papiertüte auf dem Tisch vor der Couch ab. “Ihre Medikamente. Ich muß eilig zurück zu Kerima, dort ist mal wieder die Hölle los.” Timo nickte ihm noch einmal zu und verließ dann die Wohnung.

Richard schlug die Wolldecke, unter der es ihm viel zu heiß war, zurück und setzte sich auf. Er stützte die Ellbogen auf die Knie und den Kopf in seine Hände. “Na klasse.” stöhnte Richard. ‘Ich hab einen erotischen Traum von Lisa Plenske und Timo Pietsch steht an meinem Bett. Super.’ Er gab der Medikamententüte einen wütenden Stoß.

 

20
Bei Kerima fuhr Timo direkt hoch in die 14. Etage, um Lisa den Schlüssel zurückzugeben. Doch ihr Büro war verlassen und abgeschlossen. Er seufzte und betrat wieder den Fahrstuhl, um eine Etage tiefer zu fahren. Als sich die Türen öffneten, sah er David Seidel, der gerade durch das Foyer ging. “Herr Seidel!” rief Timo und verließ eilig den Aufzug.

David stoppte und sah ihn fragend an. “Haben sie Frau Plenske gesehen?” David runzelte die Stirn und wunderte sich über Timos Frage. Dann wurde ihm klar, dass der Runner wahrscheinlich nichts davon wusste, dass Lisa sich wegen ihm versucht hatte das Leben zu nehmen. Von der “Kontaktsperre “ hatte er aller Wahrscheinlichkeit auch keinerlei Ahnung.

David bemühte sich um ein betont gleichgültiges Gesicht. “Nein, tut mir leid. Kann ich ihnen vielleicht helfen?” Timo hielt einen einzelnen Schlüssel hoch. “Ich habe gerade was bei Herrn von Brahmberg zu Hause abgegeben. Den Schlüssel zu seiner Wohnung soll ich Frau Plenske zurückgeben, aber ich kann sie nicht finden.”

Timo sah ihn gehetzt an. “Ich hab noch eine Millionen Dinge auf der Liste, die ich machen soll - können sie nicht Frau Plenske den Schlüssel geben, wenn sie sie sehen?” bat er. David wollte schon ablehnen, doch dann entschied er sich anders. “Kann ich machen.” stimmte er zu und ließ sich den Schlüssel von Timo aushändigen. Dieser bedankte sich und rannte förmlich davon, um seinen nächsten Auftrag auszuführen.

Nachdenklich ging David in sein Büro zurück. Richard gab Lisa einen Schlüssel zu seiner Wohnung….soweit er wusste, hatte nicht mal Sophie einen Schlüssel zur Richards Wohnung. Wütend schlug David seine Bürotür ein wenig zu fest zu. Die Lamellen schwangen hin und her, während er zu seinem Schreibtisch ging und sich setzet. Den Schlüssel legte er mitten auf die Schreibtischauflage und sah ihn gedankenvoll an.

Richard und Lisa….? Konnte das sein…? David schüttelte den Kopf. Die beiden waren so unterschiedlich wie Tag und Nacht, hatten nichts gemeinsam. Richards Art, mit Frauen umzugehen würde Lisa komplett überfordern. ‘Wenigstens poppt er keine Models in seinem Büro.’ ätzte seine innere Stimme unvermutet dazwischen. David verzog das Gesicht.

Richtig. Sein Bruder war nicht der Typ für einen ONS. Aber er war auch nicht gerade der fürsorgliche Typ. Lisa war viel zu sensibel für einen Mann wie Richard. ‘Er würde sie nur ständig zum Weinen bringen.’ sinnierte David. ‘Du hast sie immerhin zu einem Selbstmordversuch getrieben.’ schaltete seine innere Stimme sich wieder ein.

Unwirsch fegte David mit einer Hand über den Schreibtisch und schubste den Schlüssel damit bis ganz an den Rand des Tisches. Unwillkürlich tauchte wieder das Bild, wie Richard und Lisa sich im Wolfhardts küssten, vor seinem geistigen Auge auf. Lisa war nicht die Art Frau, die einen Mann einfach so küsste, da mußte schon mehr dahinter stecken.

David atmete tief durch und ließ sich gegen die Lehne seines Chefsessels fallen. ‘Vielleicht ist es doch wahr….’ Gequält verzog David erneut das Gesicht. Er wollte einfach nicht, dass es wahr war, es durfte nicht sein.


21
Einige Tage darauf. Richard war inzwischen wieder gesund und arbeitete in seinem Büro. Es war später Nachmittag und er dachte daran zurück, wie Lisa ihm die Unterlagen für das Kersting Projekt gebracht hatte:

Mittags hatte Richard erst die Klingel, dann den Schlüssel im Schloß seiner Wohnungstür gehört. Es war ihm schon besser gegangen und er hatte mit einem Buch auf der Couch gesessen, als Lisa ihn sein Wohnzimmer gekommen war.

Lächelnd hatte Richard sie angesehen. “Wieso klingelst du….?” hatte er sanft gefragt. Lächelnd hatte Lisa ihren Schlüsselbund, an dem nun auf Richards Wohnungsschlüssel befestigt war, in ihrer Jackentasche vertraut. “Ich wollte mich nur ankündigen, bevor ich aufschließe. Ich wusste ja nicht, ob du evtl. Damenbesuch hast oder so.” Amüsiert hatte Richard den neckenden Unterton in ihrer Stimme bemerkt . Scheinbar war sie gut gelaunt.

“Keine Sorge.” Er hatte das Buch zugeklappt . “Ich wusste ja, dass du kommst und hab sie rechtzeitig rausgeworfen.” war er auf das Spielchen eingegangen. “Na, wer seine Häschen empfangen kann, der kann auch arbeiten!” hatte Lisa gespielt böse gesagt und die Mappe mit den Unterlagen auf seinen Schoß fallen lassen. Scheinbar gequält hatte Richard das Gesicht verzogen. “Sklaventreiberin!” hatte er gemurmelt.

Da das Wetter gut gewesen war, hatte Richard ihnen etwas zu essen bestellt, das sie zusammen draußen auf der Terrasse gegessen hatten. Irgendwie waren sie ins Reden gekommen, hatten die Sonne genossen und so war Lisa weder zu Kerima zurückgekehrt, noch hatte Richard die Kersting Unterlagen bearbeitet. Erst am frühen Abend, als die Sonne langsam untergegangen war, hatte Lisa erschrocken auf die Uhr gesehen und sich verabschiedet.

Richard lächelte. Der Nachmittag war einfach wunderschön gewesen. Am liebsten hätte er Lisa gar nicht gehen lassen. In ihrer Gesellschaft fühlte er sich immer total wohl und war entspannt, denn bei ihr konnte er seine Maske fallen lassen, mußte nicht den Coolen, Unnahbaren spielen.

 

Richard sah auf, als es an seiner Tür klopfte und noch bevor er “Ja” rufen konnte, wurde sie geöffnet. Lisa steckte den Kopf herein und lächelte. “Hallo.” begrüßte sie ihn gut gelaunt und kam herein, eine Hand auf dem Rücken versteckt. Fragend sah Richard sie an, wie sie zu seinem Schreibtisch kam. Dort holte sie ein kleines Törtchen mit einer Kerze hinter ihrem Rücken hervor. “Alles Gute zum Geburtstag!” schmunzelte Lisa.

Überrascht sah Richard zwischen dem Törtchen und Lisa hin und her. Diese stellte das Törtchen ab und umrundete Richards Schreibtisch. Zu Richards Verblüffung umarmte sie ihn. “Alles Liebe, Richard.” sagte sie leise und küsste ihn auf die Wange.

Mit offenem Mund sah er sie an. Sichtlich amüsiert stand Lisa vor ihm und grinste wie ein Honigkuchenpferd. “Auspusten!” forderte sie ihn aus und deutete auf die kleine Kerze, die das Törtchen zierte. Richard beugte sich vor und pustete die Kerze aus. Dann sah er nachdenklich zu, wie eine kleine Rauchfahne nach oben stieg.

“Woher wusstest du…?” fragend sah er sie an. Außer Lisa hatte so ziemlich keiner an seinen Geburtstag gedacht - wie immer. Lediglich seine Schwester und seine Mutter hatten ihm gratuliert, sie schenkten sich allerdings untereinander nichts. Der Rest von Kerima wusste wahrscheinlich nicht mal, wann Richard Geburtstag hatte. Gratuliert hatte ihm jedenfalls noch nie jemand.

Lisa zuckte grinsend mit den Achseln. “Ich hab so meine Quellen.” deutete sie an. “Und ich hab noch eine Überraschung für dich!” Lisa hielt ihm die Hand hin. “Komm!” Ihre gute Laune schien unerschütterlich. Richard stand auf und sah sie stirnrunzelnd an. “Mach alles aus hier und zieh dein Jackett an, wir gehen raus und kommen nicht so schnell zurück.” sagte Lisa.

“Was hast du denn vor!” brummelte Richard, um nicht zu zeigen, dass es ihn freute, dass Lisa scheinbar noch etwas in petto hatte und er sich fragte, was das wohl sein würde. Er fuhr seinen PC herunter, zog sein Jackett an und schaltete die kleine Lampe aus. Lisa wartete bereits an der Tür auf ihn. “Auf geht’s!” lächelte sie und hielt ihm erneut die Hand hin.

Richard ergriff sie und verließ mit Lisa das Büro. Einige Angestellte waren noch da, unter anderem Agnes, die ihnen erstaunt nachsah und eine Augenbraue hochzog. Verlegen senkte Richard den Blick und räusperte sich. Wo war bloß jedes Mal seine Selbstsicherheit, wenn Lisa in seiner Nähe war?! Wieso war es ihm so peinlich, sich so vertraut mit Lisa zu zeigen, zu wissen, dass die anderen sie Händchen haltend sahen?

Richards Selbstbewußtsein kehrte mit einem Schlag zurück, als sie vor dem Aufzug darauf warteten, dass sich die Türen öffneten: Der Aufzug kam und David wollte gerade aussteigen. Überrascht hielt er inne. Während Davids Blick zu Richards und Lisas Händen wanderte, spürte Richard förmlich, wie die Spannung in seinen Körper zurückkehrte. Als David ihm in die Augen sah, erwiderte Richard seinen Blick in typischer Manier: Cool, überlegen, leise lächelnd.

“David…” grüßte er ihn süffisant und sein Bruder trat zur Seite, um ihnen Platz zu machen. Lisa drückte auf “E” und nun stand David vor dem Aufzug und drehte sich noch einmal zu ihnen um, als könne er nicht fassen, was er sah. Lisa sah ihm kurz in die Augen, unbeweglich, dann schlossen sich die Aufzugstüren.

22
“Wohin entführst du mich?” fragte Richard und sah Lisa von der Seite lächelnd in die Augen. Immer noch lag ihre Hand in seiner. “Überraschung!” lächelte Lisa und Richard war froh, dass die Begegnung mit David ihre Laune nicht gedämpft hatte.

Vor dem Kerima Gebäude wartete ein Taxi auf sie, dessen Fahrer Lisa ein Ziel nannte. Allerdings so leise, dass Richard nicht hören konnte, wohin sie fahren würden.

Er hatte gegrinst, als sie vor dem Planetarium parkten. Lisa bezahlte den Fahrer und sie stiegen aus. Fast schon automatisch griff Richard wieder Lisas Hand, als sie zum Eingang des Planetariums gingen. Lisa kaufte ihnen zwei Eintrittskarten und führte ihn in einen großen, runden Saal. Dieser enthielt zwar sehr viele Sitze, es waren jedoch kaum welche besetzt, was Richard nur recht war.

Entschlossen zog Lisa in zu ihrem Lieblingsplatz. Sie war schon öfter dort gewesen und hatte quasi einen Stammplatz. Gut gelaunt nahm Richard neben ihr Platz.

“Die Sitze kann man übrigens verstellen.” erklärte Lisa, zog an einem Hebel rechts von ihrem Sitz und drückte ihre Lehne so weit zurück, dass sie halb lag. Richard tat es ihr gleich. So konnte man bequem in den “Sternenhimmel” schauen. Lisa zwängte ihre Hand unter Richards Oberarm durch, umschlang ihn und legte ihren Kopf an seine Schulter. Überrascht sah Richard leicht nach links zu Lisa. Dann gab er sich einen Ruck. “Komm.” sagte er leise und streckte seinen Arm nach ihr aus.

Lisa zögerte nicht und legte ihre Wange an seine Brust. Richard legte den Arm um ihre Schultern und sah wieder hoch zum Firmament. Er hoffte bloß, dass Lisa nicht darauf achtete, wie heftig sein Herz schlug. Richard fühlte sich unendlich wohl. Es war ein Gefühl, das er nicht kannte. Noch nie hatte sich jemand die Mühe gemacht, ihn an seinem Geburtstag zu überraschen, noch nie hatte sich jemand Gedanken darum gemacht, wie er einen schönen Tag haben könnte.

Er hätte ewig dort sitzen bleiben können, mit Lisa im Arm und diesem künstlichen Sternenhimmel über ihm. Richard schmunzelte bei dem Gedanken, dass ihn jemand von Kerima so sehen könnte. ‘Sie würden ihren Augen nicht trauen…Richard von Brahmberg starrt in den Sternenhimmel und grinst wie ein Grenzdebiler.’ Keiner von denen würde ihm zutrauen, eine solche Seite zu haben und er würde sie keinem von denen zeigen, nicht mal ansatzweise. ‘Nur Lisa kennt diese Seite von mir, denn sie bringt sie zum Vorschein.’ dachte er bei sich.

Er sah auf Lisa hinab und streichelte sanft über ihre Haare und ihren Rücken. ‘Wie machst du das bloß, kleine Lisa.’ fragte er sich. ‘You are the only ohne (du bist die Einzige) I´ve ever known (die ich jemals kannte) That makes me feel this way, (die mich so fühlen läßt)‘ erinnerte er sich an den Song von Lenny Kravitz. Richard lächelte. ‚Das trifft es ganz genau…‘

Lisa spürte Richards Hand, die immer wieder durch ihre Haare fuhr und ihren Rücken hinabglitt. Lächelnd schloß sie die Augen und lauschte dem Schlagen von Richards Herz. ‚Hoffentlich gefällt es ihm hier.‘ dachte sie. Lisa jedenfalls fühlte sich glücklich und geborgen. Um nichts in der Welt hätte sie in diesem Moment freiwillig ihren Platz in Richards Armen geräumt. ‚Das ausgerechnet Richard mal diese Gefühle bei mir auslösen würde….‘ Lisas Lächeln wurde breiter. ‚Vor ein paar Wochen war das noch völlig unvorstellbar.‘

Lisa kuschelte sich noch enger an Richard und wurde innerlich total ruhig. Sie fühlte sich, als könne ihr nichts und niemand auf dieser Welt jemals wieder etwas anhaben, als könne das Schicksal nichts Schlimmes mehr geschehen lassen, weil sie in Richards Armen lag. Es war einfach unvorstellbar für sie in diesem Moment. Lisa fühlte sich so wohl, dass alles Schlechte Galaxien von ihr entfernt schien. Weit weg von ihrem Leben, unerreichbar.

Richard spürte, wie Lisa sich noch näher an ihn heranrobbte und lächelte. Kein Blatt passte mehr zwischen sie. Vorsichtig hauchte er einen Kuss auf Lisas Scheitel und spielte mit ihren Haaren, während sein Blick auf den Sternen über ihnen ruhte. ‚Warum kann es nicht immer so sein.‘ dachte er sehnsüchtig. ‚Kein Kerima, kein David, kein Streß. Nur Lisa und ich.‘

Mit der Zeit wurde der ohnehin spärlich gefüllte Saal um sie herum immer leerer. Zu Richards Freude machte Lisa jedoch keinerlei Anstalten, zu gehen. Schließlich kam jedoch ein Mann mit einer Taschenlampe herein, leuchtete durch die Reihen und blieb an ihnen hängen. Gezielt kam der Angestellte des Planetariums zu ihnen. „Es tut mir leid, aber wir schließen jetzt.“ sagte er freundlich.

Richard nickte dem Mann zu und sah dann nach links zu Lisa. „Lisa…?“ Statt einer Antwort bekam er nur ein leises, müdes „Hm…?“ Richard lächelte. Deswegen war sie so still gewesen die letzte halbe Stunde, er hatte sich schon gewundert. Er sah erneut zu dem Angestellten. „Wir gehen jetzt. Ich muß sie nur wach bekommen.“ schmunzelte er und nickte in Lisas Richtung.

Der Angestellte entfernte sich und Richard zog vorsichtig seinen Arm unter Lisas weg. Sanft rüttelte er sie an der Schulter. „Lisa…Liebes….aufwachen!“ Lisa brummte unwillig und drehte sich im Sitz so, dass sie ihre Wange an das Polster kuscheln konnte. „Noch 5 Minuten…“ murmelte sie. Scheinbar wähnte sie sich zu Hause in ihrem Bett.

Richard lachte leise. „Liebes, willst du wirklich hier im Planetarium übernachten…? Die schließen uns gleich ein…!“ Er stand auf, nahm Lisas Handtasche und hängte sie an seinen Unterarm. Dann nahm er beide Hände von Lisa und zog sie vorsichtig vom Sitz hoch. Diese öffnete nur kurz die Augen. Richard zog sie an seine Seite und legte einen Arm um ihre Hüfte. Lisa lehnte ihren Kopf an Richards Schulter und trottete langsam neben ihm her zum Ausgang.

Währenddessen fischte Richard sein Handy aus der Jackentasche und bestellte ein Taxi. Sie hatten Glück. Ein Wagen war gerade quasi um die Ecke und würde schon auf sie warten, wenn sie rauskamen. Was noch einige Minuten dauern konnte, so langsam, wie Lisa sich bewegte. Richard konnte ein Grinsen nicht unterdrücken.

„Ist es o.k., wenn wir zu mir fahren? Oder willst du nach Göberitz?“ fragte er leise, als sie endlich draußen waren und auf das Taxi zugingen. „Ins Bett…“ nuschelte Lisa müde. Richard schmunzelte. „Ok, dann also zu mir.“ Er öffnete die hintere Tür des Taxis und bugsierte Lisa vorsichtig hinein. Dann ging er um das Auto herum und nannte dem Fahrer seine Adresse, als er einstieg.

Der Weg zum Aufzug in seinem Haus verlief genauso wie der Weg aus dem Planetarium. Richard war nur froh, dass er Lisa nicht die gesamten Treppen bis in die oberste Etage schleifen mußte. Oben angekommen hielt er Lisa im Arm und angelte mit der freien Hand in seiner Hosentasche nach seinem Wohnungsschlüssel.

Als er die Tür endlich aufhatte, brachte er Lisa rein und steuerte direkt das Gästezimmer an. „…heute mal ohne Zähneputzen ins Bett.“ beschloss er lächelnd und griff mit seinem freien Arm unter Lisas Knie. Vorsichtig hob er sie hoch und legte sie auf der Matratze ab. Lisa brummte genüsslich und kuschelte sich in die Kissen, während Richard auf der Bettkante Platz nahm und ihr vorsichtig die Brille auszog, um sie auf den Nachttisch zu legen.

Lächelnd betrachtete er sie. „Der Tag war wunderschön. Danke, Lisa.“ sagte er leise. Wahrscheinlich hörte sie ihn schon gar nicht mehr, ihr Atem ging bereits sehr regelmäßig. Aus einem Impuls heraus streckte er die Hand aus und ließ seine Fingerspitzen sanft über Lisas Stirn und Wangen gleiten. Sein Blick blieb an ihren vollen Lippen hängen und er zögerte kurz, bevor er mit dem Zeigefinger hauchzart darüber strich.

‚Was tust du denn da!?‘ Erschrocken von seiner eigenen inneren Stimme zuckte Richards Hand zurück. Kopfschüttelnd sprang er auf, zog Lisa noch die Schuhe aus und verließ dann leise das Zimmer. Bevor er die Tür hinter sich schloß, sah er noch einmal zu Lisas Bett hinüber. „Schlaf gut, mein Liebes….“ flüsterte er.

 

23
Als es am nächsten Morgen an Richards Bürotür klopfte, war sein erster Gedanke ‚Lisa!‘, obwohl diese ihn in den letzten Wochen niemals tagsüber in seinem Büro aufgesucht hatte. Zu groß war die Gefahr, David zu begegnen. Dieser hielt sich zwar ihr gegenüber immer noch zurück, doch Richard traute dem Frieden nicht.

Interessiert hob er den Blick und sah zur Tür. „Ja?“ Sein kaum sichtbares Lächeln in Erwartung Lisas verschwand sofort, als sein Halbbruder die Tür öffnete. „David.“ begrüßte er ihn einigermaßen überrascht. Dieser nickte ihm ernst zu. „Morgen. Ich will dich gar nicht lange aufhalten.“

David trat zu seinem Schreibtisch und legte einen einzelnen Schlüssel darauf. „Den hatte ich noch. Timo hatte ihn mir gegeben, als du krank warst. Sorry, ich hatte das total vergessen. Aber es ist ja sicherlich nur dein Ersatzschlüssel.“ entschuldigte David sich und trat schon wieder einen Schritt zurück.

Regungslos sah Richard auf den Schlüssel. Es war der Schlüssel, den er Lisa gegeben hatte. „Danke. Es ist Lisas. Ich geb ihn ihr nachher zurück.“ sagte er ruhig und griff nach dem Schlüssel. Innerlich grinste er jedoch, er war sich sehr wohl bewusst, wie dieser simple Satz auf David wirken mußte.

Tatsächlich hielt David, der bereits eine Hand an der Türklinke hatte, in der Bewegung inne und sah Richard irritiert an. „Lisas Schlüssel?“ fragte er. Richard lächelte kühl und nickte. „Ja. Eigentlich sollte Timo in ihr zurückgeben, nachdem er bei mir war. Wieso hast du ihn eigentlich?“ Richard zog eine Augenbraue hoch und sah seinen Bruder interessiert an.

David öffnete und schloß einige Male den Mund, während er verdaute, was er gerade gehört hatte. „Timo war im Streß und konnte Lisa nicht finden…er hatte mich gebeten, ihn ihr zu geben, aber wie gesagt….ich hab das total vergessen.“ murmelte er immer noch in Gedanken. Dann schüttelte er den Kopf und sah Richard in die Augen. „Wieso hat Lisa eigentlich einen Schlüssel für deine Wohnung??“

Lächelnd lehnte Richard sich zurück. „Damit sie kommen und gehen kann, wann sie will.“ erklärte er und konnte eine gewisse Belustigung nicht verleumden. Das alles schien David ganz schön aus der Bahn zu werfen. Dieser brummte noch einmal und verließ dann endgültig Richards Büro. Richard lachte leise und sah David hinterher.

 

24
„Es ist tatsächlich wahr! Ich fasse es nicht!“ rief David sauer, als er Max‘ Büro betrat ohne Rücksicht darauf zu nehmen, dass dieser gerade telefonierte. Max runzelte die Stirn und wedelte sauer mit einer Hand, um David zum Schweigen zu bringen. Übertrieben freundlich wandte er sich dann wieder seinem Gesprächpartner zu, wer Davids Gebrüll natürlich gehört hatte und sich wahrscheinlich fragte, in welchem Irrenhaus er gerade gelandet war.

David fletzte sich motzig in den Stuhl vor Max‘ Schreibtisch und wartete mit bösem Blick ab, bis Max sein Telefonat beendet hatte. „Sehr professionell, David!“ maulte Max, als er endlich aufgelegt hatte. Doch David winkte nur ab. „Stell dir vor!“ Er beugte sich vor und sah Max immer noch sauer an. „Da läuft tatsächlich was zwischen Richard und Lisa.“

Max sah ihn erst verblüfft an, dann zuckte es verdächtigt um seine Mundwinkel. „Ehrlich?“ Er lachte. „Wer hätte das je für möglich gehalten….“ „Schön, dass DU dich so amüsierst….!“ rief David. Verdattert sah Max ihn an. „Entschuldigung, aber ich kann mir die beiden nun mal nicht als Paar vorstellen…!“ verteidigte er sich. Unwirsch winkte David ab. „Darum geht‘s doch gar nicht!“

Nachdenklich sah Max seinen besten Freund an, der gerade mit seinen Blicken ein Loch in den Teppich brannte. „Bist du immer noch auf dem Trip, dass du Lisa urplötzlich liebst…?“ fragte er skeptisch. David sah ihn ungläubig an. „Das ist kein Trip….! Sie bedeutet mir wirklich sehr viel!“ „Na das ist ja nichts Neues…“ resümierte Max. „Letztes Mal hörte es sich schon so an, als glaubtest du, in sie verliebt zu sein…“ Max lachte leise.

„Vielleicht ist das auch so…“ sagte David leise und nachdenklich. Max Lachen verstummte. „David…!“ sagte er konsterniert. „Das glaubst du doch selber nicht…!“ Kampflustig sah David ihn an. „Und wieso bitte nicht….?“

Max rollte mit den Augen. „Weil du dich noch nie für sie interessiert hast. Jedenfalls nicht, so lange sie dir wie ein verliebtes Mondkalb nachgelaufen ist. Kaum wendet sie sich von dir ab, findest du sie auf einmal höchstinteressant! Und überhaupt…ihr passt doch gar nicht zusammen. David Seidel und Lisa Plenske aus Göberitz…“ Max schüttelte den Kopf.

„Aber Richard von Brahmberg und Lisa, das passt oder wie?!“ fauchte David. „Das sag ich doch gar nicht…!“ entgegnete Max genervt. „Ich sag nur, dass du sie nicht liebst. Du willst nur haben, was du nicht haben kannst. Wie immer.“ Max zog eine Augenbraue hoch.

David sprang auf. „Na vielen Dank auch.“ motzte er und rauschte aus Max‘ Büro. Dieser seufzte. Würde David sich eigentlich jemals ändern….?

25
Einige Tage darauf.

Nachdem David Max‘ Büro verlassen hatte, war er rausgegangen um etwas durch Berlin zu spazieren und seine Gedanken zu sortieren. Richard und Lisa als Paar…das war schwer vorstellbar. So viel hatte sich geändert in den letzten Wochen seit Lisas Selbstmordversuch. Immer noch überfielen David riesige Schuldgefühle, wenn er daran dachte.

Aber gerade dieses Ereignis hatte ihm die Augen dafür geöffnete, was Lisa ihm bedeutete. „Und überhaupt…ihr passt doch gar nicht zusammen. David Seidel und Lisa Plenske aus Göberitz…“ hörte er Max in Gedanken und schnaubte unwillig. ‚Ich passe immer noch besser zu ihr als Richard.‘ Nachdenklich sah David in die Ferne, beobachtete die Leute um sich herum, ohne sie wirklich zu registrieren.

‚Was will Richard bloß von ihr….?‘ fragte er sich. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass sein Halbbruder irgendetwas Uneigennütziges tat und schon gar nicht, weil er mehr für jemanden außer sich selbst empfand. David schüttelte den Kopf. Ausgeschlossen. Dann konnte es eigentlich nur noch um Kerima gehen.

Natürlich. Kerima. Mit Lisa, die ja immerhin die Aktienmehrheit hielt, die ihm wohlgesonnen war, würden sich ihm natürlich Türen öffnen, die ihm bisher verschlossen geblieben waren. Wütend ballte David die Faust und biß die Zähne zusammen. ‚Irgendwann wird er ihr das Herz brechen…spätestens, wenn Lisa erkennt, dass er sie nur benutzt. Und genau das muß ich verhindern!‘ beschloss er. Er wusste nur noch nicht wie…

 

An diesem Morgen ging er niedergedrückt und nachdenklich zum Catering, um sich einen Espresso bei Agnes zu holen. Zu seiner Überraschung stand dort Helga Plenske, die ihre Freundin besuchte. „…der Bernd ist auf Sylt und kümmert sich um das Ferienhaus der Seidels und die Lisa…“ Helga seufzte. „Die übernachtet in letzter Zeit auch immer seltener zu Hause.“

David nickte Helga zu, um ihr Gespräch nicht zu unterbrechen, als er sich auf einen der Hocker setzte. „Einen Espresso bitte, Agnes.“ bestellte er kurz. Dann tat er gänzlich uninteressiert, damit Helga weitersprach, ohne das Gefühl haben zu müssen, dass David ihr zuhörte. Denn Agnes stellte Lisas Mutter gerade eine Frage, die auch David interessierte: „Wo verbringt Lisa denn ihre Nächte? Gibt es da etwas, was ich wissen müßte?“ grinste sie, während sie David einen Espresso machte.

Helga sah kurz zu David hinüber und beugte sich dann vertraulich vor: „Bei dem Herrn Brahmberg…!“ flüsterte sie mit großen Augen und nickte gewichtig. Agnes, der sofort wieder das Bild in den Sinn kam, wie Lisa und Richard Händchen haltend durchs Foyer gingen, sah Helga nachdenklich an. „Aha….“ meinte sie etwas ratlos. Scheinbar konnte auch sie sich das nicht so richtig vorstellen.

Helga nickte. „Ja.“ „Sag mal…“ Agnes senkte die Stimme. „Läuft da was…?“ Helga zuckte mit den Achseln, während David scheinbar geschäftig in seinem Espressotässchen rührte. „Keine Ahnung, Agnes. Die Lisa erzählt ja auch nichts.“ seufzte sie.

David hatte genug gehört. Er trank seinen Espresso aus und machte sich auf den Weg zurück in sein Büro. Auf dem Weg schaute er durch die Scheibe in der Tür kurz in Richards Büro. Dieses war verlassen und dunkel. Nachdenklich stoppte David und überlegte kurz. Dann ging er in sein Büro, schnappte sich sein Jackett um Kerima zu verlassen. Seine Autoschlüssel benötigte er nicht, denn Richards Wohnung lag ganz in der Nähe.

Nur wenige Minuten darauf stand David vor Richards Wohnungstüre und klingelte. Es war gerade mal halb neun und wenn Richard nicht bei Kerima war, war er sicherlich nach Hause. Eine Weile tat sich gar nichts hinter der Tür und David klingelte erneut. Schließlich hörte er Schritte und ein leises „Ja doch…“ Irritiert runzelte er die Stirn. Das war eindeutig nicht Richards Stimme gewesen.

Als die Tür geöffnet wurde, stand Lisa vor ihm. Offensichtlich hatte er sie aus dem Bett geklingelt, denn sie sah ihn verschlafen an. Ihre Haare waren ungekämmt, sie war barfuss und trug wieder Richards Poloshirt. David schluckte, als sein Blick über den „von Brahmberg“ Schriftzug glitt. „David…“ begrüßte Lisa ihn überrascht. Dieser fing sich wieder. „Äh ja…hallo. Ist Richard da?“

Lisa fuhr sich mit einer Hand durch die verwuschelten Haare. „Nein, der ist doch in Prag bis morgen Abend.“ erinnerte sie ihn und strich sich mit ihrem nackten Fuß über ihr rechtes Schienbein. Es war offensichtlich, dass sie nicht genau wusste, wie sie auf David reagieren sollte. Abwartend sah sie ihn an.

„Ach so…“ Hilflos fuhr David sich durch die Haare. Das hatte er tatsächlich vergessen. Eigentlich hatte er mit Richard Klartext bezüglich Lisa reden wollen - wieso er sich an sie heranspiele und dass er keine Spielchen mit ihr treiben solle. Aber wenn er nicht da war…wieso nicht direkt mit Lisa reden?

 

26
„Von Brahmberg?“ meldete Sophie sich mit würdevoller Stimme. „Mutter, ich bin es.“ „Richard!“ rief Sophie entzückt. „Wie ist es in Prag? Eine wundervolle Stadt, nicht wahr?“ „Keine Ahnung, ich habe bisher leider nur mein Zimmer und den Konferenzraum hier im Hotel gesehen. Ich brauche deine Hilfe, Mutter.“ kam Richard sofort zur Sache. „Aber sicher, mein Junge. Was kann ich für dich tun?“

In letzter Zeit hatte sich Sophies Verhältnis zu ihrem Sohn spürbar verbessert und sie war unendlich froh darum. Seit Mariella mit Lars van der Lohe in den USA war, fühlte Sophie sich noch einsamer und Richard war alles, was sie noch hatte.

„Lisa hat eben angerufen. Sie war völlig aufgelöst.“ Richard schnaufte frustriert. „Da hab ich sie schon extra bei mir einquartiert für die Zeit, in der ich in Prag bin, damit sie von meiner Wohnung aus arbeiten kann, da taucht dieser Volltrottel dort auf und macht sie verrückt!“ fauchte er. „Würdest du bitte mal nach ihr sehen?“ bat er dann sanfter.

Sophie stand sofort von ihrem Designersofa auf und sah sich nach ihrem Mantel um. „Aber sicher, Richard. Ich hab ja noch den Schlüssel. Sie ist doch noch bei dir?“ „Ja. Ihre Eltern haben kein Internet und ich wollte sie nicht allein zu Kerima lassen, deswegen…“ erklärte Richard. Sophie hob eine Hand, was Richard natürlich nicht sehen konnte. „Ich mache mich sofort auf den Weg. Mach dir keine Sorgen. Ich kümmer mich schon um das arme Ding.“ versprach sie.

„Danke, Mutter. Ich versuch hier so schnell wie möglich fertig zu werden, aber ich fürchte, vor morgen Abend werde ich nicht wieder in Berlin sein können.“ bedauerte Richard. Sophie war derweil ohne das Telefon aus der Hand zu legen in ihren Pelzmantel geschlüpft und hatte Handtasche und Schlüsselbund zusammengesucht. „Ich bin schon auf dem Weg raus, Richard. Sei ganz beruhigt. Ich kümmer mich um deine Lisa.“ lächelte Sophie.

Keine Minute später saß Sophie in ihrem Mercedes S 63 AMG und war auf dem Weg zu Richards Wohnung. Sie wusste von Richard, was zwischen David und Lisa vorgefallen war, bzw. was Lisa seinetwegen versucht hatte. Sophie lächelte leise, auch, wenn sie sich Sorgen um Lisa machte. Ihr war keineswegs entgangen, dass Richards Veränderung zu der Zeit begonnen hatte, als er sich Lisas angenommen hatte. Und das kam eben auch Sophie zu gute. Richard war seitdem zunehmend sanfter ihr gegenüber.

Ihr Verhältnis zueinander wurde mehr und mehr so, wie Sophie es sich immer erhofft hatte. Auch, wenn Richard sich ihr gegenüber nicht äußerte, welche Art Verhältnis er nunmehr zu Lisa Plenske hatte, hoffte Sophie doch, dass Lisa so schnell nicht wieder aus dem Leben ihres Sohnes verschwinden würde. Offensichtlich hatte sie eine positive Wirkung auf ihn.

 

 „Lisa?“ rief Sophie schon an der Wohnungstür. Sie hatte keine Ahnung, ob Richard sie angekündigt hatte. „Frau Plenske, ich bin es!“ Langsam ging Sophie ins Wohnzimmer, wo sie Lisa vermutete. Diese saß verheult auf dem Sofa und trug nichts weiter als Richards Shirt von dem letzten Poloturnier. Etwas erstaunt sah Sophie sie an. „Frau von Brahmberg!“ schluchzte Lisa und stand auf. Noch bevor Sophie sich versah, fiel Lisa in ihre Arme.

Vorsichtig legte Sophie ihre Arme um die schluchzende junge Frau. „Ganz ruhig, sh, sh, was ist denn passiert?“ fragte sie mit leiser Stimme und strich über Lisas Haare. Diese konnte eine ganze Weile gar nichts sagen. Schließlich verebbte ihr Schluchzen und Lisa sah auf. „Oh nein.“ Verlegen strich sie über Sophies Pelzkragen. „Frau von Brahmberg….entschuldigen sie….jetzt hab ich auch noch ihren schönen Mantel versaut.“ entschuldigte sie sich stotternd, doch Sophie winkte ab. „Die paar Tränen.“

Sie hielt Lisa eine Armeslänge von sich entfernt. „Wissen sie was? Ich mache uns erstmal einen schönen, heißen Kaffee und sie ziehen sich etwas an, ja, Kleines?“ Lisa versuchte Sophies Lächeln zu erwidern, was jedoch misslang. „O.k.“ murmelte sie und verschwand erstmal im Bad, während Sophie den Mantel ablegte und sich dann in Richards Küche zu schaffen machte.

Als Lisa vollständig bekleidet und gekämmt wieder im Wohnzimmer erschien, saß Sophie bereits auf der Couch. Zwei Tassen und ein Stövchen, auf dem eine Kanne Kaffee warmgehalten wurde, standen auf dem Tisch. Als Lisa hereinkam, schenkte Sophie ihnen beiden ein und hielt Lisa eine Tasse hin.

„Danke.“ Lisa setzte sich seitlich auf das Sofa und zog die Beine an den Körper. Sophie musterte sie nachdenklich. Lisa sah erschöpft aus. ‚Was für ein Unterschied zu dieser Sabrina…‘ dachte sie, doch dann besann sie sich darauf, weshalb sie hier war: „David war hier….?“ griff sie das Thema auf.

 

Richard hatte Lisa schon angekündigt, dass er seine Mutter zu ihr schicken würde. Nachdem David endlich wieder gegangen war, hatte sie ihn voller Verzweiflung angerufen, auch auf die Gefahr hin, ihn in einem Meeting zu erwischen.

Dieser hatte versucht, sie am Telefon zu beruhigen, schließlich aber beschlossen, Sophie zu ihr zu schicken, da er einfach zu weit weg war, um Lisa wirklich helfen zu können.

