Richard und Sophie von Brahmberg Fanpage
  Mon Amour...belle soeur (leider unvollendet)
 
(etwa: Geliebte Schwägerin)

...viel Spaß!! :-)

(1)

Mit verschränkten Armen stand Lisa Seidel in der Terrassentür und beobachtete Kim, die auf der kleinen Leiter zum Pool saß und immer wieder ihre Hand durch's Wasser gleiten ließ. Ihren Kopf hatte sie gegen das Geländer gelehnt und die Augen geschlossen, während sie ihr Gesicht der Sonne zuwandte.

"Sind Richard und Sophie noch nicht da?" hörte sie plötzlich die Stimme ihres Mannes hinter sich. Lisa drehte sich zu ihm um und sah ihn mürrisch an. "Nein." David mußte lachen. "Ach Lisa..." "Tut mir leid!" brauste Lisa auf und ging zu dem gedeckten Tisch auf der Terrasse, um sinnlos Geschirr und Besteck hin- und herzuschieben. Ihr Blick war finster.

David ging ihr nach, stellte sich hinter sie und legte beide Hände auf ihre Schultern. "Hey...das wird ganz sicher ein schöner Nachmittag, hm?" Lisa drehte sich zu ihm um und sah ihn spöttisch an. "Wieso? Hat Richard kurzfristig abgesagt?" Enttäusch sah David sie an. Lisas Gesichtsausdruck wurde zerknirscht. "David...." Ihr Blick wanderte zu Kim. "Ich mag deine Schwester und Sophie wirklich sehr sehr gern, aber Richard....er ist immer so komisch zu mir...! Er kann mich nicht leiden." schmollig schob Lisa die Unterlippe vor und verschränkte die Arme vor der Brust.

"Das stimmt doch nicht." widersprach David. "Er ist halt nicht der Typ für Smalltalk und sowas. Aber das hat gar nichts mit dir zu tun." Trotzig hob Lisa das Kinn. Sie beobachtete immer noch Kim, die die Sonne genoß. "Komisch nur, dass er mit Mariella, Kim und dir ganz anders umgeht..." "Zu Sophie ist er auch immer knurrig!" hielt David dagegen.

Lisa sah ihn spöttisch an und zog beide Augenbrauen hoch. "Es geht ihm auf den Geist, wenn sie trinkt....! Aber was ich ihm getan habe, ist mir völlig schleierhaft." seufzte sie.

David wollte gerade ein Gegenargument bringen, als es an der Tür klingelte. "Ich mach auf!" rief Kim, sprang auf und lief barfuß ins Haus. David folgte ihr langsam, während Lisa sich dazu entschied, auf der Terrasse zu warten. Von drinnen hörte sie Kims Stimme, wie sie mit großem Hallo Sophie und ihren Halbbruder Richard begrüßte.

"Richy!!" freudestrahlend fiel Kim Richard um den Hals. "Na meine Kleine?" schmunzelte dieser, umarmte Kim und hob sie mühelos ein Stück vom Boden hoch.

"Tante Sophie!" David lächelte Sophie von Brahmberg offen an und umarmte sie herzlich. "Schön, dass ihr da seid. Richard." David reichte seinem Bruder die Hand zu einem festen Händedruck und lächelte ihn an.

"Kommt mit nach draußen....der Pool ist endlich fertig! Habt ihr Badeklamotten dabei?" Fragend sah Kim von Richard zu Sophie.

Sophie lachte ihr kehliges Lachen. "Nein, tut mir leid, Kleines." "Schade." Kim zeigte ihren berühmten Schmollmund.

"Kommt mit, Lisa hat draußen gedeckt." forderte David seine Gäste auf.

Seit Laura und Friedrich nach dessen Eintritt in den Ruhestand nach Miami ausgewandert waren, waren David, Lisa, Sophie, Richard und Kim enger zusammengerückt. Da auch Mariella  inzwischen in den USA war und  sie verlassen hatte, um mit ihrer großen Liebe, dem Architekten Lars van der Lohe, zusammenzuleben, war Sophie  froh über den mittlerweile engen Kontakt zu Kim und Lisa,  die ihr ihre eigene Tochter wenigstens etwas ersetzen konnten.

Lisa stand lächelnd von ihrem Stuhl auf, als die vier auf die Terrasse kamen. "Hallo Sophie." begrüßte sie Richards Mutter und umarmte sie herzlich. "Wie geht's dir?" Forschend sah Lisa ihr in die Augen. Sophie wußte genau, worauf Lisa anspielte und lächelte. "Gut. 38 Tage." Lisa strahlte über das ganze Gesicht und umarmte Sophie spontan erneut. "Ich bin stolz auf dich." flüsterte sie.

Sophie lächelte in sich hinein. Sie mochte Lisas herzliche, ehrliche Art. Sie hielt mit dem, was sie empfand, nie hinter dem Berg, vor allem nicht, wenn sie jemanden gern hatte, sagte sie demjenigen das auch.

Als Lisa sich von Sophie löste, sah sie - immer noch lächelnd - zu Richard hinüber. Dieser erwiderte ernst ihren Blick. Sein Blick war kühl, nicht das kleinste Anzeichen eines Lächelns zeigte sich auf seinem Gesicht.
                     

'Typisch.' dachte Lisa nur. Sie war nichts anderes von Richard gewöhnt ihr gegenüber. David zu liebe beschloß sie, sich zusammenzureißen und reichte Richard die Hand. An eine Umarmung war überhaupt nicht zu denken. "Hallo, Richard." Freundlich lächelte Lisa ihn an. Richard nickte ihr zu. "Lisa...."

Lisa deutete auf den Tisch und sah zu Sophie hinüber. "Setzt euch doch." bat sie ihre Gäste und warf ihrem Mann einen bedeutenden Blick zu, als Sophie und Richard ihn nicht mehr sehen konnten. Dieser zuckte unmerklich mit den Achseln und sah sie entschuldigend an.



Lisa hatte einen riesen Stapel Waffeln gebacken und servierte dazu Vanilleeis und Schattenmorellen. "Hmmmm, Lisa, das schmeckt so himmlisch!" sagte Kim aus vollem Herzen und mit noch vollerem Mund. Dass es ihr schmeckte, sah man auch daran, dass ihre Nasenspitze mit Puderzucker bedeckt war.  Lisa konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.

"Du siehst aus wie ein Koksnäschen!" neckte Richard, der neben Kim saß, seine Schwester. Er strich mit dem Zeigefinger den Puderzucker ab und hielt ihn ihr mit einem gespielt strafenden Blick hin. Kim holte scheinbar erschrocken Luft. "Oh nein und dabei war das Zeug so teuer!!"

Sophie, die neben Lisa saß, schüttelte über die beiden den Kopf und  legte eine Hand auf Lisas Unterarm. "Willst du denn gar nichts essen...?" Lächelnd schüttelte Lisa den Kopf. "Mir ist irgendwie schon seit heute Morgen flau." entschuldigte sie sich. "Bist du etwa schwanger?" feixte Kim und grinste über das ganze Gesicht. Richard, der gerade in seine Waffel gebissen hatte, verschluckte sich und bekam einen Hustenanfall.

"Wer weiß." grinste Lisa und zwinkerte Kim zu, die ihr Grinsen erwiderte. "Wird's denn gehen?" wandte sie sich dann kühl an ihren Schwager und zog eine Augenbraue hoch. Dieser hustete immer noch und wurde schon ganz rot im Gesicht. "...verschluckt....Moment..." würgte er heraus und stand auf, um ins Haus zu gehen.

Richard steuerte das Gästebad in der unteren Etage an und schloß hinter sich ab.Dort drehte er den Wasserhahn auf und trank einige Schlucke aus der hohlen Hand. Der Hustenreiz hörte auf. Endlich.

Richard stützte sich mit beiden Händen auf den Waschbeckenrand und sah ernst sein Spiegelbild an. Schwanger....Richard schloß die Augen, zog gequält die Augenbrauen zusammen und schüttelte den Kopf. 'Nicht genug, dass du seine Frau bist....mußt du jetzt auch noch sein Kind bekommen?' Richard öffnete die Augen wieder, warf sich selbst einen verzweifelten Blick zu und legte seufzend den Kopf weit in den Nacken.

Dann atmete er tief durch und lockerte seine Schultern. 'Es war nur ein dummer Witz.' beruhigte er sich. 'Hoffentlich....' Er verzog  das Gesicht und trocknete sich die Hände an dem kleinen Handtuch ab. Dann sah er sich erneut im Spiegel an. Sein Gesichtsausdruck wurde wieder unergründlich. 'Nichts anmerken lassen. Cool bleiben. Den Nachmittag wirst du auch überstehen.' Richards Blick wurde noch eine Spur kühler, dann schloß er die Tür auf, verließ das Bad und kehrte zurück auf die Terrasse.



Nach dem Kaffeetrinken zog Kim sich um und verschwand tatsächlich nebst einer pinken Luftmatratze, der sie sich treiben ließ und einer riesigen, dunklen Sonnenbrille im Pool.  

Nicht zuletzt, weil Kim so gebettelt hatte, hatte David den Pool bauen lassen. Lisa lächelte versonnen, während sie ihre junge Schwägerin beobachtete. "Prinzessin" nannte David sie immer und das war sie auch. Oft war sie zickig und launig, doch David sah in ihr immer noch das kleine Mädchen, das sie mal gewesen war und liebte ihren wahren Kern. Auch Lisa war das junge Mädchen längst ans Herz gewachsen.

Davids Handyklingeln störte die nachmittägliche Idylle. "Entschuldigt mich bitte." Er lächelte in die Runde und ging dann einige Schritte in  den Garten, um das Gespräch anzunehmen. Lisa sah über den Tisch. Alle Waffeln waren gegessen, die Teller leer. "Ich räum dann schon mal ab, dann haben wir mehr Platz." meinte sie und stand auf. "Soll ich dir helfen, Schätzchen?" bot Sophie an. "Nein nein, laß mal, ihr seid hier zu Gast." lehnte Lisa freundlich das Angebot ab.

Sie räumte alle Teller und das benutzte Besteck auf ein Tablett und verschwand damit im Haus. Sophie fächelte sich mit einer Hand Luft zu. "Ach Richard, wärst du so lieb und würdest mir ein Glas Wasser holen?" bat sie ihren Sohn und lächelte ihn an. "Ich muß auch noch meine Tabletten einnehmen." "Natürlich, Mutter." erwiderte Richard und erhob sich augenblicklich, um Lisa ins Haus zu folgen.

Diese war in der Küche und räumte die Spülmaschine ein, wobei sie ihm den Rücken zuwandte. Im Türrahmen blieb Richard kurz stehen und sah sie an. Ihre langen, leicht gewellten Haare hatte sie zu einem lockeren Zopf zusammengebunden, der ihr über den Rücken fiel. Wegen der Hitze trug sie heute weiße Shorts und ein pinkes, verdammt eng anliegendes Shirt mit der Aufschrift "Berlin - arm aber sexy!" Während des Kaffeetrinkens war Richards Blick wie hypnotisiert immer wieder zu dieser Aufschrift gewandert.

Leise betrat er die Küche und räusperte sich. "Hättest du vielleicht ein Glas...." Lisa schrie leise auf und ließ den Teller, den sie gerade in der Hand hielt, fallen. Erschrocken sah sie auf. "Richard!" stieß sie hervor und legte  eine Hand auf die Brust. "Ich hab dich gar nicht kommen gehört..."

"Entschuldige, ich wollte mich nicht anschleichen, aber Sophie hätte gerne ein Glas Wasser." Richard stand einige Schritte von ihr entfernt sah sie mit einer Miene an, die absolut nichtssagend war.

Seine distanzierte Art irritierte Lisa. Forschend sah sie ihn an, doch sein Gesicht verriet keinerlei Regung. Auch seine Körperhaltung war unergründlich. Er trug wie eigentlich immer einen Anzug und im Moment kam er ihr vor wie einer dieser Versicherungsvertreter, die einem etwas vorspielten, um den ersehnten Vertragsabschluß zu bekommen. Wer sie wirklich waren und was sie im Innersten dachten, konnte man nicht mal erahnen, so sehr verstellten sie sich. Genau so  wirkte ihr Schwager gerade auf sie. Er spielte ihr was vor. Hin und wieder meinte sie, etwas zu erhaschen, etwas in seinem Blick, der Art, wie er sich gab, doch bevor sie es festhalten konnte, war der Moment schon wieder vorbei. Auch jetzt gelang es ihr nicht, hinter Richards Fassade zu kucken. Dabei spürte sie genau, dass da etwas war....

Zu gern hätte sie gewußt, warum er sie nicht leiden konnte. Wahrscheinlich war das Verhalten, das er ihr gegenüber an den Tag legte, noch das Ergebnis davon, dass er sich Sophie und David zu liebe ihr gegenüber zusammenriß. Wer weiß, sie er mit ihr umspringen würde, wenn er diese Maske fallen ließe...

Lisa riß sich von ihm und ihren Gedanken los und öffnete den Schrank mit den Gläsern. "Ja, natürlich. Einen Moment." Anschließend nahm sie eine Flasche Mineralwasser aus dem Kühlschrank und reichte beides Richard, der mittlerweile neben der geöffneten Spülmaschinentür stand, ohne ihm noch mal in die Augen zu sehen. Um ihm auszuweichen, ging sie in die Hocke und fing an, die Scherben aufzusammeln.

"Laß....ich mach das schon. Du wirst dich noch schneiden." murmelte Richard und ging ebenfalls in die Knie, doch Lisa ließ sich nicht beirren. Schnell sammelte sie die Scherben auf und legte sie in ihre Handfläche.                            

"Au! Verdammt!" fluchte sie in diesem Moment. Sie hatte sich tatsächlich geschnitten. Zum Glück war es  nur ein kleiner Schnitt. Lisa steckte den Zeigefinger in den Mund, um die Blutung zu stillen. Richard, der vor ihr hockte, sah sie fassungslos an. Sein Blick wanderte von ihrem Finger zwischen ihren Lippen zu ihren Augen und wieder zurück. Fragend runzelte Lisa die Stirn, woraufhin ihr Schwager  ruckartig aufstand.

"Ich hab doch gesagt, du sollst das lassen!" schnauzte er sie regelrecht an, schnappte sich Glas und Flasche und verließ mit festen Schritten die Küche.

Verblüfft sah Lisa ihm nach. "....so ein Arsch, ey...." murmelte sie mit sich selbst und schüttelte den Kopf.



(2)

2 Tage darauf.

"Es tut mir leid, Richard, ich weiß, es ist kurzfristig, aber..." Ein Hustenanfall unterbrach David und Richard hielt den Hörer ein Stück vom Ohr weg. "Ich lieg hier total flach." krächzte sein Bruder. "Aber Lisa ist schon auf dem Weg zu Kerima. Sie weiß über alles Bescheid. Ihr zwei schafft das schon. Oder?" Zweifel lagen in Davids Stimme.

Richard rollte mit den Augen. "David, das ist nur ein blöder Stoffhändler. Ich werd schon mit ihm klarkommen!" maulte er. In diesem Moment klopfte es kurz an seine Bürotür und seine Sekretärin trat ein. Fragend sah Richard sie an. "Frau Seidel ist da!" teilt sie ihm mit. Richard nickte. "Deine Frau ist da. Leg dich hin und kurier dich aus. Tschüß." Er legte auf und wandte sich dann wieder Jasmin, seiner Assistentin zu. "Schicken sie meine Schwägerin bitte kurz rein." Jasmin nickte und verschwand. Kurz darauf betrat Lisa Richards Büro.

"Hallo Richard. Sorry, ich bin total abgehetzt, ich mußte vorher noch schnell was in der Apotheke für David besorgen." plapperte sie, ohne ihn anzusehen. Stattdessen wühlte sie in ihrer Handtasche. Richard blieb bei Lisas Anblick der Mund förmlich offen stehen.                              

Ihre Haare waren hochgesteckt, einige Strähnen fielen ihr locker ins Gesicht. Sie trug ein helles mintfarbenes Kleid aus glänzender Seide, das Spaghettiträger hatte und unten mit einem handbreiten Saum aus weißer Lochstickerei endete. Dazu trug sie cremefarbene Lackpumps mit Mörderabsätzen. Sie sah extrem sexy aus.

Richard sprang förmlich von seinem Stuhl auf, schloß und öffnete ein paar Mal den Mund, ohne, dass er etwas sagte. Jetzt endlich sah Lisa ihn an. "Können wir? Wir sind spät dran!" Richard schüttelte den Kopf. "So nehm ich dich nicht mit." sagte er knapp, aber entschlossen.

Fassungslos sah Lisa ihn an. "Was?" Richard zeigte mit der flachen Hand auf sie. "Hast du dich mal angesehen...? Wir gehen zu einem Geschäftstermin, nicht auf die Reeperbahn!" raunzte er sie an. "Wie bitte!" Lisas Stimme wurde langsam schrill. Kleine Blitze schossen aus ihren Augen. Sie wußte, dass sie gut aussah. Richards Worte waren eine Unverschämtheit.

Richard setzte sich wieder und wandte sich demonstrativ seinem Laptop zu. "Hol dir bei Hugo was Vernünftiges, dann können wir los." sagte er cool, ohne sie noch eines Blickes zu würdigen. Sprachlos sah Lisa ihn mit offenem Mund an. "Was Vernünftiges....?" brachte sie schließlich heraus. Richard sah sie arrogant an. "Ja. Etwas dem Anlaß Entsprechendes."

Lisa rauschte zur Tür und riß diese auf. "Du bist so ein Ekel!" schleuderte sie ihm noch entgegen, dann verließ sie türeknallend sein Büro. Richard zuckte zusammen. Er war sich nicht sicher, ob sie wirklich zu Hugo ging, oder ob sie abhaute und er den Termin gleich alleine wahrnehmen mußte.

Er atmete tief durch und lockerte den Knoten seiner Krawatte etwas. Bei der Erinnerung an Lisas Anblick von eben schluckte er. Natürlich hatte Lisa phänomenal ausgesehen. Und genau das war das Problem...


"Dieser Mann hat sowas von den A.... offen!" fauchte Lisa und warf wütend ihre Handtasche auf Hugos Zeichentisch, ohne ihn zu begrüßen. Dieser zog amüsiert die Augenbrauen hoch und konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. "Wer bitte, wenn ich fragen darf, hat den A offen, ma chère?" Immer noch wütend blitzte Lisa ihn an. "Mein Schwager! Richard von Brahmberg!" Hugo lachte leise. "Und das ist was Neues?" gluckste er. "Nein. Das ist nichts Neues. Aber heute hat er echt den Vogel abgeschossen." Lisa stellte sich vor Hugo in Positur. "Er meint, er würde mich so nicht mitnehmen!" Nach Verständnis heischend sah sie den Designer an.

Dieser ließ seinen Blick an ihr heruntergleiten, während er eine Hand an sein Kinn stützte und nickte anerkennend. "Obwohl das keine Kreation von mir ist, siehst du formidable aus! Tres sexy!" Lisa nickte. "Danke. Aber leider nicht gut genug für meinen Herrn Schwager. Ich soll mir bei dir was "dem Anlaß Entsprechendes" holen." Grimmig sah sie ihn an und Hugo mußte erneut lachen. Als er sah, wie sauer Lisa war, nahm er sie lachend in den Arm. "Ach Lisa....du weißt doch, wie Richard ist. Charming Man des Jahres wird der nie werden...!" "Na und! Er kann sich jawohl mal zusammenreißen." beschwerte Lisa sich.


10 Minuten nachdem Lisa abgerauscht war, klopfte es erneut an Richards Bürotür. Mit säuerlichem Gesicht trat Lisa ein. Sie trug nun eine schlichte, weiße Stoffhose, weiße statt der cremefarbenen Pumps und ein mintgrünes Babydolloberteil, das unter ihren Brüsten abgeteilt war. Sie sah immer noch sexy aus und Richard schluckte erneut. Aber wenigstens trug sie nun Hosen.

"So recht der gnädige Herr?" ätzte Lisa und Richard stand auf, um sein Jackett von der Lehne seines Sessels zu nehmen. "Gehen wir. Wir kommen eh schon zu spät." sagte er statt einer Antwort. "Ja, Meister." murmelte Lisa, als er an ihr vorbei ging und folgte ihm zum Aufzug. Sie blieb immer einen Schritt hinter ihm und während sie auf den Aufzug warteten, starrte sie sauer ein Loch in seinen Rücken.

Ohne ein weiteres Wort an sie zu richten, betrat Richard mit Lisa den Aufzug und fuhr mit ihr in die Tiefgarage, wo sein Jaguar stand. Dort hielt er ihr immerhin die Beifahrertür auf. "Danke." murmelte Lisa immer noch beleidigt und stieg ein. Auch auf der Fahrt sprach Richard kein Wort mit ihr.

Um einiges zu spät kamen sie an dem Restaurant an, in dem sie sich mit dem Stoffhändler Köster treffen wollten. Richard fand einen Parkplatz, der etliche Meter entfernt vom Restaurant lag. Wortlos stiegen sie aus und Richard ging mit schnellen Schritten voraus  Lisa hatte Mühe, ihm zu folgen.

"Jetzt renn doch nicht so!" rief sie ihm nach. "Wir sind eh schon zu spät." antwortete Richard, ohne sich zu ihr umzudrehen. Lisa bereute es bereits, Schuhe mit so hohen Absätzen angezogen zu haben. Ihre Füße schmerzten jetzt schon. "Eben. Ob nun 10 oder 12 Minuten, das ist doch egal. Ach sch....!" hörte Richard sie plötzlich fluchen. Entnervt drehte er sich um. "Was ist denn jetzt! Kommst du nun oder nicht?"

Lisa war mit einem Absatz in einem Gitter hängengeblieben und ging gerade halb in die Knie, um ihren Schuh zu befreien. Ungerührt sah Richard zu, wie sie fast das Gleichgewicht verlor. "Hilfst du mir jetzt mal oder was!" rief Lisa ihm zu. Ihre Stimme klang plötzlich ganz anders, fast schon verzweifelt.

Seufzend ging Richard zurück zu ihr. Überrascht sah er, dass sie Tränen in den Augen hatte. "Warte, ich helf dir." sagte er schon wesentlich sanfter, ging in die Knie und umfasste mit einer Hand Lisas Fessel. Mit der anderen befreite er den Schuh aus dem Gitter und stellte ihn auf den Bürgersteig daneben. "Danke." schniefte Lisa und legte eine Hand auf Richards Schulter, der immer noch vor ihr kniete, während sie den Schuh wieder anzog.