„Er wollte eigentlich zu Richard….keine Ahnung, wieso.“ begann Lisa zu erzählen. „Dann meinte er, er müsse mit mir reden. Ich wollte das nicht, von meiner Seite aus gibt es nichts mehr zu bereden, aber David ließ nicht locker und schließlich hab ich ihn reingelassen, in der Hoffnung, dass er kurz darauf wieder gehen würde.“ Lisa seufzte bei der Erinnerung daran. Sophie sah sie an und hörte ihr aufmerksam zu.

Lisa wedelte mit eine Hand, als sie weitersprach: „Er fing direkt an, über Richard herzuziehen, er könne es nicht fassen, dass wir zusammen seien.“ Lisa sah Sophie in die Augen. „Wir sind nicht zusammen…!“ stellte sie richtig. Sophie nickte und versuchte, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen.

„David meinte, ich solle mich von Richard nicht blenden lassen, er meine es niemals ehrlich mit mir und wäre sowieso nur hinter Kerima her und würde mir irgendwann das Herz brechen.“ erzählte Lisa ungläubig weiter. Sie konnte Davids Auftritt in keinster Weise nachvollziehen.

Lisa drehte sich so, dass sie Sophie direkt ansehen konnte. „Was erlaubt er sich, so was über Richard zu sagen?!“ fragte sie aufgebracht. „Ausgerechnet er….! Alles, was er gesagt hat, trifft doch auf ihn zu und jetzt unterstellt er es Richard…!“ Nach Zustimmung suchend sah sie Sophie an. Diese nickte nur stumm. „Ich meine, wie hat er mich denn letzten Monate behandelt…? Hat er sich auch nur einmal darum gekümmert, wie es mir geht?!“ Lisa schüttelte den Kopf.

„Wenn ich länger mit Richard zusammen bin, fühle ich mich endlich mal wieder gut…ich denke nicht immer nur an David, seine Probleme bei Kerima, seine Probleme mit Mariella und was weiß ich wem noch. Ich frage mich nicht ständig, ob er irgendwann doch mal mehr für mich empfinden wird. Es tut einfach gut, damit aufzuhören, sich immer wieder Hoffnungen zu machen, die dann doch wieder enttäuscht werden….“ Verzweifelt sah Lisa Sophie an.

„Wir haben uns dann total gefetzt.“ Lisa senkte den Blick und zupfte an einem Sofakissen herum. „David wollte, dass ich Richard sage, dass ich mich umentschieden habe, dass ich wieder mit David befreundet sein wolle und den Kontakt zu ihm wieder reduziere.“ Lisa sah Sophie in die Augen. „Ich konnte es nicht fassen…! Das ist das komplette Gegenteil von dem, was ich will, aber David hat total auf mich eingeredet. Am Ende haben wir uns angeschrieen und dann…“ Lisas Stimme brach, ihre Augen füllten sich mit Tränen und sie wandte den Blick ab.

Sophie beugte sich besorgt vor und legte eine Hand auf Lisas Arm. „Hat er ihnen weh getan…?“ Verwundert über Sophies Vermutung sah Lisa sie an. „Nein.“ sagte sie mit Tränen in der Stimme. „Im Gegenteil…er…er hat mich auf einmal an sich gedrückt und gesagt, er sorge sich um mich, weil er mich liebe.“ rückte sie heraus. Sophie merkte deutlich, wie sehr sie das aufwühlte. Nachdenklich nickte sie.

„Und sie…? Lieben sie ihn immer noch?“ Lisa schluchzte auf, schlug eine Hand vor den Mund und kniff die Augen zusammen. Sophie mußte eine kleine Weile warten, bis Lisa ihr antworten konnte. Als diese die Augen wieder öffneten, schwammen sie in Tränen. „Es tut mir leid, Frau von Brahmberg…“ presste sie mit tränenerstickter Stimme heraus. „Ihr Sohn ist einfach zu wunderbar zu mir, aber David…ich krieg ihn einfach nicht hier raus…“ Lisa tippte auf ihre Herzgegend.

„Dabei will ich das doch!“ sagte sie beschwörend und sah Sophie in die Augen. „Ich will das alles nicht mehr, ich will ihn endlich vergessen!“ Verzweifelt sah Lisa sie an und Sophie verstand genau, was sie meinte. „Die Seidel-Männer….“ sagte sie und seufzte. „Sie sind wie ein Fluch!“

Lisa lehnte sich erschöpft zurück und ließ Sophie reden: „Wenn ich sie so reden höre, komme ich mir vor, als würde ich mir zuhören….damals…“ Sophie sah ins Leere, augenscheinlich dachte sie an eine weit zurückliegende Vergangenheit. „Friedrich zog genau dieselben Spielchen mit mir ab damals.“ erzählte sie mit einer Spur Verbitterung in der Stimme. „Gut, die Ausgangslage war ein wenig anders - Friedrich war schon mit Laura verheiratet, als das mit uns begann. Aber er hielt mich genau so hin wie David sie die letzten Monate. Mehr noch. Er ging ja auch noch mit mir ins Bett. Entschuldigen sie meine Offenheit, aber Richard ist ja der lebende Beweis dafür, es läßt sich ja kaum verleumden…“ Sophie lachte freudlos und Lisa nickte.

„Er sagte mir immer, wenn ich auf dem Absprung war, dass er mich doch so sehr liebe…und ich habe ihm immer wieder geglaubt. Geändert hat sich natürlich nichts. Ich bekam immer nur die Krümel ab, Laura war und blieb seine Nummer eins. Dabei hab ich ihn so sehr geliebt…“ Sophies Stimme kippte und Lisa befürchtete schon, sie würde anfangen zu weinen, doch dann fing Sophie sich wieder.

„Deshalb hab ich mich immer damit zufrieden gegeben, zu nehmen, was ich bekommen konnte…aber glücklich war ich nie.“ Traurig sah Sophie Lisa beschwörend an. „Lassen sie das nicht mit sich machen, Lisa. David ist im Grunde wie sein Vater…beide spielen mit den Frauen. Glauben sie mir, es war mir ein Greuel, dabei zusehen zu müssen, wie er meine Tochter all die Jahre gedemütigt hat und sie sich das alles hat gefallen lassen, genau wie ich damals. Ich will nicht, dass er auch noch ihr Leben kontrolliert.“

Lisa nickte bei dem Gedanken an Mariella. Sie hatte nie verstanden, wie eine Frau wie Mariella sich so hatte von David behandeln lassen. Andererseits wusste sie ja um Davids Wirkung, dass man ihm glaubte, wenn er einen mit diesem Dackelblick ansah. Sie selbst hatte er ja vorhin total aus der Bahn geworfen mit seiner Liebeserklärung. Sie würde ihm so gerne glauben…

„Sie….glauben also auch nicht, dass er mich liebt?“ fragte sie unsicher. Sophie lachte spöttisch. „Ganz ehrlich?“ Lisa nickte. „Nein.“ Traurig senkte Lisa den Blick. „Meiner Meinung nach haben Davids angebliche Gefühle für sie genau drei Ursachen: 1. Er hat ein schlechtes Gewissen wegen ihrem….na ja nennen wir es Unfall. 2. Er kann es nicht sehen, dass Richard sich gut mit ihnen versteht, während sie mit ihm nicht mehr zu tun haben wollen. Und 3.“ Sophie lächelte. „Haben sie sich in letzter Zeit ja ganz wunderbar gemacht. Die neue Frisur,die neue Brille…es ist mir klar, dass David sie nun mit ganz anderen Augen sieht.“

Lisa lächelte traurig. „Danke.“ sagte sie leise. Sophies Aussage, dass David sie nicht lieben würde, bedrückte sie. Im Grunde war es ihr ja selbst klar und doch war es ihr größter Wunsch, dass es stimmen würde. Hätte Sophie etwas anderes gesagt, Lisa hätte es ihr nur zu gern geglaubt.

 

 27
Samstagmorgen. Richard saß bereits im Wohnzimmer, las Zeitung und trank einen Kaffee, als Lisa verschlafen aus dem Gästezimmer kam. Dieses Mal trug sie jedoch ein Sleepshirt, das ihr gehörte. Lächelnd schaute Richard auf und sah sie an. Ihre Haare waren verwuschelt und sie rieb sich müde die Augen. „Morgen….“ murmelte sie, kam auf ihn zu und küsste ihn auf die Wange, bevor sie im Bad verschwand. „Morgen.“ erwiderte Richard lächelnd.

Als er gestern Abend endlich wieder nach Hause gekommen war, hatte Lisa schon im Bett gelegen. Immerhin war es auch schon nach Mitternacht gewesen. Sophie hatte ihn nach ihrem Besuch bei Lisa angerufen und ihm berichtet, wie es Lisa ging. Auf dem Rückflug hatte Richard sich so seine Gedanken gemacht und einen Plan gefasst. Da Lisa aber bereits geschlafen hatte, als er angekommen war, hatte er noch keine Gelegenheit gehabt, mit ihr darüber zu reden. Das wollte er nun nachholen.

Lisa kehrte ins Wohnzimmer zurück und setzte sich zu ihm an den gedeckten Tisch. „Wann bist zu zurückgekommen, ich hab irgendwie nichts mitbekommen?“ erkundigte sie sich. „Das hab ich gemerkt.“ lächelte Richard. „Kurz nach halb eins etwa. Du hast schon geschlafen.“

Nachdenklich sah Richard sie an, während sie sich einen Tee eingoss uns ein Brötchen schmierte. „Lisa, ich…hätte Lust, mal wegzufahren…nicht weit oder lange, aber einfach mal raus hier.“ tastete er sich schließlich an das Thema heran. Überrascht aber interessiert sah Lisa auf. „Verreisen…? Du kommst doch gerade erst aus Prag zurück…!“ lächelte sie.

Richard rollte mit den Augen. „Das war ja nun nicht gerade die reinste Erholung. Außerdem dachte ich dabei mehr an dich….damit du etwas räumlichen Abstand gewinnst.“ Bedeutend sah er sie an. Langsam kaute Lisa auf ihrem Brötchen. „Ja….eigentlich gar keine so schlechte Idee! An was hättest du denn so gedacht?“

Richard zuckte mit den Achseln. „Irgendwas an der Ostsee…? Grömitz vielleicht? Da ist allerdings garantiert nichts los.“ warnte er sie vor. Lisa grinste. „Na das hört sich doch sehr gut an.“

Richard nickte und faltete seine Zeitung endgültig zusammen. “Dann also Grömitz. Wann wollen wir los?” “Morgen?” schlug Lisa, die sich immer mehr für die Idee erwärmte, vor. Verblüfft sah Richard sie an. “Ok.” nickte er. Er war froh, dass Lisa die Idee gefiel. Räumlicher Abstand zu David würde ihr sicher gut tun. “Dann organisiere ich uns schon mal eine Unterkunft.”


Richard buchte zwei Zimmer in einem Hotel direkt am Strand von Grömitz. Anschließend fuhr er Lisa nach Göberitz, damit diese ihren Eltern Bescheid sagen und einen Koffer packen konnte.

Während Lisa packte, informierte Richard Max telefonisch, dass er und Lisa mindestens für eine Woche nicht bei Kerima erscheinen würden. Eigentlich hätte er David anrufen und bitten müssen, sie zu vertreten, aber es war ihm lieber, dass David erst durch Max davon erfuhr, wenn sie schon weg waren.

Sie beschlossen, am nächsten Morgen Richtung Ostsee aufzubrechen und so übernachtete Lisa wieder einmal bei Richard. Dieser ging an diesem Abend mit einem sehr guten Gefühl zu Bett. Er freute sich schon auf den Kurztrip mit Lisa.

Er hatte schon ewig keinen Urlaub mehr gemacht und zudem würde es das erste Mal sein, dass er und Lisa gänzlich für sich wären. Weit weg von Kerima, weit weg von David und allem Stress. ‘Nur ich, Lisa und das Meer.’ dachte Richard noch, bevor er mit einem Lächeln auf den Lippen einschlief….

 

 28
"Laß uns zuerst an den Strand gehen, bitte!” bettelte Lisa und hüpfte auf dem Sitz des Jaguars hin und her, als sie den Ortseingang von Grömitz passierten. Naserümpfend sah Richard sie an. “Bei dem Wetter…?” Wenig begeistert sah er durch die Windschutzscheibe in die grauen Wolken über ihnen. Es konnte jederzeit anfangen zu regnen. “Egal! Ich war schon ewig nicht mehr am Meer. Bitte, Richard!” Lisa machte eine Schnute und sah ihn bittend an, so dass Richard lachen mußte. “Wollen wir nicht wenigstens kurz im Hotel einchecken?” “Nein!” kam es sofort. Richard seufzte. “Na gut, also dann…”

Ergeben lenkte Richard den Wagen Richtung Strandpromenade, wo sie auch sofort einen Parkplatz fanden, da bei dem Schmuddelwetter kaum jemand unterwegs war. Kaum, dass sie standen, riss Lisa auch schon die Tür auf und stürmte zu dem Plattenweg, der Richtung Strand führte.

Als Richard ihr schließlich folgte, stand Lisa schon mit ausgebreiteten Armen lachend am Rande des Wasser und sprang immer wieder zurück, wenn eine Welle fast ihre Füße erreichte. Der Wind zersaute ihre Haare in alle Richtungen. Richard lachte leise bei ihrem Anblick.

Schon wieder so ein Gefühl, dass er bisher nicht gekannt hatte: Er freute sich, dass Lisa sich freute. Ihm persönlich war das Meer relativ egal und er sorgte sich mehr um seine teuren Schuhe und seinen Maßanzug, mit dem er nun über den Sand stapfte, aber so lange Lisa nur glücklich war, war er es auch.

Lächelnd ging er auf sie zu. Vorsichtshalber zog er jedoch seine Hosenbeine mit beiden Händen etwas hoch, als er über den feuchten Sand stapfte. “Ist das nicht toll!!” rief Lisa ihm schon von weitem zu. Richard nickte lächelnd, wenn sich auch seine Begeisterung in Grenzen hielt. Ihn faszinierte mehr Lisas Anblick, die übers ganze Gesicht lachte und den Möwen nachsah, die über ihnen kreisten.

Selig schloß sie die Augen. “Ich liebe das….das Rauschen der Wellen, das Kreischen der Möwen….du nicht auch?” fragte sie Richard, der endlich neben ihr stand und sah ihm in die Augen. Sanft lächelte er. “Wie könnte ich das nicht lieben.” sagte er leise.

Lisa sah den Strand hinauf und kniff die Augen zusammen. “Was ist das denn da hinten? Ein Kiosk?” Richard sah in die besagte Richtung, schüttelte den jedoch den Kopf. “Kann ich auch nicht erkennen…” “Na dann….!” Lisa grinste ihn breit an. “Dann würde ich sagen, machen wir einen kleinen Strandspaziergang!”

Fassungslos sah Richard sie an. “Muß das sein….?” Er sah seinen schönen Anzug nebst der Schuhe schon völlig ruiniert im Müll. “Och komm, Richy….!” Schon wieder die Schnute. “Richy…?” echote Richard belustigt. “Bütte!” bettelte Lisa und griff nach seiner Hand. Der Berührung und dem Blick in ihre Augen, die ihn intensiv ansahen, hatte Richard schließlich nichts mehr entgegenzusetzen und er ergab sich erneut in sein Schicksal.

Seufzend folgte er ihr zum Wasser. Der Wind zerrte an seinen Haaren und an seinem Jackett, doch Lisa schien sich zu amüsieren. Immer wieder versuchte sie, so nahe wie möglich am Wasser entlang zu gehen, was dazu führte, dass Richard und sie immer wieder kleine Hüpfer vollführen mußten, um den heranrauschenden Wellen auszuweichen.

Lisa strahlte und lachte über das ganze Gesicht und Richard konnte den Blick kaum von ihr abwenden. Sie hatte seine Hand nicht losgelassen, dessen war er sich mehr als bewusst. Ihre Hand war um einiges kleiner als seine, warm und weich lag sie in seiner. Egal, wie wild Lisa auch herumsprang, sie ließ ihn nie los und Richard hielt sie seinerseits auch gut fest. Er genoss die kleine Berührung, die nach außen signalisierte: Wir gehören zusammen! Richard grinste bei dem Gedanken.

Langsam aber sicher kamen sie dem Objekt näher und erkannten, dass es tatsächlich ein Kiosk war. Scheinbar war er jedoch geschlossen. Daneben befand sich noch ein kleiner Spielplatz mit zwei Schaukeln und einer Rutsche. “Klasse!” rief Lisa und ließ Richards Hand nun doch los, um auf den Spielplatz zu laufen. Mit einem kleinen Freudenschrei ließ sie sich auf das Sitzbrett der Schaukel fallen und begann sofort, Schwung zu holen.

Richard konnte nicht anders, er mußte laut lachen. “Die Mehrheitseignerin von Kerima Moda….!” grinste er kopfschüttelnd, als er ihr folgte. “Na und, laß mich doch, ich habe Urlaub!” erwiderte Lisa lachend. Lächelnd beobachtete Richard sie. So ausgelassen hatte er Lisa noch nie erlebt, in der ganzen Zeit bei Kerima nicht. ‘Nicht mal in Davids Nähe.’ dachte er bei sich.

“Los, Richy!” rief sie ihm zu. “Versuch es auch mal, das macht total Spaß…!” Höher und höher flog Lisa, während Richard zögernd auf die zweite Schaukel zuging. “Na ich weiß nicht….das letzte Mal hab ich mit 5 auf so was gesessen.” Misstrauisch sah er das Kinderspielzeug an. “Jetzt komm schon…!” lachte Lisa, als sie an ihm vorbeisegelte. Richard betrachtete noch einmal das Sitzbrett, ob es wenigstens sauber war, dann nahm er endlich Platz und schaukelte ein wenig hin und her.

“Riiiiichyyyyy!” rief Lisa ihn und lachte. “Du bist so ein Langweiler!!” neckte sie ihn. Das wollte Richard nun doch nicht auf sich sitzen lassen. “Na warte!” rief er ihr zu und holte ebenfalls Schwung. ‘Wird sich sicher gut in der Yellowpress machen….’ dachte er noch bei sich, während er sich vorstellte, wie ein Paparazzi sie beide gerade ablichtete und schon an der passenden Überschrift überlegte - Geschäftsführung von Kerima Moda in grenzdebilen Rausch auf Kinderspielplatz oder so. ‘Ach, was soll’s.’ wischte er dann seine Gedanken bei Seite.

Nach einigen Minuten ließen sie sich ausschaukeln und hielten schließlich an. Richard stand als erster auf und hielt Lisa lächelnd seine Hand hin. Schwungvoll zog er sie von der Schaukel. “Du siehst total verwuschelt aus.” Er lächelte sie zärtlich an und ordnete ihre Haare ein wenig, die in alle Richtungen geflogen waren.

Als sein Blick ihren streifte, hielt er inne. Lisas große, blaue Augen zogen ihn sofort in seinen Bann. Unfähig, sich davon zu lösen, sah er sie an und spürte, wie das Gefühl, sich zu ihr hingezogen zu fühlen, Besitz von seinem gesamten Körper ergriff. Die Sehnsucht nach ihr wurde plötzlich übermächtig und er nahm ihr Gesicht in beide Hände. Sanft streichelte er mit beiden Daumen ihre Wangen. Am liebsten hätte er sie hier und jetzt geküsst, doch er wusste ja zu gut, wem ihr Herz - immer noch - gehörte.

Richard schloß die Augen und beugte sich ein wenig zu ihr hinab. Lisa wich ihm nicht aus. Er wagte es nicht, sie zu küssen, berührte jedoch mit seiner Nasenspitze ihre und rieb sie daran. “Ganz kalt… “ murmelte er mit geschlossenen Augen. “Ja…” erwiderte Lisa leise.

Richard zog sich zurück und öffnete die Augen. “Komm. Wir gehen jetzt endlich ins Hotel, ja?” Lisa sah ihm in die Augen und nickte. Dieses Mal war es Richard, der ihre Hand ergriff. Hand in Hand gingen sie den gleichen Weg über den Strand zurück Richtung Auto.

 

“Das ist ja total schön…!” rief Lisa begeistert, als sie vor dem Hotel parkten und Richard lächelte. Er hatte es sich gedacht, dass das Design des Hotels Lisas Geschmack entsprechen würde und das war auch eines der Kriterien gewesen, nachdem er das Hotel “Leuchtturm” ausgesucht hatte. Begeistert lächelte Lisa ihn an. “Wie ein kleines Schloss!”

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Richard trug seinen und Lisas Koffer zur Rezeption und meldete sie beide an. “Wir haben zwei Zimmer nebeneinander.” erklärte er auf dem Weg zum Aufzug. Oben schloß er zuerst Lisas Zimmer auf und trug ihren Koffer hinein. Dann ging er zielstrebig zum Ende des Zimmers. “Ah ja…” Scheinbar hatte er gefunden, was er suchte: Die Verbindungstür zu seinem Zimmer.

“Falls was ist….” Er öffnete lächelnd die Tür. “Meine Tür steht ihnen immer offen, Frau Plenske.” “Gut zu wissen!” schmunzelte sie.

 

29
Den Tag verbrachten sie damit, den kleinen Ort zu erkunden. Viel war wirklich nicht los, aber Lisa genoss die Ruhe und mal nichts von Kerima und seinen Mitarbeitern zu hören. Abends aßen sie zusammen im Hotel und zogen sich dann jeder auf sein Zimmer zurück.

Nach etwa einer halben Stunde klopfte es von Lisas Seite an die Zwischentür. “Ja?” rief Richard, der angezogen auf dem Bett lag und etwas fernsah. Lächelnd steckte Lisa den Kopf durch die Tür und schaute kurz zum Fernseher hinüber. “Darf ich was mitschauen?” fragte sie vorsichtig.

Richard lächelte. “Klar. Komm her.” Er klopfte neben sich auf das Bett. Lisa schloß die Tür hinter sich und ging zu Richards Bett, um darauf zu klettern.

“Hm?” Fragend sah Richard sie an und streckte einen Arm nach ihr aus. Lächelnd schmiegte Lisa sich an seine Seite und legte ihren Kopf an seine Brust. Sofort stellte sich wieder das wohlige Gefühl der Geborgenheit ein, das sie so oft in Richards Nähe hatte und sie schloß die Augen.

“Willst du was anderes sehen?” fragte Richard sie. “Ne, ist mir egal.” murmelte Lisa, die eh kaum mehr mitbekam, was dort lief. Richard zappte wohl zu einer Comedy-Sendung, denn ab und zu lachte er, wobei Lisa, deren Kopf an seinem Brustkorb lag, etwas durchgeschüttelt wurde. Lisa lächelte. Sie liebte es, wenn Richard lachte, das kam viel zu selten vor.

Sie kuschelte sich noch etwas enger an Richard, der daraufhin begann, ihre Seite zu streicheln. Obwohl es noch gar nicht so spät war, spürte Lisa, wie die Müdigkeit immer mehr Besitz von ihr ergriff. ‘Muß die Seeluft sein….’ dachte sie noch, bevor sie endgültig wegdriftete.

Nach einer Weile merkte Richard ebenfalls, dass er immer müder wurde. Er sah auf Lisa hinab, die sich schon länger nicht mehr gerührt hatte und stellte fest, dass sie eingeschlafen war. Richard griff nach der Fernbedienung und stellte den Timer des Fernsehers auf 30 Minuten, so dass dieser dann automatisch ausgehen würde.

Schließlich löschte er das Licht neben dem Bett und atmete tief durch. Lisa lag immer in seinem Arm und er legte vorsichtig seine Wange an ihren Kopf, so dass er den Duft ihrer Haaren riechen konnte und schloß die Augen. Mit geschlossenen Augen tastete er nach einer Haarsträhne von ihr und drehte sie zwischen seinen Fingern, bis er eingeschlafen war…

 

Als Lisa am nächsten Morgen wach wurde, lag sie neben Richard, ihre Stirn lag unterhalb seines Arms an seiner Seite. Richards Hand lag auf ihrem Rücken. Ihre Bluse war etwas hochgerutscht und Richard hatte im Schlaf zielsicher den Streifen nackter Haut zwischen Bluse und Jeans gefunden. Müde robbte Lisa sich hoch, wobei sie sich bemühte, Richard nicht zu wecken.

Dieser schlief immer noch tief und fest, als Lisa schließlich neben ihm saß und lächelnd sein entspanntes Gesicht betrachtete. Auch, wenn sie nicht in ihn verliebt war, war sie doch unendlich froh, ihn zu haben. Er kümmerte sich so lieb um sie, wie Lisa es von Richard von Brahmberg niemals vermutet hätte.

Einem Impuls folgend streckte Lisa die Hand aus und streichelte sanft mehrmals über seine Wange, bevor sie sich vorsichtig vorbeugte und ihn kurz auf die Lippen küsste. Dann stand sie leise auf und ging zurück in ihr Zimmer, um duschen zu gehen.

Erst, als Richard die Zwischentür klappen hörte, wagte er es, die Augen zu öffnen. Er war ziemlich zeitgleich mit Lisa wach geworden, hatte jedoch beschlossen, sich lieber schlafend zu stellen, als er bemerkte, wo seine Hand in der Nacht hingewandert war. Was, wenn Lisa sauer war…?

Es hatte ihn all seine Schauspielkunst abverlangt, ruhig weiter zu atmen und Schlaf vorzutäuschen, als Lisa sich über ihn gebeugt, seine Wange gestreichelt und ihn geküsst hatte. Als ihre Lippen seine berührt hatten, war das Gefühl wie ein Blitz durch seinen Körper geschossen - ihre Lippen waren warm und weich, sie küsste ihn so zärtlich…sein Herz schien zu explodieren unter ihrer Berührung und eine unwahrscheinliche Wärme breitete sich überall in seinem Körper aus.

“Oh man….”murmelte er und fuhr sich mit einer Hand über die Augen, bevor er sich schwungvoll aufsetzte und ebenfalls ins Bad ging.

 

30
Die Woche verging schnell. Lisa schleppte Richard jeden Tag mindestens einmal zum Strand, doch dieser war in den folgenden Tagen gewappnet und trug fortan Jeans und Turnschuhe.

Die Abende verbrachten sie meist gemeinsam in Richards Zimmer, indem sie fernsahen und oft zusammen dabei einschliefen. Es war schon fast eine Tradition geworden, weshalb Lisa meistens schon in ihrem Sleepshirt rüber zu Richard kam, was diesem einiges an Selbstbeherrschung abverlangte.

Lisa blühte von Tag zu Tag mehr auf. Sie war locker und entspannt, lachte viel und riß Richard mit ihrer guten Laune immer mehr mit. Lisa ihrerseits war überrascht und fasziniert von dieser neuen Seite an Richard. Angefangen damit, dass sie ihn zum ersten Mal nicht im Business-Look sah, seine gute Laune bis hin zu der Tatsache, dass er schließlich sogar auf Gel in den Haaren verzichtete, da der stetige Wind sowieso jeglichen Versuch, seine Haare zu bändigen, zunichte machte.

‘Wie ein gänzlich anderer Mensch….’ dachte Lisa versonnen, als sie an der Rehling des Ausflugsschiffs stand und Richard von der Seite beobachtete. In diesem Moment sah er sie an und lachte. “Was…? Du sollst die Robben anschauen, nicht mich!” “Ja, Chef.” frotzelte Lisa und stieß ihn freundschaftlich in die Rippen, während ihr Blick schon zu den Sandbänken wanderte.

Unvermittelt schrie sie auf und schlug die Hände vor den Mund. Erschrocken sah Richard sie an. “Oh mein Gott, wie süß, wie süüüüß, schau doch mal, Richard!” Aufgeregt riß Lisa am Ärmel seines schwarzen Ledermantels und zeigte auf die Robben, die auf einer Sandbank lagen, der sich das Schiff langsam näherte.

Richard atmete auf. Lisas Schrei hatte seinen Herzschlag in astronomische Höhen schnellen lassen. Lisa sah kurz zu ihm hinüber. “Du kuckst ja gar nicht, jetzt kuck doch mal!” forderte sie ihn hektisch auf. “Ja ja.” maulte Richard und sah zu den Robben hinüber. Diese interessierten sich rein gar nicht für das Schiff und sahen träge zu ihnen hinüber. Richard musterte die Tiere mit dem gleichen Desinteresse.

Lisa schüttelte derweil traurig den Kopf. “Wie kann man nur diese schönen Tiere für ihr Fell schlachten….” sagte sie leise und ließ die Robben nicht aus den Augen. Richard sah sie prüfend von der Seite an und bemerkte, dass sich Tränen in Lisas Augen sammelten. ‘Oh nein, Lisa…das ist so typisch für dich.’ dachte er zerknirscht. ‘Leidet mit jedem und allem mit und wenn das Lebewesen noch so klein ist…’

Lisa bemerkte, dass Richard sie ansah und drehte ihren Kopf in seine Richtung. “Wie kann man denn nur…? Allein wenn man in diese lieben Augen schaut…!” Lisa wandte sich wieder den Robben zu und schaute in die dunklen Augen eines Tieres, das dem Schiff besonders nah war. Augenblicklich kullerten die ersten Tränchen über Lisas Wangen.

“Hey…” sagte Richard sanft und legte einen Arm um ihre Schultern. “Nicht weinen…” Doch Lisa schluchzte auf und drehte sie so, dass Richard sie in den Arm nehmen konnte. Sanft zog Richard sie eng an sich und strich beruhigend über ihren Rücken, während er sein Kinn auf ihren Scheitel stützte. “Keiner wird den Robben etwas tun.” versuchte er sie zu trösten. “Das weißt du doch gar nicht.” nuschelte Lisa verheult in sein Hemd.

Richard seufzte innerlich auf und überlegte, was er Lisa bloß sagen konnte, um sie zu trösten. Spontan hatte er eine Idee. “Paß auf…was hältst du davon, wenn wir uns erkundigen, welche Tierschutzorganisation sich besonders für den Schutz der Robben einsetzt und Kerima ihr eine großzügige Spende zukommen läßt?” schlug er vor und Lisa sah interessiert auf.

“Ja…” sagte Lisa überlegend. “Die Idee ist…klasse!” Richard erwiderte ihr Lächeln. “Na also und jetzt keine Tränen mehr, o. k.?” sagte er und strich ihr zärtlich die Tränen von den Wangen. “Schon besser.” murmelte er. “Sonst kann ich mir hinterher noch Vorwürfe anhören, wenn du auf den Erinnerungsfotos verheult aussiehst…dann bin ich wieder der Böse!” Aufmunternd zwinkerte er Lisa zu.

Diese schüttelte irritiert den Kopf. “Was für Fotos…?” In diesem Moment zog Richard eine Digicam aus seiner Manteltasche und ging auf einen jungen Mann zu, der etwa einen Meter neben ihnen an der Rehling stand. “Entschuldigen sie…würden sie bitte ein Foto von mir und meiner Freundin machen?” Der Mann willigte ein und Richard ging zurück zu Lisa. “Dieses Foto.” sagte er grinsend und stellte sich neben sie. Lisa legte ihre Wange an seine und lachte in die Kamera.

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31
An ihrem letzten Abend in Grömitz saßen Lisa und Richard auf dem kleinen Balkon, der von beiden Zimmern begangen werden konnte. Das Hotel war so dicht am Strand, dass man vom Balkon aus das Meer sehen und hören konnte.

Richard hatte ihnen das Abendessen dorthin bringen lassen, zusammen mit einer Flasche Rotwein. Doch je später der Abend wurde, desto bedrückter wurde Lisas Stimmung. Sie wurde immer stiller und ihr Gesicht spiegelte ihre Traurigkeit wider.

Nachdenklich sah Richard sie an. “Was ist los…?” erkundigte er sich. Traurig sah Lisa ihn an und seufzte. “Ach, ich hab irgendwie gar keine Lust, zurück nach Berlin zu fahren….zurück zu Kerima und….David.” Richard mußte lächeln, bei der Art, wie Lisa Davids Namen aussprach - es war ihr deutlich anzumerken, dass sie keinerlei Verlangen nach seiner Gesellschaft hatte.

“Die Woche hier war so schön…” Sehnsüchtig sah Lisa zum Meer hinüber. “Ich hab das alles komplett vergessen…” Hilfesuchend sah sie Richard an. “Ich will einfach nicht nach Hause kommen und David wartet wieder mit irgendeiner Aktion auf mich, die mich wieder komplett aus der Bahn wirft.”

Richard nickte und sah sie nachdenklich an. Er trug sich seit seiner Pragreise und Lisas verzweifelten Anruf bei ihm mit einem Gedanken, doch er war sich nicht sicher, wie Lisa auf diesen Vorschlag reagieren würde.

Lisas Blick schweifte wieder auf das Meer hinaus, während beide ihren Gedanken nachhingen und Richard sie gedankenvoll betrachtete. Ihr trauriges Gesicht versetzte ihm einen Stich im Herzen und schließlich gab er sich einen Ruck. ‘Mehr als nein sagen kann sie ja nicht….’

Richard räusperte sich, um Lisas Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. “Eine Möglichkeit gäbe es da noch….die David sicher davon abbringen würde, weiter zu versuchen, dich rumzukriegen.” deutete Richard an und nahm Lisas Hand in seine, ohne sie anzusehen. Stattdessen sah er geschäftlich auf ihre beiden Hände und bemerkte nicht, dass Lisa ihn fragend ansah. “Und was…?” fragte sie leise.

Richard hob den Kopf und sah ihr direkt in die Augen. “Wenn du seine Schwägerin wärst, würde er dich sicher in Ruhe lassen.” Irritiert zog Lisa die Augenbrauen zusammen. “Schwägerin? Wie….” Dann verstand sie. “Oh.” Gleich darauf begriff sie die gesamte Tragweite seines Vorschlages und riß die Augen auf. “Nein, Richard, nein.”

Lisa sah, dass Richards Gesichtsausdruck traurig wurde, jedoch nur für den Bruchteil einer Sekunde, dann setzte er seine ausdruckslose Maske wieder auf. “Entschuldige. Mir war nicht klar, dass der Gedanke dich so….entsetzen würde.” sagte er sachlich und entzog Lisa seine Hand.

Lisa beugte sich vor und legte eine Hand auf seinen Unterarm. “Nein, Richard, aber das kannst du doch nicht tun, nur, um mir einen Gefallen zu tun…!” Beschwörend sah sie ihn an, Richard erwiderte ihren Blick ernst. “Man heiratet doch nicht einfach so, Richard.” sagte Lisa, nachdem beide einige Augenblicke geschwiegen hatten.

“Einfach so?” echote Richard und zog eine Augenbraue hoch. Lisa wurde unsicher unter seinem Blick. “Ja….” Sie wedelte mit einer Hand. “Nur, damit David mich in Ruhe läßt und ich meinen Seelenfrieden habe. Das wäre total egoistisch von mir, das kann ich nicht von dir erwarten.” Bedauernd sah sie ihn an.

“Wer sagt dir, dass ich nicht meine Gründe habe…?” fragte Richard sie ernst. Lisa sah ihn überlegend an, dann wurde ihr Gesicht verschlossen. ‘Kerima’ schoß es ihr durch den Kopf und sie lehnte sich zurück. ‘Nein, das kann nicht sein…’ schloß sie es selber wieder aus. In letzter Zeit waren sie sich so nahe gekommen, ihre Beziehung war eine gänzlich andere, als noch vor wenigen Wochen. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Richard nur einen Plan verfolgt hatte, um an die Macht bei Kerima zu kommen.

“Lisa, ist sind keine geschäftlichen Gründe.” sagte Richard, als habe er ihre Gedanken gelesen. Dann stand er auf, ging zur Balkonbrüstung und drehte Lisa den Rücken zu. Richard sah über den Strand hinweg aufs Meer. Nach einer kurzen Weile hörte er Lisa, wie sie zu ihm kam. Er drehte sich nicht um, wusste jedoch, dass sie seitlich hinter ihm stand.

“Du kannst es dir nicht vorstellen.” Es war keine Frage, eher eine Feststellung. Lisa runzelte die Stirn. “Du kannst dir nicht vorstellen, dass ich dir diesen Vorschlag aus den Gründen mache, aus denen jeder Mann auf dieser Welt eine Frau so etwas fragt.” Richard drehte den Kopf und sah sie traurig an. Lisas Herz zog sich zusammen. Sie öffnete den Mund, wusste jedoch nicht, was sie sagen sollte. Was versuchte Richard ihr zu sagen…?

Dieser wandte sich wieder dem Meer zu. “An dem Abend auf der Toga-Party…mir ist fast das Herz stehen geblieben, als ich dich da über den Kante hängen sah und ich war so erleichtert, als ich dich kurz darauf Gott sei dank sicher und unversehrt in meinen Armen hielt.” Lisa erinnerte sich bei seinen Worten daran, wie er sie gehalten hatte, wie sein Herz geschlagen hatte - schnell und heftig.

“Ich war so unendlich erleichtert, dass dir nichts passiert war und gleichzeitig so verwirrt. In der Nacht darauf hab ich keine Minute geschlafen. Immer und immer mußte ich an diese Minuten auf dem Dach denken - die Schrecksekunde, als ich dich entdeckt habe, wie du dich an dem Sims festgeklammert hast. Das Gefühl, dich zu halten, zu wissen, dass dir nichts passiert war….” Nachdenklich sah Richard in die Ferne und schwieg einige Augenblicke, bevor er weitersprach:

“Ich versuchte es mir selbst zu erklären, dachte: Klasse, Richard, bist du doch nicht der Arsch, für den dich alle halten. Bist du doch nicht so emotions- und skrupellos.” Verbitterung schwang in seiner Stimme mit. “Denn wenn ich das wäre, hätte es mir ja egal sein können, was mit dir geschieht oder zumindest hätte es mir nicht einen derartigen Schrecken einjagen können. Leider passte da etwas nicht in meine tolle Theorie: Ich habe dich damals gefragt, warum du das getan hast. Und als du mir die Kette zeigtest, diese Kette von David - da…” Richard schüttelte den Kopf bei der Erinnerung an diesen Moment. Lisa sah, dass er hart schluckte.

Dann holte er tief Luft und hob wieder den Kopf. “Da wurde mir klar, wie viel du mir wirklich bedeutest. Das war mir bis dahin selbst nicht bewusst gewesen, nicht im Geringsten. Aber ich erkannte auch, dass es egal ist, was ich für dich empfinde, denn du hattest dein Herz ganz offensichtlich an meinen Bruder verschenkt. Und da ich nun mal so überhaupt kein David Seidel bin…” Richard lächelte Lisa traurig an. Diese hatte einen riesigen Klos im Hals. Sie hatte nicht im geringsten geahnt, was in Richard vorging.

“Wieso hast du nie was gesagt…?” fragte sie so leise, dass der stetige Wind ihre Worte fast ungehört gelassen hätte. Richard sah sie ernst an. “Was hätte es denn genutzt. Du warst oder bist bis über beide Ohren in David verliebt. Auch, wenn ich das nicht verstehen kann. Und ich bin David ungefähr so ähnlich wie du Mariella. Die Chancen, dass du dich für mich interessieren könntest, sind doch gleich null.” analysierte er realistisch.

Lisa sah ihm in die Augen. Ihr Herz war unendlich schwer, als ihr das Gespräch im Klinikgarten von damals wieder einfiel: “…sie müssen sich so weit wie möglich von David Seidel fernhalten. Das ist das Einzige, was hilft, wenn man unglücklich verliebt ist: Totaler Kontaktabbruch. Oder wen derjenige, in den man verliebt ist, jemanden anderen liebt, der gänzlich anders ist als man selbst.”

Lisa schluckte schwer. Sie hatte schon damals das Gefühl gehabt, als schwinge da etwas zwischen den Zeilen mit, aber erst jetzt verstand sie. Richard hatte ihr diesen Rat gegeben, weil er ihn selbst angewandt hatte: Nach der Toga-Party hatte er den Kontakt zu ihr nahezu komplett unterbrochen und sich zurückgezogen. Damals hatte sie nicht verstanden, wieso, hatte sich aber auch nicht viel daraus gemacht. Ganz im Gegensatz zu jetzt.

Lisa trat näher zu ihm und legte eine Hand auf seinen Oberarm. “Richard, ich wusste nicht….ich hätte nie….” Tränen erstickten ihre Stimme und als Richard sie anlächelte, lösten sie sich und liefen stumm über ihre Wangen. “Nicht weinen…” sagte er leise und strich ihr mit dem Daumen die Tränen weg. “Nicht um mich.”

Trotz Richards Worten konnte Lisa nicht anders, als zu weinen. Bedrückt sah sie ihn an. “Was kann ich tun, Richard? Du hast so viel für mich getan die letzten Monate, ich…” Hilflos schüttelte Lisa den Kopf. Lächelnd griff Richard nach Lisas Hand und hauchte einen Kuss auf ihren Handrücken. “Du könntest meinen Antrag annehmen. Und keine Angst, ich habe dafür genug egoistische Motive dafür.” schmunzelte er.

Immer noch verunsichert über seinen ungewöhnlichen Vorschlag sah Lisa ihn forschend an. “Glaubst du wirklich, dass das das Richtige ist…?” zweifelte sie. Richards Blick wurde erneut ernst. “Ich will dich nicht zu etwas zwingen, Lisa. Wenn du es dir partout nicht vorstellen kannst, fühl dich bitte nicht gezwungen. Ich wollte dir nur helfen in Bezug auf David und ganz nebenbei hättest du mich zum glücklichsten Mann der Welt gemacht.” Wieder das traurige Lächeln, das Lisa einen Stich im Herzen versetzte.

Sie tastete nach seiner Hand und umschloss Richards Finger, während sie ihm in die Augen sah. “Richard…auch, wenn ich mich von David löse und er irgendwann mal hoffentlich keine Rolle mehr in meinem Leben spielt, kann ich dir nicht versprechen, dass ich mehr für dich empfinden werde.” sagte sie vorsichtig. Richard nickte und drückte sanft ihre Hand. “Ich weiß, Lisa. Mir ist klar, dass die Chancen, dass ich dir jemals etwas bedeute, gleich null sind. Trotzdem mache ich dir diesen Vorschlag. Ich möchte dir gerne helfen und dich in meiner Nähe haben.”

Richard hob seine andere Hand und strich Lisa sanft über die Wange, während er ihr tief in die Augen sah. “Mach dir keine Gedanken, Lisa. Wenn du dich bei dem Gedanken, Frau von Brahmberg zu sein, wohlfühlst, ist alles gut. Ich liebe dich so sehr, dass es für uns beide reicht.”

Bei Richards Worten begann Lisa erneut zu schluchzen. Richard lachte leise. “Ich hoffe, diese Ehe wird nicht immer so tränenreich sein, wie sie beginnt. Falls du überhaupt ja sagst.” Lisa lächelte unter Tränen. Fast schon schüchtern streichelte Richard mit seinen Fingerspitzen über Lisas Handrücken. “Könntest du dir vorstellen, Lisa von Brahmberg zu werden?” fragte er hoffnungsvoll. Lisa lachte erstickt auf. “Ja. Ja, das kann ich.” nickte sie und streckte die Arme aus, um Richard zu umarmen. Dieser kam ihr lächelnd entgegen und schloß sie in seine Arme, um sie sanft an sich zu drücken.

Als Richard sich nach einer kleinen Weile wieder von Lisa löste, sah er ihr ernst in die Augen. Sein Blick wanderte zu ihren Lippen und wieder zurück. Langsam beugte er sich vor, wollte Lisa Gelegenheit geben, sich abzuwenden, doch sie tat es nicht. Sanft legte Richard seine Lippen auf ihre und küsste sie unendlich sanft, ohne den Kuss zu vertiefen. Ein nie gekanntes Gefühl ergriff Besitz von ihm, das ihn ganz benommen machte. Er liebte diese Frau so sehr, wie er überhaupt noch nie jemandem in seinem Leben geliebt hatte und versuchte, das alles in diesen Kuss zu legen.

Da er Lisa jedoch nicht überfordern wollte, löste er sich kurz darauf von ihr. Lisa lächelte ihn an. Richard war erleichtert. Offenbar war es nicht unangenehm für sie gewesen, ihn zu küssen.

32

 

 

 

 

“Was überlegst du?” fragte Richard leise und holte Lisa aus ihren Gedanken. “Was ich meinen Eltern sagen soll….ob sie es akzeptieren würden, wenn ich ihnen die Wahrheit über unsere Beziehung sage.” sagte Lisa nachdenklich. “Das kannst nur du abschätzen…aber bis wir wieder in Berlin sind, ist ja noch etwas Zeit. Schlaf erstmal darüber.” riet er ihr und Lisa nickte.

Am nächsten Morgen stand Richard früher als gewöhnlich auf. Sanft befreite er sich aus Lisas Umklammerung - sie hatte wie üblich bei ihm übernachtet und über Nacht ein Bein über seine und einen Arm über seine Brust gelegt, während ihr Kopf an seiner Seite ruhte. Vorsichtig, um sie nicht zu wecken, stand er auf, küsste sie fast unmerklich auf die Stirn und verschwand mit einem Lächeln im Bad. Kurz darauf verließ er das Zimmer. Sein Ziel war der Juwelier im Ort…

Als Lisa wach wurde, war Richard bereits zurück und dabei, seinen Koffer zu packen. Verschlafen blinzelte sie ihn aus dem Bett heraus an. “Du bist ja schon wach…” murmelte sie. Richard lächelte sie gut gelaunt an. “Morgen. Du solltest auch langsam aufstehen, wenn wir noch hier frühstücken wollen.” Lisa schielte auf ihre Armbanduhr und ließ sich mit einem Seufzer noch mal in die Kissen fallen.

Richard kam zum Bett und setzte sich an Lisas Seite auf die Kante. “Na komm….mach dich fertig.” sagte er lächelnd und strich durch ihre Haare. Murrend robbte Lisa sich schließlich wieder auf. “Ich hab gar keine Lust auf Berlin.”

Unwillig ging Lisa in ihr Zimmer, um sich fertig zu machen und ihren Koffer zu packen. Ihr Verlangen, David und Kerima wieder zu sehen, schrumpfte von Minute zu Minute. Allein der Gedanke an die Hochzeit munterte sie seltsamerweise wieder etwas auf. Gedankenverloren lächelte Lisa ihr Spiegelbild an, während Kleidungsstück und Kleidungsstück in ihrem Koffer verschwand. ‘Lisa von Brahmberg…’ Der Gedanke gefiel ihr.

Auf dem Weg zum Bad schnappte sie sich die Fernbedienung und stellte den Fernseher auf einen Musiksender. Es lief gerade ein Musikvideo von Schiller und Lisa sang leise den Text mit, während sie weiterpackte. Sie bemerkte nicht, dass Richard im Türrahmen lehnte und sie lächelnd beobachtete.

http://www.youtube.com/watch?v=yHYl79nKEO0

I don’t want you to give what you don’t have

Don’t make a vow that you can’t keep

I don’t want to change your position

Don’t hang around just to please me

But I have one request

And if you don’t think it’s senseless

Let me give you something else

Let me love you

Let me love you

(…)
(Lyrics (c) by Schiller)

Unbemerkt von ihr löste Richard sich von dem Anblick der singenden Lisa, um in seinem Zimmer noch einmal in das kleine Kästchen zu schauen, das er vom Juwelier mitgebracht hatte. Er war zufrieden mit seiner Wahl und ließ es lächelnd zuschnappen.

33

Auf dem Rückweg nach Berlin schlief Lisa im Auto noch einmal ein. Immer wieder sah Richard lächelnd zu ihr hinüber. Erst als sie vor Lisas Elternhaus in Göberitz hielten, weckte er sie sanft. “Liebes…wir sind da. Wach auf.” sagte er halblaut und berührte sie an der Schulter.

Lisa streckte sich wie eine Katze. Als sie sah, dass sie schon in Göberitz waren, sah sie nachdenklich zu ihrem Elternhaus hinüber. Richard entging ihr Blick nicht. “Wir müssen es noch keinem sagen, wenn du nicht möchtest. Ich dachte nur, du würdest David gerne so schnell wie möglich auf Distanz bringen.” sagte er leise.

Lisa sah ihn prüfend an. “Nein.” sagte sie schließlich und seufzte. “Ich kann mir nur vorstellen, dass sie….na ja, ziemlich irritiert sein werden.” Richard sah sie ernst an und nickte. “Ich habe übrigens beschlossen, meinen Eltern nicht die volle Wahrheit zu sagen. Nicht, dass du dich gleich wunderst.” eröffnete Lisa ihm, als sie sich abschnallte.

Zusammen gingen sie auf die Haustür zu und Lisa schloß auf. “Mama, Papa, ich bin wieder da! Ich hab Richard mitgebracht!” rief sie ins Haus hinein und griff nach Richards Hand, als sie aufs Wohnzimmer zuging.

Helga kam ihnen aus der Küche entgegen. “Lisa-Mäuschen, da bist du ja wieder!” Richard mußte unwillkürlich lächeln, als er sah, sie sehr Helga sich freute, ihre Tochter wieder zu sehen und diese in den Arm nahm. “Lisa, du siehst toll aus, so erholt!” staunte sie dann, als sie ihre Tochter genauer betrachtete. Dann fiel ihr Blick auf Richard. “Oh, entschuldigen sie, Herr von Brahmberg, hallo!” begrüßte sie ihn und reichte ihm die Hand. “BERND!! Die Lisa und der Herr von Brahmberg sind da!!” schrie sie dann unvermittelt.

Aus dem Keller kam eine unverständliche Antwort und kurz darauf kam Bernd die Treppe hochgestapft. “Schnattchen, da biste ja wieder, warst ja ewig weg!” freute auch er sich und Lisa lachte. “Papa, es war nur eine Woche…!” Erstaunt sah Bernd sie an. “Echt? Kam mir vor wie drei! Komm mal her!” Langsam wurde es Richard schon unangenehm, dabei zu sein, als auch Bernd seine Tochter knuddelte. Eine solche Begrüßung könnte er von seinen Eltern höchstens erwarten, wenn er gerade aus den brennenden Trümmern einer abgestürzten Maschine gekrabbelt wäre.

“Herr von Brahmberg….” Bernd wischte noch einmal seine Hände an seinem Blaumann ab, bevor er sie Richard reichte. “Haben sie mir mein Schnattchen heil wiedergebracht….” Richard nickte lächelnd. “Ich hab mir alle Mühe gegeben, auch, wenn es nicht immer so einfach war.” schmunzelte er mit einem Blick auf Lisa.

“Setzen sie sich doch!” schlug Helga mit einer leichten Hektik in der Stimme vor und lotste ihn zum Eßtisch. Verwundert bemerkte Richard, dass Helga quasi unbemerkt und in Rekordgeschwindigkeit den Tisch gedeckt hatte. Woher sie so schnell die Teilchen und den Kaffee gezaubert hatte, war ihm ein Rätsel.

“Jetzt erzähl doch mal, wie war denn der Urlaub, he?” fragte Bernd, als die vier sich setzten. Lisa lächelte und knetete nervös die Hände. “Ja….es gibt da etwas, was ich…wir euch sagen möchten.” Alarmiert von der Nervosität in Lisas Stimme hielten sowohl Helga als auch Bernd inne und sahen sie forschend an. “Lisa…” hauchte Helga und legte eine Hand auf die ihrer Tochter. “Ist was passiert…? Bist du krank?” “Bist du schwanger?” vermutete Bernd und sah Lisa mit großen Augen an. Bei Bernds Vermutung mußte Lisa spontan auflachen. “Nein, Papa.” Dann senkte sie den Blick und spielte mit der Papierserviette auf ihrem Teller. “Richard…” Noch einmal atmete sie tief durch. “Richard hat mich gefragt, ob ich seine Frau werden möchte und ich habe ja gesagt!” rückte sie endlich mit den Neuigkeiten heraus.

Als Lisa aufsah, starrte ihr Vater sie mit offenem Mund dann, dann wanderte Bernds Blick langsam zu Richard, während Helga mit einem gequietschten Aufschrei hochsprang, um Lisa um den Hals zu fallen. “Lisalein, das ist ja phantastisch!” überglücklich strahlte sie ihre Tochter an. Als ihr Blick zu Richard wanderte, lächelte sie verzückt. “Herr von Brahmberg…ich weiß nicht, was ich sagen soll…sie haben der Lisa so oft das Leben gerettet….” “Zweimal.” korrigierte Richard sie leicht verlegen. “…und jetzt wollen sie meine Lisa auch noch heiraten….!” Helgas Blick wanderte wieder zu ihrer Tochter, die sie nunmehr mit Tränen in den Augen ansah. “Ich bin so glücklich!” schluchzte sie und presste ihre Serviette vor den Mund. “Mama…!” versuchte Lisa ihre Mutter zur Raison zu bringen. Ihr war Helgas Gefühlsausbruch ziemlich peinlich.

“Ich versteh überhaupt nichts mehr.” sagte Bernd, der die ganze Zeit geschwiegen hatte, verdattert. “Ich dachte, der junge Seidel sei derjenige welche den du….also, in den du….” Bernd sah von Lisa zu Richard. “Wie jetzt….?” Ganz offensichtlich kam Bernd bei den Plänen seiner Tochter nicht mehr mit. “Ach Papa, das mit David und mir….das war doch nur so eine Träumerei. Wir werden nie mehr als gute Freunde sein und das mußte ich irgendwann einsehen.” versuchte Lisa ihrem Vater die neue Situation zu erklären.

Helga knuffte ihren Mann heftig in die Seite. “Bernd!! Jetzt freu dich doch mal für deine Tochter! Sie wird hei-ra-ten…!” machte sie ihm noch mal deutlich. Es war offensichtlich, wie viel Helga diese Tatsache bedeutete. Immer noch verblüfft sah Bernd seine Frau an. “Ja ja, det begreif ich schon…ich bin nur erstaunt, dat et jetzte der Bruder ist…!” Bernd sah schnell zu Richard. “Versteh’n se mich net falsch, Herr von Brahmberg, nicht, dat se noch denken, ich hätte wat jegen sie, im Gegenteil, sie haben mein Schnattchen schließlich gerettet…!” beeilte er sich zu sagen.

Helga tippte Bernd hektisch auf den Unterarm. “Hol doch mal deinen Selbstgebrannten!” fordere sie ihn verschwörerisch auf. “Oh nein, nein, Mama!” rief Lisa. “Richard muß gleich noch fahren, wie wollen doch noch zu Sophie!” Richard, der nicht wusste, was ihm blühte, sah zwischen Lisa und Bernd hin und her. “Ach, einer macht doch nichts.” meinte er, was für Bernd das Startsignal war, zur Hausbar zu wieseln.

Helga beugte sich vertraulich vor und lächelte. “Schließlich müssen wir sie doch in der Familie willkommen heißen!” meinte sie und lachte. Lisa rollte nur noch mit den Augen, als ihr Vater mit der Karaffe und vier Schnapspinnchen wiederkam, die er vor ihnen aufbaute. “Na, denn woll’n mir doch ma…” murmelte er und goß ihnen ein. “Herr von Brahmberg…” sagte er und reichte seinen Schwiegersohn in Spe ein Pinnchen.

“Richard, bitte.” korrigierte dieser ihn und lächelte Helga gewinnend an. Diese nahm blind ihr Pinnchen von Bernd an und blinzelte erneute einige Tränchen weg. “Helga!” ging sie sofort auf Richards Angebot ein und stieß mit ihm an. “Ja, äh, Bernd!” zog auch ihr Mann nach und stieß mit Richard an. Dieser sah zu Lisa hinüber und lächelte sie sanft an. “Auf dich.” sagte er leise und stieß mit seiner Verlobten an. Richards Lächeln beruhigte Lisa wieder etwas. Ihre Eltern machten sie noch völlig verrückt.

Vorsichtig nippte sie von ihrem Schnaps, während Richard seinen exte. “Ach du meine Güte.” krächzte er dann und riß die Augen auf. Lisa grinste nur wissend.

 

34

2 Stunden später betraten die beiden das Wolfhardts. Lisa hatte Richard gerade noch so von ihrem Vater weglotsen können, bevor dieser Richard noch mehr mit seinem Selbstgebrannten zusetzte. Hier im Wolfhardts wollten sie sich mit Sophie treffen.

Diese saß schon an einem der Tische und lächelte, als sie die beiden kommen sah. “Lisa, Richard, gut sehr ihr aus.” begrüßte Sophie sie. Richard küsste seine Mutter auf die Wange, während Lisa ihr lächelnd die Hand gab.

“Hast du schon was bestellt?” erkundigte Richard sich, nachdem er Lisa den Stuhl zurechtgezogen und sich selbst gesetzt hatte. “Nein, ich wollte noch auf euch warten. Wie war der Urlaub?”

Richard sah zu Lisa und lächelte. “Wir haben Neuigkeiten. Deswegen wollten wir uns auch mit dir treffen!” kündigte an. Sophies 7. Sinn als Mutter sprang sofort an. Richard sah dieses Funkeln in ihren Augen, dass sie immer hatte, wenn sie glaubte, dass etwas genau so lief, wie sie es wollte. Innerlich grinste er. Seine Mutter kannte ihn eben immer noch am besten.

“Mutter, ich habe Lisa gebeten, meine Frau zu werden und zu meiner großen Freude hat sie ja gesagt!” eröffnete Richard seiner Mutter. Diese schrie leise auf und schlug sofort die Hände vor den Mund. Begeistert sah sie zu Lisa hinüber, die verlegen lächelte. Tränen schimmerten in Sophies Augen. “Oh, Richard, das ist ja wundervoll, Lisa…” Sie sah zwischen beiden hin und her. Dann nahm sie Lisas Hand in ihre und drückte diese leicht, während sie Lisa anlächelte.

Als ihr Blick jedoch auf Lisas linke Hand fiel, erstarb Sophies Lächeln. “Richard!” Sauer sah sie ihren Sohn an. “Kein Ring? Hast du denn gar keinen Anstand?” fauchte sie. Richard lächelte jedoch nur gelassen und griff in die Innentasche seines Jacketts. “Ganz ruhig, Mutter. Keine Sorge, deine Erziehung hat durchaus Früchte getragen.” schmunzelte er und stellte das kleine Kästchen auf den Tisch.

Lisa spürte, wie sie plötzlich nervös wurde. Einen Ring von dem Mann, mit dem man zusammen, ja, sogar verlobt war, war etwas Besonderes, auch, wenn sie nicht diese Art von Beziehung führten. Gespannt sah sie zu, wie Richard das kleine Kästchen aufklappte. Leider stand es so, dass der Deckel Lisa die Sicht versperrte.

Lächelnd sah Richard sie an. “Die Entscheidung ist mir nicht leicht gefallen. Du bist jemand, der niemals protzigen Schmuck zur Schau stellen würde, aber ich finde, ein Verlobungsring sollte schon einen gewissen Schick haben und deshalb habe ich mich für diesen hier entschieden.” erklärte Richard und zog einen weißgoldenen Ring mit 24 Diamanten aus dem kleinen Kissen, in dem er steckte.

Dieses Mal schlug Lisa eine Hand vor den Mund. Der Ring war atemberaubend schön und hatte sicher ein Vermögen gekostet - auch, wenn es Lisa nicht darauf ankam. Sophie lächelte zufrieden, als sie den Ring sah. Richard bewies mit seiner Wahl Geschmack. Der Ring passte zu Lisa. Er war schick, aber nicht protzig.

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Lisas Hand zitterte, als sie sie auf Richards Aufforderung hin ihrem Verlobten reichte. Sanft streifte er ihr den Ring über den linken Ringfinger. Er passte wie abgegossen. Mit Freudentränen in den Augen lächelte sie Richard an. “Danke.” sagte sie leise und mit tonloser Stimme. “Er ist wunderschön…” Richard erwiderte ihr Lächeln. Er freute sich, dass der Ring Lisa gefiel.

“Und da ich mir nicht sicher war,” sprach er weiter und sah in das Kästchen dabei. “Ob dir dieser Ring wirklich gefallen würde, habe ich noch diesen gekauft.” Er zog den zweiten Ring aus dem Kissen. Er war silber und die Diamanten formten zwei kleine Sternschnuppen, die von links und rechts kamen.

Link zum Bild: 
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“Denn bei diesem war ich mir absolut sicher, dass er dir gefallen würde. Er ist etwas verspielter.” Richard grinste, als er Lisas verblüfftes Gesicht sah. Sie hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit, noch einen zweiten Ring zu bekommen.

“Deine rechte Hand bitte!” bat Richard und streckte seine Hand nach Lisas aus. Seine Worte holten Lisa zurück in die Wirklichkeit. Sie kam sich vor wie in einem Traum. Richard hatte recht: Wenn sie sich hätte entscheiden müssen, hätte sie den zweiten genommen, was nicht heißen sollte, dass ihr der erste Ring nicht gefiel. Aber der zweite sprach ihre verspielte Ader viel mehr an.

Lisas Lächeln, als sie ihm die Hand reichte, ließ Richards Herz schneller klopfen. Wenn er es nicht besser gewußt hätte, hätte er gesagt, sie schaute ihn verliebt an. ‘Red dir nichts ein…’ schalt er sich selbst, als er Lisa den Ring ansteckte. Auch dieser passte 100 %ig.

“Als Verlobungsring nicht ganz so geeignet, aber als ich ihn sah, mußte ich ihn dir einfach kaufen.” erklärte Richard lächelnd. Sophie griff nach Richards Hand und drückte diese fest, während sie ihn anlächelte. ‘Alles richtig gemacht. Bin stolz auf dich.’ hieß dieser Blick.

35

“Und hab ihr schon einen Termin für die Hochzeit?” fragte sie dann. Lisa und Richard sahen sich ratlos an. “Darüber haben wir noch gar nicht gesprochen.” begann Lisa. “Aber wir wollten es Montag bei Kerima verkünden, ganz offiziell.” ergänzte Richard und sah nach Bestätigung suchend zu Lisa. Diese nickte.

 

 

Sophie nahm einen Schluck von ihrem Wasser und nickte ebenfalls. “Das wird sicher für einige eine Überraschung werden.” lächelte sie. ‘Allerdings.’ dachte Lisa und spürte plötzlich einen Anflug von Nervosität. David würde es sicher nicht gut aufnehmen und sie hatte keinerlei Lust auf weitere Auseinandersetzungen mit ihm.

Besorgt musterte Richard Lisa. Ihm war nicht entgangen, dass ihr Gesichtsausdruck plötzlich viel ernster und nachdenklicher geworden war. “Dann laßt uns Pläne schmieden!” holte seine Mutter ihn jedoch umgehend aus seinen Gedanken.

Er sah zu Sophie hinüber, deren Augen blitzten, wie immer, wenn sie sich auf eine neue Aufgabe stürzen wollte, die ihr gefiel. Sie hatte die Ellbogen auf den Tisch gestützt und die Spitzen ihrer Finger mit den tiefrot lackierten Nägeln aneinandergelegt. Auffordernd sah sie zwischen ihrem Sohn und dessen Verlobten hin und her. “Wann soll das Ereignis denn steigen?”

Sophie war voller Tatendrang und lenkte Lisa schnell von ihren trüben Gedanken ab. Über eine Stunde lang sprachen sie über die Hochzeit, planten, sammelten Ideen, verwarfen einige wieder, stellten neue Pläne auf. Sophie hatte einige sehr gute Vorschläge, die sowohl Lisa als auch Richard gefielen und drängte sich trotzdem nicht auf. Lisa hatte jederzeit das Gefühl, auch nein sagen zu können.

Während Sophie mit einem Bekannten per Handy telefonierte, der ihr bei der Umsetzung einer Deko-Idee helfen sollte, sah Lisa ihre zukünftige Schwiegermutter lächelnd von der Seite an. Genau wie Richard hatte auch Sophie eine Seite, die sie bislang nicht gekannt hatte. Scheinbar war die private, familiäre Sophie eine gänzlich andere, als die geschäftliche Sophie.

Lisa dachte an das vertrauliche Gespräch zurück, dass sie vor dem Urlaub in Richards Wohnung geführt hatten. Damals hatte sie Sophie gesagt, sie würde Richard nicht lieben. Und doch konnte sie sich längst ein Leben ohne Richard nicht mehr vorstellen. Er gab ihr die Sicherheit, nach der sie so lange gesucht hatte, die ihr David nie hatte geben können. Er brachte Ruhe in ihr Leben und vermittelte ihr das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Er hatte sie verändert. Sie hatte sich durch ihn verändert. Sie fühlte sich mit Richard verbunden, anders als damals mit David, aber sie fühlte sich zu Richard gehörig. Und der Gedanke, in Kürze seine Frau zu sein, entlockte ihr jedes Mal ein Lächeln. Gedankenverloren ließ Lisa ihren Blick über die provisorische Gästeliste schweifen, die sie auf einem kleinen Block mit dem Logo des Wolfhardts gemacht hatten, den der Kellner ihnen samt einem Stift gebracht hatte. Helga, Bernd, Jürgen,… Jürgen!

Lisas Kopf ruckte hoch. ‘Oh mein Gott, der weiß ja noch von gar nichts….!’ Erschrocken sah sie Richard an, der fragend eine Augenbraue hob. “Jürgen!” sagte sie halblaut, um Sophies Telefonat nicht zu stören. Richard runzelte die Stirn. “Was ist mit ihm?” Lisa beugte sich über den Tisch, näher zu Richard. “Er weiß noch von nichts! Ich muß unbedingt mit ihm reden, bevor morgen jemand von Kerima in seinen Kiosk kommt er es so hört. Das würde er mir nie verzeihen!”

Richard nickte verstehend, während Lisa bereits ihre Handtasche von der Stuhllehne nahm und aufstand. “Sei mir nicht böse, aber ich muß unbedingt noch zu ihm!” sagte sie mit einem Blick auf ihre Armbanduhr. Es war bereits 22 h durch, aber wie sie Jürgen kannte, war er noch auf. Richard stand ebenfalls auf, während Sophie irritiert zwischen ihnen hin und her sah, während sie weiter telefonierte.

“Ich bring dich noch zur Tür.” sagte Richard leise und fasste Lisa am Ellbogen, um mit ihr zur Garderobe zu gehen. Dort nahm er Lisas Jacke vom Haken und half ihr hinein. Lächelnd stand Lisa schließlich vor ihm und sah ihm in die Augen. Richard konnte nicht anders, als das Lächeln zu erwidern.

“Vielen vielen Dank noch mal für die wunderschönen Ringe, Richard. Du bist so lieb zu mir, ich bin froh, dich zu haben.” sagte Lisa und umarmte Richard. Dieser schloß selig lächelnd die Augen und drückte Lisa sanft an sich. Wie benommen atmete er den Duft ihres Shampoos ein. “Du verdienst es, Lisa. Du bist eine ganz besondere Frau.” sagte er leise. Als Lisa sich von ihm löste, sah er, dass ihre Wangen glühten. Mit Komplimenten konnte sie immer noch nicht so recht umgehen, stellte Richard lächelnd fest.

“Und jetzt sieh zu, dass du zu Jürgen kommst, ich will auf keinen Fall seinen Zorn auf mich ziehen.” zwinkerte er und tat so, als wolle er Lisa wegscheuchen. Diese schaute noch einmal zu Sophie hinüber, die immer noch telefonierte. “Sag auch deiner Mama danke schön…ich find’s toll, dass sie sich so in die Planung stürzt.”

Richard lachte. “Glaub mir, das würde sie sich niemals nehmen lassen.” versicherte er und sah Lisa in die Augen. Diese erwiderte lächelnd seinen Blick und es fiel Richard gar nicht auf, dass sie eine ganze Weile einfach so dastanden.

Keiner sagte etwas, keiner rührte sich, sie standen auf nur da und sahen sich in die Augen. Er versank förmlich in dem intensiven Blau von Lisas Augen, das ihn magisch anzog und er konnte nicht sagen, wie viel Zeit vergangen war - Minuten? Oder doch nur Sekunden? Als sie plötzlich Sophies Stimme zurück in die Gegenwart holte: “Du gehst, Lisa?”

Ruckartig sah Lisa zu Sophie hinüber, die im Türrahmen zum Restaurant lehnte. “Ja, sei mir bitte nicht böse.” sagte Lisa zerknirscht und ging zu Sophie hinüber. “Ich muß unbedingt noch mit Jürgen sprechen, bevor wir es morgen offiziell bekannt geben.” Sophie schmunzelte. “Verstehe.” Lisa lächelte gerührt. “Danke.” sagte sie bewegt und umarmte Sophie kurz, bevor sie sich endgültig verabschiedete.

Lächelnd sah Sophie Lisa nach, bevor ihr Blick zu Richard glitt. “Das hatte ich mir gewünscht, Richard.” sagte sie leise. Richard, der ebenfalls Lisa nachgesehen hatte, sah seine Mutter nun fragend an. “Sie tut dir gut. Ich hatte gehofft, dass ihr zusammenbleibt.” erklärte Sophie und reichte ihrem Sohn die Hand. “Komm. Wir haben noch viel zu planen.”

Lächelnd nahm Richard Sophies Hand, winkelte seinen linken Arm an und platzierte Sophies Hand auf seinem Unterarm, während sie zu ihrem Tisch zurückgingen.

36

Lisa lief derweil durch das nächtliche Berlin zu Jürgens Kiosk. Sie war ein wenig nervös, denn Jürgen war nicht nur einer der wichtigsten Menschen in ihrem Leben, sondern auch ihr bester Freund, der sie am besten kannte. Bei ihm würde sie nicht so einfach davonkommen wie bei ihren Eltern - ihm würde sie Rede und Antwort stehen müssen.

Lisa lächelte bei dem Gedanken an Jürgens Gesicht, wenn sie ihm eröffnen würde, dass sie in Kürze ‘Lisa von Brahmberg’ sein würde. Vor der Haustür zückte sie ihr Handy und klingelte Jürgen an. “Decker?” “Jürgen, ich steh vor deiner Tür - läßt du mich rein?” bat sie. Lisa hörte, wie er seinen Drehstuhl zurückschob. Wahrscheinlich saß er mal wieder vor seinem PC. “Bin schon unterwegs!”

Kurz darauf öffnete Jürgen die Tür und grinste Lisa an. “Na, Lieselotte, wieder im Land? Komm rein!” Lisa umarmte Jürgen, als sie reinging und folgte ihm dann in sein Hinterzimmer. Tatsächlich war der PC an. Jürgen fletzte sich auf sein Bett und überließ Lisa die einzige Sitzgelegenheit: Den Drehstuhl.

“Na, wie war der Urlaub mit Herrn Brummberg, äh. Brahmberg?” erkundigte er sich grinsend. Lisa sah ihn kurz tadelnd an, mußte aber selber grinsen. “Sehr schön!” sagte sie ehrlich und ihr Freund hob überrascht eine Augenbraue. Dann fiel sein Blick auf Lisas Hände. Sofort stachen ihm Lisas Ringe in die Augen und er setzte sich auf, um Lisa mit großen Augen anzusehen.

“Lieselotte….!” Halb drohend, halb fragend sah Jürgen sie an. Lisa lächelte verlegen. “Es gibt da etwas, das ich dir erzählen muß.” “Na das glaube ich allerdings auch.” maulte Jürgen beleidigt und beugte sich zu ihr vor, um nach ihren Händen zu greifen. “Zeig mal her.”

Bei seinem näheren Blick auf die Ringe pfiff Jürgen leise durch die Zähne. “Die waren nicht billig…!” Er nickte anerkennend. “Das ist doch egal.” sagte Lisa leise und entzog ihm die Hände, um die Arme vor der Brust zu verschränken.

“Sind die etwa beide von deinem Brahmzwerg? Oder etwa von David?” Jürgens Augen leuchteten auf vor Schalk, während Lisa genervt mit den Augen rollte. “Nein, die sind beide von Richard. Und wenn du mich auch mal zu Wort kommen lassen würdest, ich habe dir nämlich etwas Wichtiges zu erzählen!” meckerte sie.

Abwehrend hob Jürgen beide Hände und robbte sich auf seinem Bett wieder zurück an die Wand, um sich gemütlich anzulehnen. “Erzähl!” forderte er seine beste Freundin auf.

Sofort glitt wieder dieses Lächeln über Lisas Gesicht und ihre Augen leuchteten. “Also, der Urlaub mit Richard war wirklich wunderschön, ich konnte mal so richtig abschalten und alles vergessen, vor allem David und an unserem letzten Abend merkte ich, dass ich überhaupt keine Lust hatte, zurück nach Berlin zu fahren, zu Kerima und zu David.” Lisa verzog bei der Erwähnung von Davids Namens das Gesicht.

“Richard hat mir dann einen Vorschlag gemacht, der mich zuerst ziemlich überrascht hat, aber am Ende habe ich doch ja gesagt.” Lisa schmunzelte. Es gefiel ihr, Jürgen auf die Folter zu spannen. Dieser runzelte die Stirn. “Was denn für einen Vorschlag?” Lisa hampelte auf dem Stuhl hin und her. “Einen ungewöhnlichen Vorschlag!” deutete sie an. Ihr gefiel dieses Spiel und sie wollte es so lange wie möglich ausdehnen.

Jürgen stöhnte ungeduldig. “Lisa!! Was?!” Lisa grinste über das ganze Gesicht. “Ist ja schon gut. Er hat mich gefragt….ob ich ihn heiraten möchte.” Gespannt sah Lisa Jürgen an. Dieser rührte sich ein, zwei Sekunden überhaupt nicht. Unbeweglich sah er sie an. Dann sackte sein Kopf nach unten auf die Brust und er sah sie von unten herauf ungläubig an. “Er hat was….?”

Jürgen setzte sich kerzengerade auf und sah Lisa durchdringend an. “Und du hast ja gesagt…?” Lisa grinste bis über beide Ohren und nickte. Dann streckte sie beide Hände aus, so dass Jürgen ihre Ringe deutlich sehen konnte. “Das…” Sie zeigte auf ihre linke Hand. “Ist der Verlobungsring. Und der….” Lisa deutete auf ihre rechte Hand. “Der ist eigentlich auch zur Verlobung, aber eigentlich auch nur so. Nein…” Lisa zog überlegend eine Schnute. “Eigentlich ist der auch zur Verlobung!” korrigierte sie sich und lachte.

Jürgen sah sie zweifelnd an. “Aha. Muß ich das jetzt verstehen…?” Lisa rollte sich mit dem Stuhl näher zum Bett. “Jürgen…” Sie beugte sich vor und nahm Jürgens Hände in ihre. “Ich verstehe, dass du Zweifel hast. Du kennst Richard nicht so, wie ich ihn kenne. Er tut mir gut…” Lisa sah ihren Freund eindringlich an, der nicht wirklich überzeugt dreinschaute. “Bist du sicher, dass er nicht nur Kerima will?”