Zerknirscht sah Richard sie an. Tatsächlich hatte sie geweint, schwarze Mascaraspuren zierten ihre Wangen. "Du....du hast da...." Verunsichert zeigte er auf ihre Wangen. "Warte." Er zog ein sauberes Taschentuch aus seiner Tasche und reichte es ihr. "Deine Wimperntusche. Man sieht, dass du geheult hast." murmelte er kleinlaut.

Lisa nickte, stellte sich vor das Schaufenster des Geschäfts, an dem sie gerade standen und wischte sich die Mascaraspuren aus dem Gesicht. Richard, der mit den Händen in den Hosentaschen hinter ihr stand, beobachtete sie. Schließlich straffte Lisa die Schultern, knüllte das Taschentuch, steckte es in ihre Handtasche und drehte sich um. "Ok, wir können."


(3)

"Ah, Richar'....warte doch bitte kurz. Lisa, Schätzchen, probier das kurz an, ja?" Hugo Haas reichte Lisa mit einem breiten Lächeln eine seiner Kreationen, womit diese hinter dem Paravant verschwand. Richard, der eigentlich gerade auf dem Weg in sein Büro gewesen war, blieb stehen und sah Hugo fragend an. "Eigentlich habe ich überhaupt keine Zeit!" wiegelte er ab.

"Alors, du mußt dir Zeit nehmen, ich kann so nicht arbeiten!" setzte Hugo theatralisch an und Richard hätte am liebsten mit den Augen gerollt. "Was denn, Hugo? War die letzte Knopflieferung nur rosa statt alt-rosa oder was ist wieder Weltbewegendes schiefgegangen?" fragte er sarkastisch. Sein Blick huschte derweil zu dem Paravant, der Lisa zwar abschirmte, aber an dem Schatten, den sie gegen die dünne Wand aus chinesischem Papier warf, konnte Richard glasklar erkennen, dass sie gerade nicht mehr als Unterwäsche anhatte. Ruckartig wandte er den Blick ab und starrte Hugo gereizt an.

"Die Stoffe, die ihr letzte Woche bei Köster bestellt habt, sind immer noch nicht da!" antwortete Hugo vorwurfsvoll. "Und? Soweit ich weiß, liegen noch ein oder zwei Ballen Stoff im Lager." Hugo rollte empört mit den Augen. "Das ist alles indiskutabel. Ich brauche die Stoffe von Köster. Unbedingt. Kümmer dich bitte darum!" forderte er.

"Hugo, könntest du mir bitte mit dem Reisverschluß helfen?" rief Lisa hinter dem Paravant hervor. Statt zu Lisa zu gehen, sah Hugo jedoch Richard auffordernd an. "Was?!" blaffte dieser den Designer an, nachdem sich die Männer sekundenlang fixiert hatten. "Würdest du deiner Schwägerin bitte behilflich sein....?! Mon dieu...." Verständnislos drehte Hugo sich um und begann an einer Skizze herumzukritzeln. "Ich?!" Ungläubig zeigte Richard mit einem Finger auf seine Brust. Genervt warf Hugo seinen Zeichenstift auf das Papier. "Sie ist deine Schwägerin, oder?"

"Ist Hannah nicht da?" rief Lisa, der das Geplänkel allmählich zu viel wurde. "Cherie, Richar' ist schon auf dem Weg zu dir!" rief Hugo liebenswürdig zurück und machte eine ungeduldige, auffordernde Geste in Richtung Richard, der ihm am liebsten an die Gurgel gegangen wäre. Mit grimmigen Gesicht stapfte er zu dem Paravant. Lisa war komplett angezogen, lediglich der Reißverschluß am Rücken stand offen. "Umdrehen!" knurrte Richard sie an.                                    

Lisa schluckte eine Erwiderung hinunter und drehte ihm stattdessen wortlos den Rücken zu. Überraschend sanft strich Richard ihre offenen Haare über ihre Schulter, damit sie nicht in den Reißverschluß gerieten und Lisa fragte sich später, ob sie es sich nur eingebildet hatte, oder ob Richard seine Hand tatsächlich federleicht an ihrem Rücken hatte heruntergleiten lassen, bevor er den Zipper des Reißverschlusses ergriff und diesen langsam nach oben zog.

Ohne ein weiteres Wort ging er zurück zu Hugo. Lisa folgte ihm, um sich Hugo zu präsentieren. "Aaaah, formidable, superb!" rief dieser entzückt. "Ist sie nicht wunderschön, Richard?" Richard warf nur einen kurzen Seitenblick auf Lisa. "Ich muß weiterarbeiten, wenn also nichts weiter ansteht...." Er wollte gerade den Vorhang von Hugos Atelier bei Seite ziehen, als Max das Gleiche von der anderen Seite tat. "Ah, hier bist du, Richard!"

Dieser seufzte. "Was!" raunzte er Max an. "Du kannst nicht zufällig Russisch?" fragte dieser. Richard bedachte ihn mit einem Blick, der ihm deutete, dass es gleich knallen würde. "Zufällig nicht!" sagte er bedrohlich leise. "Das ist schlecht. Ich habe nämlich eben erfahren, dass die Vertreter, die Kerima Russia zu uns schickt, ausschließlich Russisch sprechen." eröffnete Max ihm. Richard, der diesen Termin am Abend wahrnehmen sollte, stöhnte entnervt. "Na super...."

"Lisa spricht Russisch." warf Hugo, der bereits wieder an seiner Skizze arbeitete, ein. Lisas Kopf ruckte herum. Ihrem Blick zufolge hätte Hugo Haas eigentlich auf der Stelle tot umfallen müssen, leider sah er gerade nicht zu ihr hin. "Wirklich, Lisa?" fragte Max erleichtert. "Sicher, sie ist doch im Ostblock aufgewachsen." antwortete Hugo an Lisas Stelle ohne aufzusehen. "Oh man, Lisa, da bin ich aber erleichtert....ich wüßte nämlich sonst keinen, der Richard dolmetschen könnte." freute Max sich.

Richard schüttelte den Kopf. "Wir können doch eine professionelle Dolmetscherin bestellen." "Ach, wozu denn das Geld verschwenden...?" winkte Max ab und wandte sich bereits wieder zum Gehen. "Also, dann wirst du Richard heute Abend begleiten, Lisa." sagte er noch, erwartete jedoch gar keine Antwort mehr und ging. Richard und Lisa sahen sich perplex an. Ihrer beiden Mienen verrieten, dass sie alles andere als angetan davon waren, den Abend miteinander verbringen zu müssen.

"Na super." schnaubte Richard, riss den Vorhang des Aterliers zur Seite und verschwand. Lisa sackte förmlich in sich zusammen. 'Das wird ja ein toller Abend werden....' dachte sie unglücklich und verschwand wieder hinter dem Paravant, um ihre eigenen Kleider anzuziehen. 'Ein Abend mit Richard-ich-hasse-dich-Brahmberg....klasse. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen...

 

(4)

Am Abend wartete Lisa im Wohnzimmer darauf, dass es an der Tür klingelte. Richard wollte sie abholen, damit sie gemeinsam ins Wolfhardts fahren konnten, wo sie die Geschäftsführer von Kerima Russia treffen wollten. Dieses Mal hatte Lisa extra ein Business-Kostüm angezogen, das auf einmal Fall Richards Ärger provozieren würde. Zwar trug sie wieder einen Rock, doch dieser endete genau auf Kniehöhe, war also absolut ok.

David war bereits weg, er wollte sich  mit Max einen gemütlichen Abend machen. 'Wieso bin ich eigentlich so nervös?' fragte Lisa sich selbst, als sie sich dabei erwischte, wie sie unbewußt ununterbrochen mit den Absätzen auf den Fliesen klackte. Sie stand von Sofa auf und ging zum Fenster, um in den Garten hinaus zu sehen. Es dämmerte schon, trotzdem konnt sie den Pool - Kim's Pool - noch gut erkennen. Gedankenverloren beobachtete Lisa das Wasser, das sich leicht kräuselte.

Endlich klingelte es. Lisa atmete noch mal tief durch, betete, dass der Abend nicht ganz so schlimm werden würde und schnappte sich ihre Handtasche, bevor sie zur Tür ging und öffnete. Ihre Gebete waren wohl nicht erhört worden, jedenfalls sah Richard ziemlich griesgrämig drein. "Können wir." sagte er statt einer Begrüßung. Lisa nickte. "Ich zieh mir gerade noch eine Jacke an." sagte sie und ging zurück zur Garderobe.

Richard trat in den Flur und als Lisa nach ihrer Jacke griff, die an der Garderobe hing, kam er ihr zuvor. Überrascht sah Lisa ihn an, doch Richard hielt ihr nur wortlos die Jacke so hin, dass sie bequem hineinschlüpfen konnte. "Danke." murmelte Lisa und zog ihre Haare aus der Jacke heraus. Ihr Schwager nickte nur und ging voraus zum Auto.

Der Beginn des Abends verging ohne Höhen und Tiefen. Die Fahrt zum Wolfhardts verlief schweigend, hingegen hatte Lisa bei dem Termin mehr als genug mit Richard zu reden, denn sie dolmetschte das gesamte Gespräch zwischen ihrem Schwager und den zwei Russen. Als endlich alles Geschäftliche besprochen war, wollten die Russen noch etwas vom Berliner Nachtleben erleben. Richard schlug einen Besuch in der Tiki Bar vor.

"Nastrovje!" Zum gefühlten 100. x stießen die Russen nunmehr mit Lisa an. Diese hob kichernd ihr Glas und bemerkte Richards bösen Seitenblick nicht. Da er noch fahren mußte, hatte er lediglich einen Wodka mitgetrunken. Ganz im Gegensatz zu Lisa. Erst hatte sie noch abgewiegelt. Richard wußte, dass sie nie viel trank, da sie kaum Alkohol vertrug, doch die Russen hatten darauf bestanden, Lisa zu zeigen, wie man in Rußland Wodka trinkt. Und das bedeutete wohl vor allem Masse. Richard rollte mit den Augen.

"Wasislos, Richy!" lachte Lisa und stieß Richard fest in die Seite. "Du kuckst so griesgrämig!" Statt einer Antwort zog Richard nur eine Augenbraue hoch, was einen erneuten Lachanfall bei Lisa auslöste.

Die Russen grinsten Lisa an. Scheinbar fanden sie die Mehrheitseignerin von Kerima Moda ausgesprochen amüsant. Der eine hob zwei Finger und zog damit Lukes Aufmerksamkeit auf sich. "Noch einen!" bestellte er mit starkem Akzent und grinste dann stolz Lisa an. Diese klatschte begeistert in die Hände. Offenbar hatte der Russe genau zugehört, als Lisa die letzten Male bestellt hatte.

Doch noch bevor Lisa ihren neuen Wodka vor sich stehen hatte, sprang sie begeistert vom Stuhl auf. "Das ist mein absolutes Lieblingslied!" rief sie und stürmte, nein, eher schwankte sie, zu der kleinen Tanzfläche der Tiki Bar. Die Russen sahen sich verblüfft an und lachten, während Richard schwer seufzte. Vorsichtshalber drehte er seinen Stuhl so, dass er Lisa im Auge behalten konnte.

Diese zog innerhalb kürzester Zeit alle Blicke auf sich. Kein Wunder - die  Art, wie sie zu Rihannas "Pon de replay" tanzte, war ausgesprochen sexy. Lisa schloß die Augen, fuhr sich mit den Händen in die mittlerweile wieder offenen Haare (zuvor hatte sie Hochsteckfrisur getragen) und tanzte völlig selbstvergessen. Die Art, wie sie sich in den Hüften wiegte und ihren Po bewegte, ließen Richard nervös werden. Als er sich umsah, waren so ziemlich alle Blicke der männlichen Besucher auf Lisa gerichtet.

"Ochen' gor'acho...." ("Sehr heiß") meinte einer der Russen und der andere nickte anerkennend. Soviel Russisch verstand selbst Richard. Entschlossen stand er auf und stapfte zur Tanzfläche, wo er Lisa am Oberarm packte. "Schluß jetzt, Lisa. Zeit, nach Hause zu gehen." forderte er sie rüde auf. Empört sah Lisa ihn an. "Nein, ischwillnisch...." nuschelte sie. "Das ist mir egal." schmetterte Richard sie ab und zog sie hinter sich her von der Tanzfläche.

Lisa wand ihren Arm und versuchte sich aus seinem Griff zu befreien. "Richard, laßmisch, isch will tanzen....!" protestiert sie, doch dieser zog sie weiter bis zu ihrem Tisch. Dort nahm er ihre Jacke von der Stuhllehne und hing sie um Lisas Schultern, da sie sie sowieso nie freiwillig  angezogen hätte. "Entschuldigen sie uns bitte...wir müssen leider los!" verabschiedete er sich von den Russen und es war ihm herzlich egal, ob sie ihn verstanden oder nicht.

"Poka!!" ("Tschüß!") rief Lisa noch schnell über die Schulter und grinste, während Richard, der sie mittlerweile an der Hand genommen hatte, aus der Tiki zog. Die Männer hoben ihre Wodkagläser und prosteten Lisa ein letztes Mal zu, bevor sie aus deren Blickfeld verschwand.

Den ganzen Weg raus versuchte Lisa ihre Hand aus Richards zu befreien, doch gegen ihn hatte sie keine Chance. "Laßmischlos! Richard! Dubissoein Ekel! Laß misch los!!" schrie sie. Unbeeindruckt strebte Richard mit ihr den Ausgang an. Kaum hatte Lisa zwei Züge frische Luft geatmetet, wurde sie plötzlich ganz still. Der Sauerstoff kam gar nicht gut zu dem Wodka, der sich in ihrem Blutkreislauf befand. "Oh Gott..." stöhnte sie.

Richard sah sie von der Seite an. "Ist dir schlecht?" Er blieb stehen. Lisa griff sich mit einer Hand an den Bauch und schaute überhaupt nicht glücklich drein, als sie nickte. "Mußt du dich übergeben?" "Vielleicht." murmelte sie leise. Richard wartete eine Weile ab, doch nichts geschah. "Komm, ich bring dich nach Hause." sagte er schließlich wesentlich sanfter und rückte die Jacke auf Lisas Schultern zurecht. Es war schon recht frisch geworden draußen.


Ergeben tappte Lisa Richard hinterher, bis sie an seinem Auto ankamen. Dieser öffnete ihr die Beifahrertür und half ihr beim Einsteigen, bevor er das Auto umrundete und selbst einstieg. Mittels des elektrischen Fensterhebers ließ er das Fenster auf Lisas Seite ein wenig herunter. Dann ließ er den Motor an und trat die Heimfahrt zu Lisas und Davids Haus an.

Lisa lehnte sich in den Polstern des Jaguars zurück und sah teilnahmslos hinaus auf der nächtliche Berlin. Sie bekam kaum etwas wirklich mit, der Wodka zeigte plötzlich seine geballte Wirkung.  Zum Glück war ihr im Moment nicht mehr so übel, dass sie befürchtete, sich gleich übergeben zu müssen. Richard würde sicher ausflippen, wenn seinem Autochen etwas geschah.


"Gib mir deine Schlüssel." bat Richard sie, als sie vor dem Haus der Seidels parkten. Kraftlos reichte Lisa ihm ihre gesamte Handtasche. "Sind da drin...." murmelte sie matt. Richard wühlte eine Weile darin herum, dann hatte er den Schlüsselbund gefunden.

Er stieg aus und half Lisa, die kaum aus dem Autositz hochkam, beim Aussteigen. Auf dem Weg zur Haustür legte er seinen Arm um ihre Schulter, damit sie nicht stolperte. Kaum hatte er aufgeschlossen, rannte Lisa rein, steuerte das Bad an und warf die Tür mit einem Knall hinter sich zu. Richard hörte leise, wie sie sich übergeben mußte, dann war Stille. Abwartend stand er im Flur, den Schlüsselbund noch in den Händen.

Als sich auch nach einer Weile nichts rührte, klopfte er an die Badtür. "Lisa? Alles ok?" Keine Antwort. "Lisa?" rief er nach einigen Sekunden noch mal. Stille. Langsam öffnete Richard die Tür und erblickte Lisa, die heulend auf dem Boden saß. Besorgt hockte Richard sich vor sie und legte eine Hand auf ihre Schulter. "Alles ok...?" fragte er vorsichtig.

Lisa schüttelte heulend den Kopf. "Ich fühl mich so sch***....ich krieg gar nichts mehr mit, ich raff gar nichts mehr....ich will, dass das aufhört....alles dreht sich...." weinte sie. Richard atmete tief durch. Lisa hatte eindeutig zu viel getrunken und den Zeitpunkt verpasst, an dem es besser gewesen wäre, aufzuhören. Bis zu einem gewissen Grad war das alles ja noch lustig, aber wenn dieser Punkt überschritten war, ging es einem nur noch schlecht. So wie Lisa jetzt.

"Komm." sagte er leise, legte einen Arm um Lisas Schultern und schob den anderen unter ihren Knieen durch, um sie hochzuheben. Mit dem Fuß schob er die Badtür weit genug auf, dass er mit Lisa hindurchkam und steuerte dann die Treppe zur ersten Etage an, wo sich Lisas und Davids Schlafzimmer befand. Dort legte er sie vorsichtig auf dem Bett ab. Lisa weinte immer noch leise vor sich hin.

Vorsichtig zog Richard ihr die Pumps aus und setzte sich dann auf die Bettkante. "Wo ist eigentlich David?" fragte er leise. Lisa verzog das Gesicht. "Keine Ahnung....unterwegs mit Max." Richard griff in die Innentasche seines Jacketts und zückte sein Handy, um Davids Nummer zu wählen. Dort ging jedoch nur die Mailbox dran. "David, ich bins. Du solltest vielleicht langsam mal nach Hause kommen, Lisa geht's nicht so gut. Wir waren mit den Russen noch in der Tiki und Lisa hat etwas zuviel Wodka erwischt." sprach er seinem Bruder aufs Band.

Ratlos sah er Lisa an, die immer noch nicht wirklich gut aussah. Er als aufstand, schnappte sie erstaunlich schnell nach seiner Hand. "Nicht weggehen!" flehte sie. "Ich will jetzt nicht alleine sein!" Mit Tränen in den Augen sah sie ihn an. Richard beugte sich zu ihr hinab. "Ich geh nicht weg....ich hol nur was und komme sofort wieder, ok?" Lisa nickte und verzog das Gesicht, als das Karussell in ihrem Kopf dadurch nur beschleunigt wurde.

Richard ging hinab in die untere Etage und suchte sich Aspirin, ein Glas Wasser und einen Waschlappen zusammen, den er mit kaltem Wasser tränkte. Damit ging er zurück zu Lisa. "Setz dich mal etwas auf." sagte er leise, nachdem er sich wieder auf die Bettkante gesetzt hatte. Unglücklich sah Lisa ihn an, kam aber seiner Bitte nach. Richard drückte eine Tablette aus dem Riegel und hielt ihr diese samt dem Glas hin. "Hier. Nimm die schon mal, dann ist der Kater morgen nicht ganz so schlimm."

Gehorsam nahm Lisa die Tablette ein und stellte unsicher das Glas auf dem Nachttisch neben ihr ab, bevor sie sich mit einem Seufzer wieder in das Kissen sinken ließ. "Ich hab dir noch einen kalten Waschlappen mitgebracht."  Richard beugte sich über sie und strich mit einer Hand sanft ihren Pony aus der Stirn, bevor er vorsichtig den Waschlappen darauf legte. Lisa griff mit einer Hand danach und streifte kurz Richards Finger, die den Waschlappen noch festhielten. "Danke." sagte sie leise, ohne die Augen zu öffnen.

Lisa lag ganz ruhig da und hielt mit einer Hand den Waschlappen auf ihrer Stirn fest. Richard ließ sie nicht aus den Augen. Langsam schien es ihr ein wenig besser zu gehen, aber immer noch nicht wirklich gut. Richard zog erneut sein Handy aus der Tasche, um auf die Uhr zu sehen. 15 Minuten waren seit seinem Anruf bei David vergangen. Er seufzte. Wieso meldete der sich denn nicht mal....? Ratlos sah er Lisa an.

'Was mach ich denn jetzt....? Ich kann sie ja nicht allein lassen in dieser Verfassung....aber wer weiß schon, wann sich mein Herr Bruder hier her bequemt...' Sein Blick wanderte zu dem Korbesessel, der vor dem Fenster stand und er schickte sich an, aufzustehen. Von dort aus konnte er Lisa im Auge behalten und vielleicht eine Zeitschrift lesen, bis David kam.

Doch er war noch nicht ganz aufgestanden, als Lisa die Augen öffnete. "Willst du weg?" fragte sie ängstlich. "Nein. Nur zu dem Sessel." erwiderte er mit leiser Stimme. Lisa streckte sie Hand nach ihm aus. "Bleib hier, bitte." bat sie und drückte seine Hand. Hilflos sah Richard sie an. "Ich geh nicht weg. Laß mich nur kurz los, ok." sagte er dann sanft. Lisa ließ ihn los und Richard umrundete das Bett, wo er sich die Schuhe auszog und auf die Matratze kletterte. Auf Davids Seite lehnte er sich mit dem Rücken gegen das Rückenteil.

Lisa drehte langsam den Kopf zu ihm und sah ihn stumm an. Dann robbte sie sich langsam näher, legte ihren Kopf auf seinen Oberschenkel und winkelte ein Bein so an, dass sie ihr Knie auf Richards Bein ablegen konnte. Ihren Arm streckte sie aus und legte die Hand auf seinen Bauch. Dann schloß sie die Augen wieder. Erschrocken sah Richard auf sie hinunter. Bis heute hatte er jeglichen Körperkontakt zu Lisa vermieden, und sei er auch noch so harmlos gewesen. Er umarmte sie nicht mal zur Begrüßung, wie er es mit allen anderen Familienmitgliedern tat. Aber er konnte sie unter diesen Umständen ja auch schlecht wegschupsen....

Richard atmete tief ein und schloß kurz die Augen. 'Hoffentlich kommt David bald....' betete er und legte vorsichtig eine Hand auf Lisas Rücken ab. Dann schloß er erneut die Augen und wartete ab. Doch David ließ sich Zeit und kurz nachdem Lisa eingeschlafen war, übermannte auch Richard die Müdigkeit....

 

5)

Richard wurde wach, als er die Haustür klappen hörte. Noch benommen öffnete er die Augen, blinzelte und sah dann auf Lisa, die neben ihm lag. Er selbst war im Schlaf in eine eher liegende Position gerutscht, Lisa dagegen hatte sich höher gerobbt. Ihr Kopf lag nun auf seiner Brust, ihr rechter Arm umfing ihn. Ihr Bein lag immer noch angewinkelt über seinem.

Richard schob sich vorsichtig langsam hoch, während er Davids Schritte die Treppe hochkommen hörte. Er wollte Lisa auf keinen Fall wecken. "David?" rief er leise, damit sein Bruder nicht erschrak, wenn er ihn hier unvermutet antraf. Dieser trat gerade in den Türrahmen der offenen Schlafzimmertür, blieb stehen und schaltete die kleine Lampe auf der Kommode neben der Tür ein. Richard kniff wegen der plötzlichen Helligkeit die Augen zusammen.

Überrascht sah David auf die Szene, die sich ihm bot und hielt darin inne, seinen Krawattenknoten aufzulösen. "Richard? Was machst du denn hier?" Sein Blick wanderte zwischen Lisa und Richard hin und her. "Ssshhh!" zischte Richard und sah zuerst David böse an, dann auf die schlafende Lisa. "Hast du deine Mobilbox nicht abgehört?" motzte er seinen Bruder an.

Fragend sah David ihn an und zog sein Handy aus seiner Hosentasche. "Oh. Aus." sagte er nach einem Blick auf das Display. "Hattest du angerufen?" Richard rollte mit den Augen. "Ja!" antwortete er gereizt. Er schob seinen Arm unter Lisas Nacken hindurch und drehte sie vorsichtig auf den Rücken, um sie auf ihrer Seite des Bettes abzulegen. Dann stand er langsam auf, wobei er Lisa nicht aus den Augen ließ. Doch diese schlief seelenruhig weiter.

"Ich hatte dich gebeten, nach Hause zu kommen - Lisa geht's nicht gut." erklärte er, während er zu David ging, der immer noch an der Kommode stand. "Oh - ist sie krank?" David sah zu der schlafenden Lisa hinüber, doch sein Bruder schüttelte den Kopf. "Nein. Die Russen wollten sich noch ins Berliner Nachtleben stürzen, also sind wir in die Tiki. Und da wollten sie Lisa unbedingt das Wodka-Trinken beibringen...." bedeutend sah Richard David an. "Und du kennst ja deine Frau....bei ihr reicht ja schon weit weniger Alkohol, um sie umzuwerfen, und fünf Wodka..."

Richard verzog das Gesicht, während David überrascht auflachte. "Was...? 5 Wodka....?" ungläubig sah er seinen Bruder an. Dieser nickte. "Ich konnte sie so nicht allein lassen....sie hat geheult und sich übergeben, wollte nicht alleine sein."

Dann sah er auf seine Armbanduhr. Es war fast 4 Uhr nachts. "Wo kommst du eigentlich jetzt her...?" David winkte ab und zog sich endlich seine Krawatte aus. "Männerabend mit Max." David ging an Richard vorbei, um seine Krawatte auf den Stuhl neben der Kommode zu werfen und Richard nahm den dezenten Geruch von Frauenparfüm wahr. Irritiert sah er David nach, der ihm gerade den Rücken zudrehte. "Aha." meinte er nur. "Na gut, da du ja jetzt da bist...." Er deutete auf die Tür.

"Willst du nicht hier schlafen, im Gästezimmer?" bot David ihm an. Richard überlegte nicht lange. Er fühlte sich immer noch wie gerade aus dem Tiefschlaf gerissen und der Gedanke, jetzt noch Auto fahren zu fahren, war nicht so verlockend. Also nickte er. "Ja, danke, gerne. Ich weiß ja, wo's langgeht. Also, gute Nacht." verabschiedete er sich.

Als Lisa am nächsten Morgen wach wurde, lag sie allein im Bett. Jemand hatte die Gardinen einen Spalt aufgezogen, so dass etwas Tageslicht hereinfiel. Offenbar war es draußen schon hellichter Tag. Lisa kniff die Augen zusammen. Das Licht tat weh. Ihr Kopf schmerzte. Ihr Bauch kribbelte. Der Gedanke an Wodka ließ die Übelkeit spontan zurückkehren. Lisa stöhnte. 'Bloß nicht an Alkohol denken....' beschwor sie sich selbst und verfluchte den gestrigen Abend.

Bei dem Versuch, den Verlauf des Abends zu rekonstruieren, mußte sie feststellen, dass sie nicht mehr alles zusammenbekam. Insbesondere, nachdem sie und Richard die Tiki verlassen hatten, fehlte ihr fast alles. Irgendwie kam es ihr so vor, als habe Richard sie nach Hause gebracht. Aber danach....? Leere.

Langsam setzte Lisa sich auf. Von unten hörte sie leise Geräusche. Vermutlich David, der in der Küche war. Da Samstag war, mußten sie nicht arbeiten. Im Schneckentempo stand Lisa auf, nachdem sie eine Weile auf der Bettkante gesessen hatte, um sich zu berappeln. Dann schlich sie ins Bad, das sich direkt an das Schlafzimmer anschloß. Ihr Spiegelbild war wenig schmeichelhaft.

Frustriert fuhr Lisa sich durch die ungekämmten Haare und griff nach ihrer Zahnbürste, um den schlechten Geschmack in ihrem Mund loszuwerden.

Eine halbe Stunde darauf war sie endlich auch gekämmt und angezogen. Alles hatte viel länger als sonst gedauert.  Jetzt schlich sie langsam die Treppe hinunter.



„Hier....aber wehe, ich erwische dich noch mal mit meiner Frau im Bett!" Grinsend stellte David Richard einen schwarzen Kaffee hin. Dieser sah ihn genervt an. "Ha ha. Keine Sorge...betrunkene Frauen find ich nicht so wirklich spannend." brummelte er.  David schüttelte lachend den Kopf. "Kann ich mir gar nicht vorstellen....ich glaub, ich hab Lisa noch nie betrunken gesehen..." "Sei froh." grummelte Richard und nippte an seinem Kaffee.

"Ich hoffe bloß, es war keine Presse in der Tiki...'Mehrheitseignerin von Kerima tanzt betunken und lasziv in einer Bar'." überlegte Richard laut an einer möglichen Schlagzeile. David lachte. "Bist du sicher, dass du von meiner Frau sprichst....?" fragte er ungläubig und belustigt.

"Schön, dass dich das amüsiert." meinte Richard sarkastisch. "Selbst, wenn keine Presse da war - wie stehen wir denn bitte vor den Russen dar...? Die werden bei Kerima Russia sicherlich berichten, wie Lisa sich aufgeführt hat....! Immerhin ist sie auch deren Chefin..." Grimmig sah Richard seinen Bruder an.

David mußte lachen. Er konnte einfach nicht glauben, dass Lisa derart aus der Rolle gefallen sein sollte. "Richard, jetzt übertreib doch nicht....Ich mein, wir reden hier von Lisa...!"

"Während du dich mit Max herumgetrieben hast, mußte ich deiner betrunkenen Frau das Händchen halten!" entgegnete Richard vorwurfsvoll. "Entschuldige, mein Handy war aus, sonst wäre ich ja gekommen!" wehrte David sich. Dann seufzte er. "Mann Richard....du tust gerade so, als wäre es eine Strafe für dich, wenn du mal etwas Zeit mit Lisa verbringen mußt."



Lisa war auf der Treppe stehengeblieben und hatte das Gespräch belauscht. Wieso, wußte sie selbst nicht genau. Richards Worte trafen sie. Hatte sie sich wirklich so unmöglich aufgeführt....? Auf Davids letzten Satz hin murmelte Richard etwas, das Lisa nicht verstand, doch sie war sich auch nicht sicher, ob sie das wirklich hören wollte. Unglücklich stand sie auf und ging langsam zurück ins Schlafzimmer.

 

6)

Am Montag darauf war Lisas Laune immer noch im Keller. Den ganzen Samstag über hatte sie noch Spürungen von dem Wodka gehabt und Richards abfällige Kommentare über sie hatten ihr übriges getan, dass das Wochenende für Lisa gelaufen war. Sie hatte sich am Samstag erst wieder heruntergetraut, als Richard bereits das Haus verlassen hatte und David auch nicht auf das Gespräch mit seinem Bruder angesprochen.

Muffelig trat Lisa im Erdgeschoß von Kerima in den Aufzug und drückte die 14. Es war ihr ganz recht, dass außer ihr keiner einstieg, so mußte sie ihre schlechte Laune nicht verbergen. Lisa lehnte sich gegen die verspiegelte Wand und legte den Kopf etwas in den Nacken, um träge zu beobachten, wie die Zahl in der Anzeige hochkletterte. Plötzlich jedoch fuhr ein Ruck durch die Kabine und die Fahrt stoppte unsanft. Lisa stolperte einige Schritte nach vorn und schrie erschrocken auf.

"Was ist denn jetzt los...?" Ratlos sah Lisa hoch zu der Anzeige, die immer wieder zwischen der 12 und 13 hin- und herblinkte. Die Kabine bewegte sich kein Stück mehr. "Oh man...bitte nicht..." Lisa seufzte genervt und drückte mehrmals auf die 14, doch nichts geschah. "Muß das denn jetzt auch noch sein...." motzte sie und ließ ihre Tasche zu Boden fallen. Erneut seufzte sie und drückte den Alarmknopf.

Eine geschlagenen Minute wartete sie auf irgendeine Reaktion, doch nichts. Auch nach dem zweiten Drücken tat sich nichts. Langsam aber sicher wurde Lisa nervös. Plötzlich fielen ihr all die Filme ein, in denen Fahrstühle erst steckenblieben und dann abstürzten. Wenigstens konnte sie davon ausgehen, dass sie sich nicht allein im Gebäude befand. Das sah man in Filmen ja auch gerne, dass jemand abends allein und verlassen in den Aufzug stieg und keiner war mehr da, der hätte bemerken können, dass er in der Falle saß

Hilfesuchend sah Lisa sich um. 'Was mach ich denn jetzt....?' fragte sie sich und knabberte ratlos  an ihrer Unterlippe. Dann bückte sie sich und wühlte hektisch in ihrer Handtasche nach ihrem Handy. "Hoffentlich hab ich hier drin überhaupt Empfang..." murmelte Lisa und sah auf das Display. Ein Strich, immerhin. Lisa klickte sich in das Menü ihrer letzten Anrufe. Nach mehreren Nummern von Festnetzen in Berlin, die Lisa spontan nichts sagten (wahrscheinlich geschäftliche Anrufe), war der erste Bekannte in der Liste Richard. 'Ausgerechnet....' dachte Lisa, drückte jedoch trotzdem den grünen Knopf, um eine Verbindung herzustellen.

Es klingelte. 5 x. 10 x. 15 x.  "Wieso gehst du eigentlich nie ran, wenn ich dich anrufe!" schrie Lisa entnervt und drückte die Verbindung weg. Das war typisch Richard - er ging eigentlich nie ans Handy, wenn Lisa ihn anrief. Zumindest nicht, wenn sie mit Rufnummernanzeige anrief. Konnte er nicht sehen, dass Lisa die Anruferin war, ging er ran, was Lisa den Schluß ziehen ließ, dass er sie absichtlich auflaufen ließ.

Erneut rief Lisa das Menü ihrer letzten Anrufe auf und suchte nach jemandem, der sie nicht hängenlassen würde. "Hannah." rief sie erleichtert, als sie die Nummer der Junior-Designerin entdeckte. "Hallo Lisa!" begrüßte diese sie fröhlich nach nur dreimaligen Klingeln. "Hannah, ich brauche dringend deine Hilfe!" rief Lisa nervös. Langsam aber sicher machte sie die kleine Kabine doch flattrig. "Was ist denn los? Wo bist du? Ich versteh dich ganz schlecht!" rief Hannah ins Handy.

"Ich stecke im Aufzug fest, hier bei Kerima! Du mußt Hilfe holen! Der Alarmknopf funktioniert irgendwie nicht!"



Richard drückte einen Knopf an der Seite seines Handys und das Klingeln verstummte, ohne, dass er das Gespräch weggedrückt hätte. Nachdenklich sah er auf das Display, auf dem "Lisa" stand. Er ging nie ran, wenn Lisa ihn auf dem Handy anrief, um so gut es ging jedes private Gespräch mit ihr zu vermeiden. Wenn sie etwas Geschäftliches wollte, konnte sie genauso gut seine Durchwahl bei Kerima anrufen. Das Display erlosch und Richard legte das Handy zur Seite, bevor er tief durchatmete und versuchte, sich wieder auf seine Arbeit zu konzentrieren. Seine Gedanken schweiften wie von selbst immer wieder zu Freitagnacht ab.

Wie Lisa in der Tiki getanzt hatte....wie er sie zu Hause nach oben getragen hatte...wie sie nach seiner Hand gegriffen und ihn gebeten hatte, sie nicht allein zu lassen. Es war trotz allem schön gewesen, neben ihr einzuschlafen. Nie würde er vergessen, wie sie ihn kurz bevor sie eingeschlafen war, noch mal stumm angesehen und sich dann an ihn geschmiegt hatte. Ob sie sich daran überhaupt erinnerte....? Richard schüttelte den Kopf, um die Gedanken an seine Schwägerin zu vertreiben.

Im Foyer von Kerima steigerte sich derweil das übliche Gemurmel, ab und zu hörte man sogar jemanden Kommandos schreien. 'Was ist denn da los...?' Richard runzelte die Stirn und stand auf, um durch die durchsichtigen Streifen an seiner Glastür zu schauen. Die halbe Belegschaft hatte sich vor den Aufzügen versammelt, der Hausmeister schraubte gerade die Verkleidung des Bedienelements ab. "Was zum..." murmelte Richard und öffnete die Tür, um ebenfalls sein Büro zu verlassen.

"Darf ich fragen, was dieser Auflauf hier soll?" rief Richard streng. Betreten sah der größte Teil der Belegschaft zu ihm hinüber und verzog sich lieber, bevor er bei ihnen war. Lediglich Hannah, Timo, Agnes, Max, Inka und Hugo blieben bei den Aufzügen stehen und sahen dem Hausmeister besorgt bei der Arbeit zu. "Krieg ich noch eine Antwort...?" fragte Richard angenervt.

"Lisa steckt im Aufzug fest!" klärte Agnes ihn schließlich auf. "Wie bitte!" rief Richard und sah nun ebenfalls zu dem Hausmeister, der an dem Kasten rumschraubte, in dem sich der Anforderungsknopf für den Aufzug befand. Schon nach einer halben Minute, in der der Hausmeister schraubte, sich aber nichts tat, platzte Richard der Kragen. "Sagen sie mal, was machen sie eigentlich da!" schnauzte er den Mann an, der sich daraufhin erstaunt umdrehte. Noch bevor er etwas sagen konnte, hatte Richard sich drohend vor ihm aufgebaut: "Frau Seidel leidet unter Platzangst - ich gebe ihnen noch genau eine Minute, dann haben sie die verdammte Tür geöffnet, IST DAS KLAR!"

Richard sah den verängstigten Mann derart grimmig an, dass dieser sich überhaupt nicht mehr traute, noch irgendwas zu antworten, sondern sich stumm wieder seiner Arbeit zuwandte. Mit verschränkten Armen und ärgerlich in Falten gelegter Stirn stand Richard hinter ihm, doch die Türen blieben geschlossen.

"Timo, hol ein Stemmeisen, sofort!" befahl Richard und sein Ton duldete keine Widerrede.

"Aber ich hab's gleich, ganz bestimmt!" wagte der Hausmeister zu sagen. "Wissen sie, was sie haben!" Richard bohrte dem Mann fast seinen Zeigefinger ins Auge, als er wutschnaubend vor ihm stand. "Ihre Kündigung, fristlos!" schrie er so laut, dass Hannah zusammenzuckte. "Aber aber..." stotterte der Hausmeister, Richard achtete jedoch schon nicht mehr auf ihn, da Timo atemlos mit dem Stemmeisen zurückgelaufen kam.

Wortlos nahm Richard es ihm ab und schob es mit entschlossenem Gesicht in den schmalen Schlitz zwischen den 2 Türen des Aufzuges. Einen  Fuß stemmte er  gegen die Wand und schob mit größter Kraftanstrengung das Eisen zwischen die Türen. Max und Timo sprangen ihm zur Hilfe und versuchten, die Türen auseinanderzuziehen. Kurz darauf gelang es ihnen, die Türen so weit zu öffnen, dass Richard sich hindurchzwängen konnte.

Man sah nur die obere Hälfte der Kabine durch den Schlitz, der Boden befand sich noch unterhalb der Ausstiegskante zur 13. Etage. Richard setzte sich auf die Kante und sprang hinab in die Kabine. Zu seinem Schreck fand er Lisa ohnmächtig vor.

Besorgt kniete Richard sich neben Lisa, während über ihm Max und Timo die Türen ächzend mühsam Stückchen für Stückchen weiter auseinanderschoben.

"Lisa....hey...." sachte klopfte er mit der flachen Hand auf ihre Wange. Nichts. Er beugte sich tiefer über sie und lauschte auf ihren Atem. Dieser war regelmäßig. Gott sei Dank. Sorgenvoll sah Richard ihr ins Gesicht. "Lisa!" rief er noch mal, doch sie reagierte immer noch nicht. Sanft strich er ihr den Pony aus der Stirn und ließ seine Hand über ihre Wange gleiten, während er hoffte, dass sie die Augen aufschlagen würde, doch von Lisa kam keinerlei Reaktion.

'Irgendwie kommt mir das bekannt vor...' dachte er, als er schließlich wie - schon am Freitag - seine Arme unter Lisas Nacken und Knie hindurchschob, um Lisa hochzuheben. Mit ihr zusammen trat er an die Tür des Aufzuges, die Max und Timo inzwischen ein ganzes Stück geöffnet hatten. "Lisa ist ohnmächtig!" rief er den Männern zu. "Ich reich sie euch rauf!"

Max und Timo knieten sich nebeneinander und griffen hinab in den Schacht, um Lisa entgegenzunehmen. Max griff dazu unter ihren Schultern hindurch, Timo nach ihren Beinen. Als Lisa sicher in der 13. Etage angekommen war, zog Richard sich ebenfalls aus der Kabine.

Hannah und Agnes knieten neben Lisa, die immer noch nicht zu sich gekommen war.

Außer Atem sah Richard mit in die Hüfte gestemmten Händen auf Lisa hinab. "Frau Pietsch, rufen sie einen Arzt!" befahl er dann knapp und ging, ohne einen weiteren Blick auf Lisa, zurück in sein Büro. Inka sah ihm kurz irritiert nach, dann sprang sie auf und lief zu dem Telefon am Empfang.

Der herbeigerufene Arzt traf wenige Minuten später ein. Lisas Kreislauf stabilisierte sich zusehends und eine halbe Stunde später saß sie - zwar  immer noch mit zittrigen Händen und ziemlich erschöpft  - an einem Tische in Agnes Catering. Diese brachte ihr gerade einen Tee. Vor Lisa stand bereits ein Glas mit Wasser, damit sie sie Beruhigungstablette nehmen konnte, die der Arzt ihr dagelassen hatte. Nachdem sie die Tablette eingenommen hatte, wagte der Hausmeister es, sich seiner Chefin zu nähern.

"Frau Seidel...?" sprach er sie vorsichtig an. Kraftlos wandte Lisa ihm den Kopf zu und sah ihn fragend an. "Bin ich wirklich gekündigt?" ängstlich sah der Mann sie an. Lisa runzelte die Stirn. "Wieso gekündigt?" "Na ja....Herr von Brahmberg meinte, ich sei fristlos entlassen..."

Irritiert  sah Lisa in in die Runde. Max, Hannah und Agnes saßen bei ihr am Tisch. Auf Lisas fragenden Blick hin rollte Max mit den Augen. "Richard hat hier den totalen Aufstand hingelegt und Herrn Meyer völlig zur Sau gemacht. Er schrie rum, du würdest unter Platzangst leiden und als Herr Meyer nicht binnen Sekunden die Tür aufbekam, hat er sich von Timo ein Stemmeisen bringen lassen, um dich quasi persönlich zu retten." Max lachte.

Verwirrt sah Lisa ihren Personalchef an. "Wie....Richard hat mich da  rausgeholt...?" Ob ihrer Ohnmacht hatte sie ja nichts davon mitbekommen. Hannah nickte grinsend. "Ja, er hat mit einem Stemmeisen die Türen geöffnet und ist dann runter in die Kabine, um dich rauszuholen." erzählte sie.

Fassungslos sah Lisa Hannah an. "Aber...er ist doch nicht mal ans Telefon gegangen, als ich ihn angerufen habe..." Sie verstand das alles nicht. "Frau Seidel, entschuldigen sie bitte vielmals, aber bin ich denn..." brachte der Hausmeister sich erneut in Erinnerung, wurde jedoch von Max unterbrochen: "Sie sind erst gefeuert, wenn Frau Seidel es ihnen sagt und ich ihnen das schriftlich gebe, alles klar? Also, zurück an die Arbeit!"

7)

"Hast du schon die Kinokarten besorgt, Richy?" Ohne Begrüßung stürmte Kim in das Büro ihres Bruders, der gerade vor seinem Laptop saß. Er verkniff sich ein Grinsen ob Kims eigentlich unhöflichen Verhaltens. "Ich wollte gerade online welche kaufen." informierte er seine Schwester. Diese stellte sich hinter seinen Sessel und fiel ihm um den Hals, um ihn auf die Wange zu küssen. "Klasse. Kauf drei." bat sie ihn.

Fragend sah Richard sie an. "Wieso drei?" Kim löste sich von ihm und setzte sich auf seinen Schreibtisch. Mißbilligend sah Richard , wie sie dabei einige Papiere zerknitterte.

"Lisa kommt mit!" verkündete Kim gutgelaunt. Ihr Bruder jedoch stöhnte und ließ sich augenrollend in seinen Sessel fallen.

"Och Richy....!" Kim machte einen Schmollmund. "Wir haben uns eben am Catering getroffen und als ich ihr erzählte, dass wir in "The Eye" wollten, meinte sie, den wolle sie auch gerne sehen. Was lag da näher, als sie einzuladen....?" Augenklimpernd sah Kim ihren Bruder an. Dieser beugte sich wieder vor, um den Internetkauf fortzusetzen. "Alles andere!" knurrte er.

Kim schüttelte den Kopf. "Echt, ich weiß wirklich nicht, was du gegen sie hast, Richy." Verbissen starrte Richard auf den Bildschirm seines PCs. "Vergiß es." knurrte er und bestätigte mit einem Mausklick den Kauf von drei Kinokarten. "Wann fängt der Film an?" fragte Kim. "Acht." gab Richard einsilbig Antwort. "Klasse. Dann treffen wir uns um sieben, um noch was zu trinken." schlug sie vor, doch ihr Bruder schüttelte den Kopf. "Ohne mich. Ich hab noch zu viel zu tun. Außerdem...." Er grinste Kim an. "Bei eurem Weibertratsch muß ich doch wohl nicht dabei sein!" Richard zwinkerte Kim zu.