Lisa lachte auf und setzte sich wieder aufrecht hin. “Nein, auf keinen Fall. Das hätte er auch wesentlich einfacher haben können. Statt sich über Wochen und Monate an mich heranzuspielen, hätte er mich einfach vom Dach fallen lassen können auf der Toga-Party. Oder er hätte mich einfach in meinem Büro liegen lassen können, statt mich ins Krankenhaus zu bringen.”

“Hm.” brummte Jürgen mit verschränkten Armen. “Das überzeugt mich nicht.” Frustriert ließ Lisa ihre Hände auf ihre Beine klatschen. “Ach Jürgen…ich bin so froh, Richard zu haben, er kümmert sich unglaublich lieb um mich. Sogar Sophie ist total nett zu mir…!”

Jürgen beugte sich vor und stützte seine Ellbogen auf die Knie. “Lisa, ich will nur nicht, dass du verletzt wirst. Du bist der liebste Mensch, den ich kenne, aber leider bist du auch sehr….na ja, gutgläubig! Und der Brahmberg und erst recht seine Mutter waren, soweit ich das mitbekommen habe, bislang alles andere als ‘reizend’ und ‘liebevoll’….!” Jürgen setzte die beiden Worte mit den Fingern in imaginäre Gänsefüßchen und zog skeptisch eine Augenbraue hoch.

Lisa lächelte ihn milde an. “Ich weiß. Weißt du, was Richard mir erzählt hat? Er hat sich schon vor längerer Zeit in mich verliebt und es auf der Toga Party erst gemerkt, als ich fast abgestürzt wäre. Und weil er wusste, dass ich damals noch in David verliebt war und er glaubte, niemals eine Chance bei mir zu haben, ist er mir daraufhin komplett aus dem Weg gegangen.”

Überrascht sah Jürgen sie an. “Tatsächlich? Hm.” Überlegend sah er an ihr vorbei. Eine Weile sprach keiner ein Wort. Dann beugte Lisa sich erneut vor. “Jürgen.” sagte sie leise und eindringlich. “Ich werde heiraten….!” Beschwörend sah sie ihn an und lächelte.

Jürgen sah sie ein, zwei Sekunden überlegend an, dann grinste er. “Ich weiß!” rief er, sprang auf und umarmte Lisa stürmisch. “Herzlich Glückwunsch, Lieselotte!” Lisa erwiderte die Umarmung und lachte. “Danke.”

“Aber eine Frage hab ich noch.” sagte Jürgen, als er sich von Lisa löste. Fragend hob Lisa beide Augenbrauen. “Liebst du ihn?”

Schweigend sahen die Freunde sich an. “Ich meine nur, weil du eben sagtest ‘weil ich damals noch in David verliebt war’.” sagte Jürgen dann. “Und ich kenne dich, Lisa - du heiratest nicht einfach so….!”

Lisa ließ sich in dem Stuhl zurückfallen und zuckte mit den Achseln. “Vor dem Urlaub habe ich Sophie noch gesagt, ich liebe ihren Sohn nicht…” begann sie überlegend. “Aber in dem Urlaub sind wir uns schon irgendwie näher gekommen.” Lisa dachte an die gemeinsamen Fernseh-Kuschel-Abende, nach denen sie immer bei Richard übernachtet hatte, in einem Bett. Der Spaziergang am Strand an ihrem ersten Tag. Der Heiratsantrag auf dem Balkon am letzten Abend. Gedankenverloren lächelte Lisa.

Jürgen beobachtete Lisa zufrieden lächelnd. ‘Sie sieht glücklich aus…’ dachte er bei sich. “Er bedeutet mir sehr viel.” sprach Lisa weiter und drehte ihren Verlobungsring. “Ich weiß nicht, ob es Liebe ist, aber…ich freue mich auf die Hochzeit und das Zusammenleben mit ihm.”

Jürgen nickte lächelnd. “Und ich freue mich, wenn du zufrieden bist. Das hast du dir nach dem ganzen Trara mit David wirklich verdient!”



Da es schon spät geworden war, hatte Lisa sich entschlossen, bei Jürgen zu übernachten. Dieser hatte ihr sein Bett überlassen, während er auf dem Boden davor auf im Schlafsack campierte. Lisa war schon halb weggeduselt, als das Piepen ihres Handys den Eingang einer sms signalisierte. Lisa angelte schlaftrunken nach ihrer Brille und ihrem Handy.

‘Eine neue  Nachricht. Von Richard Handy’ stand auf dem Display. Lächelnd klickte Lisa auf ‘lesen’. “Hey…bist du noch wach?” Lächelnd schüttelte Lisa den Kopf und antwortete: “So halb. Ist was passiert….?”

Statt einer Antwort-sms klingelte kurz darauf Lisas Handy. Diese hatte inzwischen den Klingelton umgestellt auf vibrieren, um Jürgen nicht zu wecken. “Ja?” meldete Lisa sich leise und zog sich vorsichtshalber die Decke über den Kopf. “Ich kann nicht schlafen.” knurrte Richard ins Telefon. “Ich hab mich im Urlaub daran gewöhnt, dass du neben mir liegst, wenn ich einschlafe.”

Lisa lachte leise. “Lach nicht.” motzte Richard. “Morgen Nacht schläfst du bei  mir, klar?” “Geht klar.” grinste Lisa. Es folgte kurze Stille. Scheinbar war Richard mit ihrer Antwort zufrieden. “Wo bist du eigentlich?” fragte er dann. “Bei Jürgen. Wir haben noch lange geredet und dann hatte ich keine Lust mehr, raus nach Göberitz zu fahren.” erklärte Lisa.

“Du hättest ja auch zu mir kommen können.” beschwerte Richard sich. “Ich wusste ja nicht, dass du Einschlafprobleme hast..!” entgegnete Lisa belustigt. “Sag mal….hast du eigentlich mal in deinen Verlobungsring geschaut?” fragte Richard dann in einem ganz anderen Tonfall. Er klang nun eher wie ein kleiner Junge, irgendwie nervös.

“In den Ring? Moment.” Lisa klemmte sich das Handy zwischen Schulter und Ohr, um den Ring von ihrer linken Hand abzuziehen. Da sie jedoch nichts erkennen konnte, nutzte sie das Licht des Displays, um in den Ring zu leuchten. “Lisa von Brahmberg” war dort in geschwungener Schrift eingraviert. Lisa lächelte gerührt.

“Das ist….sehr schön.” flüsterte sie ins Telefon. “Ist zwar schon etwas vorgegriffen, aber…” setzte Richard an. “Dauert ja nicht mehr lange.” ergänzte Lisa lächelnd. “Lisa?” Wieder klang Richard nervös. “Ja?” “Ich liebe dich.” sagte er so unendlich zärtlich, dass sich Lisas Herz zusammenzog und ihr unwillkürlich die Tränen in die Augen traten. “Ich bin so froh, dich zu haben, Richard.” sagte sie mit tränenerstickter Stimme. “Schlaf jetzt.” erwiderte Richard sanft. “Ja. Bis morgen.” sagte Lisa leise und beendete die Verbindung.

Lisa legte das Handy weg und kuschelte sich erneut in die Kissen. Mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen schlief sie ein…

37

Agnes Hetzer zog kurz verwundert eine Augenbraue hoch, als Richard am nächsten Montag kurzfristig Sekt für einen kleinen Empfang orderte, der bereits zwei Stunden später stattfinden sollte. Agnes schätzte solche Spontanaktionen überhaupt nicht, doch wenigstens mußte sie nicht auch noch Häppchen herrichten. Also schickte sie Timo los, einige Flaschen Sekt zu kaufen, während sie und Hannah ausreichend Sektgläser zusammensuchten.

Gegen 10 h versammelte sich die gesamte Führungsetage von Kerima im Foyer, zusammengetrommelt von Natascha . Keiner wusste, worum es ging und es wurde untereinander leise geredet, gemutmaßt, was Richard von Brahmberg wohl von ihnen wollen könnte.

Etliche fragende Gesichter sahen schließlich zum Laufsteg, als Richard samt Lisa darauf erschien. Diese knete nervös ihre Hände. Jetzt, wo alle Blicke auf sie gerichtet waren, wurde ihr doch etwas mulmig. Richard, der einen halben Schritt vor ihr ging, griff ohne hinzusehen nach ihrer Hand und drückte sie beruhigend. Lisa lächelte, während sie zu Boden sah. Ganz vorne am Laufsteg blieben sie stehen.

“Liebe Kollegen, liebe Mitarbeiter!” begrüßte Richard die versammelte Mannschaft und ließ kurz seinen Blick über die Gesichter gleiten. David stand neben Max und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Grimmig sah er zu Lisa und Richard hinauf. Scheinbar ahnte er nichts Gutes.

“Sicher fragen sie sich alle, warum ich, wir sie hier zusammengerufen haben. Keine Sorge, wir haben nur gute Nachrichten für sie.” lächelte Richard und ein beruhigtes Murmeln ging durch die Menge. Wenn die Mehrheitseignerin und einer der Geschäftsführer eine spontane Versammlung einberiefen, konnte man ja nie wissen…!

“Um es kurz und knapp zu sagen.” Richard sah lächelnd zu Lisa hinüber, die seinen Blick nervös erwiderte. “Ich habe Frau Plenske um ihre Hand gebeten. Wir werden in drei Wochen heiraten!”

Stille. Ungläubig sahen Agnes, Inka, Timo, Hannah und all die anderen sie an. Agnes faßte sich als erste wieder und begann zu klatschen. Nach und nach setzte allgemeiner Beifall ein. Richard nickte seinen Kollegen lächelnd zu. “Wir werden standesamtlich im kleinen Kreis heiraten, aber es wird auch eine kleine Feier hier bei Kerima geben.” kündigte er an. “Agnes, der Sekt bitte!”

Agnes nickte und griff nach dem ersten Tablett, um Sekt an alle zu verteilen. Richard, der Lisa immer noch an der Hand hielt, sah zu Max und David hinüber. Die beiden waren die einzigen, die verkniffen dreinschauten, David sogar stinksauer. Er riß Agnes förmlich das Glas Sekt aus der Hand und trank es auf ex.

“Herzlichen Glückwunsch!” rief Timo und hob sein Glas. Richard und Lisa prosteten lächelnd zurück.

“Küssen!!” rief Inka in ihrer typischen Marnier. “Küssen, küssen, küssen!”

Lachend drehte Richard sich zu Lisa um. “Darf ich…?” fragte er leise. Er wusste, dass Lisa eh schon hypernervös war. Zappelig sah sie ihn an und nickte. “Ja.” brachte sie schließlich heiser hervor. Langsam beugte Richard sich zu ihr hinab und legte sanft seine Lippen auf ihre. Er küsste sie zärtlich, aber kurz, um sie nicht zu überfordern. Lisa war immer wieder aufs neue überrascht, wie gefühlvoll er küsste. Eine warme Welle durchlief ihren Körper.

Ihre Kollegen applaudierten und Inka johlte begeistert. Lisa sah zu David hinüber, als sie sich von Richard löste, doch dieser stand nicht mehr neben Max. In gleichen Moment flog die Tür von Davids Büro krachend ins Schloß und Lisa zuckte erschrocken zusammen. Die Lamellen der Tür schwangen wild hin und her.

“Da ist wohl jemand sauer.” murmelte Richard. Einige Kollegen sahen irritiert zu Davids Büro hinüber. Max hob beschwichtigend die Hände und folgte seinem Freund. Drinnen drehte er erstmal die Lamellen auf blickdicht.

Lisa hatte jedoch keine Zeit, weiter auf David zu achten oder dem, was in seinem Büro derzeit vor sich ging. Als erstes kamen Hannah, Hugo und Inka zu ihr. Inka und Hannah bewunderten ausgiebig die Ringe, die Richard ihr geschenkt hatte und ließen sich immer wieder erzählen, wie es zu der Verlobung gekommen war, während Hugo bereits mit Richard besprach, wie dessen Anzug aussehen sollte - natürlich, nachdem er ihm herzlich gratuliert hatte.

“Mademoiselle Plenske, quelle surprise!” wandte er sich dann an die Braut. Lisa erwiderte sein Lächeln. “Ja, ich weiß, es ging alles ganz schnell.” “Haben sie schon eine Idee, was sie bei der Trauung tragen wollen?” erkundigte er sich und ließ bereits seinen fachmännischen Blick über Lisas Figur gleiten. “Wir sollten uns dringend in mein Atelier zurückziehen!” kündigte er an, noch bevor Lisa antworten konnte. “Nur drei Wochen….mon dieu, meine Nerven!” jammerte Hugo und warf die Hände in die Luft.


In Davids Büro beobachtete Max stumm, wie sein Freund sich einen weiteren Whiskey eingoss.

38

David hatte gerade das gefüllte Glas an die Lippen geführt, als ihm Max’ Blick auffiel. Er hielt in der Bewegung inne. “Was?!” fauchte er seinen Freund an und leerte das Glas, ohne eine Antwort abzuwarten. Max schüttelte den Kopf. “Nichts. Ich frage mich nur, wieso du so sauer bist.”

David lachte spöttisch und stellte das Glas knallend auf seinem Schreibtisch ab. “Ja wieso denn bloß?! Wieso sollte ich sauer sein??” ätzte er und schenkte Max einen giftigen Blick, während er um einen Tisch herum ging und den PC startete. “Nur, weil Lisa, meine Lisa, Richard von Brahmberg heiratet…! Tz.” spottete David und starrte böse auf den Bildschirm. Der PC war gerade dabei hochzufahren.

“Deine Lisa…?” echote Max. Davids Kopf ruckte hoch. “Ja, meine Lisa! Meine Freundin Lisa!” bekräftigte David. Max legte zweifelnd die Stirn in Falten. “Wenn du damit ‘beste Freundin’ meinst, ok, aber…” “In wen war Lisa denn die ganze Zeit verliebt, bevor mein Halbbruder sie in seine schmutzigen Griffel bekam?!” rief David wütend. “Und wer hat sich immer einen Dreck darum geschert…?” rief Max zurück. Langsam wurde auch er sauer.

David hakte auf seine Tastatur ein, ohne auf seinen Freund zu achten. “Was machst du da eigentlich?” fragte Max genervt. “Ich will nur kurz nachsehen, wie viele Aktienanteile Richard gehören und sie mit Lisas addieren.” murmelte David, während er weiter etwas eintippte. Dann gab er ein spöttisches Geräusch von sich und lehnte sich in seinem Sessel zurück, während er den Bildschirm mit bösen Blicken durchlöcherte.

“Nach der Hochzeit gehören dem Ehepaar Brahmberg zusammen 66 % von Kerima Moda. Sie werden das absolute und uneingeschränkte Sagen haben.” Max zuckte unbeeindruckt mit den Achseln. “Na und. Lisa war doch schon vorher Mehrheitseignerin. Für sie ändert sich doch nichts.”

David warf Max einen säuerlichen Blick zu. “Aber für Richard. Was glaubst du, warum er sich die ganze Zeit an Lisa herangemacht hat? Wieso er sie heiratet? Wenn sie erst seine Ehefrau ist, wird sie wohl kaum noch gegen eine seiner Entscheidungen stimmen.”

Max wurde blaß. “Das…das ist ja quasi so, als wäre Richard dann unser Boss!” stieß er entsetzt aus und erntete dafür einen spöttischen Blick von David. “Blitzmerker. Was glaubst du, warum ich die ganze Zeit versucht habe, Lisa wieder von meinem Brüderchen loszueisen…?”

Max, der die ganze zeit gestanden hatte, ging zu einem der Sessel und ließ sich hineinfallen. “Ich versteh gerade gar nichts mehr. Siehst du in Lisa nun deine beste Freundin, liebst du sie oder war sie für dich nur Mittel zum Zweck, um Einfluß bei Kerima zu haben?” fragte er.

Davids Gesichtsausdruck wechselte von sauer zu bedrückt. Jegliche Spannung wich aus seinem Körper und seine Schultern sackten nach unten, während er ins Leere sah. “Lisa und ich…das war immer was Besonderes, auch, als ich noch mit Mariella zusammen war. Immer, wenn ich nicht mehr weiter wusste, hab ich mich an Lisa gewandt. Sie wusste oft besser, was mit mir los war, als meine eigene Verlobte.” David lachte auf. “Meistens sogar besser als ich.”

Er schwieg einige Sekunden. “Ich hab mich ihr gegenüber benommen wie ein Arsch. Ich vermisse sie wahnsinnig.” David presste die Lippen zusammen und senkte den Blick. Max sah ihn betroffen an. Die Verlobung, Richard als sein neuer Quasi-Chef, Davids Gefühle für Lisa…das mußte auch er erstmal verdauen.

“Und…was hast du jetzt vor?” fragte er leise, nachdem beide eine Weile nichts gesagt hatten. David sah ihn traurig an. “Nichts.” antwortete er resigniert. “Ich habe alles versucht, um Lisa zurückzugewinnen. Sie will nichts mehr mit mir zu tun haben. Und ich kenne Lisa: Sie ist loyal. Zum jetzigen Zeitpunkt würde sie Richard niemals in den Rücken fallen, geschweige denn ihn verlassen. Lisa ist eine treue Seele…” resümierte er leise. “Es bleibt mir nur, sie im Auge zu behalten und notfalls für sie da zu sein.”

Max nickte. Es war merkwürdig für ihn, David so reden zu hören. Normalerweise ließ dieser sich nicht die Butter vom Brot nehmen, sondern kämpfte für das, was er haben wollte.

David seufzte. “Immerhin wird Lisa ja dann meine Schwägerin sein, so wird es mir nicht schwer fallen, sie im Auge zu behalten.” überlegte er. “Bleibt uns nur zu hoffen, dass Richard die Belegschaft nicht allzu sehr mobben und Kerima in den Ruin treiben wird.” seufzte Max. David lächelte dünn. “Keine Sorge. Dafür wird Lisa schon sorgen.”


40

“David, mach bitte ein anderes Gesicht.” forderte Friedrich Seidel seinen Sohn drei Wochen später auf. “Es ist immerhin die Hochzeit deines Halbbruders. Und eine Schwägerin wie Lisa wünscht sich doch wohl jeder. Oder Kim?” Friedrich zwinkerte seiner Tochter auf dem Weg zum Auto zu. Die Seidels würden alle gemeinsam zum Standesamt fahren. “Auf jeden Fall!” erklärte Kim gut gelaunt und stieg ein. “Lisa ist total cool. Total retro! Abgespacet!”

David warf seiner Schwester einen schrägen Blick zu und setzte sich auf den Beifahrersitz. Sein Vater würde fahren, Kim und Laura saßen hinten. Am liebsten wäre David gar nicht zu der Hochzeit gegangen. Trotz dessen, was er zu Max gesagt hatte, hatte er keinerlei Lust, diesem Ereignis beizuwohnen. Aber sein Vater hatte ohne jedes Pardon darauf bestanden.

Als David, Kim, Laura und Friedrich im Standesamt ankamen, warteten schon Bernd, Helga, Sophie und natürlich Richard samt Lisa im Gang. Flüchtig las David, was auf dem Schild neben Zimmer 103, dem Trauzimmer, stand: “03.07.2008, 11.30 Uhr, Trauung Richard von Brahmberg und Elisabeth Plenske.” Nur, weil er befürchtete, sein Vater könne ihn im Blick haben, verzog er nicht das Gesicht.

Mit den Händen in den Hosentaschen stellte er sich etwas abseits zu den anderen, die gerade ausführlich Lisas Kleid bewunderten. Es war schneeweiß, hatte etwa drei Finger breite Träger und einen ziemlich tiefen Ausschnitt. Dafür war es lang und ausladend geschnitten, eben wie ein typisches Hochzeitskleid. Trotz seiner miesen Laune mußte David zugeben, dass Hugo mal wieder hervorragende Arbeit abgeliefert hatte. Und das in der kurzen Zeit.

David sah Lisa genauer an. Ihre Haare waren hochgesteckt, sie trug weder einen Schleier, noch einen Hut. Sie sah einfach nur wunderschön aus. Offenbar trug sie für diesen besonderen Tag Kontaktlinsen. Noch nie war es David so sehr aufgefallen, wie hübsch sie war. ‘Irgendwie hat sie sich sehr verändert in den letzten Wochen….sie macht viel mehr aus ihrem Typ, ohne sich aufzubrezeln.’ überlegte David.

Er seufzte leise und wünschte sich, wenigstens Max wäre hier, doch außer den Familien würde niemand zu der Hochzeit erscheinen. Die Tür von Zimmer 103 wurde geöffnet und ein älterer, gutmütig aussehender Herr schaute heraus. “Das Brautpaar von Brahmberg / Plenske?” Lisa nickte aufgeregt und hakte sich bei Richard ein, der ihr den Arm hinhielt. “Treten sie ein.” Der ältere Herr lächelte und verschwand aus Davids Blickfeld.

Richard und Lisa gingen voran, ihre Familien folgten ihnen, David betrat zuletzt den urig gemütlich eingerichteten Raum. Unwillkürlich dachte er an Mariella. ‘Fast wärst du mit ihr auch hier gelandet….’ Während das Brautpaar vor dem Tisch des Standesbeamten Platz nahm, setzten die anderen sich auf die bereitgestellten, plüschigen Stühle im Hintergrund. Zufrieden lächelnd sah Sophie nach vorne.

Lisa war froh, dass sie einen kleinen Blumenstrauß dabei hatte. Diesen hielt sie fest umklammert, so dass keiner bemerkte, wie ihre Hände zitterten. Keiner, bis auf Richard, der sie lächelnd von der Seite ansah und nach ihrer linken Hand griff, um sie aufmunternd zu drücken. Während der ganzen Zeremonie ließ er sie nicht einmal los.

Nach einer kleinen Rede kam der Standesbeamte endlich zum wichtigsten Teil. “Und so frage ich sie, Richard von Brahmbeg, wollen sie die hier anwesende Elisabeth Maria Plenske zu ihrer rechtmäßig angetrauten Ehefrau nehmen, so antworten sie klar und deutlich mit ‘ja’!” Lisa sah aus den Augenwinkeln, dass Richard zu ihr hinübersah und wandte ihm nervös den Blick zu. Ihr Fast-Ehemann zwinkerte ihr lächelnd zu. “Ja.” sagte er dann mit fester, lauter Stimme.

“Und wollen sie, Frau Elisabeth Maria Plenske, den hier anwesenden Richard von Brahmberg zu ihrem rechtmäßig angetrauten Ehemann nehmen,…” “Ja!” platzte Lisa heraus. Leises Gelächter ertönte von hinten und auch der Standesbeamte mußte schmunzeln. “In Ordnung.” Lisa wurde knallrot. “Hiermit erkläre ich sie zu gesetzlich verbundenen Eheleuten.” Der Standesbeamte nickte Richard zu. Dieser strich mit dem Daumen über Lisas Hand, die immer noch in seiner lag, als er sich ihr zuwandte.

Nervös schloß Lisa die Augen, als Richard sich zu ihr hinabbeugte. Unmittelbar darauf spürte sie seine warmen, weichen Lippen auf ihren. ‘Dein Hochzeitskuss….’ schoß es ihr durch den Kopf. Richards Kuss war sanft, aber für ihren Geschmack zu kurz. Als er sich von ihr löste, öffnete Lisa die Augen und strahlte ihn ergriffen und glücklich an.

Kim war derweil mit einem Kissen nach vorne getreten, auf dem ihre Trauringe lagen. Über das ganze Gesicht strahlend hielt sie ihrem Halbbruder die Ringe hin. Richard nahm den kleineren Ring und Lisa hielt ihm ihre rechte Hand hin, damit er ihr den Ring an den Ringfinger stecken konnte. Mit angehaltenem Atem sah sie ihm dabei zu. ‘…eine verheiratete Frau….Lisa von Brahmberg….’ dachte sie nervös.

Lisa lächelte Richard übermütig an und nahm dann den zweiten Ring von Kim entgegen. Richard reichte ihr ebenfalls seine rechte Hand und Lisa streifte ihm den schlichten, goldenen Ring über. Sie liebte diese Ringe. Ihre Eltern trugen fast die gleichen und so waren sie für Lisa das Symbol einer glücklichen, langen Ehe.

“Richy!” quietschte Kim anschließend entzückt und fiel ihrem Bruder um den Hals. Dieser drückte seine kleine Schwester lachend an sich. Langsam erhoben sich auch die restlichen Familienmitglieder und gingen nach vorne, um dem Brautpaar zu gratulieren.
Lisa wurde von allen gedrückt, wurde von Arm zu Arm gereicht. Zuerst natürlich von ihrer Mutter, die weinend Unverständliches murmelte, dann von ihrem Vater. “Schnattchen….ick wünsch dir, dat de glücklich wirst.” flüsterte er ihr ins Ohr, als er sie umarmte. “Das bin ich, Papa.” versicherte Lisa ihm, der mittlerweile auch Tränen in den Augen standen.

“Lisa.” Kim sprang Lisa förmlich in die Arme. “Jetzt sind wir Schwägerinnen, cool!” Begeistert strahlte Kim sie an. “Ja.” sagte Lisa lachend. “Voll cool.”

“Lisa.” Sophies Stimme klang sanft, als sie lächelnd die Arme nach ihrer Schwiegertochter ausstreckte. “Sophie.” erwiderte Lisa gerührt und umarmte ihre Schwiegermutter. “Ich bin überglücklich, dass du Richards Frau bist.” Bei Sophies Worten begann Lisa endgültig zu weinen. “Ich danke dir…” Lächelnd sah sie Sophie in die Augen, bis Laura und Friedrich zu ihr kamen, um ihr ebenfalls zu gratulieren.

Zuletzt kam David zu ihr, er sah als einziger ernst aus. Lisa sah ihn abwartend an. Er würde doch wohl keinen Aufstand machen…? “Herzlichen Glückwunsch, Lisa.” Sein Gesicht zeigte keinerlei Regung, als er Lisa vorsichtig in den Arm nahm. Richard beobachtete sie Szene abwartend. Er spürte, dass David den Kampf aufgegeben hatte.
“Danke, David.” sagte Lisa leise in seinem Arm.

Als David sich von Lisa gelöst hatte, ging er zu Richard und reichte ihm die Hand. Richard ergriff sie und zog seinen Bruder an sich. Die Brüder schlugen sich freundschaftlich auf den Rücken. “Glückwunsch, Richard. Behandel sie gut. Mach sie glücklich.” sagte David leise. Richard nickte. “Das werde ich.” sagte er, wobei er David in die Augen sah.

41

Nach dem Standesamt waren alle in die Villa Seidel gefahren, wo sie auf der großen Terrasse an einem festlich gedeckten Tisch im Freien zu Mittag aßen. Richard und Lisa saßen als Brautpaar in der Mitte der Tafel, Sophie neben Richard, neben Lisa saßen ihre Eltern. Friedrich, Laura, Kim und David saßen auf der anderen Seite des Tisches. Die Stimmung war gelöst und fröhlich und David, der immer wieder einen verstohlenen Blick auf Lisa warf, mußte zugeben, dass sie glücklich wirkte. Jedenfalls lachte sie die ganze Zeit und ihre Augen strahlten.

David schluckte, wenn er Richards Blicke sah, die leise lächelnd aber voller Stolz Lisa galten. ‘Er liebt sie wirklich.’ erkannte er plötzlich und war erstaunt über diese Erkenntnis. ‘Moment…es ist immer noch Richard von Brahmberg.’ warnte ihn die Stimme der Vernunft und schon zweifelte David wieder. Nachdenklich sah er seinen Halbbruder an, der gerade mit Laura sprach. War es möglich…?

‘Lisa hat dich verändert, wieso nicht auch Richard? Na ja….so weit ging die Veränderung ja nun auch nicht - immerhin hast du weiterhin Bunnys in deinem Büro gepoppt. Und wenn du das nicht gemacht hättest, säßest du jetzt nicht hier, auf der Hochzeit deines Bruders mit Lisa. Ja ja ja!’ Ärgerlich runzelte David die Stirn über sein innerliches Selbstgespräch, während er angestrengt seine Suppe löffelte.

Er schielte auf Lisas Hand, an der der goldene, schmale Ring glänzte. Sophie hatte ihnen stolz die Gravur vor der Trauung gezeigt. “Elisabeth von Brahmberg” stand in Lisas Ring. Bedrückt ließ David den Löffel sinken. Sein Hals war plötzlich wie zugeschnürt. “Darf ich abräumen, Herr Seidel?” holte Gabriele ihn aus seinen Gedanken. Überrascht sah David das Hausmädchen an und nickte mit kurzer Verzögerung. “Ja. Danke, Gabriele.”

Nach dem Essen schob Gabriele den Phonowagen mit dem Original uralten Grammophon von Davids Urgroßvater in die Terrassentüre und legte lächelnd einen Walzer auf. Friedrich grinste und nickte seinem Sohn auffordernd zu. “Der Eröffnungswalzer, Richard.” sagte er leise. Richard lächelte, legte seine Serviette auf den Tisch, stand auf und deutete vor Lisa eine Verbeugung an.

“Frau von Brahmberg….?” Richard hielt Lisa seinen Arm hin. “Darf ich bitten?” Lisa wurde rot und stand ebenfalls auf, um sich bei ihrem Ehemann einzuhaken. Dieser führte sie zu der freien Fläche neben dem Tisch und nahm die klassische Standardposition ein. “Ich kann nicht tanzen!” flüsterte Lisa ihrem Mann zu. Richard lachte leise. “Laß dich einfach führen.” erwiderte er ebenso leise.

Richard machte die ersten Schritte und es fiel Lisa leicht, ihm zu folgen. Innerhalb kürzester Zeit hatte sie die Schrittfolge raus. Lächelnd sah sie Richard in die Augen. Die Musik war plötzlich wie ausgeblendet und ihre Füße reagierten wie automatisch, ohne, dass sie darüber nachdenken mußte. Sie fühlte sich wie auf einem Karussell, die ganze Welt um sie herum drehte sich, während sie sich auf einen Punkt konzentrierte. Es war berauschend, es machte sie glücklich. Richard einfach nur in die Augen zu sehen und von ihm bei diesem Tanz gehalten zu werden…mehr brauchte sie in diesem Moment nicht, um glücklich zu sein. Richard wandte den Blick nicht eine Sekunde von ihr ab.

Erst als er innehielt, bemerkte sie, dass der Walzer verklungen war. “Darf ich ablösen?” fragte Friedrich galant. “Gerne, Vater.” Richard reichte seinem Vater symbolisch Lisas Hand und ging zurück zum Tisch. “Mutter, darf ich bitten?” Erfreut strahlte Sophie ihn an. “Gerne, Richard.”

David blieb am Tisch sitzen, während sein Vater mit Lisa tanzte, der danach von Bernd abgelöst wurde. Erst dann ging er ebenfalls zu Lisa. “Hast du für mich auch noch einen Platz auf deiner Tanzkarte, Schwägerin?” fragte er ernst. Angespannt sah er Lisa in die Augen. Doch diese lächelte ihn an. ”Natürlich.”

Nervös begann David mit Lisa zu tanzen. Schließlich räusperte er sich. “Lisa…” setzte er an. “Ich weiß, dass es die letzten Wochen zwischen uns alles andere als gut gelaufen ist, aber…ich möchte, dass du weißt, dass ich immer für dich da sein werde. Was immer auch ist.” Ernst sah er ihr in die Augen. “Und das sage ich als Freund. Als dein Schwager und Freund. Wenn du mich noch als Freund haben möchtest heißt das.”

Lisa lächelte. “David? Du plapperst.” David grinste schief. “Sorry, aber ich hab irgendwie ein schlechtes Gewissen wegen….wegen allem.” Mit Unbehagen dachte er an den One night stand in seinem Büro, Lisas Selbstmordversuch und all den Streit, den sie danach gehabt hatten, bis zu der Auseinandersetzung in Richards Wohnung, wo er sie gegen ihren Willen geküsst hatte. Inzwischen verstand David selbst nicht mehr, wie er so hatte ausflippen können.

Lisa legte den Kopf schief und sah ihn forschend an. “Laß uns das vergessen, David, ja? Wir vergessen das einfach und sind wieder Freunde. Ok?” sagte sie leise, während sie ihm in die Augen sah. David durchflutete ein warmes Gefühl nun das erste Mal für diesen Tag fühlte er sich besser. Er nickte. “Freunde.”

Sie hatten unbewußt aufgehört zu tanzen und jetzt beugte David sich zögernd zu Lisa hinab, um sie zu umarmen. Zu seiner Erleichterung erwiderte Lisa die Umarmung. “Hey hey hey, was ist denn hier los?” polterte Richard plötzlich neben ihnen los.

Erschrocken löste David sich von Lisa. Diese jedoch lächelte. Sie hatte bereits Richards Zwinkern hinter Davids Rücken gesehen. David hielt unbewußt den Atem an, als er sich zu Richard umdrehte. Dieser sah ihn ernst an. Als David seinem Bruder jedoch in die Augen sah, begann er zu grinsen. Er sah genau das kleine, kaum wahrnehmbare Lächelnd, das darin lag.

Grinsend legte David einen Arm um Lisas Schultern. “Man wird jawohl noch seine Schwägerin umarmen dürfen.” “Beherrsch dich, Brüderchen.” knurrte Richard gespielt und streckte die Hand nach Lisa aus. “Und jetzt hätte ich meine Frau gerne wieder, wenn du gestattest.”

Amüsiert über das Geplänkel zwischen den Brüdern grinste Lisa vor sich hin. Sie ergriff Richards Hand und ging zu ihm. “Danke.” sagte sie noch leise zu David und sah ihm noch einmal in die Augen, bevor Richard sie fortführte.

Lächelnd sah David den beiden nach. Er war froh, dass sich das Verhältnis zwischen ihnen wieder deutlich entspannt hatte.

42

Am Abend ließen Richard und Lisa den Tag auf der Terrasse von Richards Penthouse ausklingen. Sie saßen nebeneinander auf dick gepolsterten, gemütlichen Gartenstühlen und sahen auf das nächtliche Berlin hinaus. Es war noch angenehmen warm und ab und zu wehte eine sanfte Briese Lisas Haare zurück. Die frisch vermählten Eheleute schwiegen, doch es war ein vertrautes Schweigen. Jeder ließ gedanklich den Tag Revue passieren.

Lisa fühlte sich rundum glücklich. Immer wieder sah sie lächelnd auf ihren Ehering und drehte ihn versonnen an ihrem Finger. Der Tag war wunderschön gewesen. Noch immer trug sie ihr Kleid, das Hugo für sie entworfen hatte. Sie lehnte sich zurück und legte ihren Kopf an das weiche Kissen. Sie war verheiratet….mit Richard von Brahmberg…Lächelnd sah Lisa zu ihrem Mann hinüber.

Dieser bemerkte, dass Lisa ihn ansah, zog noch einmal an seinem obligatorischen Abend-Zigarello und erwiderte dann Lisas Lächeln. “Noch gar nicht müde?” fragte er leise und Lisa schüttelte den Kopf. “Nein. Außerdem bin ich noch viel zu aufgedreht.” Richard lachte leise. “Zum Glück können wir ja morgen ausschlafen.”

Lisa nickte. Morgen war Samstag. Erst Montag würden sie wieder arbeiten müssen. Sie hatten sich dazu entschieden, nicht in Flitterwochen zu fahren, da es ja im Grunde eigentlich eine Schein-Ehe war. Das hatte vernünftig geklungen, als sie es besprochen hatten, doch jetzt kam Lisa der Gedanke doch merkwürdig vor. Schein-Ehe…das klang irgendwie falsch.

Nachdenklich sah sie Richard an, der seinerseits rauchend in die Weite sah. Schein-Ehe…Schein-Ehemann…Lisa schüttelte unmerklich den Kopf. Nein, das entsprach nicht dem, was sie empfand. Sie war wirklich froh, mit Richard verheiratet zu sein und irgendwie….auch stolz. Lisa lächelte über ihre eigenen Gedanken. Aber es stimmte.

Lisa ließ ihren Blick langsam über Richards Gesicht wandern. Er sah gut aus, verdammt gut sogar. Sein Profil war männlich, kernig und….sexy. Eine leichte Röte überzog Lisas Gesicht und sie war froh, dass Richard gerade nicht auf sie achtete. Nicht nur sein Profil war männlich und sexy….Lisa ließ ihren Blick an Richard hinabgleiten. Auch er trug noch seinen schwarzen Anzug und die Fliege. Dazu die Art, wie er rauchte….Eine leichte Gänsehaut überzog Lisas Arme.

In diesem Moment schaute Richard zu ihr hinüber. “Ist dir kalt?” Erstaunt zog er eine Augenbraue hoch, die Sonne war zwar dabei, unterzugehen, aber kalt war es nun wirklich nicht. Verlegen lächelte Lisa und rieb sich über die Unterarme. “Ähm…ein wenig….der Wind.” redete sie sich heraus.

Ihr Mann schüttelte den Kopf. “Dass ihr Frauen immer friert…” Er steckte sich das Zigarillo zwischen die Lippen und kniff gegen den rauch leicht die Augen zusammen, während er sich vorbeugte und sein Jackett auszog, um es Lisa zu reichen. “Hier.” “Danke.” Verlegen über ihre kleine Flunkerei nahm Lisa das Jackett an und legte es sich über die Schultern. Sofort stieg ihr der Geruch von Richards After Shave in die Nase. Genießerisch schnupperte sie daran.