"Stimmt auch wieder, Brüderchen." Kim ließ sich von seinem Schreibtisch gleiten. "Ohne dich können wir auch viele besser über süße Typen quatschen. Bis später!" flötete sie und verließ Richards Büro, ohne dessen finsteren Blick noch zu bemerken.


Und so saßen Kim und Lisa vorerst allein in dem Café im Sony Center am Potsdamer Platz, in dem sich auch ein Kino befand. Praktischerweise nur einen Katzensprung von Kerima entfernt, so dass Richard einen sehr kurzen Weg haben würde, wenn er sich endlich von seiner Arbeit losreißen konnte.

"Und ihr geht jeden Monat einmal ins Kino?" fragte Lisa. Kim nickte und schleckte sich die Sahne ihres Kakaos von der Oberlippe. "Ich versuche immer, Richy mit meiner Filmauswahl zu nerven, aber bis jetzt ist er immer brav mitgegangen." grinste sie.

Lisa schüttelte lächelnd den Kopf und rührte in ihrem Kakao.

"Das würde David nie einfallen. Wenn ich mich euch nicht hätte anschließen können, hätte ich allein in den Film gemußt. Du würdest David nie in einen Horrorfilm bekommen..." Kim lachte. "Ich weiß!! Ich hab schon immer gerne Horrorfilme gekuckt, aber David ist immer geflüchtet, wenn er zufällig dazu kam."

Im gleichen Moment sprang Kim auf. "Da ist Richy! Riiiichy!!!" rief sie durch das halbe Sony Center und winkte wie wild. 'Na, ob  Richard das gefällt, dass sie seinen Spitznamen hier so rumbrüllt?' Lisa grinste in sich hinein. Und tatsächlich kam Richard mit seiner üblichen grummeligen Miene auf sie zu. Der schwarze Ledermantel, den er trug, verstärkte den Eindruck noch. Er sah aus, als würde er am liebsten jemanden umlegen. Kim jedoch schien das gar nicht zu bemerken.

"Du sollst mich in der Öffentlichkeit nicht Richy rufen, du Göre!" motzte er sie an, als er an ihrem Tisch ankam, doch Kim kicherte nur. Sie wußte genau, dass Richard nur so tat, als sei er auf sie sauer. "Och Richy, nicht böse sein." schmeichelte Kim und küsste ihn auf die Wange, bevor sie sich wieder setzte. Richard nahm zwischen ihnen beiden Platz, wobei er Lisa ein "hallo" zumurmelte. Geduldig wartete er, bis die beiden Frauen ausgetrunken hatten und winkte dann mit einer Geste die Bedienung zu sich heran. "Ich zahle für die Damen." teilte er dieser knapp mit und steckte ihr einen Schein zu.

Zusammen gingen sie zu dem Kino in der ersten Etage des Sony Centers, wo Kim sich erstmal einen riesen Eimer Popcorn und Getränke für alle organisierte. Vor dem Einlaß verteilte Richard die Karten an die Frauen. "Klasse, du sitzt genau zwischen uns." stellte Kim an Lisa gewandt fest, als sie ihre Plätze gefunden hatten.

Vor dem Film kam noch der unvermeidliche Eisverkäufer und Lisa entschied sich spontan, sich noch ein Eis zu gönnen. Noch bevor sie dem jungen Mann ihr Geld geben konnte, hatte Richard ihn schon bezahlt. Überrascht sah Lisa ihn an. "Am Kinotag zahl ich auch immer alles für Kim, also gilt das auch für dich." erklärte er mit neutraler Miene. Lisa nahm es schulterzuckend hin und packte ihr Eis aus.

Gelangweilt sah Richard sich im Kinosaal um. Das Licht war noch an und die Leute unterhielten sich. Sein Blick kehrte zu Lisa zurück, die gerade sinnlich ihr Eis aß. Ruckartig sah Richard weg und ob des Gedanken, der ihn überkam, war er froh, dass es augenblicklich dunkel im Kinosaal wurde und keiner mitbekam, dass er rot geworden war.

Er räusperte sich und versuchte sich so in seinem Sessel zu setzen, dass er größtmöglichen Abstand zu Lisa hielt, was im Grunde ein sinnloses Unterfangen war - und unbequem dazu. Nach wenigen Minuten gab er es auf und setzte sich wieder normal hin.

Der Film war nur mäßig spannend für ihn. Im Gegensatz zu Lisa und Kim konnte er sich nicht so sehr für Horrorfilme erwärmen. Lisa jedoch schien die Handlung gänzlich in den Bann zu ziehen, wie Richard mit einem Seitenblick feststellte. In diesem Moment zuckte sie so erschrocken zusammen, dass die Cola aus ihrem Becher, den sie in der Hand hielt, etwas überschwappte.

"Vorsicht..." murmelte Richard und nahm ihr den Becher behutsam ab. Seine Finger strichen sanft über ihre und Lisa war sich  nicht sicher, ob es ein Versehen war, weil er im Dunkeln nichts sah, oder ob es Absicht gewesen war. 'Unsinn...natürlich war es ein Versehen...er hasst wahrscheinlich jede Minute, die er neben dir sitzen muß.' grummelte Lisas innere Stimme.

Kurz darauf hatte sie Richard auch schon wieder vergessen. Der Film war wirklich schlimm und Lisa bereute es schon fast, dass sie mitgegangen war.

Lisa zuckte heftig zusammen und schrie leise auf. "Oh mein Gott..." keuchte sie und sah mit aufgerissenen Augen auf die Leinwand. Plötzlich spürte sie, wie Richard ihre Hand in seine nahm und beruhigend drückte. 'Was ist denn jetzt los...?' fragte Lisa sich verblüfft und sah zu Richard hinüber. Trotz der Dunkelheit konnte sie erkennen, dass Richard sich gemütlich in den Sitz hatte sinken lassen und seine Augen geschlossen waren. Scheinbar fand er den Film nicht wirklich interessant.

Mit klopfendem Herzen sah Lisa auf ihre Hand, die von Richards umschlossen wurde. Es fühlte sich so ungewohnt an....und doch wirkte diese kleine Geste so fürsorglich, dass Lisa keinen Gedanken daran verschwendete, ihm ihre Hand zu entziehen. Lisa wandte sich wieder dem Film zu und hoffte, dass es dort eine Weile nicht mehr gar so schlimm hergehen würde. Trotzdem hörte ihr Herz nicht auf, viel zu schnell zu klopfen. 'Beknackter Horrorfilm...nächstes Mal höre ich auf David.' sinnierte sie grummelig.


"Voll krass, der Film!" schwärmte Kim beim Herausgehen. Lisa schwieg, während sie Richard und Kim folgte, die vor ihr hergingen. Für ihren Geschmack war der Film zu hart gewesen. Aber viel mehr irritierte sie Richards Verhalten ihr gegenüber. Den ganzen Rest des Films hatte er ihre Hand nicht mehr losgelassen. Als jedoch das Licht angegangen war, war er wortlos aufgestanden und hatte als erster den Filmsaal verlassen. Seitdem hatte er kein Wort gesprochen, ihr nicht mal einen Blick gegönnt.

Lisa räusperte sich. "Ihr beiden kommt doch am Samstag?" versicherte sie sich noch einmal. Lachend drehte Kim zu ihr ihr um, verlangsamte ihren Schritt, so dass Lisa aufholen konnte und hakte sich bei ihr ein. Selbst Richard war langsamer gegangen, um auf die Frauen zu warten. "Natürlich kommen wir zu deinem Geburtstag!" Gut gelaunt sah sie ihren Bruder an, der sich gerade ein Zigarello anzündete. "Ne, Richy?" Dieser brummte nur und steckte sein Feuerzeug wieder in die Manteltasche.

Auf dem Weg zum Auto plapperte Kim nahezu unentwegt. Dass weder Richard noch Lisa sich an der "Unterhaltung" beteiligten, schien sie nicht weiter zu stören. Richard ging bereits wieder einige Schritte voraus, während Lisa ihren Gedanken nachhing. Sie wurde aus dem Verhalten ihres Schwagers einfach nicht schlau...


8)

Lisa genoß ihre Geburtstagsparty in vollen Zügen. Alle waren da: Sämtliche Kerimas, Jürgen und ihre Eltern. Insgesamt waren sie zwar bloß 16 Leute, aber die Stimmung war unübertrefflich. Gefeiert wurde in dem großen Wohnzimmer der Seidels, in dem Lisa ein warmes und kaltes Buffet hatte aufbauen lassen. Hinter der Bar stand ihr Vater und machte sich einen Spaß daraus, Lisas Gäste mit Getränken zu bewirten. Timo hatte seine Spielkonsole und das Game "Singstar" mitgebracht mit der Drohung, zu späterer Stunde, wenn alle schon einen in der Krone hätten, würde das auf jeden Fall gespielt.

Alles lief bestens. Die Leute waren locker drauf, es gab offenbar genug Gesprächsstoff, in allen Ecken wurde gelacht und auch das Essen schien Lisas Gästen zu schmecken.

"Lisa, ich hab hier eine MP3, die wir unbedingt mal spielen sollten..." Verschwörerisch grinste Hannah sie an und steckte Lisa damit an. "Wieso, was denn?" fragte sie und nahm den Datenstick, den Hannah ihr reichte, entgegen. Diese flüsterte ihr was ins Ohr und Lisa lachte laut auf. "Ok!"

Zusammen gingen sie zu dem Laptop, das heute Abend als Musikbox herhalten mußten und aktivierten den Stick. "Tiiiimooo!" riefen sie beide kurz darauf und als der Runner zu ihnen herüber sah, startete Lisa den Song. Es war Mambo Craze, der Song, mit dem Timo bei Lisas erster Präsentation die Finnen begeistert und David in den Wahnsinn getrieben hatte.

Dieser erkannte den Song sofort und wurde knallrot, was Lisa und Hannah nicht davon abhielt, in die Mitte des Wohnzimmers zu rennen und dort wie Models auf einem Laufsteg auf und ab zu laufen. Sabrina schloß sich ihnen sofort an, sie hatte damals ja als Model ausgeholfen. Timo, der gerade am Buffet stand, tat mit zwei Tellern so, als würde er Platten scratchen und grinste.

Die drei Frauen schauten tierisch ernst und cool, obwohl sich jede von ihnen das Lachen verkneifen mußte. Erst, als Lisa voll in Hannah hereinlief, die am "Ende" des "Laufsteges" angehalten hatte, um sich zu präsentieren und dann zurückzugehen, brachen alle in Gelächter aus.

"Das war die schlimmste Präsentation, die Kerima je erlebt hat!" rief David über den Lärm hinweg, lachte und legte einen Arm um Lisa, um seine Frau zu küssen.  "Och, fand ich nicht!" meinte diese und grinste. "War doch mal innovativ....!"

"Ok, Leute, Zeit für Singstar....!" rief Timo und begann, die Konsole an den TFT-Fernseher der Seidels anzuschließen. Richard war der Erste, der sich vorsichtshalber verkrümelte. Er setzte sich zu Bernd an die Bar und zwar auf den hintersten Hocker, der an der Wand stand. So würde man ihn hoffentlich übersehen.

Agnes, Inka, Hannah, Sabrina und Lisa hingegen rissen sich förmlich darum, einen Song zu performen und halfen Timo beim Aufbau. Lisa sang als drittes, nach Inka und Sabrina, die zwar für Gelächter gesorgt hatten, aber auch mit Applaus belohnt wurden.

"Und jetzt das Geburtstagskind mit einem Song von Britney Spears: Break the ice! Lisa, dein Auftritt!" kündigte Timo sie an und reichte Lisa das Mikrofon.

Diese grinste über beide Ohren und drehte sich zu ihrem Publikum um. Den Text, der auf dem Fernseher mitlief, kannte sie auswendig. Während sie sang, ließ sie ihren Blick über die Gäste schweifen. Jedes Mal, wenn sie Richard in die Augen sah, erwiderte dieser nur kurz ihren Blick und wandte sich dann ruckartig ab. Gegen Ende des Liedes sah er sie gar nicht mehr an, sondern starrte nur noch in sein Bierglas.

It’s been a while (Es ist eine Weile her)
I know I shouldn’t have kept you waiting (Ich weiß, ich hätte dich nicht warten lassen sollen)
But I’m here now (Aber jetzt bin ich hier)

I know it’s been a while (Ich weiß, es ist eine Weile her)
but I’m glad you came (aber ich froh, dass du gekommen bist)
And I’ve been thinking 'bout how you say my name (ich habe daran gedacht, wie du meinen Namen sagst)
You got my body spinning like a hurricane (du läßt meinen Körper zittern wie einen Hurrikan)
And it feels like you got me going insane (und es fühst sich an als machtest du mich verrückt)
And I can’t get enough, so let me get it up (und ich kann nicht genug bekommen also laß uns beginnen)

Ohh, it looks like we’re alone now (Ahh) (Ooh, sieht so aus, als wären wir allein)
You ain't gotta be scared we’re grown now (Ahhh) (du mußt keine Angst haben, wir sind erwachsen)
I’m gonna have to floss on ya, let's get it blazing (Uh-huh) (laß es uns entflammen)
We can turn the heat up (wir können es anheizen)
If you wanna (Ahh) (wenn du willst)
Turn the lights down low (dreh das Licht jetzt herunter)
If you wanna (Ahhh) (wenn du willst)
Just wanna move ya but you froze up (ich will dich bewegen aber du bist wie eingefroren)
That's what I’m saying (das ist es, was ich sage)

Let me break the ice (Laß mich das Eis brechen)
Allow me to get you right (erlaube mir, dich zu verstehen)
Won’t you warm up to me (willst du nicht warm mit mir werden)
Baby I can make you feel (hot, hot, hot, hot) (Baby, ich kann es dir heiß heiß heiß werden lassen)
Let me break the ice (laß mich das Eis brechen)
Allow me to get you right (erlaube mir, dich zu verstehen)
Won’t you warm up to me (willst du nicht warm werden mit mir)
Baby I can make you feel (hot, hot, hot, hot) (Baby, ich kann es dir heiß heiß heiß werden lassen)

So you warming up yet? (So, wird es dir schon wärmer?)

You got me hypnotized (Du hast mich hypnotisiert)
I’ve never felt this way (Ich habe noch nie so gefühlt)
You got my heart beating like an 808 (Du läßt mein Herz schlagen wie eine 808)
And we rise to the occasion (Ahh) (wir werden die Gelegenheit bekommen)
I’m patiently waiting (Ahh) (ich warte geduldig)
'Cause it’s getting late and I can’t get enough (weil es spät wird und ich nicht genug bekommen kann)
So let me get it up (so laß es mich tun)

Ohh, it looks like we’re alone now (Ahh)
You ain't gotta be scared we’re grown now (Ahhh)
I’m gonna have to floss on ya, let's get it blazing (Uh-huh)

David, der sich zu seinem Bruder gesellt hatte, beobachtete ungläubig aber amüsiert, wie seine Frau zu dem Song auch noch tanzte. Lisa wiegte sich sexy in den Hüften und ging bei dem Refrain in die Knie, um beim Aufstehen wie zufällig eine Seite ihres Rockes mit einer Hand lasziv über ihren Oberschenkel mit hochzuziehen, um ihn im richtigen Moment fallen zu lassen. Wenn sie "hot hot hot" sang, schaute sie so verführerisch, als wolle sie sich gerade die Kleider vom Leib reißen und jemanden verführen.

David lachte ungläubig. "Ich fass das nicht....so hab ich Lisa ja noch nie erlebt...!" Richard brummte schlechtgelaubt. "Vielleicht solltest du ihr mal den Alkohol wegnehmen." David sah ihn belustigt an. "Wieso? Lisa ist erwachsen, sie weiß schon, was sie tut. Außerdem find ich es witzig, sie mal so zu erleben." "Hm." brummte Richard, aber es hörte sich nicht so an, als würde er seinem Bruder zustimmen. Eher à la "...wenn du meinst..." "Hey, es ist ihr Geburtstag....laß sie doch etwas Spaß haben....!" meinte David, aber Richard winkte nur ab.     

Lisa beendete ihren Song und David ließ seinen muffeligen Bruder stehen, um Lisa lachend zu umarmen. "Du warst unglaublich, einfach der Hammer!" lobte er sie und der Applaus und das Gejohle der Gäste gaben ihm recht.

Kichernd hakte Lisa sich bei Hannah ein und zusammen ging sie zur Bar. "Einen Rotwein bitte!" bestellte sie bei ihrem Vater und setzte sich neben Richard. Hannah nahm an ihren anderen Seite Platz. "Ein Rotwein, Schnattchen, bitte schön!" "Danke, Papa." Lisa lächelte ihren Vater an, sah dann kurz Richard an, der wie üblich schlecht gelaunt war und dann zu Hannah hinüber.

"Hannah, das ist übrigens mein Schwager, Richard von Brahmberg!" stellte sie ihrer Freundin unnötigerweise Richard vor. Hannah kicherte. Lisa war eindeutig beschwippst. Die beugte sich nun zu ihr vor, als wolle sie ihr was Vertrauliches sagen. Sie sprach jedoch extra laut, damit Richard es auch hören konnte: "Und weißt du was? Er kann mich nicht leiden...! Auf den Tod nicht ausstehen kann er mich!" Lisa sah Hannah mit großen Augen an und nickte.

Hannah mußte lachen und sah zu Richard hinüber, der merkwürdig verkniffen dreinschaute. "Ach, das glaub ich nicht....das stimmt doch nicht, oder Herr von Brahmberg?" fragte Hannah. Noch bevor Richard etwas sagen konnte, drehte Lisa sich mit ihrem Glas in der Hand zu Richard um. "Doooooch, das ist so!" meinte sie und schwenkte dabei ihr Glas so wild in Richards Richtung, dass dessen Hemd eine volle Ladung Wein abbekam.

Dieser sprang augenblicklich auf und zog sein Hemd angewidert von seinem Körper weg, wobei er einen genervten Laut von sich gab. Lisa sprang ebenfalls von ihrem Hocker auf. "Oh, oh nein, das tut mir leid, das wollte ich nicht!" plapperte sie und sah Richard zerknirscht an, der ihren Blick böse erwiderte.

Trotzdem nahm Lisa ihn einfach an der Hand. "Komm schnell, ich hab ein Fleckensalz im Bad. Wir müssen da sofort was machen, sonst ist das Hemd hinüber!"

Verblüfft ließ Richard sich an Lisas Hand durch die Partygäste hindurch bis zum Bad bugsieren. Noch bevor er richtig verstand, was vor sich ging, schuppste Lisa ihn schon in das Badezimmer und folgte ihm. Sie sah ihn kurz überlegend an, schaute noch mal zur Tür hinaus, schloß diese dann und drehte den Schlüssel.

Irritiert sah Richard sie an und seine Schwägerin wurde rot. "Du mußt das Hemd ausziehen, damit ich das Salz draufstreuen kann..." Verlegen deutete sie über ihre Schulter mit dem Daumen auf die Tür. "Nicht, dass ausversehen einer reinkommt..." begründete sie es, dass sie abgeschlossen hatte. "Ähm....zieh bitte das Hemd aus." bat sie ihn dann sichtlich peinlich berührt und wandte sich so schnell wie möglich ab, um in dem Badezimmerschrank nach dem Fleckensalz suchte.

Lisa wurde nicht direkt fündig und während Richard sein Hemd aufknöpfte, murmelte sie vor sich hin. "....muß doch hier irgendwo.....verflixt....ich weiß genau....aha!" Triumphierend zog sie ein kleines Pappschächtelchen aus dem Schrank und drehte sich grinsend zu Richard um. Ihr Schwager stand derweil oben ohne im Raum, was Lisas Grinsen kurzzeitig gefrieren ließ. Wortlos reichte Richard ihr sein Hemd und riß Lisa damit aus ihrer Starre.

'Oh man...wie peinlich....er hat garantiert gemerkt, wie ich ihn angestarrt habe....' Lisa wäre am liebsten im Erdboden versunken und war froh, dass sie Richard den Rücken zudrehte, während sie das Hemd auf der Waschmaschine ausbreitete, um das Salz darauf streuen zu können, so sah er nicht, dass sie knallrot geworden war.

Als sie seine Stimme direkt hinter ihr hörte, zuckte sie erschrocken zusammen. "Du irrst dich übrigens gewaltig...." Vor Schreck trat Lisa einen Schritt zurück und stiß gegen Richard, der hinter ihr stand. Erschrocken drehte Lisa sich um und sah Richard in die Augen. Der Ausdruck, der darin lag, ließ ihr Herz noch schneller klopfen, als ohnehin schon. "Womit....?" flüsterte sie. Ernst sah Richard sie an, doch seine Augen sprachen eine andere Sprache. "Wenn du glaubst, dass ich dich nicht ausstehen könnte...."

Lisa schluckte. Im Hintergrund hörte sie den Partylärm. Es wurde Madonna gespielt - Forbidden love. "Tat...tatsächlich?" stotterte sie. "Aber du....du bist immer so...." Verunsichert beschrieb Lisa mit ihrer Hand Kreise. Es war ausgerechnet die Hand, in der sie das Päckchen mit dem Salz hielt. Richard fing ihre Hand ein, nahm ihr das Päckchen ab und stellte es auf die Waschmaschine. Ohne ihr Handgelenknmmmj loszulassen legte Richard seine andere Hand in Lisas Rücken und zog sie dicht an sich. Lisa war völlig irritiert, wehrte sich jedoch nicht.

In your eyes....forbidden love....in your smile....forbidden love....

Sie war Richard so nahe, dass sie seinen Atem auf ihrem Gesicht spürte. Endlich ließ er ihr Handgelenk los. So hart er sie eben auch angefasst hatte, so sanft legte er jetzt seine Hand an ihre Wange. Sein Blick war zärtlich, aber voller Verlangen und wanderte zwischen ihren Augen und ihren Lippen hin und her. Lisa ahnte, was in ihm vorging. Ihr Herz schlug mittlerweile wie ein Vorschlaghammer. Das alles hier war so unwirklich....Unfähig, sich zu wehren (wollte sie das überhaupt....?) oder auch nur etwas zu sagen, öffnete sie leicht die Lippen.

Ob dieser kleinen Geste schien Richard die Kontrolle zu verlieren, beugte sich zu ihr hinab und küsste sie stürmisch. Sein Kuss war verlangend und er vertiefte ihn ohne viel federlesens, während er Lisa rückwärts drängte, bis sie gegen die Waschmaschine stieß. Richard hielt sie immer noch im Arm und presste sie fest an sich. Sein Kuss raubte Lisa die Sinne. Ohne weiter darüber nachzudenken, ließ sie ihre Hände über seinen nackten Rücken fahren, vergrub sie in seinen Haaren, krallte sich hinein und stöhnte leise in den Kuss. Sie spürte, dass der Kuss Richard auch nicht kalt ließ und die Erregung, die ihren Körper erfasste, ließ Lisa zittern.

Richard hob sie auf die Waschmaschine und drängte sich zwischen ihre Beine, während seine Hand von ihrem Knie aus ihren Oberschenkel hinaufstrich. Den Rock schon er dabei gleichzeitig mit hoch. "Richard...." seufzte Lisa an seinen Lippen und löste sich kurz von ihm, um ihm in die Augen zu sehen. Richard erschauerte, als er darin das Verlangen las, das auch er verspürte. Er schluckte, als er Lisas Hände an seinem Hosenbund spürte, die den Gürtel öffneten.

Im gleichen Moment rannte jemand in die Badtüre und fluchte, als er mit dem Kopf gegen das Holz schlug, weil sie Türe, da sie abgeschlossen war, nicht nachgab. Lisas und Richards Köpfe fuhren herum. Erschrocken sah Lisa mit wild klopfendem Herz auf die Tür, die sich natürlich nicht öffnete. Als sie Richard wieder ansah, erwiderte dieser ihren Blick beinahe geschockt. "Lisa..." murmelte er, dieses Mal jedoch nicht leidenschaftlich, sondern schockiert.

Dann löste er sich aus seiner Starre, zog sein Hemd, auf dem Lisa saß, unter ihr weg und noch bevor Lisa etwas sagen konnte, hatte er es sich schon übergeworfen, knöpfte es auf dem Weg zur Tür eilig zu, schloß diese auf und verließ fluchtartig den Raum.

Lisa fühlte sich, als habe jemand ihr ins Gesicht geschlagen. Ungläubig und verletzt sah sie Richard nach. Dann besann sie sich und sprang von der Waschmaschine, um ebenfalls zur Tür zu eilen. Lisa schloß diese jedoch wieder zu und lehnte sich von innen dagegen. Als sie spürte, wie die Tränen aufstiegen, schloß sie die Augen und ließ sich langsam an der Tür hinabgleiten.

'Richard....' rief sie innerlich flehend und presste ihre Fäuste gegen ihre Augen. 'Oh Gott....was hab ich getan....' Lisa begann heftig zu weinen. Die Gefühle, die in ihr tobten, raubten ihr den Atem und Lisa war klar, dass dies erst der Anfang war....Richard hatte gerade eine Tür in ihr geöffnet, von der sie lange, lange vor sich selbst verleugnet hatte, dass es sie überhaupt gab....

 

(9)

Lisa konnte die ganze Nacht nicht schlafen.

Nachdem Richard aus dem Bad gestürmt war, hatte sie noch eine ganze Weile gebraucht, bis sie ebenfalls auf die Party zurückkehren konnte. Sie hatte bestimmt eine viertel Stunde auf dem Boden gehockt und geweint. Es war schwierig gewesen, zurück zu gehen und vorzutäuschen, es sei rein gar nichts passiert. Die Spuren ihrer Tränenflut hatte sie hinter neu aufgelegtem Make-Up verstecken können,  aber um ihre emotionale Verfassung zu verbergen, hatte es einiges an Schauspielerei gebraucht.

Von Richard war nichts mehr zu sehen gewesen und Lisa war heilfroh gewesen, als endlich auch der letzte Gast gegangen war.

David und sie hatten beschlossen, am nächsten Tag aufräumen und waren zu Bett gegangen. Während ihr Mann fast sofort einschlief, lag Lisa die gesamte Nacht wach und starrte in die Dunkelheit. Was Richard wohl gerade machte? Ob er es bereute? Der Blick, wie dem er sie angesehen hatte, nachdem sie für eine Schrecksekunde geglaubt hatten, erwischt worden zu sein, hatte sich in Lisas Gedächtnis gebrannt. Er schmerzte, auch in der Erinnerung noch. Plötzlich war es wieder wie immer gewesen: Richard hatte nicht schnell genug von ihr weggkommen können.

Wieder und wieder begann Lisa in dieser Nacht lautlos zu weinen. Die Tränen liefen über ihre Schläfen und versickerten in ihren Haaren, ohne, dass Lisa sie wegwischte. "Du irrst dich übrigens gewaltig, wenn du glaubst, dass ich dich nicht ausstehen könnte...." echoten Richards Worte in ihrem Kopf, doch sie lösten keine Glücksgefühle in Lisa aus.  Sie wollte ihm so gerne glauben, aber sie konnte es nicht so recht. Wieso hatte er sie erst dermaßen leidenschaftlich geküsst und war dann regelrecht geflüchtet....?

Lisa drehte sich auf die Seite und betrachtete Davids Silhouette im Dunkeln. Sie war froh, dass er heute Nacht keinerlei Annäherungsversuche mehr gestartet hatte. Sie hätte es nicht ertragen können, wenn er sie berührt hätte, nachdem Richards Hände sie erst kurz zuvor in Flammen gesetzt hatten. Innerlich war sie momentan meilenweit von ihrem Mann entfernt. Ihre Gedanken und Emotionen waren voll und ganz von seinem Bruder besetzt.

Lisas Herz schlug schneller, wenn sie an Richards Augen dachte, an den Blick, mit dem er sie angesehen hatte, bevor er sie küsste. Wie es sich angefühlt hatte, als er es endlich tat und zwar nicht zögerlich oder zurückhaltend, sondern mit einer vereinnahmenden Leidenschaft. Lisa erschauerte bei der Erinnerung und schloß für einen kurzen Moment die Augen. Er war so gänzlich anders als David...

David war lieb und süß, er konnte Frauen mit einem Lächeln und einem Blick aus seinen schokobraunen Augen zum Schmelzen bringen. Er war ein aufmerksamer Ehemann und verwöhnte Lisa, sie hatte keinen Grund zur Klage.

Richard hingegen....Lisas Härchen stellten sich auf. Oft wirkte er abweisend und arrogant, aber gerade das machte ihn noch interessanter. Richard strahlte Macht und Coolness aus, er war wie geschaffen für das raue Geschäftsleben. Seine Geschäftspartner wußten sofort, dass sie keine Chance hatten, gegen ihn zu gewinnen. Richard flirtete nie mit Frauen, er gab sich unnahbar und uninteresssiert, was einen bestimmten Schlag Frauen halb wahnsinnig machte.

Lisa mußte zugeben, dass sie dazu gehörte. Es hatte sie schon immer gefuchst, wie Richard sich ihr gegenüber gab, aber sie hatte geglaubt, es nerve sie einfach, dass jemand aus Davids Familie sie nicht mochte. Bis zu diesem Abend wäre sie nie auf die Idee gekommen, was wirklich dahinter steckte...

Erschrocken hielt Lisa den Atem an. Hektisch wanderte ihr Blick durch den Raum. Nein....das konnte doch nicht sein, oder? Himmel Herrgott, sie war verheiratet....! Und jetzt....war sie verliebt in ihren Schwager....? Lisa schloß die Augen und atmete flach, während sie in sich hineinhorchte. Aber es stimmte....sie wollte Richard. Sie wollte ihn so sehr, dass es wehtat...



Als es draußen langsam hell wurde, beschloss Lisa, aufzustehen. An Schlaf war sowieso nicht mehr zu denken. Ohne David zu wecken stand sie leise auf, schlüpfte in ihren bequemen Jogginganzug und ging hinab in die untere Etage, um aufzuräumen. Zumindest war das ihr Plan. Unglücklich ließ sie ihren Blick über das Chaos schweifen und öffnete dann erstmal die Terrassentür, um frische Luft hereinzulassen.

Langsam ging Lisa hinaus auf die Terrasse und ließ sich in einen der dick gepolsterten Stühle sinken. Sie zog die Beine an den Körper und umschlang sie mit den Armen, während sie in den Garten hinaus ins Leere sah. Alles war noch so friedlich, in der Nachbarschaft schien keiner außer ihr wach zu sein. Nur ein paar Vögel hüpften ab und zu durch den Garten  und sahen mißtrauisch zu Lisa hinüber, ob von ihr Gefahr drohte. Es war einer dieser Momente, in den man nicht wirklich etwas dachte, sie aber trotzdem schlecht fühlte.

Nach einer ganzen Weile ging Lisa niedergedrückt wieder rein und machte sich an die Arbeit. Nachdem sie mehrere Stapel dreckiges Geschirr und kistenweise leere Flaschen weggeschleppt hatte, fiel ihr Blick plötzlich auf den Tisch, auf dem Lisa ihre Geschenke abgelegt hatte, nachdem sie sie geöffnet und sich dafür bedankt hatte. Ein Karton war jedoch noch geschlossen. Stirnrunzelnd trat Lisa näher und griff nach dem kleinen Anhänger, der an dem Geschenkband hin. "Alles Gute zum Geburtstag. Richard."

Allein der Anblick seiner Handschrift verursachte ein sehnsuchtsvolles Ziehen in Lisas Herz, das sofort begann, heftiger zu klopfen. Fast schon verstohlen sah Lisa zu der Treppe, die in die obere Etage führte, ob David in Sicht war. Sie wollte diesen unerwarteten Moment allein auskosten. Lisa wunderte sich zwar, wieso Richard ihr das Geschenk nicht persönlich gegeben und es stattdessen einfach auf den Tisch gestellt hatte, aber so holte es sie wenigstens jetzt aus ihrem Stimmungstief.

Lisa schnappte sich den kleinen Karton und zog sich in die Küche zurück. Mit einer Schere schnitt sie den Anhänger ab und beschloss, ihn auf jeden Fall aufzuheben. Dann riß sie ungeduldig das Papier ab und legte einen quadratischen, kleinen Kasten frei, der aussah, als sei er von einem Juwelier. Schmuck....? Aufgeregt biß Lisa sich auf die Unterlippe. Ihr Herz schlug ihr buchstäblich bis zum Hals und ihre Hände zitterten, als sie den Deckel anhob.

Begeistert schrie Lisa leise auf und legte die Fingerspitzen ihrer rechten Hand auf die Lippen. Eilig blinzelte sie die Freudentränen weg, die ihr die Sicht raubten und nahm dann die Kette vorsichtig heraus. Es war eine goldene, sehr lange Kette mit einem großen, bauchigen Herzmedallion als Anhänger. Richard hatte ihren Geschmack vollkommen getroffen. "....wunderschön..." wisperte Lisa ergriffen und streichelte mit dem Daumen über das Medallion.

Sie hob den Blick und sah aus verträumt dem Küchenfenster ins Leere. 'Danke, Richard...die Kette ist wunderschön.' dachte sie sehnsuchtsvoll und fragte sich wieder einmal, wo er gerade war und was er machte. Ob er noch im Bett lag und schlief?  Die Vorstellung ließ Lisa lächeln.

Die Kette war so lang, dass Lisa sie nicht öffnen mußte, um sie umzulegen. Der Anhänger reichte ihr bis zum Bauchnabel. Aus einem Impuls heraus griff Lisa nach dem Herz und ließ die Kette in den Ausschnitt ihres Oberteils gleiten. Zumindest für heute war dies ihr kleines Geheimnis, von dem nur sie und Richard wußten....

 

(10)

Den Samstag hatte Lisa sich noch recht gut ablenken - und auch David ausweichen - können. Erstmal in Schwung gekommen, hatte sie nicht nur die Spuren der Party beseitigt, sondern gleich einen gesamten Hausputz gemacht, der sie über mehrere Stunden beschäftigt hatte. Was sonst eher nervtötend für sie gewesen war, erledigte sie nun gutgelaunt, während sie die Songs von ihrem MP3-Player, dessen Kopfhörer sie aufhatte, mitsang. David sah sie die meiste Zeit nicht. Er hatte sich verkrümelt, um ihr nicht im Weg zu sein und ehrlich gesagt war es Lisa auch ziemlich egal, was er gerade trieb. Hauptsache, er störte sie nicht in ihrer absoluten brillianten Laune.

Gegen Abend hatte Lisa ein langes Bad genommen und während sie im warmen Wasser und Bergen von Schaum lag, mit einem unauslöschlichen Lächeln auf den Lippen von Richard geträumt. Der Gedanke, ihn Montag bei Kerima unweigerlich wiederzusehen, bescherte ihr das erste Mal Herzklopfen. Seit Samstag war irgendwie alles anders. Sie sah ihn sich, mit mit ganz anderen Augen. Jede Begegnung wurde plötzlich aufregend, weil sie erwartete, hoffte, dass etwas passieren würde.

Was würde er sagen, tun, wie würde er sie ansehen....? Lisa dachte an einen der seltenen Momente, in denen er lächelte und ein Glücksgefühl durchrieselte ihren Körper. Übermütig lachte sie leise und ließ sich unter Wasser gleiten. Sie war sogar so gut drauf, dass sie sich gutgelaunt die Beine rasierte und sich nach dem Baden sogar von Kopf bis Fuß mit ihrer Bodylotion eincremte. Etwas, was sie meistens aus Faulheit aufs "nächste Mal" verschob.

Der Sonntag hingegen zog sich. Sonntags hatte man oft irgendwie das Gefühl, die ganze Welt sei eingeschlafen oder unterhalte sich nur noch im Flüstermodus, während alle auf  Zehenspitzen herumliefen, um ja keinen Ton zu verursachen. Im TV lief nie was anständiges und draußen sah man grundsätzlich nur Familien mit Hund und Kinderwagen. Wie aufregend.

Lisa entschied sich trotzdem dazu, einen längeren Spaziergang durch den Tiergarten zu machen. Allein, nur mit ihrem MP3-Player und Richard in ihren Gedanken. David hatte in seinem Heimbüro am PC gesessen und Lisa hatte ihm nur kurz durch die Tür zugerufen, dass sie mal auf einen Sprung rausgehe, so dass er gar nicht erst auf die Idee kam, sie zu begleiten.


Als sie nach 2 Stunden wieder nach Hause kam, lag ein Zettel auf dem Wohnzimmertisch, dass kurz zu Kerima gefahren sei. Lisa zuckte mit den Achseln. Sollte ihr recht sein. Mit einem Lächeln zog sie die Kette von Richard unter ihrem Pullover hervor und ging in die Küche, um sich was Schönes zu kochen.


Am Montag war Lisa hypernervös als sie zu Kerima fuhr und ganz entgegen ihrer sonstigen Gewohnheiten führte sie ihr erster Weg zu Agnes ans Catering. Und zwar nicht auf einen schnellen Kaffee, sondern auf einen längeren Plausch. Mindestens eine halbe Stunde verbrachte sie dort, ohne, dass Richard aufgetaucht wäre. Sein Büro lag dunkel und verlassen dar. Lediglich seine Assistentin Nathalie kam schließlich gegen 9 zur Arbeit.

Mit ihrer Kaffeetasse in der Hand und einem Lächeln auf den Lippen ging Lisa zu ihr. "Guten Morgen. Wissen sie, wann Herr von Brahmberg ins Haus kommen wird?" fragte sie und versuchte, so unverfänglich wie möglich dreinzuschauen. Himmel, ihr gehörte der gesamte Laden, sie würde doch wohl fragen dürfen, wo sich ihre Angestellten herumtrieben, oder? Aber Lisa hatte auf einmal das Gefühl, als wüßte Nathalie ganz genau, wieso sie das frage - vor allem, als diese sie nun irritiert ansah.

"Hat er ihnen denn nicht Bescheid gesagt?" fragte Nathalie. Lisa runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. "Bezüglich was genau....?" "Herr von Brahmberg ist bereits gestern Nachmittag nach Rußland aufgebrochen. Sein Flug ging um 15.30 Uhr, wenn ich micht nicht irre...." Nathalie runzelte nachdenklich die Stirn, während Lisa nervös wurde. Richards genaue Abflugzeit interessierte sie gerade überhaupt nicht. "Rußland?!" echote sie fassungslos. Nathalie nickte. "Ja, er meinte, sein Erscheinen vor Ort sei nun doch unumgänglich und er würde sicherlich zwei Wochen brauchen, um...."

Der Rest von Nathalies Satz ging unter in dem Rauschen, das Lisa plötzlich nur noch hörte, während sie Richards Assistentin anstarrte. Sie sah, dass diese weitersprach, hörte aber kein Wort mehr von dem, was sie sagte. Rußland....zwei Wochen....ZWEI Wochen....! "Frau Seidel, alles ok?" besorgt sah Nathalie ihre Chefin an und holte Lisa damit aus ihren Gedanken. "Was, äh, ja, klar." Nathalie sah sie ein wenig unsicher an. "Ich wundere mich, dass er sich bei ihnen nicht abgemeldet hat...." Offenbar rechnete sie damit, dass ihr Chef und damit vielleicht auch sie nun Ärger bekommen würden. Das seltsame Verhalten ihrer Chefin machte sie irgendwie nervös.

"Wann kommt Herr von Brahmberg denn wieder?" fragte diese nun und Nathalie blätterte in ihrem Kalender. "Den Rückflug habe ich gebucht für den 4. Oktober." "Danke." murmelte Lisa und wandte sich ab, um zu den Aufzügen zu gehen. Nachdenklich sah Nathalie ihr nach, schüttelte dann den Kopf und setzte sich, um Richards Eingangspost zu bearbeiten.

Konsterniert fuhr Lisa mit dem Aufzug nach oben und ging in ihr Büro. Sie stand völlig neben sich. Zwei Wochen....das war eine verdammt lange Zeit. Endlos. Und das gerade jetzt....Noch dazu wußte Lisa wirklich von gar nichts. Gab es Probleme bei Kerima Russia? Die Geschäftsführer waren doch vor kurzem erst da gewesen und man hatte alles besprochen....!

Mit einem plötzlichen Anflug von Wut ging Lisa schneller, setzte sich an ihren Schreibtisch und griff nach ihrem Telefon, um Davids Durchwahl zu wählen. "Guten Morgen...." begrüßte dieser sie und Lisa hörte, dass er lächelte. Sie sah ihn förmlich vor sich, wie er diesen speziellen David-Seidel-Blick drauf hatte, doch im Moment hatte sie dafür wirklich keinen Sinn. "Sag mal, wußtest du irgendwas davon, dass Richard unbedingt nach Rußland muß?" fiel sie mit der Tür ins Haus und gab sich keinerlei Mühe, ihren Ärger zu verbergen. Dass sie sauer auf seinen Bruder war, war für David ja nichts Neues, eher sogar der Normalfall.

"Er hat mir gestern eine sms geschickt, bevor er in den Flieger gestiegen ist." informierte ihr Mann sie. "Was!" schrie Lisa schrill und biss sich sofort auf die Lippen, wobei sie die Augen zukniff. 'Schalt mal nen Gang runter, Lisa....andererseits....ich bin immer noch seine Chefin....sozusagen... ' "Wie schön, dass ich auch mal erfahre, was in meiner Firma vor sich geht!" maulte sie und David schwieg überrascht. "Lisa, sonst siehst du das doch auch nicht so eng..." Er hatte ja recht. Lisa fuhr sich mit einer Hand über die Stirn und seufzte. "Ich bin etwas genervt." entschuldigte sie sich. "Also, was ist da los in Rußland?"

 

(11)

Die nächsten zwei Wochen verlebte Lisa in abwechselnden Phasen von Sehnsucht, Wut und Resignation. David wußte schon gar nicht mehr, woran er bei seiner Frau war, jeden Tag erwartete ihn eine "andere Lisa" und er konnte sich keinerlei Reim auf ihre Stimmungsschwankungen machen.

Lisa vermisste Richard fürchterlich und die zwei Wochen, bis er endlich wieder zurück war, kamen ihr endlos vor. Er meldete sich jedoch nicht einmal bei ihr, sondern immer nur bei David oder Max und sprach nur über Geschäftliches. So es gab nichts, woraus Lisa sich etwas Hoffnung oder gute Laune ziehen konnte. Außerdem machte es sie rasend, dass er sich  nicht einmal bei ihr meldete. Sie war seine Chefin und er war auf einer Geschäftsreise - das wäre doch die perfekte Gelegenheit, mit ihr zu sprechen...! Aber nein, nicht Herr von Brahmberg. Der ignorierte sie lieber mal wieder total.

Das waren die Momente, in denen Lisa wütend wurde und sich selbst schwor, ihn überhaupt  nicht zu vermissen. Ihretwegen konnte er sogar nach Rußland ziehen - für immer! 'Mir doch egal...Wenn ich ihm egal bin, ist er mir auch egal.' schmollte Lisa und vergrub sich in Arbeit.

Doch nach einer Weile verrauchte ihre Wut jedes Mal und machte einer Traurigkeit Platz - vermisste er sie denn wirklich kein Stück? War sie ihm doch egal? War das auf der Party nur ein Ausrutscher aufgrund der Stimmung gewesen? Nein, Richard war nicht der Typ, der sich von Stimmungen treiben ließ, schon gar nicht von Partystimmungen. Außerdem hatte er doch gesagt, sie irre sich, wenn sie glaube, dass er sie nicht leiden könne. Lisa wußte nicht mehr, was sie noch glauben sollte...

Jeder Tag war unglaublich zäh. An den Wochenenden schlief Lisa lange, las endlich die Bücher, die schon so lange ungelesen neben ihrem Bett lagen  und putzte, um sich abzulenken. Auf Spaziergänge hatte sie keine Lust mehr, denn ihre gute Laune war weg. Sie hatte Angst, so noch mehr in ihrer depressiven Laune zu versinken.

Die Kette, die Richard ihr geschenkt hatte, lag in Lisas Nachttischsschublade. Anfangs hatte Lisa noch geglaubt, das Geschenk bedeute etwas, sei etwas Besonderes, fast sogar schon eine Art geheime Botschaft an sie. Aber nunmehr war es bedeutungslos für sie. Es bedeutete nichts, gar nichts.

Der 4. Oktober - anfangs hatte Lisa geglaubt, sie würde an diesem Tag morgens gut gelaunt aus dem Bett springen, sich extra hübsch zurecht machen und fröhlich bei Kerima erscheinen. Sie hatte sich ausgemalt, wie Richard sie verstohlen in sein Büro ziehen, die Jalousien auf blickdicht drehen und sie leidenschaftlich küssen würde, bevor er ihr in die Augen sah und heiser "Ich hab dich so vermisst..." flüsterte.

Doch inzwischen fühlte Lisa sich völlig leer. Das Warten auf Richard, die Enttäuschung darüber, dass er sich nicht einmal bei ihr gemeldet hatte, nicht die kleinste sms, nichts, hatten sie emotional ausgelaugt. Da war nichts mehr, vor allem keine Freude, keine Hoffnung, dass heute etwas besonderes passieren würde. Sie wollte sich keine Illusionen machen - Richard würde sie ignorieren, es würde sich nichts verändert haben.