Als es draußen schließlich doch kühler wurde, beschlossen sie, reinzugehen. Nach kurzer Zeit wurde Lisa doch müde und auch Richard hatte nichts dagegen, schlafen zu gehen. Während Lisa noch im Bad war, befreite er sich schon von seinem Anzug und kam schließlich in seinem dunklen Seidenbademantel barfuss ebenfalls ins Bad. Lächelnd lehnte er im Türrahmen und sah Lisa zu, die ihre Hochsteckfrisur gelöst hatte und ihre Haare auskämmte.

“Welchen Film möchtest du gleich sehen?” “Film?” fragend sah Lisa ihn an. “Unsere Tradition! Oder bist du zu müde?” Enttäuscht sah Richard sie an. “Ach so. Nein, gerne.” Lisa überlegte kurz. “Wie wäre es mit Ratatouille - hast du den?” Verwirrt zog Richard den rechten Teil seiner Oberlippe hoch. “Rata was?” Lisa lachte. “Ein Zeichentrick über eine Feinschmecker-Ratte.”

Richard sah sie merkwürdig an und zog beide Augenbrauen hoch, während sein Blick absolute Ironie ausdrückte. “Ich habe eine Frau geheiratet, die sich Zeichentrickfilme über Feinschmecker-Ratten ansieht….oh mein Gott.” Er verdrehte gespielt theatralisch die Augen und stieß sich vom Türrahmen ab, um sich umzudrehen. “Bereust du es schon?” rief Lisa ihm lachend nach. Richard drehte sich noch einmal zu ihr um und lächelte. “Ganz bestimmt nicht.” sagte er.

Als Lisa ihm einige Minuten später ins Schlafzimmer folgte, war der Fernseher schon an. Sie trug wie immer ein Sleepshirt. Richard lag bereits auf dem Bett und hatte die Hände über dem Bauch gefaltet. Als Lisa hereinkam, schluckte er bei ihrem Anblick. Das Shirt endete nur knapp unter ihrem Po und rutschte sogar noch höher, als Lisa unbedarft aufs Bett krabbelte.

Richard räusperte sich. “Ähm, Lisa…” Mit einem Seufzer ließ Lisa sich neben ihn ins Bett fallen, stauchte sich das Kopfkissen zurecht und kuschelte sich dann an Richard. “Hm? Hast du den Film nicht? Wir können auch was anderes kucken.” “Äh, nein, ich hab ihn online bestellt, aber….könntest du dir vielleicht noch eine Schlafanzugshose anziehen…?”

Lisa setzte sich wieder halb auf und sah ihn überrascht an. “Auch meine Selbstbeherrschung hat Grenzen.” erklärte Richard verlegen lächelnd. Traurig senkte Lisa den Blick. Bisher war alles ganz locker zwischen ihnen gelaufen, aber plötzlich machte Lisa sich über Dinge Gedanken, über die sie sich vorher keine gemacht hatte. Fand Richard sie wirklich attraktiv? Wieso versuchte er dann nie, ihr näher zu kommen? ‘Und wieso ist dir das auf einmal wichtig…?’ warf ihre innere Stimme ein, doch Lisa ignorierte sie.

“Soll ich… lieber drüben im Gästezimmer schlafen?” bot sie an, hoffte jedoch gleichzeitig, dass die Antwort “nein” lauten würde. Jetzt war es an Richard, sie erstaunt anzuschauen. “Nein. Es würde mir schon helfen, wenn du nicht ganz so…äh….nackt wärst.” Wieder das verlegene Lächeln.

Lisa setzte sich nun ganz auf und setzte sich im Schneidersitz hin. Richards Blick wanderte unweigerlich unter ihr Shirt. Schnell schloß er die Augen und atmete tief durch, obwohl er nicht wirklich was gesehen hatte. Aber allein, dass Lisa so vor ihm saß, beschleunigte seinen Herzschlag enorm. Nur mit Mühe konnte er sich darauf konzentrieren, was Lisa sagte:

“Ich wollte da sowieso noch was mit dir besprechen.” Seine Frau hielt den Kopf gesenkt und knibbelte an ihren Fingernägeln. Es war ihr deutlich anzumerken, dass ihr das Thema peinlich war. Richard setzte sich ebenfalls auf und legte eine Hand auf Lisas Unterarm. “Lisa…du mußt dir keine Gedanken machen. Mir ist klar, dass du nicht das für mich empfindest, was ich für dich empfinde und du deswegen natürlich nicht mit mir schlafen möchtest.”

Erschrocken über seine direkten Worte sah Lisa ihn an. “Das mußt du auch nicht. Diese Ehe ist ja keine typische Ehe…ich wollte dich aus Davids Schußlinie herausholen und dich gleichzeitig bei mir haben. Du bist mir gegenüber zu nichts verpflichtet.” bekräftigte Richard noch einmal.

Lisa sah ihn nachdenklich an und sammelte Mut, um zu sagen, was sie wirklich dachte. Schließlich atmete sie tief ein. “Ich möchte es aber, Richard."

43

Mit gerunzelter Stirn sah Richard sie einige Sekunden lang irritiert an. “Was?” Er glaubte, sich verhört zu haben. “Na ja, ich möchte….mit dir…” Lisa wurde dunkelrot. Ihm in die Augen sehen - keine Chance. “Du weißt schon…” murmelte sie mit tief gesenktem Kopf.

Richard schwieg daraufhin erneut. Er hätte jetzt mit allem anderen gerechnet, aber nicht mit einer solchen Ansage von Lisa. Eigentlich hatte er sich darauf eingestellt, dass diese Ehe niemals, oder zumindest so schnell nicht, vollzogen würde.

“Lisa…was soll denn das jetzt…? Du bist überhaupt nicht der Typ, der mit einem Mann ins Bett geht, für den sie nichts empfindet…!” Richard war vollkommen verwirrt. Trotzig hob Lisa den Kopf. “Immerhin sind wir verheiratet…” Richard stöhnte. “Dazu hab ich dir eben schon was gesagt. Also?”

Lisa senkte erneut den Kopf und knete ihre Hände. “Ich möchte einfach wissen, wie es ist.” Richard beugte sich zu ihr vor. Sie hatte so leise gesprochen, dass er sie nur mit Mühe verstehen konnte. “Wie es ist…?” echote er. Lisa nickte. “Ich bin 25.…ist doch schon peinlich.” nuschelte sie.

In Richard reifte eine Erkenntnis. Etwas geschockt lehnte er sich in sein Kissen zurück. “Heißt das, du hast noch nie…?” fragte er mit leiser Stimme und sah Lisa genau an. Diese nickte, ohne den Kopf zu heben. “Aber…du warst doch mit Jürgen zusammen…? Ihr ward doch sogar verlobt…!” Richard konnte es nicht fassen.

“Scheinverlobt.” ‘Schon wieder ein Schein.’ huschte es durchs Lisas Gedanken. “Zwischen uns war nie was…” Richard schüttelte ungläubig den Kopf. “Und vorher…?” “Nichts.” antwortete Lisa leise. Ihr Mann schwieg einige Sekunden nachdenklich, dann atmete er schnaufend durch.

‘Ich liebe sie…sie liebt wahrscheinlich immer noch David…und jetzt bittet sie mich auch noch, Sex mit ihr zu haben…ihr Erster zu sein…’ Richard fuhr sich mit einer Hand über die Augen. Er war sich nicht sicher, ob er das durchziehen konnte. Gleichzeitig machte seine Herz kleinen Sprung bei dem Gedanken, dass es passieren würde…dass sie vorher noch nie mit einem anderen….

Lisa missinterpretierte sein Schweigen. Verletzt und traurig sah sie ihn an. “Entschuldige, ich wollte dir nicht zu nahe treten, ich dachte nur….” Richard lachte ironisch auf. “Lisa, glaubst du im Ernst, ich würde nicht mit dir schlafen wollen…?” Ungläubig und amüsiert sah er sie an. Lisa erwiderte seinen Blick verblüfft. “Du willst…?”

Richard lachte erneut. Er konnte es nicht fassen, zu welchen Gedankengängen Lisa fähig war. “Ehrlich gesagt fällt es mir ziemlich schwer, mich zurückzuhalten…” Er räusperte sich. “Aber ich bin mir immer noch nicht sicher, wieso du es tun möchtest. Lisa, du liebst mich nicht…du glaubst doch nicht etwa, mir einen Gefallen tun zu müssen, oder?” Forschend sah er Lisa ins Gesicht.

“Nein.” Lisa schüttelte den Kopf, doch Richards ernster, ja sogar leicht ärgerlicher Gesichtsausdruck blieb. “Sicher?” hakte er noch einmal nach. “Ja.” Lisa nickte. Nachdenklich musterte Richard sie schweigend. “Ok.” sagte er dann. “Unter zwei Bedingungen.” Überrascht nahm Lisa den Kopf zurück. “Bedingungen….?” fragte sie lächelnd. Richard sah sie ernst an. “Ja. Wir tun es. Aber nicht heute. Und in Anbetracht der Umstände, dass es dein erstes Mal sein wird, werden wir es langsam angehen lassen.”

Richard war immer noch nicht von Lisas Beweggründen überzeugt und wollte ihr die Chance geben, die Sache noch zu stoppen, bevor es irgendwann zum Äußersten kam. “Meinetwegen.” erklärte Lisa verständnislos. Sie verstand nicht, wieso Richard so irritiert war über ihren Wunsch. Wenn er es doch auch wollte, wieso stellte er sich dann so an….?

Dann grinste sie ihn an. “Darf ich mich denn noch an dich kuscheln während des Films?” Grinsend streckte Richard eine Hand nach ihr aus. “Das ist erlaubt.” Lächelnd krabbelte Lisa übers Bett zu ihm, legte sich neben ihn und kuschelte sich an seine Seite. Richard griff nach der Fernbedienung, küsste Lisa auf den Scheitel und startete den Film.

Von diesem bekam er jedoch herzlich wenig mit. Seine Gedanken schweiften immer wieder ab. Den Gedanken an Sex mit Lisa hatte er spätestens seit dem Urlaub erfolgreich verdrängt. Schon damals, als Lisa jeden Abend in seinem Bett geschlafen hatte, war ihm klar geworden, dass er einen Weg finden mußte, mit Lisas Nähe klar zu kommen, ohne jedes Mal vor Verlange nach ihr nahezu überzuschnappen. Und irgendwie war ihm das auch gelungen. Zumindest recht gut. Und jetzt eröffnete Lisa ihm, dass das gar nicht nötig sein würde.

Die Vorstellung, dass er Lisas Körper, der sich gerade vertrauensselig an ihn schmiegte, bald würde berühren dürfen, machte ihn hypernervös. Immer wieder tauchten Bilder, Phantasien vor seinem inneren Auge auf, die nicht gerade zu seiner Beruhigung beitrugen. Richard versuchte, sich mit dem Film abzulenken, aber dieser Zeichentrick war nun wirklich nicht sein Geschmack.

Und als Lisa auch noch begann, gedankenverloren abwechseln seinen Nacken und seine Brust zu kraulen, war ihm vollends egal, was diese Ratte in dem Film gerade trieb. Heiß und kalt lief es ihm über den Rücken, während Lisa ihn berührte. Überdeutlich nahm er jede Berührung ihres Körpers an seiner Seite wahr. Richard schloß die Augen und schluckte, in der Hoffnung, sich wieder in den Griff zu bekommen, doch es war sinnlos.

Lisa ließ ihre Hand unter Richards Bademantel gleiten, während sie über eine witzige Szene des Films lachte. Ihre Finger glitten zärtlich über Richards nackte Haut. Wenn sie einatmete, konnte sie immer noch schwach sein Aftershave riechen. Der Duft gefiel ihr. Es fühlte sich gut an, Richard zu berühren, in seinen Armen zu liegen. Sanft kraulte sie sein Brusthaar. Plötzlich stutzte Lisa. Richards Atmung war flach und unregelmäßig, ab und zu hielt er sogar die Luft an.

Lisa hob den Kopf und sah Richard fragend an. Sein Blick verursachte eine Gänsehaut bei ihr. Er war dunkel und verhangen, die Sehnsucht, die darin lag, war unverkennbar. Richards Blick nahm sie gefangen. Die Intensität seiner Gefühle verursachte Herzklopfen bei Lisa. Ihr Blick wanderten zu seinem Mund und wieder hinauf zu seinen Augen. Sie öffnete leicht ihre Lippen und Richard verstand.

Ohne zu zögern beugte Richard sich langsam zu ihr hinab und legte seine Lippen sanft auf ihre. Für einen Moment genoss er das Gefühl, das seinen Körper durchlief. Zwar war dies nicht sein erster Kuss mit Lisa, aber der erste, aus dem mehr entstehen könnte. Und genau diese Aussicht brachte Richard dazu, den Kuss schnell leidenschaftlicher werden zu lassen. Zu aufgeheizt war er von all dem, was ihm in der letzten halben Stunde alles an Phantasien durch den Kopf gegangen war.

Richard beugte sich über Lisa und drehte sie langsam auf den Rücken, während er sie leidenschaftlich küsste. Lisa erwiderte den Kuss ebenso heftig wie er, wobei sie ihre Hände in seinen Haaren vergrub. Als seine Zunge ihre berührte, seufzte sie leise auf. Ein kleiner Seufzer, der ihre Gefühle offenbarte und der Richard von Brahmberg beinahe in den Wahnsinn trieb. “Lisa…” murmelte er heiser an ihren Lippen. “Nicht aufhören.” erwiderte sie bettelnd.

Schwach erinnerte sie sich daran, dass sie auch mit Jürgen rumgeknutscht hatte, doch das waren harmlose Küsse gewesen, wie Kinder sie zum Spaß austauschten. Sie hatte dabei nicht im Entferntesten das gespürt, was Richards Kuss in ihr auslöste. Sie wollte mehr, sie wollte ihn einfach immer weiter küssen, immer mehr von ihm spüren. Wie von selbst schlang sie ihr rechtes Bein um seine Hüfte, um ihn noch enger an sich zu ziehen. Überrascht bemerkte sie die Härte an ihrem Unterleib. Nach der ersten Schrecksekunde lächelte Lisa in den Kuss hinein.

Es war himmlisch, ihn so nahe zu spüren, Richard lag nunmehr auf ihr, fing sein Gewicht jedoch mit aufgestützten Armen ab. Seine Erregung ließ Lisa nicht kalt, ein Kribbeln durchlief ihren Körper und manifestierte sich in ihrem Schoß. “Richy…” seufzte sie leise auf und drängte sich näher an ihn. Zu ihrer Enttäuschung löste Richard sich atemlos von ihr. “Wir sollten….besser aufhören.” stotterte er schwer atmend.

Unglücklich sah Lisa ihn an. “Sollten wir…?” Ihr Mann nickte heftig und legte sich wieder neben sie. Kurz darauf sprang er unvermutet auf. Verdutzt sah Lisa ihm nach, wie er zur Tür ging. “…hab vergessen, zu duschen…” murmelte er und weg war er.

Seufzend ließ Lisa sich zurück in die Kissen fallen und schaute wieder auf den Bildschirm des Fernsehers, ohne wirklich etwas zu sehen. Lächelnd ließ sie die Szene von eben noch einmal vor ihrem geistigen Auge vorüberziehen. Ein erneutes Kribbeln durchlief sie und Lisa kuschelte sich glücklich in die Bettdecke. Bald würde sie mehr davon bekommen….mehr Richy, mehr Kribbeln. Alles.

44

“Sag mal….hörst du mir überhaupt zu…?” Böse funkelte Sophie ihren Sohn an. Dieser blinzelte - aus seinen Gedanken gerissen - zurück und sah sie fragend an. Sophie seufzte und sackte in sich zusammen. “Entschuldige…ich war mit meinen Gedanken woanders.” Richard lächelte verlegen. Spöttisch sah Sophie ihn an. “Dass du nicht an das Musical gedacht hast, von dem ich dir gerade erzählt habe, hab ich selbst gemerkt.” Dann mußte sie aber doch schmunzeln. “Jung verheiratet….” murmelte sie. Richard überspielte seine Verlegenheit mit einem bösen Blick, doch seine Mutter kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass sie genau ins Schwarze getroffen hatte.

Die beiden saßen in Richards Büro und Sophie hatte ihm gerade von einem Musical berichtet, in das sie gerne gehen wollte. Es war eine Tradition, dass Mutter und Sohn einmal monatlich etwas Kultur genossen. Doch wie Sophie soeben feststellen mußte, war ihr Sohn zwar körperlich anwesend, mit seinen Gedanken wohl aber eher bei seiner Ehefrau. Sophie lächelte gedankenverloren, während sie Richard zusah, wie dieser online nachsah, ob für das Musical noch Karten zu bekommen waren. Sie war froh, dass er Lisa geheiratet hatte. Sie brachte Seiten an Richard zu Vorschein, die Sophie lange vermisst hatte.

Richard seinerseits hatte an den gestrigen Abend und den darauf folgenden Morgen denken müssen. Er hatte ziemlich lange geduscht, um seine Emotionen wieder in den Griff zu bekommen, einmal durch das kalte Wasser, zum anderen durch den Abstand zu Lisa.

Als er ins Schlafzimmer zurückgekehrt war, hatte Lisa quer im Bett gelegen und war eingeschlafen. Sie hatte halb seitlich gelegen und ein Bein an den Körper gezogen, so dass ihr Sleepshirt bis über den Po hochgerutscht war. Zwar trug sie ein Höschen, aber bei ihrem Anblick spürte Richard erneut, wie ihn die Erregung ergriff.

Halb genervt, halb ergeben hatte er gestöhnt. “Das machst du doch extra…” hatte er gemurmelte und Lisa sanft an den Beinen gepackt, um sie gerade ins Bett zu legen. Dann hatte er - ohne sie noch einmal genau anzusehen - schnell die Bettdecke über sie gezogen, bevor er sich selbst hingelegt hatte.

Um sich abzulenken, hatte er noch etwas ferngesehen, bis auch er schließlich das Licht gelöscht hatte.

Morgens, am Frühstückstisch, hatte Lisa seine Bitte nach einem kompletten Schlafanzug statt des Sleepshirts wohl schon wieder vergessen. Richard hatte bereits Zeitung lesend am Tisch gesessen, als Lisa verschlafen und mit verwuschelten Haaren erschienen war. Unwillkürlich war Richards Blick an ihr hinunter gewandert und an ihren Beinen hängen geblieben. Als Lisa sich gähnend durch die Haare gefahren war, war das Shirt etwas höher gerutscht . Richard hatte sich geräuspert und sich vorsichtshalber wieder seine Zeitung zugewendet.

“Morgen.” hatte Lisa müde gemurmelt und eine Hand auf seine Schulter gelegt, als sie zu ihm gekommen war . “Morgen.” hatte Richard zurück geknurrt, um sich nicht anmerken zu lassen, wie es wirklich in ihm aussah. Zu seiner Überraschung hatte Lisa sich daraufhin zu ihm hinabgebeugt und ihn auf den Mund geküsst. Unbeeindruckt von seiner vorgeschobenen Laune lümmelte Lisa sich auf den Stuhl, der ihm gegenüber stand und nahm sich ein Brötchen aus dem Korb.

Richard hatte sich ein Grinsen nicht verkneifen können und seine Zeitung höher vor sein Gesicht gehoben.

“Und? Gibt’s noch Karten?” holte ihn die Stimme seiner Mutter erneut aus seinen Gedanken, nachdem er mindestens eine Minute lang auf den Bildschirm gestarrt hatte, ohne wirklich etwas zu sehen. Wieder traf sie der verwirrte Blick ihres Sohnes. Sophie rollte mit den Augen und schnappte sich ihre Handtasche, bevor sie aufstand.

“Vergiß es. Ich kümmere mich darum. Schaffst du es denn, dich heute Abend von deiner Frau loszureißen und pünktlich zu sein?” Amüsiert grinste Sophie ihn an, während Richard sie gleichermaßen empört wie auch überrascht ansah. Scheinbar rang er gerade mit sich, um er den Grund seiner Ablenkung preisgeben oder alles abstreiten sollte.

“Ja.” maulte er schließlich und wandte den Blick ab, um seinen PC böse anzustarren. Sophie grinste wissend und verließ gutgelaunt das Büro ihres Sohnes.


45

Als Richard von dem Muscialbesuch mit seiner Mutter am Abend nach Hause kam, lag Lisa schon im Bett. Alle Lichter waren aus, aber der Fernseher lief noch. Richard kniff die Augen zusammen, als er ins Schlafzimmer kam, da seine Augen sich nicht so schnell an die Dunkelheit gewöhnen konnten. Fragend sah er auf Lisa, während er das Bett umrundete. Auf ihrer Bettseite angekommen, hockte er sich neben sie. "Lisa?" fragte er leise. Keine Reaktion.

Richard stand auf und ging zu dem begehbaren Kleiderschrank, um darin das Licht anzumachen. Er warf ein schwaches Licht in den Raum, so dass Richard sich orientieren konnte, aber Lisa nicht weckte. Dann ging er zum Bett zurück und schaute suchend über die Bettdecke und Lisas Nachttisch, doch er konnte keine Fernbedienung entdecken. Da der Fernseher jedoch nicht manuell zu bedienen war, war er auf die Fernbedienung angewiesen. "Hm...wo hast du sie versteckt...?"
Richard beugte sich über Lisa und schob sanft ihre Haare, die sich über das Kopfkissen ergossen, zur Seite. Unwillkürlich lächelte er. Die Art, wie Lisa da lag - auf dem Rücken, der Kopf war zur Seite gekippt, der Mund leicht geöffnet, eine Hand lag mit der Handfläche nach oben neben ihrem Kopf - erinnerte ihn irgendwie an Dornröschen.

Liebevoll betrachtete er ihr Gesicht und konnte sich nicht beherrschen, die Hand auszustrecken und mit den Fingerspitzen fast unmerklich über ihre Wange zu fahren. Ihre Haut war seidenweich und weckte den Wunsch nach mehr in Richard. Langsam beugte er sich zu ihr hinab. Das Jackett seines Anzuges knisterte. Hauchzart, um sie nicht aufzuwecken, stahl er sich einen Kuss von ihren Lippen.

Lächelnd sah Richard sie an. "Wo hast du die Fernbedienung versteckt, Lisa von Brahmberg?" fragte er leise und begann, vorsichtig das Bett abzutasten. Halb unter Lisas linken Bein vergraben fand er sie schließlich und schaltete den Fernseher aus. Der plötzlich fehlende Ton schien Lisa zu wecken. "Richard...?" murmelte sie, ohne wirklich wach zu werden.

Lächelnd setzte er sich auf die Bettkante. "Ja, ich bin da, schlaf weiter." sagte er leise. Unwillig brummte Lisa mit geschlossenen Augen. "Krieg ich keinen Kuss?" fragte sie müde.Ihr Mann grinste. "Ich hab dich eben schon geküsst. Scheint ja nicht so berauschend gewesen zu sein, wenn du es nicht mal gemerkt hast." neckte er sie.

Lisa schlug die Augen auf und warf ihm einen gespielt bösen Blick zu. "Küss mich! Los!" sagte sie in Befehlston. Richard lachte leise. Erneut beugte er sich über sie und griff nach ihrer linken Hand, die immer noch neben ihrem Kopf lag. Mit dem Daumen streichelte er ihre Handinnenfläche, während er sie sanft küsste. Lisa brummte genießerisch und erwiderte den Kuss. Als Richard sich von ihr lösen wollte, legte Lisa schnell eine Hand in seinen Nacken und hielt ihn fest.

"Wo wollen sie denn hin, Herr von Brahmberg?" grinste sie. Bevor Richard antworten konnte, küsste sie ihn erneut. Zu seiner Überraschung intensivierte Lisa den Kuss recht schnell. Als ihre Zunge seine berührte, durchfuhr es Richard wie ein Stromschlag. Alle seine Sinne sprangen sofort an. Auf diese Wendung des schon späten Abends war er nicht vorbereitet gewesen. Er war darauf eingestellt gewesen, sich noch schnell auszuziehen, kurz ins Bad zu gehen und dann zu schlafen. Daran war jetzt überhaupt nicht mehr zu denken.

Ohne den Kuss zu unterbrechen, griff Lisa nach seiner Krawatte und lockerte sie ein wenig, damit sie an die Hemdsknöpfe kam. Richards Herz schlug beträchtlich schneller, als sie begann, die Knöpfe einem nach dem anderen aufzuknöpfen. Er war immer noch komplett mit Jackett und Krawatte bekleidet, als Lisa ihre Hand in sein offenes Hemd gleiten ließ und seine nackte Brust streichelte. Heiß und kalt lief es Richard über den Rücken und er seufzte in den Kuss hinein. "Was tust du...." murmelte er amsüiert an ihren Lippen.

"Meinen Mann betatschen." grinste Lisa. Sie zupfte an dem Kragen seines Jacketts. "Zieh den Unsinn doch aus..." quengelte sie. Richard setzte sich auf und zog sein Jackett aus. Als er den Krawattenknoten auflöste, wunderte er sich über sich selbst, wie nervös er war. Die Ungewissheit, was heute Abend noch passieren würde und die Art, wie Lisa die Initiative ergriff, machte ihn völlig wuschig. "Das auch." Lisa zupfte an seinem Hemdärmel.

Richard entledigte sich auf seines Hemdes und drehte sich dann wieder Lisa zu. "Besser so?" fragte er und die Art, wie Lisas Blick lächelnd über seinen Oberkörper wandern ließ, jagdte einen Schauer über seinen Rücken. Offenbar gefiel ihr, was sie sah. "Viel besser."

Lisa strampelte ihre Bettdecke weg und streckte eine Hand nach Richard aus. Dieser stieg vorsichtig über sie und legte sich an ihre linke Seite. Ausgerechnet heute hatte sie tatsächlich einen Schlafanzug an. Richard verfluchte sich selbst dafür, dass er sie darum gebeten hatte. "Und, wie war das Muscial?" fragte Lisa leise, während sie ihre Hand über Richards Brust gleiten ließ. "Oh bitte...ich will jetzt nicht über meine Mutter reden...!" beschwerte Richard sich, während er sich über sie beugte. Lisa kicherte, aber nicht lange, denn ihr Mann verschloß ihren Mund mit einem Kuss.

Lisa ließ ihre Hand über Richards Seite auf seinen Rücken wandern, strich über die nackte Haut und kraulte ihm dann im Nacken. Richards Kuss ließ sie alles andere als kalt und sie drängte sich näher an seinen Körper. Lisa legte ihr rechtes Bein über Richards Hüfte und schmiegte sie eng an ihn.

Richard war regelrecht alarmiert. Die Art, wie heftig er auf Lisa reagierte, ängstigte ihn fast. Er begehrte sie so heftig, dass er befürchtete, die Kontrolle über sich zu verlieren. "Du sagst stopp, wenn es dir zuviel wird, ok?" murmelte er an ihren Lippen. "Hör auf zu quatschen, Brahmberg." kam es bloß von Lisa zurück, dann küsste sie ihn erneut.

Richard spürte, wie sie ein kleines Stück von ihm abrückte und begann, das Oberteil ihres Satin-Schlafanzuges aufzuknöpfen. Er schluckte. Dann ließ er seine Hand, die auf Lisas Seite lag, auf dem Rücken unter ihr Oberteil gleiten und strich über die zarte Haut. Sie war warm und weich und fühlte sich unglaublich gut an. Unwillkürlich zog Richard sie wieder näher zu sich, was sich sogleich als fataler Fehler erweisen sollte.

Da Lisa keine Unterwäsche trug - klar, immerhin war es Nacht - berührten ihre nackten Brüste seine Brust. Richard schnappte förmlich nach Luft, als ein heftiges Ziehen in seine Lendengegend schoß. Seine körperliche Reaktion auf Lisa konnte ihr nicht verborgen bleiben, erst recht nicht, als sie sich jetzt noch näher an ihn schob. Da Lisa ein Bein über seine Hüfte gelegt hatte, spürte Richard sie überdeutlich. Heftig atmend setzte er den Kuss fort. Seine Hand auf Lisas Rücken ließ er derweil abwärts gleiten und schob seine Fingerspitzen unter den Rand ihrer Schlafanzughose. Als sie nicht protestierte, ließ er seine Hand tiefer gleiten und strich über die sanfte Rundung ihres Pos. Spätestens jetzt stand er licherloh in Flammen.


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Ihr Po war klein und fest, einfach nur sexy. Überdeutlich war Richard sich der Tatsache bewußt, dass er mit seinem Oberkörper Lisas Brüste berührte. Immer wieder strich er über Lisas Po, krallte sich sanft in hinein und strich über die Rückseite ihrer Oberschenkel, was Lisa besonders erregte. Auch ihr Atem ging immer heftiger, so dass sie schließlich den Kuss unterbrechen mußten, um wieder vernünftig Luft zu bekommen.

Mit sanftem Druck deutete Richard Lisa, sich auf den Rücken zu legen. Sein Blick wanderte über ihren nackten Oberkörper. Der Anblick schnürte ihm regelrecht die Luft ab. Sie war perfekt. Ihre Brüste waren voll, aber nicht zu groß, und wohlgeformt. Als er Lisa in die Augen sah, konnte sie darin lesen, dass ihm gefiel, was er sah.

Langsam, fast schon bedächtig, ließ Richard eine Hand über ihr Dekolleté wandern und strich zart über ihre Brüste. Flatternd schloß Lisa die Augen und genoß das Gefühl, das sie überkam. Das fühlte sich wahnsinnig gut an, sie wollte mehr, viel mehr. Unwillkürlich bog sie sich Richards streichelnden Händen entgegen. Dieser verstand und fasste sie etwas fester an. Schließlich beugte er sich zu ihr hinab und verteilte kleine Küsse auf ihrem Dekolleté und ihren Brüsten. Ganz vorsichtig knabberte er an einer Brustwarze und Lisa seufzte leise auf. Jedesmal, wenn sie das tat, schoß Richards Puls in unermeßliche Höhen. Wäre Lisa nicht noch Jungfrau gewesen, hätte er sich spätestens jetzt nicht mehr zurückgehalten.

In diesem Moment fing sein Handy, das auf dem Nachttisch lag, an vibrierend über den Tisch zu hüpfen. Richard brummte unwillig und angelte danach, ohne sich von Lisa zu lösen. Ohne hinzusehen drückte er das Gespräch weg und warf das Handy auf die Bettdecke.

Langsam küsste er sich Lisas Bauch hinab, während diese seine Haare zerwuschelte. Irgendwo ganz leise riet ihm seine innere Stimme, langsam aufzuhören, bevor es doch noch zum Äußersten kam. Er wollte Lisa keinesfalls überfordern, auch, wenn sie es im Moment scheinbar genauso wollte wie er. Gerade, als er sich bauchaufwärts zu Lisas Brüsten zurückküsste, vibrierte sein Handy erneut. "Was..." knurrte Richard, schnappte nach dem Handy und schaltete es aus.

Dann beugte er sich erneut über Lisa, um sie zu küssen, während er mit einer Hand ihre Brüste streichelte. "Vielleicht ist es wichtig..." murmelte Lisa an seinen Lippen. "Egal." knurrte Richard und verschloß ihren Mund mit einem fordernden Kuss. Im selben Moment begann das Festnetztelefon zu läuten. Fünfmal. Zehnmal. Fünfzehmal.

Mit einem entnervten Grummler sprang Richard auf und ging ins Wohnzimmer. "WAS!" schnauzte er ins Telefon. Stille. "Das ist jetzt nicht dein Ernst!" Erneute Stille. Dann ein Seufzen von Richard. "Ok, ich bring sie dir. Ja. JA!!! Bis gleich." Völlig entnervt legte Richard auf, fuhr sich durch die Haare und kehrte zu Lisa ins Schlafzimmer zurück.

Diese sah ihn fragend an, während er zu ihrer Bettseite kam, wo sein Hemd und sein Jackett auf dem Boden lagen. "Ich glaub's einfach nicht..." murmelte er mit sich selbst. "Meine Mutter...!" sagte er dann vorwurfsvoll auf Lisas fragenden Blick. Diese fing an zu kichern, während Richard bereits sein Hemd wieder anzog. "Sie hat ihre Handtasche in meinem Auto liegen lassen und da sind ihre Tabletten drin, die sie jeden Abend nehmen muß." Richard stöhnte genervt. "Und die muß ich ihr jetzt bringen." Genervt knöpfte er sich das Hemd zu. "Das wird sie mir büsen." murmelte er grimmig.

Lisa lachte. "Och Richy....ich bin doch noch da, wenn du wiederkommst." sagte sie einschmeichelnd und robbte sich so nahe an ihn heran, dass sie ihren Kopf auf seinen Oberschenkel legen konnte. Treuherzig sah sie zum ihm hinauf. Richard lächelte und strich durch ihre Haare. "Ist schon gut so." Ernahm Lisas Kinn sanft in die Hände, damit ihr Kopf nicht zur Seite fiel, als er aufstand. Seine Knie knackten, als er sich neben das Bett hockte und Lisa sanft auf den Mund küsste. "Wer weiß, was ich noch mit dir angestellt hätte, wenn sie nicht angerufen hätte..." sagte er und zog eine Augenbraue hoch. Lisa grinste.

Provozierend zog sie ihre Bettdecke bis zum Ansatz ihrer Schlafanzugshose hinab, so dass sie barbusig und wunderschön vor Richard lag. Dieser schluckte bei ihrem Anblick. "Und du willst mich wirklich so hier liegen lassen...?" fragte sie gespielt unschuldig und grinste. Ernst, fast schon böse sah Richard sie an, doch Lisa kannte ihn inzwischen gut genug, um zu wissen, dass er damit vertuschen wollte, was wirklich in ihm vorging. "Dreh dich mal." forderte er sie auf. Lisa rollte sich auf die Seite. "So?" Fragend sah sie ihn an und gab weiterhin die Unschuldige. Statt einer Antwort gab Richard ihr einen recht festen Klaps auf den Po. "Freches Gör!" knurrte er und beugte sich über sie, um sie noch einmal fordernd zu küssen. Lisa kicherte in den Kuss hinein.

Richard löste sich von Lisa, schnappte sich sein Jackett und verließ schnellen Schrittes den Raum. In sich hineingrinsend fuhr er mit dem Aufzug in die Tiefgarage, wo sein Auto stand. Je besser Lisa ihn kannte, desto frecher wurde sie. Aber das gefiel ihm. Sie ließ sich von ihm nicht einschüchtern. Er hoffte nur, dass sich seine offentliche körperliche Reaktion auf den letzten Kuss verflüchtigt hätte, bis er bei seiner Mutter ankam...

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Am nächsten Morgen stürmte eine gut gelaunte Lisa den kleinen Kiosk. Jürgen schaute von der Kasse auf und lächelte, als er seine beste Freundin erkannte. "Ah, sieh an, die Frau von Brahmberg...." frotzelte er. Lisa verzog das Gesicht über seinen spöttischen Tonfall, mußte aber selber grinsen. "Jürgen!" rief sie und baute sich vor dem Tresen auf. "Lisa!" erwiderte Jürgen und sah sie fragend an.

"Ich hoffe, du hast heute Abend noch nichts vor. Und wenn doch, sag es ab!" Lisa wechselte vom Fußballenstand auf die Ferse und grinste Jürgen an. "Und wofür, wenn ich fragen darf?" fragte Jürgen mißtrauisch. Überwenglich piekte Lisa ihn mit dem Zeigefinger auf die Brust. "Richard und ich geben heute die nachträgliche Feier für die Kerima-Leute. Wegen der Hochzeit, du weißt schon."

Jürgen zog eine Augenbraue hoch. "Wie du siehst wenn du dich hier umsiehst arbeite ich nicht bei Kerima." erinnerte er sie. Lisa stöhnte und rollte mit den Augen. "Na und. Du gehörst doch dazu, ist doch klar." Jürgen lachte. Natürlich hatte er Lisa nur ärgern wollen. "Wann und wo?" fragte er. "Um acht im Foyer von Kerima."

Lisa hüpfte auf die Theke und angelte nach einem Schokoriegel. "Obwohl...nein, ich nehme was von dem Gummizeug." überlegte sie laut und nahm sich einen Schlumpf. Überrascht sah Jürgen sie an. "Keine Schokolade....verdächtig gute Laune....Lisa....?" Sein Ton wurde drohend. Er stemmte die Hände in die Hüften und sah Lisa prüfend an. "Hast du mir irgendwas zu erzählen...?"

Lisa grinste ihn an und ließ ihre Beine baumeln. "Wieso...? Darf ich nicht mal gute Laune haben...?" Jürgen zog erneute eine Augenbraue hoch. "Sonst, wenn du so gelaunt warst, bekam ich meistens lang und breit zu hören, was David der Tolle, David der Unvergleichliche wieder Wunderbares getan hat."

Scheinbar höchst interessiert betrachtete Lisa den Gummi-Schlumpf in ihrer Hand, während sie kaute. "David hat mit meiner Laune gar nichts zu tun." stellte sie klar. "Ich habe meinen Schwager -" Lisa betonte dies besonders und sah Jürgen eindringlich an, "seit Tagen nicht wirklich gesehen."

Skeptisch musterte Jürgen sie. "Dann kann es nur was mit Richard zu tun haben..." murmelte er mehr mit sich selbst. Wie auf Knopfdruck grinste Lisa breit. "Aha!" rief Jürgen triumphierend und kam Lisa näher. "Richard also. Was hat...." Plötzlich kam ihm ein Gedanke und er sah Lisa entgeistert an. "Sag bloß, du hast....ihr habt....?" stotterte er aufgeregt.