Es würde alles wie immer sein, bis auf eines: Jetzt machte Lisa sein Verhalten nicht nur wütend, sondern vor allem traurig. Plötzlich lag ihr etwas an seiner Zuneigung, weil sie selbst soviel für ihn empfand. Und unglücklich verliebt zu sein war weitaus schlimmer, als einen Schwager zu haben, der einen nicht leiden konnte.

Niedergedrückt und muffelig trat Lisa aus dem Aufzug und steuerte Agnes' Catering an. "Morgen..." murmelte sie und warf ihre Handtasche auf den Tresen. Belustigt sah Agnes sie an. "Morgen, Lisa. Na, welche Laus ist dir denn schon so früh morgens über die Leber gelaufen?" fragte sie gut gelaunt und erntete dafür einen schiefen Blick. "Ach." grummelig winkte Lisa ab. Ohne, dass Lisa extra etwas sagen mußte, stellte Agnes ihr einen heißen Kakao hin. "Danke." murmelte Lisa schon besänftigter und rührte die Sahne unter.

Lisa ließ sich Zeit. Wie schon vor zwei Wochen hoffte sie, dass Richard jeden Moment aus dem Aufzug steigen würde. Zwar machte sie sich keine Illusionen darüber, dass sich auch nur einer ihrer Tagträume erfüllen würde, aber eine klitzekleine leise Stimme riet ihr, nicht die minimalste Chance darauf zu vergeben. Leider war die Stimme der Vernunft wesentlich lauter, die Lisa wieder und wieder sagte, dass sie spann.

Der Aufzug gab sein typisches "Pling!" von sich und die Türen glitten auf. Wie von selbst sah  Lisa hinüber, doch statt Richard war es Sophie, die aus dem Aufzug stieg. In der ersten Sekunde war Lisa enttäuscht, doch dann lächelte sie. Sophie strahlte über das ganze Gesicht, als sie auf das Catering zuging. "Lisa, Schätzchen, guten Morgen!" Offenbar war auch Sophie in glänzender Laune. "Hallo Sophie." erwiderte Lisa, wobei sie ihr letztes Quentchen Selbstbeherrschung zusammenkratzte, um sich ihre wahre Laune nicht anmerken zu lassen.

Sophie küsste sie auf beide Wangen und setzte sich neben sie. "Was führt dich zu Kerima?" erkundigte Lisa sich. "Richard kommt doch heute wieder, wir sind hier verabredet. Agnes, könnte ich einen Kaffee bekommen? Danke." Überrascht sah Lisa sie an. "Er hat sich bei dir gemeldet?" Sophie nickte. "Ja, mehrmals. Ihm hat es wohl gut gefallen in Rußland." Sophie lächelte. "Also, ich hab das Land nie gemocht, ich war ja als Model auch öfter dort."

Bedrückt starrte Lisa in ihren Kakao und nickte. Geistesabwesend rührte sie in ihrer Tasse. Scheinbar hatte er sich bei jedem gemeldet, jedem außer ihr. Fast hätte sie das erneute Aufgleiten der Aufzugstüren überhört. Erst, als einige Personen ausstiegen und Sophie entzückt "Richard!" rief, sah Lisa ruckartig auf.

Richard ging lächelnd auf Sophie zu, umarmte seine Mutter und küsste sie auf beide Wangen. Zuerst dachte Lisa, die hübsche Rothaarige sei nur mit ihm im Aufzug hochgefahren, doch sie folgte Richard zum Catering und lächelte Sophie höflich an. Nun wandte Richard sich der jungen Frau zu und lächelte. "Mutter, darf ich dir Natascha vorstellen?" Überrascht lächelte Sophie und reichte Natascha die Hand. "Freut mich, von Brahmberg."

Natascha schüttelte Sophies Hand. "Freut mich ebenfalls. Richard hat mir schon so viel von ihnen erzählt." erwiderte sie freundlich lächelnd mit  russichem Akzent und strahlte Richard an. Lisa stockte der Atem. So, wie Natascha Richard ansah und sich nun auch noch bei ihm unterhakte, war ihr sofort alles klar.

Jetzt endlich schien Richard sie zu bemerken. Sein Lächeln verschwand. Ernst sah er sie an. "Hallo Lisa." sagte er und klang plötzlich wesentlich kühler als vorhin noch. Lisa senkte den Kopf, als sie sich von dem Hocker gleiten ließ und griff gleichzeitig nach ihrer Handtasche. "Hallo Richard. Entschuldige, ich hab zu tun." antwortete sie, ohne ihn richtig  anzusehen.

Im Vorbeigehen sah sie Natascha in die Augen. Sie hatte hellbraune Augen und die typischen Gesichtszüge einer Osteuropäerin. Sie war wahnsinnig hübsch. Lisa nickte ihr kurz zu und verschwand dann hastig  im Treppenhaus. Jetzt noch ewig auf den Aufzug zu warten, während Richard, Sophie und Natascha in ihrem Rücken standen, hätte sie nicht ausgehalten.


(12)

Als David an diesem Abend nach Hause kam, war Lisa schon seit über einer Stunde im Feierabend. Fragend hob er die Augenbrauen, als er seine Frau im Wohnzimmer auf der Couch liegend vorfand, in eine Decke gehüllt und mit roten, verquollenen Augen. Vor der Couch auf dem Boden türmte sich ein nicht eben kleiner Haufen benutzter Taschentücher. "Hey..." David ging zu ihr, beugte sich zu Lisa hinab und küsste sie auf die Stirn. "Alles klar bei dir?"

"Hm." brummte Lisa unmotiviert, zog sich die Decke wieder bis über die Schultern und sah zum Fernseher hinüber. "...fühl mich beschissen."  Da Lisa die Beine angewinkelt hatte, fand David noch ein Plätzchen für sich auf der Couch. Er setzte sich und strich durch die Decke über Lisas Hüfte. "Erkältet?" erkundigte er sich. "Kopfschmerzen. Und irgendwie fühl ich mich komplett bescheiden."

Das war nicht gelogen, auch wenn dies keinesfalls an einer Erkältung, sondern eher an Richards urplötzlich aufgetauchter neuer Flamme lag. Den ganzen Nachmittag über hatte Lisa bei Kerima nichts Produktives zustande gebracht und schließlich früher als üblich Feierabend gemacht. Auf dem Weg raus hatte sie wieder das Treppenhaus benutzt, um auch nicht mal zufällig Richard, Natascha oder auch nur Sophie im Aufzug zu begegnen.

Zu Hause hatte sie ihren Tränen endlich freien Lauf lassen können und wenn David nun glaubte, sie sei erkältet, kam ihr das gerade recht. Dieser legte gerade die Rückseiten seiner Finger an ihre Wange und ihre Stirn. "Hm, Fieber hast du keins. Hast du schon was eingenommen? Soll ich dir eine Paracetamol holen?" bot er an. Lisa rang sich ein Lächeln ab, schüttelte aber den Kopf. "Nein danke." Sie warf die Decke zurück und setzte sich langsam auf. "Aber ich glaube, ich nehme mal ein heißes Bad."

David stand zeitgleich mit ihr auf. "Richard ist übrigens wieder da." sagte er auf dem Weg in die Küche. Lisa folgte ihm langsam. "Ich weiß. Wir sind uns heute Morgen kurz begegnet." So matt, wie sie klang, fühlte sie sich auch. Müde sah sie zu, wie David den Kühlschrank öffnete und sich Zutaten für sein Abendessen zusammensuchte. "Hast du schon seine neue Freundin kennengelernt?" fragte ihr Mann.

Lisa zuckte zusammen. Sie war froh, dass David ihr den Rücken zuwandte und so ihren entsetzten Blick nicht sah. "Du meinst diese Natascha?" hakte sie nach. David drehte sich um und grinste. "Ja. Die beiden haben sich bei Kerima Russia kennengelernt, Natascha modelt dort." "Hmhm." brummte Lisa mit verschränkten Armen und nickte, während sie hoffte, dass ihr Mann ihr ihren wahren Gefühle nicht ansah. "Und die beiden sind wirklich zusammen...? Ich hab erst gedacht, sie wäre nur eine Bekannte." Lisa versuchte, locker zu klingen, obwohl alles in ihr hoffte, dass David antworten würde, dass Richard nicht mit Natascha liiert war.

"Na ja, es ist wohl noch richtig frisch, aber ja, die beiden sind zusammen." erzählte David unbekümmert, während er sich ein Brot belegte. Lisas Hals schnürte sich zu bei seinen Worten. "Na dann...." meinte sie und stieß sich von dem Türrahmen ab, an den sie sich gelehnt hatte. "Wünsch ich der Armen gute Nerven bei diesem Muffkopp." maulte sie und machte sich auf den Weg ins Bad.

"Ob du's glaubst oder nicht, Richard war überaus charmant zu ihr als ich die beiden heute zusammen erlebt habe." rief David ihr nach. Lisa, die schon mit einem Fuß auf der Treppe noch oben war, hatte innegehalten. Ein Stich fuhr durch ihr Herz und spontan schossen Tränen in ihre Augen. "Super." murmelte sie tränenerstickt so leise, dass David es nicht hören konnte und ging hoch, um sich ein Bad einzulassen. Während das heiße Wasser einlief, ging sie kurz hinüber ins Schlafzimmer, um ihren Bademantel und Handtücher zu holen. Sie wollte nur noch in dem Schaumfluten versinken und alleine für sich weinen, ohne, dass David etwas davon mitbekam.

Doch dieser kam gerade zu ihr in die obere Etage, um sich umzuziehen. "Ich hab Richard übrigens vorgeschlagen, dass Natascha doch auch mal für uns laufen könnte. Sie ist ja eine richtige Schönheit." meinte er, während er sein Jackett auszog und aufs Bett warf. Wie erstarrt blieb Lisa stehen und sah ihn verletzt an. "Wie bitte?" David deutete ihre Reaktion falsch und lachte auf. "Lisa, das meine ich ganz professionell, als Chef einer Modefirma. Außerdem hatten mein Bruder und ich schon immer einen anderen Geschmack bei Frauen."

Lisa atmete tief durch. Ohne, dass David sich dessen bewußt war, versetzte er ihr einen Tiefschlag nach dem anderen. "Auf jeden Fall hab ich die beiden für Freitag zum Abendessen eingeladen. Dann können wir das mal durchsprechen." Besorgt sah David sie an. Lisas Blick war immer noch eine Mischung aus Entsetzen und Verletzung. "Natürlich nur, wenn du bis dahin wieder fit bist. Ich mach mir ein bißchen Sorgen um dich..." David kam zu ihr und legte eine Hand an ihre Wange, um ihr liebevoll in die Augen zu sehen.

Lisa wich seinem Blick aus und wandte sich ab. "Das mußt du nicht." wehrte sie ab und ging ins Bad, wobei sie die Tür offenließ.  David folgte ihr langsam, blieb im Türrahmen stehen und sah seine Frau nachdenklich an, während diese ein Schaumbad ins Wasser schüttete. "Ist alles ok bei dir?" fragte er leise. "Ja. Klar." antwortete Lisa ohne ihn anzusehen, klang jedoch wenig überzeugend. "Lisa...." David ging zu ihr und legte beide Hände auf ihre Schultern. Seine Frau drehte ihm dabei den Rücken zu. "Deine Stimmungsschwankungen in letzter Zeit...mal bist du super drauf, dann wieder zu Tode betrübt...die letzten Wochenenden bist du kaum aus dem Bett gekommen...so kenne ich dich gar nicht."

Davids Mitgefühl trieb Lisa erst recht die Tränen in die Augen. Sie kniff die Augen zusammen, um ihre Tränen zurückzuhalten und biss sich auf die Unterlippe. Was sollte sie David bloß sagen....? Dass sie Natascha auf keinen Fall in ihrem Haus haben wollte, nicht mit ihr an einem Tisch essen wollte, weil sie, Lisa, zwei schmerzhafte Wochen auf Richard gewartet hatte und dieser dann mit Natascha am Arm zurückkehrte? Im Geiste sah Lisa Natascha vor sich, wie sie Richard anstrahlte, stolz und verliebt, sich bei ihm unterhakte.

Es tat so weh....die ganze Zeit hatte Lisa gehofft und gewartet, in dem Glauben, sie bedeute Richard etwas und es würde etwas mit ihnen geschehen, wenn er nur endlich wieder in Berlin wäre. Und dann...dann brachte er eine wunderschöne junge Frau mit, die er seinem Bruder als seine neue Freundin vorstellte.

Lisas Schultern begannen unter Davids Händen zu zucken und sie verlor endgültig den Kampf gegen ihre Tränen. "Hey..." Sanft drehte ihr Mann sie zu sich um und Lisa ließ es zu, dass er sie in den Arm nahm. Liebevoll strich er ihr über den Rücken. "Ich weiß doch auch nicht, was mit mir los ist." log Lisa schluchzend. "Ich bin irgendwie mit den Nerven total runter, nichts macht mir mehr Spaß, ich könnte nur noch heulen."

David zog sie noch enger an sich und stützte seinen Kopf auf ihren Scheitel. "Das hört sich aber ganz nach Depressionen an, Schatz." murmelte er besorgt. "Vielleicht solltest du mal zum Arzt gehen...?" Lisa löste sich vorsichtig von ihm und strich sich die Tränen von den Wangen. Dann angelte sie nach einem Stück Toilettenpapier, um sich die Nase zu schnäuzen. Entschlossen schüttelte sie den Kopf. "Nein, keinen Arzt. Das geht schon wieder von alleine weg."

Zweifelnd sah David sie an. "Wenn du meinst...." Lisa nickte heftig. "Ist wahrscheinlich nur so 'ne Frauensache..." winkte sie ab. Ihr Mann musterte sie skeptisch. Dann beugte er sich vor, strich ihr über die Haare und küsste sie kurz auf den Mund. "Ok. Nimm erstmal dein Bad. Danach sieht die Welt schon wieder ganz anders aus, hm?" Er lächelte ihr noch einmal zu und zog dann die Tür hinter sich zu.

Bedrückt schaute Lisa auf die Berge von Schaum in der Badewanne und seufzte. "Das wird mir auch nicht helfen...." murmelte sie.


(14)

„Liiisaaa…“ David schmunzelte, nachdem er geklingelt hatte. „Lächeln…!“ Lisas Blick glich dem von Lara Croft, die in die Schlacht zog. Jetzt grinste sie übertrieben, als sie ihren Mann ansah. „So gut?“ David lachte laut los. Im gleichen Moment öffnete Natascha die Tür zu Richards Wohnung. ‚Aha….ganz die Dame des Hauses…‘ ätzte Lisas innere Stimme. „Na, ihr seid ja gut gelaunt!“ freute Natascha sich und trat mit einer Geste, die David und Lisa deutete, einzutreten, zur Seite.

Richard kam ohne Eile ebenfalls zur Tür, beide Hände in den Hosentaschen. Ein leises Lächeln lag auf seinem Gesicht, während Natascha Lisa und David begrüßte, indem sie beide je kurz umarmte und auf jede Wange küsste.

„Hallo Richard.“ Begrüßte David seinen Bruder freundlich, umarmte ihn und klopfte ihm auf den Rücken. „Hallo Lisa.“ Richard blieb mehr als einen Schritt vor Lisa stehen und reichte ihr lediglich die Hand. Lisa antwortete mit einem Kopfnicken, wobei sie Nataschas irritierten Blick geflissentlich ignorierte.

Richard ging voraus ins Wohnzimmer, an das sich ein offenes Esszimmer anschloß. David, Lisa und Natascha folgten ihm. „Setzt euch doch.“ bat Richard seinen Bruder und seine Schwägerin und nahm selbst schon einmal Platz, während Natascha die zwei großen, schlanken Kerzen auf dem Tisch anzündete. David setzte sich ebenfalls und zwangsläufig blieb Lisa nichts anderes übrig, als Richard gegenüber Platz zu nehmen. Neben ihm sollte ja sicherlich Natascha sitzen.

Lisa atmete tief durch, als sie sich setzte. Aber gut…an einem Vier-Personen-Tisch wäre es bei keiner Konstellation möglich gewesen, Richard auszuweichen. Sie stützte die Ellbogen auf den Tisch, um griff die Finger der einen Hand mit der anderen und legte ihre Wange dagegen, so dass ihr Blick Richard keinesfalls streifen konnte, während dieser sich mit seinem Bruder unterhielt. Natascha war derweil in die Küche verschwunden, um die Vorspeise zu holen.

Während des Essens starrte Lisa krampfhaft auf ihren Teller. Sie hielt sich aus dem lockeren Tischgespräch der anderen weitestgehenst heraus, auch, wenn Natascha immer wieder freundlich versuchte, sie einzubinden. Lisa antwortete ihr höflich, aber so knapp wie möglich. Sie hoffte einfach, dass der Abend so schnell wie möglich an ihr vorüberging.

Nach dem Hauptgang streckte sie mit einem inneren Seufzer ihre Beine unter dem Tisch aus und legte die Fesseln übereinander. „So und jetzt noch eine süße Nachspeise.“ verkündete Natascha, als sie mit einem Tablett aus der Küche zurückkehrte. „Ich hoffe, es schmeckt euch.“

Lisa versenkte gerade ihren Löffel in der Süßspeise, als sie plötzlich Richards Bein spürte, das sich wie zufällig an ihres lehnte. Sie ließ sich äußerlich nichts anmerken, während sie scheinbar ungerührt weiteraß und darauf wartete, dass Richard zurückzucken oder zumindest den Kontakt von sich aus unterbrechen würde, aber nichts dergleichen geschah. ‚Was ist denn jetzt los…‘ fragte sie sich verblüfft, beschloß jedoch trotzig, dass sie den Kontakt keinesfalls beenden würde. Ihr auszuweichen war in den letzten Wochen ja zu Richards Lieblingshobby geworden, nicht ihrem.

Lisa war sich der kleinen Berührung mehr als bewußt. Scheinbar dachte Richard überhaupt nicht daran, sich wieder so hinzusetzen, dass er Lisa nicht berührte und in Lisa machte sich langsam eine trotzige Genugtuung breit. Scheinbar machte er das doch absichtlich…

„Reichst du mir bitte das Schälchen mit den Kirschen?“ Lisa war so in Gedanken versunken, dass sie sich weder angesprochen fühlte, noch reagierte, bis David sie anstupste und auf ihren fragenden Blick zu Richard nickte. Richard lächelte doch tatsächlich, als Lisa ihn ansah. „Die Kirschen?“ bat er nochmals. „Oh. Ja. Natürlich.“

Lisa nahm das Schälchen mit beiden Händen auf und reichte es über den Tisch zu ihrem Schwager. Richard nahm dieses mit beiden Händen entgegen, wobei er seine linke Hand halb auf Lisas legte, sie mit der anderen Hand hingegen überhaupt nicht berührte, so dass David und Natascha davon nichts mitbekommen konnten, da sie rechts von Richard und Lisa saßen.

Überrascht sah Lisa auf, doch Richard, der das Schälchen fixierte, erwiderte ihren Blick nicht. Seine Finger strichen sanft über ihre, als er ihr das Schälchen abnahm und so tat, als sei gar nicht passiert.

Irritiert senkte Lisa den Blick und aß weiter. Ihr Herz schlug wie verrückt. Was ging hier vor…? Sie mußte ein kleines Lächeln unterdrücken und schmunzelte. Vielleicht würde der Abend ja doch nicht ganz so schlecht werden….


Etwa eine halbe Stunde darauf langweilte Lisa sich jedoch tödlich. Das Essen war beendet und David unterhielt sich die ganze Zeit mit Natascha darüber, ob wie wann und wo sie für Hugo laufen sollte. Lisa, die David bei diesen Fragen freie Hand ließ, war froh, sich aus der Diskussion heraushalten zu können und auch Richard äußerte sich nicht einmal.

Immer wieder mal hatte Lisa das Gefühl, dass er zu ihr hinüber sah, doch wenn sie ihn ansah, sah er jedes Mal weg.

„Ich geh mal kurz an die frische Luft.“ sagte sie leise, um das Gespräch nicht zu stören, lächelte Natascha zu und ging hinaus auf die Terrasse von Richards Appartement. Draußen war es bereits dunkel und auch ziemlich kühl und Lisa bedauerte es, sich keine Jacke mitgenommen zu haben. Doch die klare, kühle Luft tat ihrem Kopf gut, sie atmete tief durch und spürte, wie sie begann, sich zu entspannen.

Nachdenklich ließ sie ihren Blick über die nächtliche Skyline von Berlin wandern, als sie eine kurze Weile darauf Schritte hinter sich hörte. „Stört es dich, wenn ich rauche?“ Fragend hielt Richard, der sich neben sie an die Balustrade stellte, ein Zigarillo hoch. Überrascht sah Lisa ihn an. ‚Seit wann so rücksichtsvoll…?‘ „Nein.“ antwortete sie laut und schüttelte den Kopf. Dann wandte sie den Blick ab und schaute wieder über Berlin.

Neben ihr hörte sie die Geräusche eines Feuerzeuges, dann war wieder alles still. Zumindest für zwei, drei Minuten. Lisa schaute gerade über die Schulter ins Wohnzimmer, wo David und Natascha sich immer noch angeregt unterhielt, als Richard sie ansprach: „Gefällt sie dir nicht?“ Perplex sah Lisa ihn an, in dem Glauben, er spräche von Natascha. „Wie bitte?“ .
Ernst erwiderte Richard ihren Blick. „Die Kette. Du trägst sie nie.“ Lisa glaubte, so etwas wie Verletztheit in Richards Blick zu sehen, was ihr einen Stich im Herzen bescherte. Ebenso ernst erwiderte sie seinen Blick.

„Ich habe sie getragen. Die ersten Tage, die du weg warst.“ betonte sie und hoffte, dass er verstand, was sie sagen wollte: Aber nicht mehr, nachdem du dich nicht bei mir gemeldet hast…

Richard nickte, schaute weg und rauchte einen Zug. „Aber danke….sie ist sehr schön…“ Lisas Stimme brach. „…gefällt mir gut.“ quetschte sie noch heraus und spürte, wie Richard sie von der Seite ansah. Stoisch sah sie geradeaus, keinesfalls gewillt, ihn sehen zu lassen, wie aufgewühlt sie gerade war. Eine Gänsehaut überzog ihre nackten Unterarme, als eine kühle Brise aufkam und Lisa verschränkte die Arme vor der Brust.