Lisa lachte auf. "Noch nicht, aber fast." Heischend sah sie ihren besten Freund an. "Wie, was, wo, ich glaub's ja nicht....!" plusterte der sich gerade auf und musterte Lisa von oben bis unten. "Und da sagst du mir nichts...?" "Noch ist ja nicht wirklich was passiert. " wiegelte Lisa ab und nahm sich einen zweiten Schlumpf. "Außerdem - was tu ich denn gerade?!"

Jürgen stützte sich beiden Unterarmen auf seine Kasse und beugte sich zu Lisa vor. "Was ist passiert? Erzählt?" fragte er sensationslüstern. Lisa lächelte ihn an, dann sah sie ins Leere und erzählte Jürgen von ihrer Hochzeitsnacht und den Geschehnissen der letzten Nacht. Jürgen war sichtlich beeindruckt. "Wow....das knistert ja gewaltig bei euch."

Eine kleine Weile schwiegen beide. Lisa aß einen weiteren Schlumpf, während sie ins Leere sah und ihren Gedanken nachhing, während Jürgen sie nachdenklich ansah. "Also doch." sagte er schließlich. "Hm?" fragend sah Lisa ihn an. "Du liebst ihn." stelle Jürgen fest. Lisa verzog das Gesicht. "Was...? Wie kommst du denn darauf...?" wehrte sie ab.

Jürgen stellte sich wieder gerade hin und machte ein abfälliges Geräusch. "Lisa, schon als du mir erzählt hast, dass ihr heiraten wollt, hab ich mir sowas gedacht. Und jetzt...leugnen ist zwecklos, meine Liebe!" "Du spinnst." meinte Lisa mit vollem Mund. "Aber total."

"Ach ja? Und wieso hast du dann Sex mit ihm...?" Unter Jürgens forschem Blick wurde Lisa rot. "Ich will halt auch mal wissen, wie das ist..." redete sie sich raus. Jürgen zeigte ihr einen Vogel. "Also das hättest du auch damals mit mir haben können und was ist passiert? Nichts ist passiert, außer, dass du mir dämliche Spitznamen verpasst hast und eingepennt bist, wenn's losgehen sollte."

Lisa sprang von der Theke. "Danke, dass du mir das noch mal vorhälst, das letzte Mal war ja schon viel zu lange her." schmollte sie. "Lisa. Ich will dir nur einen Spiegel vorhalten. Scheinbar raffst du mal wieder selber nicht, was mit dir los ist. Denk doch mal nach. DU würdest nie, never ever, aus reiner Neugier mit einem Mann ins Bett gehen. Niemals."

"Vielleicht hab ich mich geändert!" behauptete Lisa. "Außerdem muß ich los." Sie wandte sich zum Gehen. "Du flüchtest, weil du weißt, dass ich recht habe!" rief Jürgen ihr nach und grinste. Genervt drehte Lisa sich noch einmal zu ihm um. "Kommst du heute abend?" wechselte sie das Thema. "Klar." sagte Jürgen und sah ihr grinsend nach, als sie den Kiosk verließ.

48

Die Party wurde ein voller Erfolg. Das Foyer war zu einer Tanzfläche umfunktioniert worden und auch, wenn Timo bei der Präsentation damals mit den Finnen bei der Musik gepatzt hatte (Davids Meinung nach), durfte er an diesem Abend den DJ spielen. Agnes hatte sich mit Helgas Unterstützung um das Catering gekümmert, Hannah und Kim um die Deko.

Agnes' Catering glich an diesem Abend mehr dem Tresen einer Bar - gutgelaunt saßen einige Kerima Mitarbeiter auf den Hockern und schlürften Drinks, andere versorgten sich am Büffet mit Fingerfood und warmen Essen, viele tanzten, einige lümmelten sich auf dem langen Sofa und unterhielten sich.

Zufrieden lächelnd ließ Lisa den Blick über die Menge schweifen. Alle schienen sich zu amüsieren. Selbst David, der mit Max zusammenstand - jeder hatte ein Bier in der Hand - war gut drauf.

"Na, Frau von Brahmberg, was grinsen sie so in sich hinein?" sagte Richard, der von hinten unbemerkt an sie herangetreten war, leise in ihr Ohr und schmunzelte. Lächelnd drehte Lisa sich um und ihr Mann reichte ihr einen Cocktail. "Danke. Ach, ich freu mich, dass alle Spaß haben." antwortete Lisa. Mit hochgezogener Augenbraue sah Richard zu David und Max hinüber. "Ja, sogar mein liebes Brüderchen scheint sich zu amüsieren. So gesehen war unsere Mission "Hochzeit" ein voller Erfolg!" Richard lächelte und hielt Lisa sein Glas zum Anstoßen hin.

Getroffen sah Lisa ihn an, während sie geistesabwesend mit ihm anstieß und trank einen Schluck. Mission Hochzeit....um David von ihr abzulenken....das war der ursprüngliche Plan gewesen, ja....aber war inzwischen nicht alles anders zwischen ihnen....?

Forschend sah Lisa ihren Mann von der Seite an, der gerade die Leute auf der Tanzfläche beobachtete. Sein Gesicht sah zufrieden aus, aber sonst zeigte er keine besondere Regung. Manchmal wurde Lisa aus ihm wirklich nicht schlau. Einerseits sagte er, er liebe sie, begehre sie und dann sagte er wieder so etwas Abgebrühtes.

'Wieso machst du dir über sowas Gedanken?' fragte sie sich selbst. 'Du warst doch Diejenige, die dieser Ehe aus reinem Eigennutz zugestimmt hat. Du warst doch Diejenige, die geheiratet hat, ohne den Mann an ihrer Seite zu lieben. Was soll also jetzt dieser Katzenjammer....?' Lisa schüttelte den Kopf und nahm einen großen Schluck von ihrem Cocktail. Sie verstand sich ja selbst nicht.

"Darf ich nun das Brautpaar auf die Tanzfläche bitten!" hörten sie plötzlich Timos Stimme über den Lautsprecher. Entgeistert sah Lisa zu dem Runner hinüber, der sie breit angrinste. "Herr von Brahmberg, Frau von Brahmberg...?" sagte er noch mal auffordernd und schon begannen einige Kerima-Mitarbeiter zu klatschen. Lächelnd hielt Richard Lisa den angewinkelten Arm hin und Lisa hakte sich schicksalsergebenn ein. Was blieb ihr auch anderes übrig...?

"Dieses Lied ist für sie mit guten Wünschen von uns allen zu ihrer Hochzeit!" sagte Timo, als sie in der Mitte der Tanzfläche angekommen waren und startete einen neuen Song. Richard schmunzelte, als er ihn erkannte. Es war "I'll be waiting" von Lenny Kravitz, der Song, den er damals gehört hatte, nachdem er Lisa nach Göberitz gefahren hatte, als David ihr Blumen geschickt hatte.

Richard und Lisa nahmen die klassische Tanzposition ein und begannen zu tanzen. Der Rhythmus des Liedes war ruhig und sie tanzten langsam. Die Blicke, die Richard ihr zuwarf und das leichte Lächeln, das seine Lippen umspielte, gingen Lisa durch und durch. Bereits nach wenigen Tanzschritten zog Richard sie ganz nah an sich. "Schon besser." murmelte er und zwinkerte Lisa zu. Den Schauer, der Lisa dabei überlief, bemerkte er nicht. Zitternd atmete sie tief ein und der Duft von Richards Aftershave, das sie so sehr liebte, machte sie schwindelig.

49

"Ach du meine Güte..." meinte Inka halb amüsiert, halb lästernd und nickte in Richtung Lisa und Richard auf der Tanzfläche. Interessiert folgten Hannah, Yvonne und Agnes ihrem Blick. "Zwischen denen fliegen ja die Funken....gleich fängt die Deko an zu brennen." Inka, die schon einiges intus hatte, fing unkontrolliert an zu lachen.

"Aber holla...." stimmte Yvonne ihr zu und beobachtete das Ehepaar von Brahmberg mit offenem Mund und einem Lachen im Gesicht. Die beiden tanzten eng aneinandergeschmiegt und ließen sich nicht aus den Augen. "Anfangs konnte ich ja gar nicht glauben, dass die beiden...." Nach Zustimmung heischend sah sie in die Runde. Hannah und Agnes nickten, während Inka abzog, um sich einen neuen Drink zu holen. "Ging mir genauso." stimmte Hannah Yvonne zu. "Ja. Aber wenn man die beiden jetzt so sieht....die scheinen echt verknallt zu sein...." meinte Agnes nachdenklich.



Einige Stunden darauf war nur noch der harte Kern der Kerima Führungsetage auf der Party. Die Stimmung war immer noch gut, doch langsam wurde die Party ruhiger, gemütlicher. Richard und Lisa hatten sich in Richards Büro zurückgezogen, Lisa saß seitlich auf dem Schoß ihres Mannes und hatte sich an seine Schulter geschmiegt. Langsam aber sicher wurde sie etwas müde. Gedankenverloren spielte sie mit der Knopfleiste von Richards Hemd, öffnete schließlich ein, zwei Knöpfe und ließ ihre Hand in den Ausschnitt gleiten.

"Was machen sie....?" fragte Richard mit einer Spur gespielter Arroganz. Sein rechter Arm lag auf der Sofalehne, zwischen den Fingern hielt er sein obligatorisches Abendzigarello. Schmunzelnd sah er auf Lisa hinab, die ihn angrinste und ihre Hand tiefer in Richards Hemd gleiten ließ. "Schmusen....?!" meinte sie unschuldig.

"Schmusen....so so." murmelte Richard und drückte sein Zigarello in dem Aschenbecher, der ebenfalls auf der Armlehne stand, aus. Dann drehte er Lisa so, dass sie zwar noch mit dem Po auf seinem Schoß saß, jetzt aber eine liegende Position hatte. Ihr Rücken lag an der anderen Armlehne des Sofas. Richard legte er eine Hand unter Lisas Kinn, um dieses anzuheben und Lisa zu küssen.

Während er Lisa zärtlich küsste, ließ er seine rechte Hand an ihrer Seite hinabgleiten bis hin zu ihren Beinen. Lisa trug an diesem Abend nur einen Rock und Nylons, so dass sie Richards Hand deutlich spürte. Ein Kribbeln durchlief sie, als er ihr Schienbein wieder hinaufstrich, die Hand schließlich auf ihr Knie legte und mit dem Daumen die Innenseite ihres Oberschenkels streichelte.

Lisa seufzte leise auf und unterbrach - wenn auch ungern - den Kuss. "Wollen wir nicht mal langsam nach Hause gehen...?" fragte sie leise. Richard sah ihr in die Augen und schluckte. Er wußte genau: Wenn sie jetzt gehen würden, würde es passieren. Forschend sah er Lisa an. "Bitte." flüsterte sie und die Art, wie sie ihn ansah, schnürte Richards Hals zu. "Ok." meinte er heiser und zog Lisa hoch, damit sie vom Sofa aufstehen konnte.

Neben der Bürotür stand ein kleiner Garderobenständer, an dem Lisas Jackett hing. Richard nahm es vom Haken und half Lisa galant in die Jacke. Er hoffte, dass sie nicht bemerkt hatte, dass seine Hände vor Nervosität etwas zitterten. Zusammen verließen sie das Büro und strebten die Aufzüge an. Daran, sich von ihren Gästen zu verabschieden, dachten sie überhaupt nicht mehr.

Die sehr kurze Fahrt nach Hause verließ schweigend. Zwar wohnte Richard nur wenige Minuten zu Fuß von Kerima entfernt, doch da es abends schon recht kühl wurde und Lisa dünn angezogen war, waren sie vorsichtshalber mit dem Auto gefahren.

Richard partke das Auto in der Tiefgarage und nahm Lisa an der Hand, als sie zum Aufzug gingen. Dieser öffnete sofort seine Türen für sie und fuhr sie hinauf zu Richards Penthouse. Als sie aus dem Aufzug stiegen, standen sie in direkt in Richards riesigen Wohn- und Eßzimmer mit offener Küche.

Richard stieg als erster aus und da er Lisas Hand mittlerweile losgelassen hatte, merkte er nicht, dass diese nach nur einem Schritt aus dem Aufzug stehengeblieben war. Hinter Lisa schloßen sich die Aufzugstüren. Sie schnappte nach Richards Jackettärmel und hielt ihn daran fest. Sehnsuchtsvoll erwiderte sie Richards fragenden Blick, als dieser sich zu ihr umdrehte. Mit nur einem Schritt war er wieder bei ihr, drängte sie stürmisch zurück an die Aufzugstür und begann sie leidenschaftlich zu küssen.

Lisa stöhnte leise auf und schlang beide Arme um Richards Nacken. Ihre Finger vergruben sich in seinen Haaren, krallten sich förmlich hinein. Ungeduldig knöpfte Richard Lisas Bluse auf und löste sich von ihrem Mund, um sich über ihr Dekolleté bis zu ihren Brüsten zu küssen. Die Cups des BHs schob er einfach bei Seite und Lisa schloß genüßlich die Augen, als Richard an ihren Brustwarzen saugte, sanft daran knabberte.

Mit einer Hand massierte er ihre andere Brust, während seine freie Hand zu ihrem Po wanderte, diesen streichelte und knetete, um schließlich ihren Rock seitlich hochzuzerren. Ruhelos wanderte seine Hand über Lisas Oberschenkel und Lisa winkelte ihr Bein an, stellte den Fuß gegen die Wand hinter ihr. Richards Hand fuhr ihren Oberschenkel hinauf und mehr wie zufällig berührte sein abgespreizter Daumen ihren Venushügel.

Schwer atmend lösten sie sich voneinander und Richard ließ Lisa nicht aus den Augen, während er langsam rückwärts Richtung Schlafzimmer ging. Auf dem Weg dorthin ließ er achtlos sein Jackett auf den Boden fallen, knöpfte sein Hemd auf, das ebenfalls seinen Weg auf den Boden fand, wo inzwischen auch die Krawatte lag. Seine Schuhe kickte er von den Füßen und ließ sie liegen, wo sie hinfielen.

Lisa folgte ihm, kickte ebenfalls ihre Pumps von den Füßen, knöpfte die Ärmelköpfe ihrer Bluse am Handgelenk auf und ließ sie zusammen mit ihrem BH auf den Boden fallen.

Im Schlafzimmer blieb Richard neben dem Bett stehen. Er trug lediglich noch seine Hose, Lisa Rock und Nylons. Lisa sah Richard ruhig in die Augen, dann nahm sie seine Hand und zog ihn mit sich aufs Bett. Richard legte sich auf die Seite und begann erneut, Lisa zu küssen, während seine Hand unter ihren Rock fuhr. "Zieh doch den Quatsch aus..." knurrte er an ihren Lippen und zerrte am Bund von Nylons und Höschen.

Schnell entledigte Lisa sich von beidem. Auf ihren linken Unterarm gestützt griff sie dann mit ihrer rechten Hand nach Richards Gürtel und öffnete diesen. Das steife Leder und die schwere Metallschnalle machten es ihr nicht einfach. Plötzlich legte Richard seine Hand auf ihre. Fragend sah Lisa ihrem Mann in die Augen.

"Lisa...wenn du diese Grenze jetzt überschreitest...gibt es kein Zurück mehr." warnte er sie mit heiserer Stimme. Statt einer Antwort sah Lisa ihm fest in die Augen und öffnete den Knopf seines Hosenbundes. Als sie den Reißverschluß aufzog, lächelte sie. Deutlich spürte sie die Härte, die sich darunter verbarg. Richard stand noch einmal kurz auf, um die Hose auszuziehen. Schnell war er wieder bei Lisa und küsste sie leidenschaftlich. Ruhelos wanderten seine Hände über Lisas Körper, hinterließen eine brennende Spur auf ihrer Haut.

Diese konnte nicht genug von seinen Zärtlichkeiten bekommen, sie wand sich und bäumte sich ihm immer wieder entgegen, um noch mehr zu bekommen. Richard legte sich schließlich ohne den Kuss zu unterbrechen zwischen Lisas Beine. Seine Hand wanderte erneut unter ihren Rock und langsam in ihren Schoß. Lisas Herz klopfte zum Zerspringen schnell, während Richards Hand quälend langsam das Zentrum ihrer Lust erreichte.

Zärtlich massierte er ihre Perle, ließ seinen Daumen durch ihre Feuchte gleiten und touchierte kurz ihren Eingang. Erregt seufzte Lisa mit geschlossenen Augen auf und hob ihr Becken leicht an. "Richy..."

Immer, wenn Lisa diese kleinen Seufzer von sich gab, konnte Richard nicht mehr an sich halten. Er streifte sich die Boxershorts ab und legte sich vorsichtig wieder zwischen Lisas Beine. Dann legte er sanft eine Hand an ihre Wange. "Sag mir sofort bescheid, wenn irgendwas nicht ok ist, ja?" bat er mit leiser Stimme und Lisa nickte. Sie konnte es kaum noch erwarten, ihn endlich zu spüren.

Dann war es endlich soweit. Langsam drang Richard in sie ein, während er Lisa in die Augen sah. Diese schloß jedoch schon kurz darauf die Augen. Das Gefühl war einfach zu überwältigend. Wieder seufzte sie leise und Richard biß die Zähne zusammen. Er war nahezu übererregt, dazu Lisas feuchte Enge und das Wissen, der Erste zu sein, der sie so spüren durfte, machten ihn verrückt.

Langsam schob er sich Stück für Stück vor. Als er schließlich ganz in ihr war, hielt er inne. Nicht nur, um Lisa Zeit zu geben, sich an das Gefühl zu gewöhnen, sondern auch weil er stark mit seiner Ausdauer zu kämpfen hatte. "Alles ok?" flüsterte er und Lisa nickte, ohne die Augen zu öffnen. Sie lauschte ganz in sich hinein, spürte Richard intensiv. Auch, wenn er sich im Moment nicht in ihr bewegte, war es einfach unglaublich.

Nach einer kleinen Weile begann Richard sich langsam zu bewegen und Lisa legte beide Hände an seine Schultern. Sie hielt die Augen geschlossen, ihre Lippen waren leicht geöffnet und ihre Wangen sanft gerötet.

Lisas Atem wurde schwerer und Richard schloß die Augen. Lisa erregte ihn über alle Maßen und er wagte es nicht, sich schneller zu bewegen, aus Angst, dann sofort zu kommen. Als Lisa jedoch ihre Beine um seine Hüfte schlang und er so automatisch tiefer in sie glitt, war es um seine Selbstbeherrschung geschehen.

Aufstöhnend legte er den Kopf in den Nacken und beschleunigte seine Bewegungen. Lisa unter ihm begann leise zu stöhnen, was ihn noch mehr anmachte. Er spürte, wie sich ihre Fingernägel in seine Schultern krallten und öffnete die Augen wieder. In Lisas Gesicht sah er keinerlei Anzeichen von Schmerz, im Gegenteil, sie schien es in vollen Zügen zu genießen.

Lisa spürte Richard tief in sich. Sein Atem streifte ihre Ohrmuschel und ein Schauer lief über ihren Rücken. Plötzlich spürte sie es kommen. Ein Gefühl, das sie noch nie zuvor in ihrem Leben verspürte hatte. Es wurde größer, mächtiger, riß sie mit, nahm sie schließlich ganz in Besitz.

Richards war mehr als erleichtert, als er spürte, wie sich Lisas Muskeln rhythmisch um ihn zusammenzogen. Mit einem kleinen Aufschrei kam sie zum Höhepunkt und auch er hätte keine Sekunde mehr länger durchgehalten. Da sie nun völlig entspannt war, stieß er noch 2, 3 mal tief in sie,dann stöhnte auch er lustvollauf und ergoß sich tief in ihr.

Schwer atmend öffnete er kurz darauf die Augen und sah Lisa an. Diese lächelte ihn atemlos an. "Bist du ok....?" fragte er uns küsste sie kurz auf den Mund. Lisa nickte lächelnd. "Ja....bestens..."

Erschöpft rollte Richard sich von ihr herunter und legte sich neben Lisa. Ohne hinzusehen tastete er nach ihrer Hand und drückte sie zärtlich. Lächelnd drehte Lisa den Kopf und betrachtete Richard Profil. Sein Brustkorb hob und senkte sich immer noch schwer. Langsam ließ Lisa ihren Blick über Richards Gesicht gleiten. Dieser mekte wohl, dass sie ihn ansah und drehte den Kopf. Fragend hob er eine Augenbraue.

Als Richard ihr in die Augen sah, traf Lisa die Erkenntnis wie ein Schlag -auf einmal
war ihr alles klar. Verblüfft öffnete Lisa den Mund, konnte jedoch nichts sagen, sah Richard nur mit großen Augen an. Dieser lachte leise. "Ist wirklich alles ok bei dir....? Du kuckst, als hättest du einen Geist gesehen?"

'Sag es ihm...!' drängte ihre innere Stimme, doch Lisa schüttelte den Kopf. "Nein, alles ok....das heißt....wir haben gar nicht verhütet..." Zerknirscht sah sie ihn an. 'Feigling!' motzte ihre innere Stimme.

Richard drehte sich auf die Seite und küsste sie auf die Lippen. "Keine Sorge....hast du's schon vergessen....? Sabrina hat es doch damals überall herumgetratscht, dass ich keine Kinder zeugen kann."

50

In dieser Nacht lag Lisa noch lange wach, nachdem Richard bereits eingeschlafen war. Vor allem das Gespräch mit Jürgen ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. "Du liebst ihn....schon als du mir erzählt hast, dass ihr heiraten wollt, hab ich mir sowas gedacht...leugnen ist zwecklos, meine Liebe!"

Lisa drehte sich auf die Seite und sah Richard nachdenklich an, soweit das die Dunkelheit im Zimmer zu ließ. Lange betrachtete sie sein Gesicht, hörte zu, wie er gleichmäßig atmete. Dachte daran, wie er sie in der Klinik besucht hatte. An ihren Urlaub in Grömitz. Sein Heiratsantrag. Lisa lächelte bei der Erinnerung daran.

Sie war sich die ganze Zeit absolut sicher gewesen, nichts tiefergehendes als Freundschaft für ihn zu empfinden. Zuneigung, ja, aber....Liebe....? Lisa biß sich auf die Unterlippe, dass es schmerzte. 'Jürgen hat Recht....ich könnte es niemals ertragen, dass er mich anfasst, wenn ich ihn nicht lieben würde....Wie konnte ich nur so blöd sein und das nicht merken....?' Unwirsch schüttelte sie den Kopf und drehte sich wieder auf den Rücken.

Ihre Gedanken wanderten wieder rückwärts. Wann? Wann hatte sie sich in Richard von Brahmberg verliebt....? Doch lange, bevor sie zu einer Antwort kam, schlief Lisa von Brahmberg ein....


Am nächsten Morgen traf Lisa auf einen äußerst gut gelaunten Richard, als sie ins Wohnzimmer kam, wo sie allmorgendlich frühstückten. Statt wie sonst hinter einer Zeitung vergraben bei einer Tasse Kaffee am Tisch zu sitzen, lief er gerade pfeifend um selben herum, um ein Ei in den Becher an Lisas Platz zu stellen. Überrascht blieb Lisa stehen. Der gesamte Tisch war üppig gedeckt mit allen Leckereien, die man sich vorstellen konnte.

Als Richard sie bemerkte, stoppte er aprubt und lachte über das ganze Gesicht. "Guten Morgen, Schlafmütze!" begrüßte er sie und kam auf sie zu, um sie zu umarmen. Lisa schrie leise auf, als er sie fest an sich drückte und vom Boden hochhob, doch Richard lachte nur und hielt sie so fest. Lachend sah er sie an und küsste sie auf den Mund, bevor er sie wieder absetzte. Schmunzelnd schüttelte Lisa den Kopf. So hatte sie Richard noch nie erlebt...

"Ich würde dieses fette Grinsen aus dem Gesicht nehmen, bevor du bei Kerima auftauchst, sonst denken die noch, Aliens hätten dich entführt und durch einen Klon ersetzt!" neckte sie ihn, als sie sich ihm gegenüber an den Tisch setzte. Lächelnd sah ihr Mann sie an. "Was die denken, ist mir völlig schnuppe! Die werden sich schon ihren Teil zusammenreimen können." meinte er und zwinkerte Lisa zu.

Lisas Hand, in der sie ein Brötchen hielt, stoppte mitten in der Luft. Entgeistert sah sie Richard an. "Meinst du wirklich....kann man das sehn...?" Richard konnte nicht anders - bei Lisas erschrockenen Blick brach er in schallendes Gelächter aus. Lisa wurde rot und warf eine der Servietten nach ihm. "Blödmann..." murmelte sie verlegen grinsend.

Richard gluckste immer noch vor sich hin. "Entschuldige, aber du bist zu süß." "Na danke." maulte Lisa und biss in ihr Brötchen. Während sie aß, widmete Richard sich seiner Zeitung und Lisa hing ihren Gedanken nach. Unruhig rutschte sie auf ihrem Stuhl herum. Ihr war klar, dass es nur fair wäre, Richard zu sagen, dass sie seine Gefühle erwiderte, doch wenn sie nur daran dachte, wurde ihr ganz anders.

'Ich liebe dich....' das hatte sie bisher nur einmal gesagt und da war es ihr auch nur herausgerutscht, nachdem sie es über ein Jahr für sich behalten hatte. Richard bemerkte ihr Gezappel und sah sie fragend an. "Alles klar...?" Lisa lächelte verlegen. "Ja. Alles klar."

Ihr Mann lächelte sie an und Lisa war, als würde ihr das Herz stehen bleiben. Der Blick traf sie in ihrem Innersten und löste eine Welle von zärtlichen Gefühlen aus, die ihr die Tränen in die Augen trieben. Einem Impuls folgend stand Lisa auf, umrundete den Tisch, um sich auf Richards Schoß zu setzen und umarmte ihn fest. Dieser lachte leise und erwiderte die Umarmung. "Ist wirklich alles klar bei dir....?"

"Ja." hauchte Lisa und schloß die Augen, während sie mit einer Hand durch seine Nackenhaare fuhr. 'Ich liebe dich...' dachte sie, brachte es aber nicht fertig, es auszusprechen...

51

Ein viertel Jahr darauf.

Gutgelaunt saß Richard von Brahmberg an seinem Schreibtisch bei Kerima Moda. Alles lief bestens, vor allem seine Ehe. Lisa und er verstanden sich mit jedem Tag besser, standen sich so nahe, wie er es nicht zu hoffen gewagt hatte, als er ihr den Vorschlag mit der Hochzeit gemacht hatte. Nicht nur der Sex (sie schliefen regelmäßig miteinander und es warf ihn jedes Mal förmlich um), nein, auch alles andere.

Sie waren inzwischen ein eingespieltes Team, verstanden sich häufig schon durch Blicke, hatten ihre eigene Sprache entwickelt, lachten oft miteinander und genossen einfach ihre gemeinsame Zeit. Manchmal glaubte Richard sogar, in ihren Augen etwas zu sehen...für einen klitzekleinen Moment meinte er dann, so etwas wie Liebe in ihrem Blick lesen zu können. Aber Lisa hatte nie etwas derartiges gesagt bisher.

Aber wenn sie ihn küsste....Richard seufzte und lächelte. Und auch sonst....Lisas ganzes Verhalten ihm gegenüber war ausgesprochen zärtlich und liebevoll. Manchmal vergass er darüber vollkommen, warum sie geheiratet hatten. Doch er wollte sich keine falschen Hoffnungen machen. Lieber realistisch bleiben und sich nicht ganz so verletzlich machen. Aber, wenn er ehrlich zu sich selbst war, war es dafür längst zu spät.

Sollte Lisa jetzt zu ihm kommen und ihm eröffnen, sie liebe David immer noch oder habe sich gar in einen anderen verliebt....Richard wurde ganz anders, wenn er nur daran dachte. Nein, er wollte Lisa auf keinen Fall mehr verlieren. Ein Leben ohne sie war für ihn nicht mehr vorstellbar.

Er würde alles für Lisa tun. Bislang hatte es nur einen Menschen gegeben, der Richard wichtig gewesen war: Er selbst. Aber jetzt würde er alles der Prämisse unterordnen, dass Lisa glücklich war.

Richard öffnete sein Laptop und schüttelte lächelnd über sich selber den Kopf. "Was ist bloß aus dir geworden, Richard von Brahmberg...das hätte es früher nie gegeben." murmelte er mit sich selbst. Noch nie zuvor hatte es eine Frau geschafft, sich in sein Herz zu schleichen und sich dann auch noch so tief darin einzunisten.


Gegen Mittag streckte Richard sich und beschloß, eine Pause zu machen. Er war gut vorangekommen mit seinem Projekt, aber jetzt brauchte er dringend einen Espresso. Also machte er sich auf zum Catering, wo er auf Lisa und Inka traf, die jeweils auf einem der Barhocker saßen. Unwillkürlich lächelte Richard, während er zu seiner Frau ging.

"Na, wen haben wir denn da." sagte er leise und küsste Lisa liebevoll auf den Mund. Lisa sah kurz zu Inka, lächelte und wurde rot, als die in sich hineingrinste.

Richard sah sich derweil suchend um. "Ist Agnes nicht da?" Inka, die wußte, wie Richard ausflippen konnte, wenn das Catering nicht besetzt war, schickte sich an, aufzustehen. "Sie ist kurz weg. Was möchten sie denn, einen..." Doch Richard unterbrach sie, indem er die Hand hob. Freundlich lächelte er Inka an, die seinen Blick verblüfft erwiderte. "Bleiben sie ruhig sitzen, Frau Pietsch, ich weiß ja, wie man die Espressomaschine bedient!"

Mit diesen Worten verschwand Richard hinter dem Tresen und suchte sich pfeifend eins der kleinen Tässchen nebst der passenden Untertasse zusammen. Dann sah er über seine Schulter. "Möchten die Damen auch etwas?"

Während Inka immer noch zu baff war, um zu antworten, lächelte Lisa. "Einen Kamillentee bitte." Richard zog eine Augenbraue hoch und kam zu Lisa. "Kamillentee? Geht's dir nicht gut?" Besorgt sah er sie an. "Ein bißchen flau, aber nichts Schlimmes." beruhigte sie ihn. Richard sah ihr noch eine kurze Weile prüfend in die Augen, dann lächelte er und wandte sich Inka zu. "Und sie, Frau Pietsch?"

"Öhm, äh, einen Espresso?" bestellte diese. "Kommt sofort." versprach Richard und machte sich an die Arbeit. Hinter seinem Rücken zog Inka eine Augenbraue in die Höhe und sah Lisa ungläubig an. "Sag mal....was hast du eigentlich mit DEM gemacht....? Der ist ja total weichgespült!" Lisa wurde erneut rot, senkte den Blick und lachte. Dann zuckte sie mit den Achseln. "Keine Ahnung...eigentlich nichts."

"Was wird denn hier so gekichert?" grinste Hannah, die gerade aus dem Atelier ans Catering kam. In diesem Moment kam Richard pfeifend mit einem Tässchen Espresso und einer Tasse Tee zurück zum Tresen. "Ah, Frau Refrath - auch was zu trinken?" begrüßte er die Azubine gutgelaunt. Diese nahm überrascht den Kopf zurück. "Wie bitte?" "Espresso, Kaffe, Tee...?" bot Richard an und rieb die Hände aneinander, während er Hannah angrinste.

Suchend sah Hannah an die Decke. "Ist hier irgendwo eine versteckte Kamera?" fragte sie mißtrauisch. Inka kicherte albern, während Lisa ihren Mann angrinste. "Nein." grinste Richard. "Also, was darf's sein?" Verblüfft kletterte Hannah auf einen der Hocker und lächelte. "Dann nehme ich eine Cola, bitte." "Cola, kommt sofort." Beschwingt ging Richard zum Kühlschrank, holte eins der kleinen Fläschen heraus, öffnete es und steckte einen Strohhalm hinein. "Sie trinken doch immer mit Strohhalm, oder?" fragte er Hannah, die ihn verblüfft beobachtete. "Äh, ja...danke!"

"Gut." Richard zwinkerte Lisa zu und kam wieder auf die andere Seite des Tresens, um sich dicht neben sie zu stellen. Sanft legte er eine Hand auf ihren Bauch. "Was macht der Magen?" Lisa zuckte mit den Achseln und lächelte ihn an. "Geht so." Liebevoll küsste Richard sie auf den Mund. "Ich muß wieder an die Arbeit. Bis später." sagte er leise.

Kaum war Richard in seinem Büro verschwunden, stöhnte Inka verzückt auf und auch Hannah sah Lisa mit blitzenden Augen an. "Sag mal....ich hätte ja nie gedacht, dass der so sein könnte....!" staunte Inka begeistert. "Also wenn ich das gewusst hätte...." meinte auch Hannah und nuckelte an ihrer Cola. Inka sah über ihre Schulter noch mal zu Richards Büro hinüber. "Aber hallo..." grinste sie. Lisa mußte lachen. "Zu spät Mädels!" grinste sie. Inka seufzte. "Tja, leider. Lisa, da hattest du echt das richtige Gespür...." 'Ja, das hatte ich allerdings....' dachte Lisa und grinste in sich hinein.

52

Als Richard an diesem Abend heim kam, war Lisa schon seit über einer Stunde zu Hause. Er fand seine Frau auf der Couch im Wohnzimmer, eingemummelt in eine dicke Wolldecke und mit einem recht unglücklichen Gesicht. Richard stutzte und stellte seinen Koffer auf den Schreibtisch. "Geht's dir immer noch nicht besser?" erkundigte er sich und lockerte seinen Krawattenknoten, um die Krawatte für heute endlich loszuwerden.

Lisa schüttelte den Kopf. "Unterleibsschmerzen." murmelte sie müde. Richard brummte mitleidig und hockte sich neben die Couch. "Armer Schatz." Er strich ihr über die Haare. "Kann ich irgendwas für dich tun?" "Eine Wärmflasche wäre nicht schlecht..." Lisa rang sich ein Lächeln ab. "Wärmflasche. Kommt sofort." versprach Richard und machte sich auf den Weg ins Bad.

Dort holte er die Wärmflasche und ging mit dieser in die Küche, um mit dem Wasserkocher Wasser heiß zu machen. Dann schaute er um den Türrahmen herum ins Wohnzimmer zu Lisa. "Hast du schon was gegessen....?" "Nein....ich hab auch keinen Appetit." "Hm." Richard zuckte mit den Achseln und bereitete für sich eine Kleinigkeit zu.

Mit einem Teller Häppchen und der Wärmflasche für Lisa kehrte er schließlich ins Wohnzimmer zurück. Dankbar nahm Lisa die Wärmflasche an und legte sie über der Decke auf ihren unteren Bauch. Seltsam. Unterleibsschmerzen hatte sie seit Jahren nicht mehr gehabt.

Plötzlich stieg ihr ein widerlicher Geruch in die Nase. "Was isst du denn da...?" Lisa schielte zu Richards Teller hinüber und rümpfte die Nase. "Hering in Tomatensoße. Möchtest du doch etwas?" Fragend hielt Richard ihr die Dose Fisch hin. Lisa wurde urplötzlich unglaublich schlecht. Schnell hielt sie eine Hand vor den Mund und schob mit der anderen die Dose weg.

Kopfschüttelnd sah Richard sie an. "Nicht, dass du eine Magengrippe hast....?" Aufstöhnend ließ Lisa sich zurück in das dicke Kissen fallen, als die Übelkeitsattacke nachließ. "Keine Ahnung. Ich will einfach nur sterben...." jammerte sie. "Soll ich schon mal den Priester für die letzte Ölung holen?" neckte Richard sie und aß genüßlich von seinem Fisch. Naserümpfend sah Lisa ihm zu. "Du bist so widerlich..." beschwerte sie sich. Richard zuckte mit den Achseln. "Ich weiß nicht, was du hast - schmeckt lecker!" Lisa winkte ab und kuschelte sich tiefer in ihre Decke.

"Gehst du morgen zu einem Arzt?" erkundigte Richard sich. "Nein." Lisa schüttelte den Kopf. "Ich kriege nur meine Tage, sonst nichts." wiegelte sie ab.



Als Lisa am nächsten Morgen wach wurde, hatte sie immer noch leichte Unterleibsschmerzen. Schlecht war ihr zum Glück nicht mehr. In der Erwartung, ihre Periode über Nacht bekommen zu haben, ging sie als erstes ins Bad. Doch nichts. Nichts die kleinste Spur. "Komisch...." murmelte Lisa.

Sie ging in den Flur, wo ihre Handtasche an der Garderobe hing. Darin befand sich ihr kleiner Taschenkalender, in dem sie immer notierte, wann sie ihre Tage gehabt hatte. Schnell zählte Lisa nach. 'Normal hätte ich sie gestern schon bekommen sollen....' Lisa biß sich auf die Unterlippe. "Verdammt..." murmelte sie und dachte an die vielen Male, die sie ohne Verhütung mit Richard geschlafen hatte.

"Keine Sorge....hast du's schon vergessen....? Sabrina hat es doch damals überall herumgetratscht, dass ich keine Kinder zeugen kann."

'Und wenn doch....?' Beunruhigt kaute Lisa auf ihrer Unterlippe. Dann ging sie entschlossen zurück ins Schlafzimmer, wo Richard noch schlief. Leise zog sie sich an und kämmte sich im Bad nur schnell die Haare. Ohne Zähne zu putzen verließ sie das Haus und steuerte die nächste Apotheke an.

Eine viertel Stunde, nachdem Lisa das Haus verlassen hatte, stand sie mit einer kleinen Tüte, in der sich ein Schwangerschaftstest befand, wieder auf der Straße. Doch wohin jetzt? Nach Hause, wo Richard inzwischen sicher aufgestanden war, wollte sie nicht. Sie wollte erst Gewißheit haben, bevor sie ihn damit konfrontierte.

Richard war damals ausgerastet, als er erfuhr, dass das Kind, das Sabrina erwartete, nicht von ihm, sondern von Jürgen war. Unter Garantie würde er mißtrauisch reagieren, wenn sie jetzt auch nur mit der Vermutung, schwanger zu sein, nach Hause kam.

Aber apropos Jürgen....Lisa nickte sich selbst zu und machte sich auf den Weg zum Kiosk.



"Ja, verdammt!" maulte Jürgen und öffnete schließlich verstrubbelt und nur mit einer Boxershort bekleidet die Tür, an die Lisa seit 5 Minuten energisch klopfte. "Lieselotte!" entfuhr es ihm überrascht. "Na endlich! Ich muß mal dein Bad benutzen!" Ungeduldig schob Lisa sich an ihm vorbei in die Wohnung. Perplex sah Jürgen ihr nach. "Wieso? Haben sie euch das Wasser abgestellt?" Statt einer Antwort hörte er nur noch, wie die Badtür zufiel und der Schlüssel herumgedreht wurde. Ratlos zuckte Jürgen mit den Achseln und schlich zurück in sein Schlafzimmer, um noch mal ins Bett zu kriechen.


Mit fest geschlossenen Augen saß Lisa auf dem Toilettendeckel und hielt mit den Fingern der Hand, in der sie den Teststab hielt, die Ergebnisfelder zu. Sie wollte nicht mal zufällig darauf schauen, bevor sie nicht wirklich bereit dafür war. Unruhig klapperte sie mit ihren Absätzen auf die Fliesen, während sie zur Uhr sah. Die 2 Minuten waren um. Vorsichtshalber ließ Lisa eine weitere Minute verstreichen. Dann schloß sie noch mal kurz die Augen, bevor sie die Felder aufdeckte. 2 Striche.

Lisa hatte das Gefühl, zu fallen, fühlte sich schwerelos. Für ein, zwei Sekunden dachte sie überhaupt nichts, dann schnappte sie nach der Beschreibung. 2 Striche. Schwanger. Sie sah wieder auf den Teststab. 2 Striche. Eindeutig.

'Ich werde Mama....' Das Gefühl durchrieselte Lisa auf eine unglaublich warme Weise. Die Hand, mit der sie den Stab hielt, begann zu zittern. Dann sprang sie auf und begann zu schreien.

"Was zum....." Wie von der Tarantel gestochen schoß Jürgen aus dem Bett und rannte zum Bad. Die Tür war abgeschlossen. "Lisa! Was ist los! Mach auf!" schrie er durch die Tür hindurch. Lisa öffnete prompt und fiel dem total perplexen Jürgen um den Hals, während sie auf und abhüpfte.

"Lisa!" raunzte Jürgen sie an und versuchte, sie festzuhalten. "Was zum Geier ist hier los?!" Seine beste Freundin hielt ihm den Teststab unter die Nase. Da Jürgen das noch von Sabrina kannte, wußte er sofort Bescheid. "Oh Gott." Fassungslos aber mit einem Lächeln sah er Lisa an. "Du....." Sein Blick wanderte zu ihrem Bauch. "Du bist schwanger....?"

53

Kurz darauf saßen beide auf Jürgens Bett. Lisa hatte beschlossen, heute doch nicht zu Kerima zu gehen. Sie war viel zu aufgewühlt. Arbeiten konnte sie so auf keinen Fall. Außerdem hatte sie nach wie vor ein Problem: Wie würde Richard reagieren, wenn sie ihm sagte, dass sie schwanger war, wo er doch davon ausging, zeugungsunfähig zu sein?

"Lisa, du mußt es ihm sagen!" Eindringlich sah Jürgen sie an. "Was? Dass ich ihn liebe oder dass ich schwanger bin?" Jürgen rollte mit den Augen. "Beides!? Fang am besten mit der Liebeserklärung an....die ist ja längst überfällig!" Ein strafender Blick traf Lisa und sie senkte den Blick, um verlegen einen Zipfel der Bettdecke zwischen ihren Fingern zu reiben. "Ich weiß....ich hätte es ihm längst sagen sollen..."

"Allerdings. Und damit, dass er Vater wird, kannst du dir nicht so lange Zeit lassen! Das wird er nämlich über kurz oder lang selbst merken." hielt Jürgen ihr vor. Lisa sah hilfesuchend zur Decke und seufzte. "Ich hab Angst, Jürgen....Angst, dass er denkt, er sei nicht der Vater. Er ist felsenfest davon überzeugt, zeugungsunfähig zu sein..." Verzweifelt sah Lisa ihren besten Freund an. "Bestimmt wird er denken, ich wäre fremdgegangen."

Jürgen legte den Arm um Lisa. "Ach quatsch....er liebt dich. Und er vertraut dir. Das hört man doch öfter, dass Paare unbedingt ein Kind haben wollen und es klappt nicht. Und kaum versuchen sie es nicht mehr so verbissen, weil sie die Hoffnung aufgegeben haben, klappt es plötzlich doch."

Zweifelnd sah Lisa ihn an. "Meinst du?" Aufmunternd knuffte Jürgen sie in die Seite. "Na klar....Er wird sich freuen, bestimmt."



Nach dem Besuch bei Jürgen war Lisa kurz nach Hause gegangen. Richard war inzwischen zu Kerima aufgebrochen. Sie nahm den Schwangerschaftstest aus ihrer Handtasche und betrachtete eine kurze Weile versonnen lächelnd die zwei Striche. Sanft legte sie eine Hand auf ihren Unterbauch. So richtig konnte sie es immer noch nicht glauben.

Lisa ging ins Bad, um sich endlich die Zähne zu putzen und legte den Teststab auf das Waschbeckenunterschränkchen. Danach rief sie ihren Frauenarzt an und ließ sich für den Nachmittag einen Termin geben.



In seiner Mittagspause fuhr Richard nach Hause. Er wollte nach Lisa sehen. Diese hatte ihm nur eine kurze sms geschrieben, dass sie heute nicht zur Arbeit käme, sondern doch zum Arzt fahren wolle. Das machte ihm ein wenig Sorgen. Sollte sie doch eine Magengrippe oder etwas anderes haben?

"Lisa?" rief Richard schon an der Tür, doch er erhielt keine Antwort. Die Suche nach ihr in der Wohnung blieb ergebnislos. "Dann ist sie wohl gerade bei ihrem Arzt..." murmelte er und steuerte das Bad an. Am Nachmittag hatte er noch einen Geschäftstermin, für den er sich noch einmal frisch rasieren wollte.

Vor dem Waschbecken stehend zog er sein Hemd aus und ließ es achtlos auf den Boden fallen. Er würde nachher ein frisches anziehen. Im Herunterfallen riß das Hemd Lisas Bürste mit, die krachend auf die Fliesen fiel. "Ach, verdammt..." murmelte Richard und bückte sich. Als sein Blick unter das Waschbecken fiel, stutzte er. Langsam griff er nach dem Plastikstab. Ein Schwangerschaftstest....? Verständnislos starrte Richard das Ding in seinen Händen an. Seit seiner Zeit mit Sabrina hatte er sowas nicht mehr gesehen.

Richard fühlte sich, als betrachtete er sich selbst von außen, wie er auf diesen verdammten Stab starrte. Der Moment war so unwirklich, er wollte einfach nicht wahrhaben, was er sah. 2 Striche. Einer in dem Kontrollkästchen, einer in dem Ergbeniskästchen. Er wußte nur zu gut, was das bedeutete. Glasklar erinnerte er sich daran, wie Sabrina in sein Auto gestiegen war und ihm ihren positiven Test unter die Nase gehalten hatte, grinsend wie ein Honigkuchenpferd. Sie war schwanger gewesen - aber eben nicht von ihm. Was ja auch unmöglich war, wie ihm das Labor schwarz auf weiß bestätigt hatte.

'Nicht schon wieder....' dachte Richard und seine eigenen Gedanken drangen in sein Bewußtsein wie aus weiter Ferne durch. Er spürte, wie sein Herz mit schweren Schlägen Blut durch seinen Körper pumpte, sonst nahm er nichts mehr wahr. Hörte nichts, sah nicht mehr den Raum um sich herum. Dass er sich rasieren und zurück zu Kerima fahren wollte, hatte er längst vergessen.

Doch so lange er auch darauf wartete, er erwachte nicht aus diesem 'Traum'. 'Sie ist schwanger....' Dieser Gedanke durchstreifte seinen Kopf, als wäre es nicht sein eigener. Urplötzlich wurde Richard übel. Er stürzte zur Toilette und erbrach sich.

Zitternd ließ er sich danach auf die kalten Fliesen neben dem WC sinken und lehnte sich dankbar an die Wand dahinter. Jetzt war es also passiert....Lisa riß ihm das Herz heraus. Ihm war immer klar gewesen, dass dies passieren konnte, doch er hatte es nicht wahrhaben wollen, hatte es ausgeblendet.

Wann...? Wann war es geschehen? Mit wem? Wann hatte sie IHN getroffen, sich in ihn verliebt? Oder war es nur eine Affäre, bloß Sex? Die Gedanken kamen schnell hintereinander, doch Antworten fand Richard keine. Er befand sich in einer Art Schockzustand, versuchte immer noch, die Erkenntnis, dass Lisa ihn betrog, schwanger von einem anderen war, auf Abstand zu halten, um diesen Schmerz nicht zu spüren.

Träge drehte er den Kopf und starrte auf den Teststab, den er vor dem Waschbecken hatte fallen lassen. Er war Realität. Schreckliche Realität. Richard schluckte und kämpfte gegen eine erneute Übelkeitswelle an. Dann stand er schwankend auf und schnappte sich das Hemd, dass er eben noch ausgezogen hatte. Er mußte raus hier...

54

Im Aufzug nach oben tastete Lisa immer wieder in ihrer Jackentasche nach ihrem Mutterpass. Das seelige Lächeln wollte ihr Gesicht gar nicht mehr verlassen. Ihr Frauenarzt hatte ihr tatsächlich bestätigt, schwanger zu sein. Lisa konnte ihr Glücksgefühl nicht in Wort fassen. Zwar was das Baby alles andere als geplant gewesen, aber das machte die Überraschung nur noch um so schöner.

Nach ihrem Arzttermin war Lisa in die Stadt gefahren. Sie war fest entschlossen, Richard heute endlich ihre Gefühle zu gestehen und ihn in einem Zug zu sagen, dass er Vater würde. Bei dem Gedanken zog sich ein wenig ihr Hals zu. Sie hoffte bloß, dass Jürgen Recht behielt und Richard genug Vertrauen zu ihr hatte.

In der Stadt hatte sie sich zuerst einen dieser Paßbildautomaten gesucht. Statt vier kleiner Paßbilder hatte sie ein größeres Foto von sich machen lassen, auf dem sie dem Betrachter einen Kuss zuwarf. Dann hatte sie kleine Babyschühchen besorgt.

Gutgelaunt stieg Lisa aus dem Aufzug. "Richard?" rief sie. Keine Antwort. 'Sehr gut.' dachte Lisa und grinste verschwörerisch, während sie zu Richards Schreibtisch ging, um sich seinen Füller zu holen. Mit diesem schrieb sie auf die Rückseite des Fotos: "Wir lieben Dich!" und malte ein Herz dazu. Zufrieden betrachtete Lisa ihr Werk. Wenn Richard nachher nach Hause kam, wollte sie ihm als erstes das Foto geben. Sicherlich würde er fragen, was das "wir" zu bedeuten habe. Dann würde sie ihm die Schachtel mit den Schühchen zuschieben.

Lisa atmete tief durch. Hoffentlich würde alles gutgehen...
Sie sah auf ihre Armbanduhr. Normalerweise würde Richard in einer guten halben Stunde nach Hause kommen. Aufgeregt ging sie zum Sofa und setzte sich. Nervös schaltete sie den Fernseher ein. Zwar konnte sie sich eh nicht auf das Programm konzentrieren, aber die Stille machte sie nur noch nervöser.



Als Richard viele Stunden später gegen Mitternacht nach Hause kam, hörte er schon an der Tür den Fernseher laufen. 'Verdammt.' Er hatte gehofft, dass Lisa schon im Bett liegen würde und er eine Begegnung vermeiden konnte. Langsam ging er ins Wohnzimmer und war erleichtert, als er Lisa schlafend auf der Couch liegen sah.

Ohne Eile ging er näher und ließ Lisa dabei nicht aus den Augen. Er schluckte, doch der Kloß in seinem Hals verschwand nicht. Richard konnte es nicht fassen....wie sie dalag, schlafend, die blonden Haare ergossen sich auf das Kissen....sie sah aus wie ein Engel....so wunderschön...so liebreizend. Richard biß die Zähne aufeinander. 'Wie man sich doch täuschen kann...'

Als er an der Couch vorbei ins Schlafzimmer gehen wollte, trat er auf etwas, das auf dem Boden lag. Stirnrunzelnd bückte er sich. Es war ein Foto von Lisa. Lächelnd warf sie ihm darauf einen Luftkuss zu. Das galt sicher nicht ihm....Verletzt drehte er das Foto um. Tatsächlich stand dort eine Widmung. 'Wir lieben dich!' Richard schnaubte verächtlich. "Na, dann will ich eurem Glück mal nicht im Wege stehen!" sagte er leise, aber hasserfüllt und ging eiligen Schrittes weiter ins Schlaf- und danach ins Badezimmer, wo er einige Dinge zusammenpackte, um die Nacht woanders verbringen zu können. Um nichts in der Welt hätte er sich diese Nacht neben Lisa ins Bett gelegt...



"Nathalie....wissen sie, wo mein Mann ist?" Fragend sah Lisa am nächsten Morgen Richards Assistentin an. "Oh, guten Morgen, Frau von Brahmberg. Ihr Mann war heute Morgen nur kurz hier und hat heute den ganzen Vormittag Außentermine. Er meinte auch, er würde sein Handy ausschalten. Tut mir leid." Zerknirscht sah die junge Frau die Mehrheitseignerin von Kerima an. "Ach so..." meinte Lisa enttäuscht. "Tja, da kann man wohl nichts machen. Danke."

Bedrückt ging Lisa zum Aufzug, um hoch zu ihrem Büro zu fahren. Heute Morgen war sie mit Nackenschmerzen auf der Couch erwacht. Von Richard keine Spur. Zuerst hatte sie gedacht, er hätte sie auf der Couch schlafen lassen und sei, ohne sie zu wecken, ins Bett gegangen, doch dieses war noch unberührt. Scheinbar war Richard gestern gar nicht nach Hause gekommen. Und heute war er nicht bei Kerima. 'Seltsam....wieso schreibt er mir nicht mal einen Zettel oder eine sms...?' fragte Lisa sich. 'Das sieht ihm überhaupt nicht ähnlich.'

In ihrem Büro ließ Lisa sich in ihren Sessel fallen und kramte das Foto, das sie gestern hatte machen lassen, aus ihrer Handtasche. Sie drehte den Sessel so, dass sie aus dem Fenster schauen konnte, während sie das Foto in der Hand hielt. 'Dann eben heute Abend....' dachte sie lächelnd und hing noch eine Weile ihren Gedanken nach, während sie über Berlin hinweg sah, bevor sie sich an die Arbeit machte.


Gegen Mittag fuhr Lisa hinunter in die 13. Etage, um sich bei Agnes etwas zu essen zu holen. Als sie aus dem Aufzug trat, sah sie, dass in Richards Büro Licht brannte. Nathalie war nicht auf ihrem Platz, wahrscheinlich war sie in Pause. Lächelnd ging Lisa zu Richards Büro und trat ohne anzuklopfen ein. "Da bist du ja!" begrüßte sie ihren Mann freudestrahlend.

Dieser sah nur kurz auf. "Was halten wir denn von anklopfen." sagte er kühl. Lisa grinste. "Uh, Entschuldigung. Ich hätte mich auch anmelden lassen, aber Nathalie ist nicht auf ihrem Platz." Unbeeindruckt ging Lisa zu ihm, stellte sich hinter seinen Sessel und legte beide Arme um seinen Hals. Noch bevor Lisa ihr Kinn auf seine Schulter legen konnte, machte Richard sich unwirsch los. "Muß dieses Angetatsche eigentlich immer sein!" schnauzte er sie an.

Verdattert trat Lisa einen Schritt zurück und ließ ihn los. Da Richard sich ihr immer noch nicht zuwandte, umrundete sie seinen Schreibtisch. "Was ist denn los...?" Besorgt sah sie ihn an. Genervt legte Richard endlich seinen Stift, mit dem er sich die ganze Zeit Notizen gemacht hatte, weg. Verärgert sah er seine Frau an. "Lisa. Ich versuche hier zu arbeiten und ich wäre sehr erfreut, wenn du mich nicht weiter stören würdest!"

Nicht nur, was er sagte, sondern auch wie er es sagte, traf Lisa mitten ins Herz. Sie kannte diesen Tonfall, diese Art an ihm. Das war der alte Richard. Der Richard, der mit Sabrina zusammen gewesen war. Der Richard, der sich immer kühl und unnahbar gab und seine Mitmenschen für seine Zwecke einsetzte. Das war definitiv nicht der Richard, den sie geheiratet hatte. Zu ihr war er nie so gewesen. Lisa hatte fast schon vergessen, dass er so sein konnte.

Während Lisa ihn noch fassungslos ansah, rollte Richard mit den Augen. "Jetzt kuck mich nicht so an mit diesen Bambi-Augen ! Meine Güte, haben wir heute unseren Empfindlichen?" Wütend und genervt sah er sie an. "Was ist denn los, Richard? Ich hab gestern abend auf dich gewartet. Warst du gar nicht zu Hause letzte Nacht?" fragte Lisa leise. Sie hatte Mühe, nicht loszuheulen. Richards kalte Art tat ihr unendlich weh.

Ihr Mann wandte sich wieder seinen Notizen zu. "Muß ich dir jetzt schon Rechenschaft ablegen, Frau von Brahmberg?" Die Art, wie er ihren Nachnamen aussprach, gefiel Lisa irgendwie gar nicht. Es war wie eine Andeutung, die sie nicht verstand.

"Nein, natürlich nicht, aber..." setzte sie verschüchtert an. "Aber was!" schrie Richard plötzlich los. Der Blick, der sie traf, ließ Lisa zusammenzucken. "Komm, Lisa. Hau einfach ab und laß mich in Ruhe arbeiten, ja!" forderte Richard sie aggressiv auf. Entgeistert sah Lisa ihn an, doch Richard achtete schon gar nicht mehr auf sie. Mit weichen Knien stand Lisa auf und stürzte aus seinem Büro. Schluchzend flüchtete sie in die Damen-Waschräume.

55

Die Tür seines Büros fiel krachend zu und Richard zuckte zusammen. Stirnrunzelnd wandte er langsam den Kopf ab und ärgerte über sich selbst, dass es ihm trotz allem in der Seele wehtat, so mit Lisa umzugehen.

Er kannte sich selbst so nicht. Wenn früher jemand versucht hatte, ihn über den Tisch zu ziehen oder zu übervorteilen, hatte dieser die passende Antwort bekommen und er hatte sich gut gefühlt dabei. Keiner sollte es wagen, zu denken, er könne Richard von Brahmberg ungestraft ans Bein pinkeln. Und wenn es seine eigene Mutter gewesen war.

So etwas wie Reue, ein schlechtes Gewissen oder gar Mitleid kam in seinem Wortschatz nicht vor. Zumindest nicht, bevor er sich in Lisa verliebt hatte. Bei Lisa war alles anders gewesen. Lisa war sein Augenstern, den er beschützte und hütete. Oberste Prämisse war, dass sie glücklich war, dafür hätte er alles getan.

Er hatte ihr den wahren Richard gezeigt, den außer ihm eigentlich niemand kannte. Aber genau das war die Krux an der Sache: Sobald einem jemand viel bedeutete, konnte dieser einen auch wahnsinnig verletzen.

Zornig ballte Richard eine Hand zur Faust und biss die Zähne zusammen. 'Damit ist jetzt Schluß....ein für allemal. Du bist jahrelang gut damit gefahren, allein zu bleiben und niemanden an dich heranzulassen. Davon hättest du gar nicht erst abweichen sollen. Aber noch ist es nicht zu spät.'

Ein schmerzhafter Stich fuhr durch Richards Herz, als ihm klar wurde, dass das das Ende seiner Beziehung zu Lisa war. Der Schmerz strafte seine coolen Worte Lüge und er versuchte, ihn zu verdrängen. Entschlossen wandte er sich seinem PC zu, um sich mit Arbeit abzulenken...



Ein letztes Mal schnäuzte Lisa sich mit einem Stück Toilettenpapier, spülte es herunter und verließ endlich die Kabine. Zum Glück war gerade niemand im Waschraum, denn ihr Spiegelbild zeigte deutlich, dass sie geweint hatte. 'Ob das schon die Hormone sind...?' fragte sie sich selbst. 'Quatsch....das war dein Ekel von Ehemann.' schimpfte eine zweite innere Stimme.

Lisa war von Richards Verhalten so sehr getroffen, dass sie das Gefühl hatte, ihr Herz zerspringe regelrecht. 'Was ist bloß auf einmal los mit ihm...?' fragte sie sich, während sie sich kaltes Wasser über die Handgelenke laufen ließ. Mit nassen Finger strich sie sich mehrmals unter den Augen her, um die Röte und das Geschwollene etwas zu reduzieren. Viel half es nicht.

'Was hab ich ihm getan....?' Kopfschüttelnd sah Lisa sich im Spiegel an. Ihr wollte partout keine Erklärung für Richards Verhalten einfallen. Ratlos drehte sie sich seitlich zu dem Waschbecken und lehnte sich mit der Hüfte daran. 'Was mach ich denn jetzt....' Lisa verspürte das dringende Bedürfnis, mit jemandem zu reden, aber mit wem....?


"...ich möchte, dass du weißt, dass ich immer für dich da sein werde. Was immer auch ist....als Freund. Als dein Schwager und Freund. "
kamen ihr Davids Worte von der Hochzeit in den Sinn. David....ein kurzes Gefühl der Erleichterung durchflutete Lisa und sie trocknete sich schnell die Hände mit einem der kleinen Handtücher ab. Entschlossen verließ sie den Waschraum und steuerte Davids Büro an.

Dieses fand sie jedoch zunächst verwaist vor. Lisa seufzte. Trotzdem ging sie hinein und schaute auf seinen Terminkalender, der aufgeschlagen auf dem Tisch lag. Demnach war er gerade bei einem Außentermin, würde aber am späten Nachmittag wieder da sein.

Lisa hielt den Blick tief gesenkt, als sie schnellen Schrittes an Richards Büro vorbei zum Aufzug ging. Einen weiteren vernichtenden Blick von ihm hätte sie jetzt nicht ertragen. Sie fuhr hoch zu ihrem Büro, wo sie sich jedoch auf die Couch kuschelte und nachdenklich aus dem Fenster sah. Wieder und wieder ging sie gedanklich die letzten Tage durch, ob sie Richard irgendeinen Anlaß gegeben hatte, dass er so sauer auf sie war, doch sie kam zu keiner Antwort.

Der Streit mit Richard und ihre andauernde Grübelei forderten schließlich ihr Tribut. Lisa schlief ein und wurde erst über zwei Stunden später wieder wach...



David sah von seinem Laptop auf und lächelte, als Lisa nachkurzem Klopfen sein Büro betrat. "Ah, meine Lieblingsschwägerin!" begrüßte er sie freundlich. Doch dann stutzte er, runzelte die Stirn und stand auf, um Lisa entgegenzugehen. "Lisa...! Ist alles in Ordnung bei dir?" Besorgt sah er sie an.

Lisa schüttelte den Kopf und noch bevor sie ein Wort sagen konnte, brach sie in Tränen aus. "Hey....Was ist denn los?" fragte David sanft und nahm sie in den Arm. Froh, dass jemand sie hielt, ließ Lisa sich in seine Arme sinken, schmiegte ihre Wange an seine Brust und ließ ihren Tränen freien Lauf.

Sanft strich David ihr immer wieder über den Rücken. "Ganz ruhig." sprach er leise auf sie ein. "Komm, wir setzen uns erstmal, hm?" Ohne Lisa loszulassen, führte er sie zu dem kleinen Sofa in seinem Büro und setzte sich mit ihr. "Ist was passiert?" Forschend sah David ihr ins Gesicht. Lisas Verfassung bereitete ihm Sorgen.

Zitternd holte Lisa Luft. "...lange Geschichte." flüsterte sie so tonlos, dass David sie fast nicht verstanden hätte. Er legte seine Hand auf ihre ihre und drückte sie. "Ich hab Zeit..." meinte er. Dann fischte er in seiner Jackettasche nach einem Taschentuch. "Hier. Möchtest du vielleicht auch einen kleinen Whiskey zur Beruhigung?"

Zu seinem Erstaunen lächelte Lisa, als sie das Taschentuch annahm. "Nein, danke. Das wäre nicht so gut..." David, der wußte, dass Lisa nicht viel Alkohol trank, zuckte mit den Achseln. "Ok. Aber jetzt erzähl....was ist passiert?"



Richard verbarg sich im Dunkeln hinter einer riesigen Topfpflanze vor Davids Büro. Von hier aus konnte er genau beobachten, was im Büro seines Bruders vorging, ohne selbst gesehen zu werden. Rein zufällig hatte er im Vorbeigehen gesehen, dass Lisa bei seinem Bruder war. Jetzt mußte er mit ansehen, wie David Lisa freudestrahlend in den Armen hielt, sie abwechselnd knuddelte und wieder ein Stück von sich hielt, um ihr in die Augen sehen zu können.

Richard verzog das Gesicht, als David auch noch vorsichtig eine Hand auf Lisas Bauch legte. Diese legte ihre Hand noch auf Davids und nickte überglücklich. 'Na das hätte ich mir ja denken können.' dachte er grimmig. 'David....natürlich....wer denn auch sonst.'

Wutentbrannt wandte Richard sich von der Szenerie ab und ging zurück in sein Büro. Dort holte die Ledermappe mit seinen gesammelten Visitenkarten heraus. Schnell fand er, was er suchte: Die Karte von Dr. Lange, seinem Rechtsanwalt. Richard steckte die Karte in die Innentasche seines Jacketts. Gleich morgen früh würde er Dr. Lange anrufen, um die Scheidung von Lisa in die Wege zu leiten.

56

"Bist du fertig?" Beschwingt und in Abengarderobe rauschte Sophie am späten Abend in Richards Büro. Ihr Sohn hingegen saß zusammengesunken an seinem Schreibtisch, schwer auf beide Unterarme gestützt, die auf der Tischplatte lagen. Träge hob er den Kopf und sah sie mit glasigen Augen an. Der Grund dafür stand gleich daneben: Eine halbleere Karaffe Whiskey. "Fertig...ja...das bin ich." lallte Richard.

Sophie runzelte die Stirn. "Was ist denn hier los?" Wut und Besorgnis schwangen in ihrer Frage mit. Richard lachte schnarchend. "Frag das mal deine liebe Schwiegertochter..." meinte er nur. "Lisa? Habt ihr euch gestritten? Hergott Richard, laß dir doch nicht jeden Wurm aus der Nase ziehen!" fuhr Sophie ihren Sohn an und trat näher an den Schreibtisch. Augenblicklich rümpfte sie die Nase. "Du hast eine Fahne....! Schrecklich."

"Weil ich getrunken habe, Mutter!" erwiderte Richard nicht minder schlechtgelaunt. "Und ich habe die Absicht, heute Abend noch mehr zu trinken." Mit diesen Worten griff Richard erneut nach der Karaffe und goß sich ein weiteres Glas ein. Stumm sah Sophie ihm zu. Dann setzte sie sich. "Was ist los bei dir und Lisa." fragte sie noch einmal.

"Es gibt kein 'wir' mehr...." murmelte Richard und trank einen großen Schluck. Ob des Geschmacks verzog er das Gesicht, als er seine Mutter ansah. Mit einem Knall stellte er das Glas zurück auf den Tisch. "Lisa ist schwanger."

Spontane Freude huschte über Sophies Gesicht. "Schwanger? Aber das ist ja wundervoll!" "Bist du komplett bescheuert!" schrie Richard sie an und schlug mit der flachen Hand auf die Tischplatte. Entgeistert sah Sophie ihn an. "Wundervoll...!" äffte er sie nach. Dann zog er eine Augenbraue hoch. "Klar, dass dir das gefällt....du hast ja mit Vater nichts anderes gemacht....aber ich lasse mich nicht verarschen...ich ziehe nicht das Kind eines Anderen auf."

Sophies Gesicht verfinsterte sich. "Darf ich erfahren, worüber du sprichst? Aus deinem Gerede wird ja keiner schlau." sagte sie bedrohlich leise. Richards Anspielung auf ihre Vergangenheit gefiel ihr ganz und gar nicht. Richard beugte sich vor. "Das hab ich doch gesagt: Lisa ist schwanger. Scheinbar hast du vergessen, dass ich zeugungsunfähig bin, wie wir ja alle Dank dem Frollein Hofmeister wissen."

Forschend sah Sophie ihn an, versuchte, seine wirren Gedankengänge zu verstehen. "Und jetzt glaubst du, Lisa hätte dich betrogen?" fragte sie dann entgeistert, als ihr klar wurde, was ihr Sohn sich da zusammengereimt hatte. Richard grinste freudlos. "Ich glaube es nicht, ich weiß es. Was glaubst du wohl, wer der Vater des Kindes ist, hä?" Eine alkoholschwangere Atemwolke schlug Sophie entgegen und sie verzog das Gesicht. "David natürlich, wer denn sonst." Richard ließ sich kraftlos in die Lehne des Sessels zurückfallen.

Traurig musterte Sophie ihren Sohn, der völlig betrunken vor ihr saß. Nach außen markierte er den Starken, der sich nichts bieten ließ, schon gar nicht, dass man versuchte, ihn zu betrügen, doch Sophie wußte nur zu gut, wie sehr er an Lisa hing. Ihr war aber auch klar, dass Richard Lisa nicht nachlaufen würde, nein, er würde in seine alte Verhaltensweise zurückfallen, um sich schlagen und sie so lange schlecht behandeln, bis sie sich von ihm fernhalten würde. Es tat Sophie in der Seele weh, zuzusehen, wie Richard sein Glück selbst zerstörte. Sie glaubte keinesfalls daran, dass Lisa ihn betrogen hatte, nicht mit David und auch mit sonst keinem anderen Mann. Das entsprach überhaupt nicht Lisas Art.

"Hat Lisa dir das gesagt?" fragte sie ruhig. Richard machte ein abfälliges Geräusch. "Das braucht sie nicht. Ich weiß es." brummte er. "...hab sie gesehen." Erschrocken sah Sophie ihn an. "Du hast sie erwischt....?" "Da, in seinem Büro! Auf seiner Couch..." Richard zeigte mit ausgestrecktem Arm in Richtung von Davids Büro. Sophie runzelte ungläubig die Stirn. Lisa....? Hatte hier bei Kerima Sex gehabt....? Mit David, in seinem Büro...? Das war absolut unvorstellbar für sie. "Sie hat hier mit David geschlafen und du hast sie erwischt....?" fragte sie skeptisch.

"Quatsch." raunzte Richard. "Ich hab gesehen, wie sie ihm die freudige Botschaft überbracht hat. Hat sich gefreut wie ein Schneekönig, der Herr Seidel." Richard spuckte den Namen 'Seidel' förmlich aus.

"Ist das alles?" Angewidert sah Sophie ihn an. Dass er Lisa so etwas unterstellte, obwohl er scheinbar keinen Anlass dazu hatte, machte sie wütend. "Du glaubst, Lisa habe dich betrogen und wolle dir ein Kind unterschieben, weil David sich freut, Onkel zu werden....?" fasste sie zusammen, was er ihr erzählt hatte. Richard beugte sich nach vorn und starrte sie an. "Raffst du es nicht....? Sie liebt ihn immer noch....hat nie aufgehört damit...." Richards Stimme brach und einen ungläubigen Moment lang dachte Sophie, er würde weinen.

Doch als er den Kopf wieder hob, war sein Gesicht wie versteinert. "Ich wollte ihr helfen, von ihm loszukommen, hab sie sogar geheiratet, um sie vor ihm zu schützen....alles sinnlos." Er sah ins Leere, während er sprach. "Sie wird nie aufhören, ihn zu lieben."

Sophie schüttelte den Kopf. "Wie kommst du nur auf so einen Quatsch!" "Weil sie ihm geschlafen hat!" brüllte Richard sie an. "Das ist doch Unsinn!" schrie Sophie zurück. "Dann ist sie eben von sonstwem schwanger, was weiß denn ich....von mir ist es jedenfalls nicht." Müde winkte Richard ab, was Sophie noch mehr Sorgen machte, als wenn er sie anbrüllte.

Besorgt beugte sie sich vor. "Richard....Lisa würde dich nie betrügen. Nie. Lisa ist der ehrlichste Mensch, den ich kenne. Das Letzte, was sie tun würde, wäre den Menschen, die ihr etwas bedeuten, absichtlich weh zu tun." redete sie auf ihn ein. Ihr Sohn sah sie spöttisch an. "Wer sagt, dass ich Lisa etwas bedeute....?"

Sophie lachte ebenso spöttisch auf. "Jedem, der euch zwei in letzter Zeit zusammen erlebt hat, ist glasklar, dass du ihr nicht nur etwas bedeutest...sie liebt dich, Richard." Richard lachte sarkatisch. "Na klar....wie oft ist mein kleines Frauchen zu mir gekommen und hat gesagt 'Ich liebe dich, Richard, wie verrückt!'" ätzte er.

Sophie schüttelte den Kopf über soviel Unvernunft. "Manchmal braucht es keine Worte, Richard." Dieser nickte und stand schwankend auf. "Das sehe ich genauso. Deswegen rufe ich morgen früh auch Dr. Lange an, um ihn mit der Scheidung zu beauftragen." verkündete er. Sophie sprang entsetzt auf. "Richard!" Sie ging zu ihm und legte eine Hand auf seinen Unterarm. Beschwörend sah sie ihn an. "Mach keinen Unsinn! Hörst du!"

Unwirsch machte Richard sich los. "Keine Sorge. Ich beende gerade diesen Unsinn....diese schwachsinnige Ehe." Hilflos sah Sophie ihm nach, wie er zum Aufzug wankte. 'Lisa....' schoß es dann durch den Kopf und kramte in ihrer Handtasche nach ihrem Autoschlüssel, um zu ihrer Schwiegertochter zu fahren. Diese konnte bestimmt Unterstützung gebrauchen.

57

Stürmisch riß Lisa die Tür auf und war dann einen Moment verdutzt. "Sophie...!" begrüßte sie ihre Schwiegermutter überrascht. Diese lächelte. "Hallo Schätzchen." Sophie legte beide Hände auf Lisas Schultern und küsste sie auf jede Wange. "Komm rein." bat Lisa sie und ging voraus ins Wohnzimmer. Sophie lauschte in die Wohnung hinein, doch sie hörte keinerlei Geräusche, die verrieten, dass eine zweite Person anwesend war. Also war Richard, wie sie schon vermutet hatte, tatsächlich nicht nach Hause gefahren.

"Möchtest du etwas trinken?" bot Lisa ihr an. "Nein danke." Sophies Blick ruhte lächelnd auf Lisa. Diese sah sie schließlich fragend ab. "Ist was...?" erkundigte sie sich irritiert. "Lisa....ich freu mich ja so!" Perplex ließ Lisa sich von ihrer Schwiegermutter umarmen und lachte leise. "Worüber denn....?" Sophie hielt Lisa ein Stück von sich weg, um ihr ins Gesicht sehen zu können. "Über das Baby natürlich!"

Lisa sah sie völlig verdattert an. "Woher weißt du....?" Die beiden Frauen setzten sich auf jeweils eine der Couchen, jedoch nicht weit voneinander entfernt, da diese über Eck zusammenstanden. "Richard hat es mir gesagt." erklärte Sophie lächelnd. Der Blick ihrer Schwiegertochter war jedoch entsetzt. "Was...?" hauchte sie. Ihr Blick wanderte unruhig durch den Raum, während sie versuchte, zu verstehen. "Richard weiß es....?" Betroffen sah Lisa Sophie in die Augen.

Lisas Reaktion irritierte Sophie nun doch etwas. "Lisa....er ist doch der Vater, oder?" "Natürlich!" beeilte Lisa sich zu antworten. Sophie nickte. Im Grunde hatte sie nichts anderes erwartet. "Sophie...." Lisa beugte sich vor und legte eine Hand auf die ihrer Schwiegermutter. "Woher weiß Richard es...?" Diese zuckte ratlos mit den Achseln. "Hast du es ihm denn nicht gesagt....?" Lisa schüttelte den Kopf.

Beide Frauen schwiegen eine kurze Weile, jede in ihren Gedanken versunken. "Oh Gott!" entfuhr es Lisa schließlich. Entsetzt sah sie Sophie an, die ihren Blick fragend erwiderte. "Der Schwangerschaftstest!" Lisa schlug eine Hand vor den Mund, als ihr klar wurde, dass Richard diesen gefunden haben mußte. "Der lag unter dem Waschbecken, als ich beim Arzt war....wahrscheinlich hat er ihn gefunden. " Nachdenklich sah Lisa zur Seite. "Aber wieso hat er nichts gesagt....?" murmelte sie mit sich selbst.