„Du bist doch schon erkältet…“ sagte Richard leise, der gesehen haben mußte, dass sie vor Kälte schauderte und trat hinter sie. Noch bevor Lisa fragen konnte, was er tat, schlang Richard die Seiten seines Jacketts um sie und umfing sie mit beiden Armen. Lisa konnte gar nicht anders, als ganz dicht bei ihm zu stehen, so wie Richard sie hielt. Nach kurzem Zögern ließ sie sich nach hinten sinken, lehnte ihren Kopf an seine Schulter und legte sie ihre Schläfe an sein Kinn.

„Besser?“ fragte er leise und Lisa konnte nur nicken. Zwei von Richards Fingern glitten zwischen den Saum ihres Tops und ihren Hosenbund und streichelte ganz sachte die nackte Haut ihrer Hüfte. Ein unheimliches Gefühl von Geborgenheit und Glück durchrieselte Lisa ob dieser minimalen Berührung und sie schloß sie Augen.

Richards spürte, dass sie weinte, obwohl Lisa sich bemühte, keinen Ton von sich zu geben. Schließlich entrang sich ihr doch ein Aufschluchzer, woraufhin Richard seine Umarmung noch verstärkte. Lisa versuchte, sich in den Griff zu bekommen, doch sie konnte nicht anders. All die Traurigkeit der letzten Wochen kam ob Richards liebevollen Verhaltens auf einmal an die Oberfläche und wollte raus.

Erst nach einigen Minuten beruhigte Lisa sich wieder und amtete zittrig tief ein. Richard wartete ab, bis sich auch ihr Atem wieder beruhigt hatte, löste sich dann von ihr und trat einen Schritt zurück. Lisa drehte sich zu ihm um und sah ihn verunsichert an. „Ich...ich geh mal wieder rein.“ murmelte Richard, als sich ihre Blicke begegneten und schluckte. „Du solltest vielleicht noch etwas hier draußen bleiben.“ meinte er und deutete auf seine Augen. Man sah, dass sie geweint hatte.

Lisa nickte und drehte sich mit verschränkten Armen wieder um. Kurzentschlossen zog Richard sein Jackett aus, um es Lisa um die Schultern zu legen. Diese nahm es stumm hin und drehte sich auch nicht um, als sich Richards Schritte entfernten...


(15)


Am nächsten Tag trafen sich Hugo, Richard und Lisa in Davids Büro, um endgültig zu besprechen, welche Auftritte Natascha für Kerima Moda wahrnehmen sollte. Unter anderem sollte sie auf der Berliner Fashion Week Kerimas Hauptmodel zur Vorführung von Hugos neuester Kollektion werden. Hugo war über die Maßen begeistert von der Aussicht, dass Natascha seine Stücke vorführen würde.


Lisa war an diesem Morgen äußerst gut gelaunt. Sie spürte eine tiefe, innere Zufriedenheit, die sie ganzheitlich erfasste. Nach dem gestrigen Abend war sie sich sicher, dass Richard auch etwas für sie empfand, egal, wie er sich die Wochen vorher verhalten hatte. Sie trug sogar wieder seine Kette, die in den Ausschnitt ihres schwarzen Jacketts, das nur unten mit einem Knopf verschlossen wurde, fiel.


Natürlich war in der Besprechung keine Gelegenheit für heimliche Blicke oder bedeutungsschwangere Lächeln und so wunderte Lisa sich auch nicht weiter, dass Richard wieder ganz der coole Businessman war.


Gut gelaunt verließ sie nach etwa einer Stunde mit Hugo und Richard das Büro ihres Mannes. Richard ging voraus, während Hugo Lisa immer noch davon vorschwärmte, wie formidable die Präsentation werden würde. Lisa hörte ihm nur mit einem Ohr zu. Die Erfahrung der Jahre hatte sie gelehrt, dass Hugo bis 1 Stunde vor der Präsentation völlig von sich überzeugt war, um dann in eine totale mentale Krise zu stürzen, in der er am liebsten seine Werke öffentlich verbrannt hätte.


Der gedämpfte Aufschrei einer Frau zog Lisas Aufmerksamkeit auf sich. Richard stand vor seinem Büro, wo ihm Natascha gerade in die Arme sprang und ihn stürmisch umarmte. Scheinbar hatte er ihr gerade eröffnet, dass sie tatsächlich für Kerima laufen würde. Lisa lächelte. Selbst das konnte ihr heute nichts anhaben. Ihr Lächeln verflog jedoch, als Natascha Richard auf den Mund küsste und dieser sie zweimal kurz auf den Po klapste.


Ruckartig wandte Lisa den Blick ab. Von einer Sekunde auf die andere war ihre Laune ins absolute Gegenteil gekehrt worden. Sie fühlte sich, als habe jemand einen Eimer kaltes Wasser über ihr ausgeschüttet. Hugos Stimme drang wie aus weiter Ferne zu ihr hindurch. Dass sie ihm überhaupt nicht zuhörte, schien er entweder nicht zu merken oder es störte ihn nicht.


Lisas Gesicht war zu einer ärgerlichen Maske erstarrt. Wütend zog sie die Augenbrauen zusammen, während sie beobachtete, wie Natascha ihr Handy aus ihrer Handtasche kramte und kurz darauf aufgeregt auf Russisch auf jemanden einredete. Sie nickte, als Richard ihr ein Zeichen gab, dass er gehen musste. Dieser begab sich zu den Aufzügen, drückte auf den Knopf und wartete mit den Händen in den Hosentaschen darauf, dass sie die Türen öffneten.


Als dies geschah, folgte Lisa ihm mit eiligem Schritt. Sie schaffte es gerade noch, in den Aufzug zu schlüpfen, bevor dessen Türen sich wieder schlossen. Richard zog fragend eine Augenbraue hoch, als Lisa ihn außer Atem wütend anstarrte. Sauer schlug sie auf die Taste „E“. Nicht, dass sie irgendwo hingewollt hätte, aber so dauerte die Fahrt am längsten.


„Was soll das, Richard!“ schrie sie ihn an. Cool erwiderte er ihren Blick. „Wenn du mir freundlicherweise mitteilen würdest, worüber du sprichst?“ Er verzog keine Miene. Lisa holte tief Luft, konnte jedoch zuerst nichts sagen, nur wild mit den Händen herumfuchteln. Es gab so vieles, was sie ihm an den Kopf knallen wollte, sie wollte so viele Antworten auf ihre Fragen, sie wusste nicht, wie sie anfangen sollte, was am wichtigsten war.


Der Aufzug hielt in der 12. Etage und eine Buchhalterin wollte zusteigen. „Raus!“ fuhr Lisa sie derart an, dass die jüngere Frau nur verschreckt zusammenzuckte und sofort wieder einen Schritt zurücktrat. Wütend verschränkte Lisa die Arme vor der Brust und starrte an die Kabinenwand, bis sich die Türen endlich wieder schlossen. „Beherrschst du dich bitte mal wieder.“ forderte Richard sie leicht genervt auf, ohne sie anzusehen.


Lisas Kopf fuhr herum. „Sag du mir nicht, was ich tun und was ich lassen soll!“ fauchte sie ihn an. „Was um Himmels willen ist los mit dir!“ schoß Richard zurück. Auch er war nun lauter geworden. „Hör auf, dieses verdammte Spiel mit mir zu spielen!“ schrie Lisa ihn an und konnte nicht verhindern, dass sie anfing zu heulen. „Was denn für ein Spiel!“ brüllte Richard zurück.


Lisa griff nach dem Herz-Medallion an ihrer Kette und zog diese in einer schnellen Bewegung aus, um sie auf den Boden zu pfeffern. „Dieses Spiel! Wieso tust du mir das an?“ Weinend sah sie ihn an. Richard erwiderte ihren Blick kurz, dann starrte er auf die Kette zu seinen Füßen. „Ich weiß nicht, was du meinst.“ meinte er und bückte sich, um die Kette aufzuheben.


Lisa spürte, dass er log. „Du verdammter Mistkerl!“ Sie stürzte sich auf ihn und begann, mit den Fäusten auf seine Brust zu trommeln. „Lisa! LISA!“ Richard fing ihre Handgelenke ein und hielt sie eisern fest, während er ihr in die Augen sah. Unter Tränen sah Lisa ihn an. „Richard…“ Ihre Stimme war leise, tränenerstickt. „Tu mir das nicht an…bitte…“ flehte sie. Ihre leicht geöffneten Lippen zitterten, immer noch rannen Tränen über ihr Gesicht.

Aufgewühlt sah Richard in ihre Augen, atmete tief durch und lockerte schließlich den Griff um ihre Handgelenke. Lisa nutzte ihre neu gewonnene Bewegungsfreiheit und hob ihr Gesicht. „Schick sie weg, Richard, bitte.“ flüsterte sie flehentlich und näherte sich ihm, um ihn zu küssen. Richard schluckte. „Lisa…“ sagte er leise. Panik schwang in seiner Stimme mit.


Der Aufzug hielt. Mit dem typischen „pling!“ öffneten sich die Türen. Ruckartig wandte Richard sich von Lisa ab, ließ sie los und flüchtete förmlich aus dem Aufzug.


Zutiefst verletzt sah Lisa ihm nach, wie er den Eingangsbereich schnellen Schrittes durchquerte und das Kerima Gebäude verließ. Durch die gläserne Tür konnte sie sehen, wie er vor dem Gebäude orientierungslos stehen blieb und sich durch die Haare fuhr, bevor er schließlich mit gesenktem Blick eilig weiterging.


Die Türen des Aufzugs schlossen sich wieder. Lisa schlug beide Hände vor ihr Gesicht und ließ sich weinend an der Wand entlang auf den Boden sinken…


(16)


Nur, weil es zu auffällig gewesen wäre, schon am Vormittag wieder Feierabend zu machen, blieb Lisa noch bis 16 Uhr bei Kerima. Sie vergrub sich in ihrem Büro und tat nichts, außer aus dem Fenster zu starren und ihre Gedanken schweifen zu lassen. Immer wieder aufs Neue begann sie zu weinen.


Sie verstand Richard nicht. Den einen Tag war er super lieb zu ihr, flirtete, küsste sie sogar, wie auf der Party und dann wieder war er so kühl, wie man nur sein konnte. Lisa wusste nur, dass sie dieses Wechselbad der Gefühle nicht mehr länger aushielt. Irgendetwas musste geschehen….die Frage war nur: Was?


Am besten wäre es wohl, wenn sie sich nicht mehr ständig über den Weg laufen würden, was bei Kerima jedoch unvermeidbar war. Und durch ihre inzwischen doch recht enge Beziehung zu Sophie waren Richard und seine Mutter öfter bei den Seidels zu Besuch.


Lisa sah keinen Ausweg aus ihrem Dilemma. Ihre Gefühle und Gedanken waren ein einziges Chaos, als sie am Nachmittag nach Hause fuhr. Zum Glück musste David noch länger arbeiten. Danach wollte er sich mit Max in der Tiki treffen und Lisa wusste, dass diese Treffen meistens länger dauerten. Das war ihr ganz recht. Sie konnte David nicht Rede und Antwort stehen, so lange sie selbst noch nicht wusste, was mit ihr los war, was sie wollte.


Völlig erschöpft von dem auslaugenden Tag ging sie schon gegen 22 Uhr ins Bett. Doch nur zwei Stunden später wurde sie von ihrem Handy, das sie auf ihren Nachttisch gelegt hatte, geweckt. Schläfrig griff Lisa danach, ohne Licht zu machen. Das Display erleuchtete sanft den Raum. „Richard“ zeigte es. Lisa schnaubte unwillig und drückte ihn weg – nur, um es zwei Sekunden später schon wieder zu bereuen.


Richard hatte sie noch nie angerufen, schon gar nicht auf ihrem privaten Handy. Wenn es nicht um Kerima ging, rief er David an, niemals sie. Lisa war sich nicht mal sicher gewesen, ob er ihre Nummer überhaupt noch gespeichert hatte. Was konnte er also wollen? Um diese Zeit..?


‚Verdammt….vielleicht hat er sich alles noch mal durch den Kopf gehen lassen und wollte mit mir darüber reden….’ Lisa knabberte an ihrer Unterlippe, während sie unschlüssig das Handy in ihren Händen anstarrte.


Dieses klingelte erneut: Mobilbox. Eilig nahm Lisa das Gespräch an. „Eine. Neue. Nachricht.“ leierte die metallische Stimme. „Empfangen: Heute, null uhr drei.“ Dann klickte es und Richards Stimme erklang: „Lisa, ich bin’s. Sophie geht’s nicht gut, sie hatte einen Rückfall. Sie will dich unbedingt sehen. Also, wenn du das hier hörst…komm bitte so schnell wie möglich. Danke.“


Richards Stimme hatte sachlich geklungen, doch Lisa hatte den besorgten Unterton bemerkt. Sophie…Schnell sprang Lisa aus dem Bett und suchte die Kleider, die sie eben erst ausgezogen hatte, wieder zusammen. Im Bad kämmte sie sich nur schnell und ließ dann hinunter, um sich Handtasche und Schlüssel zu schnappen.



Sophies Appartement lag in Berlin Mitte, während Lisa und David in Grunewald wohnten. Doch da es auf Berlins Straßen recht leer war, kam Lisa gut voran und parkte bereits 20 Min später vor dem Haus, in dem Sophie wohnte. Sorgenvoll stieg sie aus, betrat das Foyer und nickte dem Portier, der sie bereits kannte, zu, bevor sie den Aufzug bestieg.


Auf ihr Klingeln öffnete ihr Richard. Immer noch sauer sah Lisa ihn unfreundlich an. „Hallo.“ sagte sie reserviert und ging schnell in die Wohnung. Sophie lag auf der Couch im Wohnzimmer, um sie herum verteilt Fotoalben, lose Fotos, Kisten voller Fotos und vor allem: Leere Flaschen.


Sophie weinte leise, eine Hand ruhte an ihrer Stirn. Natascha hockte hilflos neben ihr, wusste nicht, was sie tun sollte.


Bestürzt blieb Lisa stehen und schlug eine Hand vor den Mund, während sie sich umsah. Richard, der ihr gefolgt war, blieb hinter ihr stehen. „Danke, dass du gekommen bist. Sie ist Friedrich und Laura heute Abend im Wolfhardts begegnet.“ erklärte er leise und Lisa nickte.


Sie wusste, dass Sophie Friedrich immer noch liebte. Sie trauerte der Zeit, in denen die beiden ein Paar und sie ein erfolgreiches Model gewesen war, sehr nach. Oft machten ihr die Begegnungen mit Friedrich scheinbar nichts aus, doch wenn sie einen schlechten Tag hatte, versank Sophie regelrecht in ihren Depressionen und der Sehnsucht nach den alten Zeiten. Das waren die gefährlichen Tage, an denen der Rückfall immer ganz nahe war. Scheinbar hatte sie heute nicht die Kraft gefunden, dem Alkohol zu widerstehen.


Sophie stöhnte auf und drückte Natascha, die leise auf sie einredete, von sich weg. „Lisa….Lisa…“ Eilig ging Lisa zu der Couch und Natascha machte ihr stumm Platz, damit sie sich zu Sophie auf die Couch hocken konnte. „Sophie…ich bin da.“ sagte Lisa leise und strich über Sophies Wange.


Sophies Blick war verhangen, sie musste sehr viel getrunken haben. Sie sah Lisa an wie jemand, der im Fieberwahn war. Trotzdem erkannte sie sie. „Lisa!“ Erleichterung war aus Sophies Stimme herauszuhören. Sie streckte beide Arme nach Lisa aus und diese kam ihr entgegen, um sie zu umarmen. In Lisas Armen begann Sophie erneut zu weinen.


„Es tut mir leid…es tut mir so leid, ich hab dich enttäuscht.“ „Sshhh, ganz ruhig.“ sprach Lisa leise mit ihr und strich ihr über den Rücken. „Was ist denn passiert?“ Sanft löste sie sich von der älteren Frau und ergriff deren Hand, um den Körperkontakt nicht ganz zu unterbrechen. Sophie schniefte und wischte sich die Tränen von den Wangen, die Bäche von Mascara mit sich geführt hatten.


„Friedrich.“ Sie spuckte dieses eine Wort aus, als erkläre dies alles. Und das tat es auch für Lisa. Verständnisvoll nickte sie.


„Wer ist Friedrich?“ fragte Natascha leise. Lisa war einerseits genervt, dass sie sich hier einmischte. Was bildete sie sich ein…? Sie kannte Sophie nicht, hatte kein Recht, sie so hilflos und am Boden zerstört zu sehen. Andererseits ließ Lisa der Satz aufhorchen. Natascha schien ja nicht wirklich im Bilde zu sein, was Richard anging…


„Richards Vater.“ erklärte sie der Russin deshalb mit leiser Stimme, um Sophie nicht weiter aufzuregen.


„Ein Scheißkerl!“ schrie diese unerwartet los. „Habt ihr euch gestritten?“ fragte Lisa mitfühlend. Sophie winkte ab. „…so ein arroganter A***…der wird irgendwann auch noch von seinem hohen Roß herunterkommen!“


Lisa drückte Sophies Hand. „Sophie…reg dich bitte nicht auf.“ Hilfesuchend sah sie zu Richard, der ihren Blick stumm erwiderte. Einige Sekunden sahen sie sich an, dann wandte Lisa den Blick ab und strich Sophie sanft über die Stirn. „Möchtest du vielleicht ein Glas Wasser?“


Sophie, die sich nicht wohl fühlte, schloß die Augen und nickte, woraufhin sie wie unter Schmerzen das Gesicht verzog. „Ich hole eins.“ bot Natascha an. „Laß mich kurz los, ok?“ bat Lisa mit leiser Stimme und entzog Sophie vorsichtig ihre Hand. Sophie wehrte sich nicht.


Lisa stand auf und ging zu Richard. „Was machen wir denn jetzt?“ flüsterte sie. Ratlos hob Richard beide Augenbrauen. „Erstmal das Chaos beseitigen. Alles wegräumen, was sie an Vater erinnert. Und vor allem den Alkohol entsorgen.“ Grimmig starrte er auf die leeren Flaschen, die, teils umgekippt, auf den Boden lagen oder standen.


Gemeinsam räumten sie auf, klappten Fotoalben zu, stapelten sie und brachten sie in den Nebenraum. Sammelten die losen Fotos auf, warfen sie in die Kisten zu den anderen und brachten diese ebenfalls weg. Als letztes brachten sie die Flaschen in die Küche und schütteten die Reste in die Spüle.


Als sie fertig waren, lehnte Lisa sich an die Küchenzeile und verbarg das Gesicht in den Händen. „Ich hab wirklich gedacht, sie würde es schaffen.“ schluchzte sie. Unsicher legte Richard einen Arm um ihre Schultern. Als sie sich nicht wehrte, zog er sie an seine Brust und umarmte sie fest. „Lisa, das ist nicht ihr erster Rückfall.“ Er klang sachlich. „Ich weiß.“ weinte Lisa. Trotz allem musste Richard lächeln. Das gerade war Lisa pur…sie glaubte immer daran, dass irgendwann alle gut werden würden…


Später rief Richard ein Taxi, dass Natascha nach Hause brachte, wo hingegen er und Lisa beschlossen, die Nacht bei Sophie zu bleiben.


Während Richard sich mit seinem Laptop in den Sessel zurückzog und versuchte, noch etwas zu arbeiten, legte Lisa sich auf die zweite Couch und eingekuschelt in eine Wolldecke war sie kurz darauf eingeschlafen.


 

(17)


„Du bist doch verrückt, Sophie…!“ begeistert aber auch ein wenig fassungslos sah Lisa auf. David, Richard, Sophie, Kim und sie hatten sich auf Sophies Geheiß hin im Wolfhardts getroffen. Sophie hatte sehr geheimnisvoll getan und – nachdem sie für alle Sekt, bzw. für sich ein Wasser bestellt hatte – an jeden einen schneeweißen Umschlag ausgehändigt. Darin fand jeder ein Ticket für einen Flug nach Formentera.


„Ich lade euch ein.“ verkündete Sophie mit dem ihr eigenen Lächeln, mit dem sie immer aussah wie eine Königin, die gerade ihren größten Triumph feierte. „Eine Woche Formentera. Türkis-blaues Wasser, weiße Sandstrände…“ „Und Ibiza ist nur einen Katzensprung entfernt!“ jubelte Kim. Sophie verdrehte die Augen, David hingegen lachte.


Formentera war eine wunderschöne, aber absolut ereignislose Insel. Klar, dass Kim sofort daran dachte, nach Ibiza auszuwandern, das wirklich ganz in der Nähe lag. „Meinetwegen kannst du auch abends nach Ibiza abhauen.“ maulte Sophie gönnerhaft, aber etwas beleidigt, woraufhin Kim ihr um den Hals fiel und sie auf die Wange küsste. „Danke, Sophie, das wird so genial!“


„Aber das können wir doch nicht annehmen…“ lehnte Lisa höflich ab. Sophie legte lächelnd eine Hand auf ihre. „Gerade von dir will ich so was nicht hören!“ Beschwörend sah sie Lisa an. „Wenn du nicht gewesen wärst…du hast mir so sehr geholfen die letzten Tage.“ Sophies Lächeln verschwand und sie musste schlucken bei der Erinnerung daran, wie schrecklich sie sich nach ihrem Rückfall gefühlt hatte. Die ersten Tage danach waren ein Kraftakt an Selbstbeherrschung für sie gewesen, nicht wieder zur Flasche zu greifen, bei dem vor allem Lisa sie unterstützt hatte, wo sie konnte.


„Und bevor ich den Entzug in der Klinik antrete, möchte ich mit euch noch einmal eine richtig schöne Zeit erleben.“ sagte sie dann mit fester Stimme und erhob ihr Glas. Alle taten es ihr gleich. „Auf eine wunderbare Zeit auf Formentera!“ sprach Sophie den Toast und alle stießen mit ihr an.



2 Wochen später war es soweit. Sophie hatte eine große Finka gebucht, die hoch oben auf einem Hügel lag, von dem man einen wunderbaren Meerblick hatte. Zu der Finka gehörte eine riesige Terrasse, in deren Mitte ein großer Pool lag – ganz zu Kims Freude. Diese redete schon seit Tagen von nichts anderem mehr, als abends durch die Clubs auf Ibiza zu tingeln.


Sophie und David, die sich seit Lauras und Friedrichs Auswanderung für Kim verantwortlich fühlten, hatten ihr jedoch klar gemacht, dass sie nur in Begleitung rüber nach Ibiza fahren durfte. David hatte sich bereit erklärt, diesen „Job“ zu übernehmen. Weder Richard noch Lisa waren Discogänger, fielen also per se aus. Kim konnte mit diesem Arrangement gut leben.