Dann seufzte sie tief und sah wieder zu Sophie. "Richard war letzte Nacht nicht zu Hause...Ich habe selbst erst gestern erfahren, dass ich schwanger bin. Nachmittags war ich beim Arzt und abends wollte ich es Richard sagen, aber er ist nicht gekommen. Ich hab ihn erst heute bei Kerima wiedergesehen und da...." Lisas Stimme brach. Sie senkte den Blick und hielt eine Hand über die Augen, um zu verbergen, dass sie weinen mußte. Doch Sophie konnte sie nichts vormachen.

Ihre Schwiegermutter stand auf und setzte sich dicht neben Lisa, um sie in den Arm zu nehmen. "Habt ihr euch gestritten...?" fragte sie mitfühlend. Sie wußte schließlich, wie Richard sein konnte. Lisa sah sie mit verheulten Augen an. "Eigentlich nicht. Er war total abweisend zu mir und hat mich angeschrieen....so hab ich ihn noch nie erlebt." Hilfesuchend sah Lisa Sophie an. Diese nickte verstehend. Sie konnte sich genau vorstellen, wie Richard Lisa abgekanzelt hatte und seufzte tief.

"Lisa." Sophie nahm die Hand ihrer Schwiegertochter in ihre. "Richard glaubt, das Baby sei von David." eröffnete sie ihr. "Was!" Entsetzt sah Lisa sie an. "Wie kommt er denn auf sowas...? Das ist doch absurd!" Sophie nickte. "Ich weiß das und du weißt das, aber Richard...der hat sich da total in was verrannt! Wegen der Sache mit Sabrina damals ist er perse schon mal mißtrauig. Er ist felsenfest davon überzeugt, auf keinen Fall der Vater zu sein, auch, wenn es David nicht sein sollte."

"Er ist es nicht! Es ist Richards Baby." Beschwörend sah Lisa Sophie an. Diese lächelte und strich Lisa sanft über die Wange. "Das weiß ich doch, Schätzchen." Lisa schluckte. Sie war froh, dass Sophie ihr glaubte. "Wie kommt er denn auf sowas....? Und wieso redet er nicht mit mir...?" fragte sie leise. Sophie hob beide Augenbrauen und legte die Stirn in Falten, was Lisa bedeuten sollte, dass sie von der Reaktion ihres Sohnes nicht so überrascht war wie Lisa.

"Richard ist leider zu stolz, um zuzugeben, dass ihn der Gedanke, dass du ihn betrogen haben könntest, fertig macht. Er würde nie zu dir kommen, um sich Gewissheit zu holen, denn er rechnet damit, dass es wahr ist und er will auf keinen Fall, dass du dann merkst, wie sehr ihn das trifft." Sophie lehnte sich zurück. "Nein, da macht mein Sohn lieber einen auf einsamer Held, denkt sich seinen Teil, statt zu reden und zieht seine eigenen Konsequenzen." Dass Richard sich scheiden lassen wollte, erzählte sie Lisa lieber nicht, da sie noch die Hoffnung hatte, ihren Sohn davon abhalten zu können.

"Im übrigen hat er dich und David wohl gesehen...in Davids Büro." deutete Sophie an und wartete Lisa Reaktion ab. Lisa schloß die Augen und atmete tief durch. "Oh nein....und jetzt denkt er....?" Fragend sah sie Sophie an. Diese nickte. "Oh man...." Lisa legte eine Hand an die Stirn und senkte den Kopf. "Wenn ich gewußt hätte, was Richard vermutet, wäre ich doch nie zu David gegangen....ausgerechnet zu David! Ich mein, wie blöd kann man denn sein!" rief Lisa und sah gen Himmel.

"Nach unserem Streit war ich total fertig, ich mußte mit irgendjemanden reden...!" Nach Verständnis suchend sah sie Sophie an. Diese nickte. "Du konntest ja nicht wissen, was Richard sich da zusammenspinnt." tröstete sie ihre Schwiegertochter. "Ich nehme an, du hast David von dem Baby erzählt...?" vermutete sie und Lisa nickte. "Ja. Richard hat gesehen, wie David sich gefreut hat und hat es für die Freude eines werdenden Vaters gehalten." erzählte sie Lisa.

Trotz ihrer Verzweiflung mußte Lisa lachen. "Sophie, dass ist alles so absurd...!" Sophie zog eine Augenbraue hoch und verzog den Mund. "Sag das nicht mir...." sagte sie und ihr Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass sie Lisa absolut zustimmte.

In diesem Moment hörte man einen Schlüssel im Schloß. Lisa fuhr herum und sah Richtung Flur. Die Tür krachte beim Öffnen gegen die Wand und kurz darauf wankte Richard ins Wohnzimmer. Lisa sprang auf. "Richard!" rief sie und sah ihn erschrocken an, weil er völlig betrunken war.

Abschätzend sah Richard zwischen seiner Frau und seiner Mutter hin und her. "Was geht denn hier ab?" nuschelte er. "So 'ne sch*** Frauen-Solidaritäts-Kiste?"

58

Sophie warf ihrem Sohn einen warnenden Blick zu. "Richard!" Ihr Ton war schneidend und trotz seines Alkoholpegels sah ihr Sohn sie fragend an. Seinen Mund umspielte jedoch gleichzeitig dieses amüsierte, ironische Lächeln, das klar machte, dass er den Versuch seiner Mutter, sich Respekt zu verschaffen, nicht wirklich ernst nahm. "Es reicht! Deine Frau ist schwanger und braucht alles andere, als den Aufstand, den du hier veranstaltest!"

Richard grinste in sich hinein, als er auf das Sofa zuwankte und seinen Ledermantel über die Lehne schmiss. Dann stützte er sich vorsichtshalber auf dieselbe, während er seine Mutter spöttisch ansah. "Dann würde ich sagen, soll sie sich doch einfach von mir fernhalten und sich von dem Vater ihres Kindes pflegen lassen - zuletzt war David doch ganz wild darauf, dir nahe zu sein!" Er sah Lisa in die Augen, die neben seiner Mutter stand.

Dann umrundete er das Sofa, setzte sich wohlig seufzend und zündete sich ein Zigarello an. Genüsslich legte er den Kopf in den Nacken und blies langsam den Rauch an die Decke. Verständnislos schüttelte Sophie den Kopf. "Du benimmst dich unmöglich, Richard von Brahmberg!" warf sie ihm vor. Grinsend sah Richard sie an. "Jetzt sag bitte nicht, dass dich das überrascht, Mutter."

Lisa schluckte. Trotz Richards abweisendem Verhalten wollte sie noch einen Versuch starten. Langsam ging sie zur Couch und setzte sich schräg ans äußerste Ende. Ihre Hände lagen in ihrem Schoß, wurden jedoch abwechselnd nervös geknetet oder an den Fingernägeln gezupft. "Richard..." Verzweifelt sah Lisa ihren Mann an. Dieser gönnte ihr lediglich einen coolen Seitenblick, für den er nicht mal den Kopf drehte.

"Kann es sein, dass du gestern meinen Schwangerschaftstest gefunden hast, als ich beim Arzt war?" Keine Antwort. Richard betrachtete lediglich interessiert sein Zigarello. Lisa schloß kurz die Augen und sammelte all ihren Mut. "Richard, du hast da etwas komplett falsch verstanden....ich habe an diesem Abend auf dich gewartet. Ich wollte dir von dem Baby erzählen und dir sagen..." Lisas Stimme wurde leise und schließlich hielt sie inne. Richards abweisendes Verhalten machte es ihr nicht gerade leichter. Da sie nichts mehr sagte, wandte Richard ihr den Blick zu und hob auffordernd beide Augenbrauen. "Was denn, mein liebstes Frauchen?" säuselte er, doch seine Stimme troff vor Spott.

Lisas Augen füllten sich mit Tränen, als sie ihn ansah. "Ich wollte dir sagen, dass ich dich liebe." sagte sie, ohne weiter darüber nachzudenken. Jetzt war eh alles egal. Eine Sekunde lang war Richard perplex, dann legte er den Kopf in den Nacken und begann schallend zu lachen. "Du erwartest doch sicher nicht, dass ich das glaube...?" Amüsiert sah er sie an. "Es ist die Wahrheit." wisperte Lisa. "Und das fällt dir ausgerechnet jetzt ein!" entgegenete Richard etwas lauter.

Seine Frau schüttelte den Kopf. "Nein. Mir ist das schon länger bewußt, aber ich hab mich nie getraut, es dir zu sagen." erwiderte sie verschüchtert. Richard gab ein spöttisches Geräusch von sich. "Komisch! Meinem Bruder konntest du es sagen....!" Vorwurfsvoll sah er sie an. "Ich hab es ihm nicht einfach so gesagt!" wehrte Lisa sich heftig. "Ich war über ein Jahr in ihn verliebt, bevor er es erfahren hat und dass auch nur, weil es mir in einem Streitgespräch rausgerutscht ist!"

Richard zog eine Augenbraue hoch und beugte sich vor. "Na dann hätten wir uns vielleicht öfter streiten sollen...!" sagte er leise. Sein Unterton ließ Lisa einen Schauer über den Rücken laufen. Ängstlich sah sie ihn an. "Warum machst du alles kaputt, Richard." sagte sie leise. "Ich?" Richard lachte ironisch auf. "Wer versucht denn, mir ein fremdes Blag unterzuschieben....?"

Aufschluchzend sprang Lisa auf und brachte einigen Abstand zwischen sich und Richard. An seinem Schreibtisch blieb sie stehen und wandte ihm den Rücken zu, während ihre Schultern bebten. Verzweifelt versuchte Lisa, nicht zu weinen. Sophie sah besorgt zu ihr hinüber und wollte gerade zu ihr gehen, als Lisa sich umdrehte und Richard ansah, welcher überhaupt nicht auf sie achtete.

"Ich weiß nicht, was ich dir getan habe, dass du so mit mir umgehst, Richard. Scheinbar hast du keinen Funken Vertrauen zu mir. Aber das ändert nichts daran, dass du der einzige Mann bist, mit dem ich je in meinem Leben geschlafen habe." Lisas Stimme bebte und bevor sie doch noch in Tränen ausbrach, ging sie eiligen Schrittes ins Schlafzimmer und schloß die Tür hinter sich.

"Wer's glaubt..." murmelte Richard nur. "Am liebsten würde ich dir eine runterhauen!" Stocksauer funkelte Sophie ihn an, beschloß dann aber, sich um Lisa zu kümmern, statt weiter zu versuchen, ihrem Sohn Verstand einzubläuen. Vorsichtig klopfte sie an die Schlafzimmertür und ging dann zu Lisa hinein. Diese saß weinend auf der Bettkante.

"Hey, Schätzchen..." Sophie hockte sich vor sie und legte beide Hände auf ihre Knie. "Was hab ich ihm getan, Sophie, sag es mir!" weinte Lisa. Sophies Herz zog sich ob Lisas Kummer schmerzhaft zusammen. "Du gar nichts." versicherte sie ihr und wischte ihr die Tränen von den Wangen, was sinnlos war, da Lisa nicht aufhörte, zu weinen. Sophie sah sie überlegend an. Dieser ganze Stress war in ihrem Zustand überhaupt nicht gut für Lisa.

"Weißt du was... du mußt mal hier raus. Wir packen jetzt ein paar Sachen zusammen und fahren in mein Haus nach Sylt. Ok?" schlug sie dann vor. Lisa sah sie einige Sekunden an und nickte dann. Ihr war alles recht. Ihre Welt lag eh in Trümmern und sie war Sophie dankbar, dass sie sich um sie kümmerte, so dass sie keine Entscheidungen treffen mußte.

Etwa 20 Minuten später kamen Sophie und Lisa nebst einer kleinen Reisetasche aus dem Schlafzimmer. Richard stand mittlerweile an seinem Schreibtisch und goß sich ein Glas Whiskey ein. "Ich fahre mit Lisa in unser Haus nach Sylt." informierte Sophie ihn. "Ich hoffe, du kommst wieder zu Sinnen, Richard. Wenn du wieder bei Verstand bist, kannst du dich ja melden."

Belustigt sah Richard seiner Mutter und seiner Frau nach, wie diese an ihm vorbei zur Tür gingen und hob sein Glas. "Prost!" rief er ihnen nach und lachte. Traurig sah Lisa ihm noch einmal in die Augen, bevor sie die Tür von außen zuzog.

59

Am nächsten Morgen schlief Richard etwas länger. Zwar hatte er sich den Wecker gestellt, um ganz normal zu Kerima zu gehen, doch mehr schlafend als wach hatte er das Klingeln abgestellt und war wieder eingeschlafen. Doch jetzt, gehen 10, quälte er sich doch noch aus dem Bett. Sein Kopf brachte ihn fast um, weshalb sein erster Weg ihn ins Bad führte, wo er eine Aspirin nahm.

Dann schlich er langsam ins Wohnzimmer, wo sein Mantel immer noch über der Couchlehne hing. In der Tasche fand er die Visitenkarte von Dr. Lange. Dessen Sekretärin zwitscherte unerträglich laut ins Telefon und Richard verzog das Gesicht. Ihr Chef habe heute leider keine regulären Termine mehr frei, erklärte sie, doch mit etwas Überredungskunst brachte Richard sie dazu, ihren Chef zu fragen, ob er sich auf ein Mittagessen im Wolfhardts mit ihm treffen wollte.

Und so saß Richard gegen 13 Uhr mit seinem Anwalt im Wolfhardts. Während der Anwalt sich sein üppiges Essen schmecken ließ, beschränkte Richard sich auf ein großes Wasser, das seinen Körper hoffentlich wieder auf die Sprünge half. Er war heilfroh gewesen, als die Kopfschmerztablette endlich angeschlagen hatte.

Dr. Lange erklärte ihm, dass das Kind, sofern es ehelich geboren würde, automatisch als Richards Kind gelten würde. Ein Trennungsjahr könne man ja fingieren, sofern die Noch-Ehefrau da mitspiele. Sprich: Man könne vor Gericht so tun, als sei man schon viel länger von Tisch und Bett getrennt, als es tatsächlich der Fall war - wer wolle das schon kontrollieren. Da Richard und Lisa drei Monate verheiratet waren, würde das Ende der Schwangerschaft exakt mit dem Ende des Trennungsjahres zusammenfallen. Es würde sich also darum kriegen, was zuerst passieren würde: Geburt oder Scheidung.

Sollte das Kind zuerst geboren werden, könne das Attest über Richards Zeugungsunfähigkeit eine große Hilfe sein, um seinen Mandanten schnell aus der Sache wieder herauszubekommen, erklärte Dr. Lange.

Und so durchwühlte Richard am Nachmittag seinen Schreibtisch nach dem Attest. Er fand alles, Quittungen, Eingangspost, Bankbelege, aber kein Attest. 'Verdammt....' Richard sah überlegend über den Tisch. 'Hab ich das vielleicht bei Kerima....?' Bevor er jedoch zu Kerima rübergehen wollte, um dort nach dem Attest zu suchen, durchstöberte er noch einmal das Körbchen auf seinem Schreibtisch. "Aha!" Triumphierend zog Richard das Papier aus dem Stapel und grinste. "Na bitte..." meinte er zufrieden und überflog den Text.

"Bla bla bla.....temporär zeugungsunfähig." murmelte er und wollte gerade schon aufstehen, um das Attest in die Kanzlei von Dr. Lange zu faxen, als er stutzte. Temporär. Dieses eine Wort sprang Richard förmlich an. Temporär zeugungsunfähig. Mit starrem Gesicht sah Richard auf. "Temporär...." murmelte er entsetzt. Ein schnell Blick auf das Attest verriet ihm, das dieses nunmehr immerhin über eineinhalb Jahre alt war. Richard schluckte trocken. Plötzlich war die Übelkeit von heute Morgen wieder da.

In seinen Ohren rauschte es, sein Herz schlug kräftig und viel zu schnell. 'Oh Gott....was, wenn ich Lisa doch Unrecht getan haben....?' Seine Gedanken wanderten zu gestern Abend zurück. So wenig Beachtung er Lisa gestern auch geschenkt hatte, so klar erinnerte er sich heute an ihre Worte:

"Richard, du hast da etwas komplett falsch verstanden....ich habe an diesem Abend auf dich gewartet. Ich wollte dir von dem Baby erzählen und dir sagen...ich wollte dir sagen, dass ich dich liebe."

Richard schluckte erneut, doch der Klos in seinem Hals blieb. Vor seinem inneren Auge sah er Lisas große, blaue Augen vor sich, tränengefüllt. Der Blick, bevor sie die Wohnungstür schloß...Richards Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Er kniff die Augen zu und senkte den Blick.

Panisch schnappte er nach seinem Telefon und tippte die Nummer des Labors ein, die auf dem Briefkopf gedruckt war.

"Labor Wagner, Kleber, guten Tag!" meldete sich eine freundliche, weibliche Stimme.

"Guten Tag, von Brahmberg mein Name. Sagen sie...ich habe hier ein Attest, das allerdings schon mehr als 18 Monate alt ist, nach dem ich temporär zeugungsunfähig bin. Könnte sich daran in der Zwischenzeit etwas geändert haben?" Angespannt wartete Richard auf die Antwort der Labor-Angestellten.

"Das könnte schon sein, Herr von Brahmberg. Gewissheit kann ihnen allerdings nur eine erneute Untersuchung bringen. Am besten bringen sie noch einmal eine Probe vorbei." antwortete diese in einem Plauderton, als ginge es lediglich ums Wetter.



Viel später an diesem Nachmittag trat Richard mit einem verlegenen Lächeln an den Empfangstresen des Labors. Den kleinen Plastikbecher umschloß er gänzlich mit der Hand, um ihn bestmöglichst zu verbergen. Als wüßte nicht jeder Anwesende, warum er hier war. Er räusperte sich, um die Aufmerksamkeit der Angestellten auf sich zu ziehen. Diese sah auf und lächelte ihn freundlich an.

"Meine Probe." sagte Richard leise und reichte das Becherchen verstohlen weiter. "Wann....äh, wann kann ich mit dem Ergebnis rechnen?" fragte er. Die Angestellte machte einen weißen Aufkleber auf den Becher und schrieb "von Brahmberg, Richard" darauf. "In etwa drei Tagen." "So lange!" rief Richard entgeistert. Dann zückte er seine Brieftasche. "Könnte man das eventuell etwas beschleunigen...?" fragte er und zog einen 100-€-Schein halb aus der Brieftasche.

Die Angestellte sah nur kurz auf den Schein und lächelte dann. "Tut mir leid, da kann ich gar nichts für sie tun - die Proben werden nicht hier ausgewertet. Aber ich werde sie gerne sofort anrufen, wenn das Ergebnis da ist."

Richard schob den Geldschein wieder zurück in die Brieftasche und zog stattdessen eine seiner Visitenkarten heraus. "Bitte faxen sie mir das Ergebnis. Ich will es schwarz auf weiß haben." Er nickte der Angestellten noch einmal zu und verließ dann das Gebäude. Draußen atmete er tief durch und blieb stehen. Er wußte nicht, was er sich wünschen sollte....das herauskam, dass er immer noch keine Kinder zeugen konnte und Lisa ihn betrogen hatte, oder dass er wieder zeugungsfähig war und er Lisa unendlich wehgetan hatte.

Richard wurde siedenheiß bei dem Gedanken, wie er die letzten Tage mit Lisa umgesprungen war - vielleicht völlig zu unrecht. 'Gott, Lisa....' dachte er verzweifelt und ging eiligen Schrittes zu seinem Auto.

60

Auf der Fahrt hatte es zu regnen begonnen und das passte genau zu Lisas Stimmung. Der Scheibenwischer von Sophies AMG bewegte sich gleichmäßig monoton. Das Radio lief leise, während Sophie mit gleichbleibenden 160 km/h über die Autobahn fuhr. Lisa machte sich ob der Geschwindigkeit keinerlei Sorgen, Sophie war eine souveräne Fahrerin und die Autobahn recht leer.

Lisa war froh, aus Berlin rauszukommen. Sie hätte jetzt nicht bei Kerima arbeiten können, als sei nichts gewesen. Sie hätte nicht mit Richard in einer Wohnung leben können, während er sie bestenfalls ignorierte oder weiter so behandelte wie die letzten Tage. Das hätte sie auf keinen Fall mehr ausgehalten.

Traurig hatte sie den Kopf an die Nackenstützte gelegt und sah hinaus aus dem Seitenfenster. Die Landschaft flog nur so an ihnen vorbei, zog vorüber, ebenso wie Lisas Gedanken. Unbewußt hatte sie eine Hand auf ihren Unterbrauch gelegt. Einzig der Gedanke an ihr Baby ließ Lisa leise lächeln. Wie es wohl werden würde, Mutter zu sein. Würde es ein Junge oder ein Mädchen? Und wenn es ein Junge würde, würde er aussehen wie Richard? Lisas Lächeln wurde breiter, als sie sich eine Mini-Ausgabe von Richard vorstellte, grüne Augen, die zu ihr aufschauten. Unwillkürlich stellte sie sich ihren möglichen Sohn in einem kleinen Anzug vor und lachte leise.

Als sie schließlich die Autobahn verließen und sich in die Schlange einreihten, um auf die Fähre zu fahren, die sie nach Sylt übersetzen sollte, verspürte Lisa tatsächlich so etwas wie Vorfreude. Sie liebte das Meer und freute sich schon auf lange Strandspaziergänge. Selbst das schlechte Wetter würde ihr das nicht verderben. 'Es wird schon alles gut werden....' dachte sie hoffnungsvoll, als Sophie den Mercedes auf der Fähre parkte und sie ausstiegen. Sofort bließ der steife Wind Lisas die Haare aus dem Gesicht. Möwen kreischten über ihnen und es roch nach Salz, Meer und Fisch.

Sophie verriegelte das Auto per Fernbedienung und lächelte Lisa zu. Zusammen traten sie an die Rehling und beobachteten die Möwen, die die Besucher mit der Hoffnung auf ein Brötchen umkreisten, während die Fähre langsam Richtung Sylt ablegte.


Agnes zog abschätzend die Augenbrauen hoch, als sie das Geschrei aus Richards Büro hörte. Seit zwei Tagen ging das nun schon so. Vor drei Tagen war Lisa nach Sylt aufgebrochen und Richard gar nicht erst bei Kerima erschienen. Und jetzt war seine Laune absolut unerträglich.

"Wirklich der Wahnsinn..." kommentierte Inka das Geschrei. "Kaum ist Lisa mal nicht in seiner Nähe, ist er wieder ganz der Alte..." Wenig begeistert sah sie Agnes an und zog eine Augenbraue hoch. Agnes nickte. "Ja, ist wirklich auffällig. Das Beste wäre, er würde auch freimachen und Lisa hinterherfahren. Könnte wirklich nicht schaden..."

In diesem Moment riß Richard seine Tür auf. "Hab ich ein Fax bekommen?" rief er laut, obwohl Nathalie direkt vor seiner Tür saß. Diese zuckte erschrocken zusammen. "Nein, Herr von Brahmberg." "SIND SIE SICHER!" brüllte er entnervt. Als Nathalie nickte, ging Richard zurück in sein Büro und knallte die Tür zu. Mitleidig sah Inka zu Nathalie hinüber. "Na, mit der möchte ich nun wirklich auch nicht tauschen..."


Kurz darauf klopfte es kurz an Richards Tür. Dieser wollte schon genervt reagieren, als er Mariella erkannte. Augenblicklich entspannte er sich und lächelte. "Mariella...."

Seine Schwester sah ihn forschend an. "Ich wollte nach sehen, wie's dir geht....wenn man den Angestellten traut, tut sich in deinem Büro gerade der Höllenschlund auf..." scherzte sie, ihr Blick blieb jedoch ernst.

Richard wies auf die Stühle vor seinem Schreibtisch. "Setz dich." seufzte er. Dann schwieg er kurz, um sich zu sammeln. Mariella ließ ihm die Zeit, musterte ihn nur stumm. "Ich hab wahrscheinlich einen riesigen Bockmist gebaut." sagte Richard dann gepresst und sah Mariella hilfesuchend an.

Diese nickte. "Lisa?" fragte sie nur. Allein die Erwähnung ihres Namens ließ einen unangenehmen Stich durch Richards Herz fahren. Mariella, die als Einzige das Privileg genoß, dass Richard sich ihr öffnete, sah sofort den Schmerz in seinen Augen. Sein Gesicht war verzerrt. "So schlimm?" fragte sie besorgt. "Schlimmer..." murmelte Richard und wandte den Blick ab.

In diesem Moment klopfte es erneut und Nathalie trat ein. "Hier ist ein Fax für sie, Herr von Brahmberg. Vertraulich." Richard sprang auf und riß es Nathalie förmlich aus der Hand. Es waren zwei Seiten. Die erste Seite war nur ein Deckblatt, auf dem sein Name, sowie in Großbuchstaben "Vertraulich! Privat! Nur vom Empfänger zu lesen!" stand. "Danke."

Ohne weiter auf Nathalie, die das Büro wieder verließ, zu achten, zog Richard die zweite Seite nach oben und überflog den Text. Mariella konnte beobachten, wie er blass wurde. Dann ließ er das Fax sinken und ging langsam zurück zu seinem Sessel. Sein Blick war leer, fassungslos.

"Richard....was ist denn los?" Mariella war inzwischen ernsthaft alarmiert. Der Blick, den ihr Bruder ihr nun zuwarf, trug nur dazu bei. "Richard!" rief Mariella erschrocken. "Ich....ich...." stotterte Richard und schüttelte den Kopf. Er ließ das Fax fallen, stütze beide Ellbogen auf den Tisch und vergrub sein Gesicht in seinen Händen.

Besorgt stand Mariella auf, umrundete den Tisch und legte einen Arm um Richards Schultern. Dieser drehte sich samt seinem Bürostuhl und schaute mit verzweifelten Augen zu ihr auf. "Sie wird mir nie verzeihen..." flüsterte er tonlos und die Verzweiflung, die in seiner Stimme lag, brach Mariella fast das Herz. "Ach Richard...." seufzte sie, ohne zu wissen, was er genau meinte.

Sie legte eine Hand so an seine Wange, dass sie seinen Kopf zu sich heranziehen konnte. Richard schlang beide Arme um die Hüfte seiner Schwester, legte seine Wange an ihren Bauch und schloß die Augen. Sanft strich Mariella ihm immer wieder durch die Haare. "Was ist vorgefallen zwischen euch, Richard?" fragte sie, nachdem beide eine ganze Weile geschwiegen hatten.

Vorsichtig löste sie sich von ihm und trat einen Schritt zurück, um ihm in die Augen zu sehen. "Du wirst Tante." eröffnete Richard ihr. Mariellas Augen leuchteten auf. "Lisa ist schwanger...?" Begeistert sah sie ihn an und Richard nickte. "Ich freu mich so..." sagte Mariella ehrlich und umarmte Richard erneut. Dieser nickte bedrückt.

Fragend sah seine Schwester ihn an. "Aber es gibt ein Problem....?" vermutete sie. Richard seufzte. "Ich....hab Lisa unterstellt, ich sei nicht der Vater." rückte er heraus. Entgeistert sah Mariella ihn an. "Ich...war ziemlich hässlich zu Lisa." beichtete Richard weiter. "....hab ihr sogar unterstellt, David sei der Vater." Er wagte es nicht, Mariella weiter in die Augen zu sehen.

"Richard..." hauchte diese. "Wie kommst du denn nur auf sowas...?" "Siehst du....!" Voller Selbstvorwürfe sah Richard sie an. "Genau so hat Mutter auch reagiert! Jeder glaubt sofort an Lisas Unschuld, nur ich, ihr eigener Ehemann...." Er schüttelte über sich selbst den Kopf.

"Als Sabrina damals nicht schwanger wurde, habe ich doch den Test gemacht." Mariella nickte. "Dabei kam heraus, dass ich zeugungsunfähig war." "War?" echote Mariella. Dieses Mal war es Richard, der nickte. Er griff erneut nach dem Fax und reichte es Mariella.

"Als ich von Lisas Schwangerschaft erfahren habe, konnte ich nur noch daran denken, wie Sabrina mich gelinkt hat, mir das Kind von diesem Kiosk-Fuzzy unterschieben wollte...." Nach Verständnis suchen sah er seine Schwester an. "Mariella, Lisa war der einzige Mensch außer dir, dem ich bedingungslos vertraut habe..." Schmerzerfüllt sah Richard sie an. "Und ich dachte, sie hätte mein Vertrauen mißbraucht....immmerhin hatte ich doch ein Attest, dass ich zeugungsunfähig war. Ich kam überhaupt nicht auf die Idee, dass sich daran zwischenzeitlich etwas geändert haben könnte..."

Mariella legte ihre Hand auf seine und sah ihn traurig an. "Ich hab mir schon gedacht, dass irgendwas passiert sein muß, als Mutter allein mit Lisa nach Sylt aufgebrochen ist." Sie musterte ihren Bruder eine kurze Weile schweigend, der bedrückt den Blick gesenkt hatte. Sie konnte sich ungefähr vorstellen, wie er sich nun fühlte. Sie wußte, wie sehr er Lisa liebte und was es ihn gekostet hatte, sich tatsächlich einmal voll und ganz auf einen Menschen einzulassen, ihm zu vertrauen, ihn ganz nah an sich herankommen zu lassen. Für jemanden wie Richard war das ein Riesenwagnis.

"Richard." sagte sie leise und zog so seine Aufmerksamkeit wieder auf sich. "Lisa bekommt dein Baby....du solltest jetzt bei ihr sein." Richard lächelte traurig und nickte. "Ja." Er stand auf und griff nach seinem Schlüsselbund, der auf dem Tisch lag. "Ich werde mich heute noch auf den Weg nach Sylt machen. Aber zuvor muß ich noch etwas besorgen..."

61

Fröstelnd öffnete Lisa die Tür zu ihrem Zimmer in Sophies Haus auf Sylt. Draußen war es recht kühl, doch Lisa hatte es genossen, an dem praktisch menschenleeren Strand spazieren zu gehen, sich den Wind um die Nase wehen zu lassen und ihre Gedanken etwas zu sortieren.

Sie vermisste Richard und war traurig darüber, dass er sich in den Tagen, in denen sie schon weg war, nicht einmal bei ihr gemeldet hatte. Das bedeutete wohl, dass er ihr immer noch nicht glaubte. Lisa hatte die Hoffnung gehabt, dass ihn der Kater am nächsten Morgen und die Erinnerung an ihr Gespräch vom Vorabend zur Vernunft bringen würden, aber scheinbar war das nicht der Fall gewesen. Trotzdem wollte Lisa sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass das das Ende sein sollte. Das durfte einfach nicht sein.

Sie genoß die gemeinsame Zeit mit Sophie, vor allem die abendlichen Gespräche im Wohnzimmer vor dem Kamin, bevor sie schlafen gingen. Sophie kannte Richard natürlich mit am besten und sprach Lisa immer wieder Mut zu, dass am Ende bestimmt alles gut werden würde. Im Gegensatz zu ihrer eigenen Mutter war ihre Schwiegermutter beruhigend gefasst und strahlte eine Ruhe aus, die auf Lisa überging. Sie erdrückte Lisa nicht mir iher Fürsorge, sondern teilte ihr lediglich ihre Sicht der Dinge mit, aus der sie Lisa ihre eigenen Schlüsse ziehen ließ.


Mit raschen Schritten durchquerte Lisa das Zimmer, um sich ihren Bademantel und Handtücher zu schnappen. Sie freute sich schon auf eine ausgiebige, warme Dusche. Danach wollten sie und Sophie im Ort essen gehen.

Ihr Blick fiel nur flüchtig auf ihr Bett, doch plötzlich stutze sie. Ein langes, schmales Kästchen lag darauf nebst einem Briefumschlag. Statt zu der Kommode mit den Handtüchern ging Lisa nun zu ihrem Bett und nahm den Umschlag vom Kopfkissen. "Für die Mutter meines Kindes" stand in Richards Handschrift darauf - Lisa erkannte sie sofort. Aufschluchzend schlug sie eine Hand vor den Mund. So unvermutet ein Zeichen von Richard vorzufinden ließ von Kopf bis Fuß ein Glücksgefühl durch ihren Körper laufen.

Noch im Stehen öffnete sie den Briefumschlag und zog eine Karte heraus. Schnell schlug Lisa sie auf. Auf der linken Seite stand:

In den Weiten Deiner Augen
seh ich große Zuversicht
Wärme flutet meine Seele
Voller Hoffnung ist dein Blick
Mein Stern
Die Zartheit Deines Seins
lassen mich so oft erstaunen
ist Dein Herz doch noch so klein
ungefangen ist Dein Handeln
Vorbehalte kennst Du nicht
Bist der Antrieb meines Strebens
sehe ich in Dein Gesicht
befreist mir das starre Denken
und löst in mir den tristen Blick
Läßt den Fokus auf Dich lenken
Schaue nun zu Dir zurück
Nur ein Stück von diesem Wesen
wünsch ich mir für mich zurück
Wundersam verläuft das Leben
trübt so oft den klaren Blick
Schaue zurück in Deine Augen
sind sie doch so klar und rein
lebe jetzt den Augenblick
könnt er doch nur endlos sein.

Und auf der rechten: "Ich liebe Dich, Lisa. Richard "

Ergriffen ließ Lisa sich auf das Bett sinken. Allein der eine Satz auf dem Umschlag machte sie schon überglücklich: Für die Mutter meines Kindes.... Lisa lächelte seelig. Woher auch immer Richards plötzliche Erkenntnis kam, Lisa war einfach nur glücklich, dass er ihr jetzt scheinbar glaubte.

Vor lauter Freude hätte sie beinahe das Kästchen total vergessen. Jetzt nahm sie es jedoch zur Hand und öffnete es gespannt. Darin lag eine Kette mit einem Amulett, auf welchem eine Frau zu sehen war, die wie eine Heilige aussah. Ein kleiner Zettel lag in dem Kästchen, ein weiterer Brief von Richard:

"Das ist die Schutzheilige der Mütter, Anna. Bitte trage diese Ketter immer bei Dir....Richard"

Gerührt strich Lisa über das Amulett und lächelte. "...wirklich wunderschön." flüsterte sie, stand auf und trat vor den Spiegel in ihrem Zimmer, um sich die Kette anzulegen. Lächelnd betrachtete sie sich im Spiegel.

Plötzlich durchzuckte Lisa ein Gedanke: Wenn die Sachen nicht mit der Post gekommen waren....war Richard dann etwa hier auf Sylt...?

Eilig lief Lisa zur Tür und hinab in die untere Etage, wo Sophie gerade über den Flur ging. Lächelnd sah sie ihrer Schwiegertochter entgegen. "Sophie, ist er hier...?" Erwartungsvoll sah sie die ältere Frau an. Sophie schmunzelte und nickte wortlos in Richtung Haustür. Lisa, die noch halb auf der Treppe stand, sah aufgeregt durch das kleines Fenster neben der Haustür. Jemand saß auf der Bank daneben....


Lisa stürzte die letzten Stufen hinab und stoppte vor der Haustür kurz, um sich zu sammeln. Dann ging sie mit klopfendem Herzen raus. Tatsächlich war es Richard, der draußen in der Kälte auf der Bank saß. Er trug seinen schwarzen Ledermantel, rauchte und sah in die Ferne. Als er jedoch Lisas Schritte hörte, wandte er den Kopf. Unsicher sah er sie an, obgleich Lisa ihn anlächelte.

Lisa blieb stehen und ohne ein Wort zu sagen, stand Richard auf und kam langsam zu ihr. Mit einem Blick registrierte er, dass sie die Kette bereits trug. Als er vor ihr stand, ging er auf die Knie, wobei sich der Ledermantel wie ein Umhang hinter ihm ausbreitete und umschlang Lisa mit beiden Armen, um seine Wange an ihren Unterbrauch zu schmiegen.

Mit Tränen in den Augen sah Lisa auf ihn hinab und strich ihm sanft durch die Haare. Als Richard nach einer kleinen Weile aufsah, war sein Blick bittend. "Lisa....dass du mir verzeihst, ist zuviel verlangt, das weiß ich, aber wenn du mir noch eine zweite Chance geben würdest..."

Lisa lachte und heulte gleichzeitig, während sie an seinem Ärmel zupfte, damit er aufstand. Dann umarmte sie ihn heftig. "Heißt das, du glaubst mir endlich?"

Richard löste sich ein Stück von ihr, um Lisa in die Augen sehen zu können. Ernst schüttelte er den Kopf und Lisa blieb vor Schreck fast das Herz stehen. "Nein, ich glaube dir nicht, Lisa. Ich weiß, dass du die Wahrheit sagst."

Lisa schrie empört auf und boxte ihn auf die Schulter. Richard lachte leise und zog sie wieder in seine Arme. "Ich hoffe nur, das Kind kommt ganz nach dir, weil es nämlich den weltgrößten Trottel als Vater hat." sagte er leise.

Lisa lachte. "Das stimmt." neckte sie ihn. "Aber ich liebe diesen Trottel..." flüsterte sie und zog seinen Kopf zu sich hinab, um ihn zu küssen.


Keiner von ihnen bemerkte Sophie, die schmunzelnd am Fenster stand und sie beobachtete. "Na endlich, du Vollidiot." murmelte sie gutmütig und grinste...

ENDE




 
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