Lisa hingegen fragte sich zunehmend, wie sie damit klarkommen würde, nicht nur mit Richard eine ganze Woche unter einem Dach zu leben, sondern auch, wie sie gleichzeitig ihre Gefühle weiterhin vor David verbergen sollte. Somit war sie nicht ganz so aufgedreht wie die anderen – bis auf Richard, der wie immer cool blieb – als sie auf dem Flughafen von Ibiza auf ihr Gepäck warteten.


Da Formentera selbst keinen Flughafen hatte, hatten sie auf Ibiza landen müssen und würden mit einer Fähre übersetzen.


Die Finka war ein Traum und bot für sie alle mehr als genug Platz. Das Wetter hätte kaum besser sein können – wolkenloser Himmel und 30°. Lisa war mehr als dankbar für den Pool, denn bis zum Meer war es doch eine ganz schöne Strecke.


Kim hatte vorgeschlagen, zu grillen, weshalb sie Richard und David mit dem Mietwagen ins Dorf geschickt hatten, um alles Notwendige zu besorgen, während die Frauen sich in Badeklamotten an den Pool legten. Sophie trug einen Badeanzug, hatte ein Tuch um ihre Hüften geschlungen und trug einen riesigen, mondänen Sonnenhut. Sie sah aus wie eine Filmdiva aus dem alten Hollywood. Kim und Lisa hingegen trugen Bikinis, obgleich Kims ungleich knapper ausfiel als Lisas.


Gegen die brennende Sonne hatten sie mehrere Sonnenschirme aufgestellt und Lisa seufzte wohlig, als sie sich auf der Liege ausstreckte und die Augen schloß. Sie war schon halb weggedöst, als sie Davids Stimme hörte: „Wir sind wieder da!“


Schwer bepackt kamen die Männer auf die Terrasse. David hatte mehrere Einkaufstüten dabei und trug einen Sack Holzkohle, während Richard einen fahrbaren Grill hinter sich herzog. Lisa öffnete schläfrig halb die Augen, als die beiden an ihrer Liege vorbeigingen. Richard sah zu ihr hinüber und stolperte im gleichen Moment über seine eigenen Füße. Lisa verkniff sich ein Grinsen. Sie hatte genau gesehen, wie sein Blick über ihren Körper gewandert war, bevor er sich selbst ein Bein gestellt hatte. Sie beschloß, so zu tun, als habe sie nichts bemerkt und schloß wieder die Augen.


„Ok, die Kohle glüht.“ verkündete David ein paar Minuten später. Lisa stand auf und ging einige Schritte auf ihn zu. „Ich decke mal lieber den Tisch, bevor Richard noch alles Geschirr verdeppert, weil er nicht geradeaus gehen kann.“ grinste sie und warf Richard einen Blick zu. Dieser murmelte etwas Unverständliches, aber nicht gerade Begeistertes und trollte sich in Haus. Lisa folgte ihm grinsend.


Im Haus fand sie ihn in der Küche, wie er sich mit dem Rücken zur Terrassentür mit einer Hand auf der Arbeitsplatte abstützte. Scheinbar war er in Gedanken versunken, weshalb Lisa sich ihm leise näherte. Ohne ihn anzusprechen ging sie an ihm vorbei. Der Geschirrschrank, an den sie musste, lag direkt vor ihm. Lisa spürte förmlich seine Blicke im Rücken, als sie sich streckte, um an die Teller zu kommen, die im obersten Regal lagen.


„Warte, ich helf dir.“ sagte er leise und kam zu ihr. Richard, der um einiges größer als sie war, kam locker an die Teller und reichte ihr 5 Stück herunter. „Danke.“ Strahlend lächelte sie ihn an. Richard erwiderte ihren Blick ungewöhnlich bedrückt. Ein, zwei Sekunden sah er ihr in die Augen, dann trat er einen Schritt zurück. „Ich zieh mir mal was Luftigeres an.“ murmelte er und verschwand mit gesenktem Blick.


Lisa sah ihm kurz nach. Als er schon fast den Raum verlassen hatte, rief sie ihn: „Ach, Richard?“ Er blieb stehen, drehte sich jedoch nicht um. „Die Kette….“ sprach Lisa weiter. „Hast du sie noch?“ Langsam wandte Richard sich ihr zu. „In meiner Kommode.“ antwortete er mit ausdruckslosem Gesicht und ging voraus.


Lisa folgte ihm zu seinem Zimmer. Er drehte sich nicht einmal zu ihr um, auch nicht, als er das Zimmer betrat, die Tür weit offen ließ und zu der Kommode ging. Richard zog eine der beiden Schubladen auf und holte die lange, goldene Kette mit dem Herz-Medallion heraus.


Lisa, die bislang in der Tür gestanden hatte, kam nun zu ihm. Er sah ihr nicht in die Augen, als er ihr die Kette umlegte. Die Kette fiel zwischen ihren Brüsten hindurch auf ihren Bauch, der Anhänger lag auf Höhe ihres Bauchnabels. Lisa sah, wie Richard schluckte, während er auf den Anhänger sah. Dann hob er den Blick und sah ihr in die Augen.


Sein Blick nahm sie gefangen. Mit Herzklopfen stand sie da, unfähig, sich von ihm zu lösen und versank förmlich in seinen Augen. Sekunden waren wie Minuten, Ewigkeiten schienen vergangen zu sein, als David sie aus der Küche rief. „Lisa, hilfst du mir mal?“


Sofort, als Lisa unwillkürlich den Blick abwandte, drehte Richard sich um, ging aus der Tür und kurz darauf hörte sie die Haustür klappen. „Ich komme!“ rief sie ihrem Mann zu, nahm der Herz-Medallion in die Hand und ging nachdenklich zurück in die Küche.

(18)


Richard war erst nach etwa einer Stunde zurückgekehrt, hatte sich beim Grillen möglichst weit weg von Lisa gesetzt und kaum ein Wort gesprochen. Nicht einmal hatte er sie angesehen und Lisas Laune sank von Minute zu Minute. Jedes Mal, wenn sie glaubte, ihm ein kleines Stück näher gekommen zu sein, zog er sich daraufhin nur noch weiter von ihr zurück.


Es war noch früher Abend, als Richard Kim überraschend anbot, mir ihr nach Sylt überzusetzen. Diese war natürlich hellauf begeistert und nachdem diese sich schnell umgezogen hatte, waren die beiden auch schon weg.


David und Lisa blieben bis nach Mitternacht mit Sophie auf der Terrasse sitzen. Es wurde kaum kühler, der Himmel war sternenklar und die Grillen zirpten. Es hätte alles wunderschön sein können, doch Lisa fühlte sich erbärmlich.



Die nächsten Tage wurde es nicht besser. Richard unternahm viel mit Kim, die beiden waren mehr auf Ibiza als auf Formentera, auch tagsüber. Das Partyleben auf Ibiza kam auch tags nicht zum Stillstand, ganz im Gegensatz Formentera, das die Ruhe selbst war. Für Sophie war es ideal, sie konnte sich ganz auf ihren bevorstehenden Entzug einstellen. Lisa hingegen konnte diesem Urlaub immer weniger Erfreuliches abgewinnen.

Am vorletzten Tag erinnerte Kim ihren Bruder David eindringlich an sein Versprechen – bislang war er nicht einmal mit ihr auf Ibiza gewesen. Sophie wollte sich ihnen an diesem Abend sogar anschließen, jedoch nicht, um sich mit ihnen ins Nachtleben zu stürzen, sondern um eine alte Freundin zu treffen und mit ihr essen zu gehen. Alle drei würden auf Ibiza übernachten und erst am nächsten Morgen zurückkehren.


Lisa konnte sich nicht dagegen wehren, dass die Aussicht, den Abend und die Nacht allein mit Richard im Haus zu sein, sie total kribbelig machte. Sophie, David und Kim wollten gegen 18 Uhr losziehen und die Zeit bis dahin erschien Lisa unendlich. Den Tag verbrachte sie am Pool, versuchte zu lesen, konnte sich jedoch nicht konzentrieren. Richard war schon morgens verschwunden, sie hatte keine Ahnung, wohin und warum. Sie hoffte bloß, dass er am Abend wieder da sein würde.


Kim zog sich mindestens fünf Mal um und langsam aber sicher hatte Lisa Lust, ihr den Hals umzudrehen. Sie ging noch mit bis zum Leihwagen, verabschiedete alle gutgelaunt und war erleichtert, als die Drei endlich losfuhren. Als sie dem Wagen hinterher winkte, sah sie Richard den Weg hochkommen.




Dieser zog es jedoch zunächst vor, sie weiterhin zu ignorieren. Während Lisa sich wieder auf die Terrasse setze und zumindest so tat, als würde sie lesen, war von ihm nichts zu sehen. Er war irgendwo im Haus verschwunden und dort geblieben.


Lisa seufzte frustriert, klappte das Buch zu und ging ebenfalls wieder rein, jedoch nur, um sich in ihrem Zimmer den Bikini anzuziehen. Wenn Richard sich schon nicht blicken ließ, wollte sie wenigstens eine Runde schwimmen.


Kaum hatte sie die ersten Runden im Pool gedreht, kam Richard endlich hinaus auf die Terrasse – er telefonierte mit seinem Handy. Lisa schwamm zu der kleinen Leiter und war sich ihrer Wirkung bewusst, als sie sich langsam aus dem Wasser zog und die Leiter hinaufkletterte. Das Wasser perlte an ihr ab, die Tropfen glitzerten in der Sonne. Lisa wandte das Gesicht der Sonne zu und schloß die Augen, als sie den Kopf in den Nacken legte, um was Wasser aus ihren Haaren zu drücken.


Richard war einige Meter von ihr stehengeblieben und hatte sie beobachtet, während er weiter telefonierte. Lisa lächelte fast unmerklich, ging zu der kleinen Mauer, die die Terrasse umrandete, setzte sich, streckte ihre langen Beine aus, stütze sich nach hinten ab, legte den Kopf in den Nacken und schloß die Augen.


Da Richard weiter telefonierte, hörte sie ihn näher kommen. Zu ihrer Überraschung setzte er sich direkt neben sie. Lisa ließ die Augen geschlossen und lauschte mit klopfendem Herzen seinem Gespräch. Aus dem, was Richard sagte, ging es um irgendetwas Geschäftliches, was Lisa gerade überhaupt nicht interessierte.


Lisa öffnete die Augen und tat so, als sehe sie über die Landschaft hinaus. Tatsächlich war sie sich Richards Gegenwart mehr als bewusst. Während er mit dem Unbekannten am anderen Ende der Leitung sprach, legte Richard plötzlich eine Hand auf Lisas Oberschenkel, ohne sie anzusehen. Lisa war überrascht, wollte ihn ansehen, doch als sie eine Welle von Emotionen überrollte, schloß sie die Augen. Ein unmißverständliches Gefühl schoß in ihren Schoß, das nur noch heftiger wurde, als Richard begann, sie lediglich mit dem Daumen zu  streicheln.


Langsam drehte Lisa den Kopf. Sie hatte Angst, Richard in die Augen zu sehen, aber sie mußte wissen, was in ihm vorging. Richard jedoch sah stur geradeaus, während er weiter in sein Handy sprach.

'Soll ich aufstehen und gehen...? Den Körperkontakt unterbrechen? Ja, das sollte ich....' überlegte Lisa, doch ihr war klar, dass sie der Stimme der Vernunft nicht folgen würde. Zu gut tat es, dass Richard sie berühte, ihr die Zuwendung zukommen ließ, nach der sie sich schon so lange sehnte. Lisa wandte den Blick wieder ab. Im gleichen Moment ließ Richard seine Hand höher wandern. In Lisa fiel alles durcheinander.

Es fühlte sich so gut an....sie wollte mehr. Gleichzeitig war sie erschrocken über sein forsches Vorgehen und fragte sich, ob er sie nicht bloß testete, darauf wartete, dass sie als treue Ehefrau und Frau seines Bruders das Ganze unterbinden, aufstehen und gehen würde. Doch noch bevor Lisa sich über irgendetwas klar werden konnte, stand Richard plötzlich auf und ging einige Schritte über die Terrasse zu der Mauer, die diese umgrenzte.

Eine kurze Weile drehte er ihr den Rücken zu, dann drehte er sich - immer noch telefonierend - zu ihr um und sah ihr direkt in die Augen. Lisa erwiderte seinen Blick. Sekundenlang. Minutenlang, wie es ihr schien. Ihr Herz klopfte bis zum Hals. Immer noch meinte sie, Richards Hand auf ihrer Haut spüren zu können und das Kribbeln, das er in ihr ausgelöst hatte. Dieses war noch immer nicht verklungen. Schließlich wurde es Lisa zuviel. Sie drehte den Kopf weg, stand von dem Mäuerchen auf und ging eiligen Schrittes ins Haus.


Von der Terrasse kam man direkt in die Küche. Lisa steuerte den Kühlschrank an, nahm eine Flasche eiskaltes Wasser heraus und trank ohne Glas. Mit zittrigen Händen stellte sie die Flasche auf dem Tisch in der Mitte des Raumes ab und stützte sich mit beiden Händen auf die Tischkante. Geschafft schloß sie die Augen. In ihr war alles in Aufruhr. Sie wußte, sie durfte sich erst gar nicht auf die Sache einlassen, nicht mal in Gedanken. Es war falsch, sich nach ihm zu sehnen, darauf zu hoffen, das er irgendetwas tun oder sagen würde, dass ihr zeigte, dass sie ihm etwas bedeutete, dass er sich ebenso nach ihr sehnte, wie sie sich nach ihm.

Es war falsch, es war unvernünftig und doch konnte sie nicht anders. Auch, wenn es ihr die meiste Zeit schlecht damit ging. Die Momente, wo sie glaubte, ihr Sehnen würde erhört, waren all das wert. Wenn Richard ihr auf diese besondere Art und Weise in die Augen sah, wenn er sie wie zufällig berührte....dann war sie so glücklich, beinahe high. Sie war süchtig nach diesem Gefühl, wollte es immer und immer wieder spüren. Doch der Katzenjammer, wenn sie es nicht bekam, war die Hölle.

Lisas Kopf fuhr herum, als sie Schritte hörte. Richard trat durch die Terrassentür und kam langsam auf sie zu. Offensichtlich hatte er sein Telefonat endlich beendet. Ruckartig beendete Lisa den Augenkontakt und ging zurück zum Kühlschrank, um die Flasche hineinzustellen. Als sie die Tür schloß und sich umdrehte, stand Richard direkt hinter ihr. Der Blick, mit dem er sie ansah, war an Intensität nicht zu übertreffen, doch sein Gesicht zeigte keinerlei Regung.

Er kam noch einen Schritt näher, stand nun so dicht vor Lisa, dass sie die Härte an ihren Oberschenkel spürte. Ein erneutes Kribbeln durchlief Lisa. Zögerlich hob sie den Blick, um ihn anzusehen und öffnete leicht den Mund. Die Spannung, die zwischen ihnen lag, war greifbar. "Haben wir noch was zu trinken?" fragte Richard leise und der heisere Klang seiner Stimme jagdte Lisa einen Schauer über den Rücken. "Ich brauche dringend eine Abkühlung....die Hitze bringt mich noch um." Lisa war unfähig, den Blick von ihm abzuwenden und schluckte. "J...ja....im Kühlschrank, Moment."

Sie drehte sich erneut um und öffnete den Kühlschrank. Gerade, als sie die Flasche zur Hand genommen hatte, spürte sie, wie Richard sich von hinten leicht an sie schmiegte. Zittrig schloß sie die Augen, als sie seine Erregung an ihrem Po spürte. Er griff über ihre Schulter und nahm ihr die Flasche ab. "Danke." Sein Atem streifte Lisas Ohr.

Sie wagte es nicht, sich zu rühren, während Richard die Flasche mit einem Zischen öffnete und trank. Immer noch spürte sie deutlich, was mit ihm los war. Er griff wieder über ihre Schulter und stellte die Flasche zurück in den Kühlschrank, wobei er sich unwillkürlich dichter an sie schmiegte. Es war alles wie zufällig, doch natürlich war es das nicht.

Ohne ein weiteres Wort drehte Richard sich danach um und ging, während Lisa wie erstarrt am Kühlschrank stehen blieb. Ihr Herz schlug wie verrückt, ihr ganzer Körper war in Aufruhr, sehnte sich danach, dass er zurückkommen und sie berühren würde, sie streicheln, küssen, überall. Doch Lisa wußte, dass nichts dergleichen passieren würde und dass dies auch nur vernünftig war. Die Verzweiflung schnürte ihr den Hals zu und am liebsten hätte sie sich hier und jetzt auf den Boden sinken lassen, um einfach nur zu heulen.


 

 

(19)

Lisa wusste nicht mehr, wie lange sie noch wie versteinert in der Küche gestanden hatte, unfähig sich zu rühren. Doch irgendwann hatte sie sich von ihren Gedanken losgerissen und war in ihr Zimmer gegangen, um sich einen kurzen Rock sowie ein Top zu holen. Beides zog sie einfach über den Bikini an.

Dann kehrte sie in die Küche zurück. Ihr Magen meldete sich bereits vernehmlich. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass fast eine Stunde vergangen war seit ihrer Begegnung mit Richard.



Der Geruch von Essen hatte Richard wohl in die Küche gelockt. Lisa hatte Spaghetti Carbonara gemacht und war gerade dabei, den Tisch zu decken, als sie hörte, wie Richard in die Küche kam. Lisa drehte sich um und wollte ihn mit einem gespielt unbefangenen "Ich wollte dich gerade rufen!" begrüßen, doch dieses blieb ihr im Halse stecken.

Richard trug ausnahmsweise keinen Anzug. Er hatte Jeans an, war barfuß und trug ein weißes Hemd, das ganz aufgeknöpft war. Offenbar hatte er geduscht, denn auf seiner Brust glänzten noch einzelne Wassertropfen. Sein feuchtes Haar hatte er nur mit den Fingern zurückgestrichen. Eine Brise seines Duschgels streifte Lisas Nase.

Gentlemanlike überging er es, dass Lisa ihn völlig verdattert anstarrte, zwei Teller in der Hand haltend. "Darf ich was mit essen?" fragte er lächelnd und kam näher. Lisa drehte sich um und legte die Teller endlich auf den Tisch. "Ja....natürlich. Setz dich." forderte sie ihn auf, während sie zurück zum Herd ging. Mit einer Schale voller Spaghetti und einem Topf Carbonara-Soße kehrte sie zurück.

Das Essen verlief schweigend. Es war kein unangenehmes Schweigen und doch lag wieder ein Hauch dieser Spannung vom Mittag in der Luft. "Hat's dir geschmeckt?" fragte Lisa lächelnd, als Richard schließlich sein Besteck in den Teller legte. "Ja." Er sah sie an und lächelte. "Dir offensichtlich auch." schmunzelte er, woraufhin Lisa  die Stirn runzelte. Richard beugte sich vor und strich sanft mit seinem Zeigefinger über ihre linke Oberlippe. "Du hast da noch Soße." lachte er und schleckte seinen Finger ab. "Oh." Verlegen senkte Lisa den Blick. Wenn er doch wenigstens das Hemd endlich zuknöpfen würde...

Nervös griff sie nach ihrem Wasserglas und trank einen Schluck. Sie wagte es nicht, Richard anzusehen, als sie das Glas absetzte. Stattdessen legte sie beide Hand flach daneben und fixierte ihre Finger. Sanft legte Richard seine Hand auf ihre, umgriff ihre Finger mit seinen und streichelte mit dem Daumen ihre Handinnenfläche. Lisa spürte, dass er sie ansah, hielt den Blick gesenkt. "Wir sollten das nicht tun, Richard." flüsterte sie tonlos. "Ich weiß." kam es ebenso leise zurück. Er streichelte immer noch ihre Hand. "Und ich habe so lange versucht, mich dagegen zu wehren, mich von dir fernzuhalten....aber immer, wenn du was zu mir sagst, kann ich nur eins denken: Dieses Blau....dieses Blau ihrer Augen ist der Wahnsinn." Seine leisen Worte fanden ihren Weg zu Lisas Herz und rührten sie in ihrem Innersten. Langsam sah sie auf, lächelte, mit Tränen in den Augen. Sie spürte, dass Richard es genauso meinte, wie er es sagte, dass auch er ein Gefangener seiner Gefühle war, sich ebenso zu ihr hingezogen fühlte, wie sie zu ihm.

Sein Blick versank in ihrem, las darin alles, was auch er empfand: Liebe, Sehnsucht, Zärtlichkeit. Er lächelte stumm und hielt ihren Blick fest, Ewigkeiten, wie es ihm schien. Ihre Hand lag immer noch in seiner, er streichelte ihre Fingerkuppen. Die Stille, die sie umgab, war wie ein Kokon, der sie einhüllte. Es gab in diesem Augenblick nur sie beide...

Ein Donnerschlag ließ Lisa zusammenzucken und den Blickkontakt unterbrechen. Erschrocken sah sie nach draußen und atmete dann erleichtert auf. Richard räusperte sich. Lisa hatte ihm vor Schreck ihre Hand entzogen. "Ich denke, ich werde auf mein Zimmer gehen." sagte er ernüchtert, stand auf und wandte sich zum Gehen.

"Richard!" rief Lisa und ihre Verzweiflung ließ sein Herz schmerzhaft zusammenziehen. Als er sich umdrehte, sah er dieselbe Verzweiflung in ihrem Blick. "Geh jetzt nicht weg." Flehend sah sie ihn an und streckte die Hand nach ihm aus. Richard rang mit sich. Er wußte, er durfte das nicht tun...


Einige Augenblicke sah er sie nur an und Lisa befürchtete schon, dass er wieder vor ihr flüchten und morgen einer dieser Tage sein würde, an denen er auf Abstand ging, total kalt zur ihr war. Doch dann riss Richard sich aus seiner Starre, ging mit forschen Schritten auf sie zu und noch bevor Lisa einen weiteren Gedanken fassen konnte, presste er seine Lippen fordernd auf ihre.


Sein Arm hielt ihre Hüfte fest umschlungen, während er sie küssend rückwärts drängte, sie schließlich an die große Tür des Kühlschranks drückte. Sein Kuss nahm ihr den Atem, sie hatte das Gefühl, eine ganze Armee Ameisen überliefe ihren Körper. Mit verzweifelter Leidenschaft erwiderte sie den Kuss.


Richards freie Hand fuhr ihre Seite hinab, strich über ihren nackten Oberschenkel, griff in ihre Kniekehle und winkelte ihr Bein an. Überdeutlich spürte Lisa seine Erregung und sie musste den Kuss beenden, um nach Luft zu schnappen. „Richard…“ keuchte sie, während er ungestüm die empfindliche Haut ihres Halses küsste, seine Zunge die sensible Stelle hinter ihrem Ohrläppchen fand. Lisas Knie drohten nachzugeben, doch Richards Körper, der sich fest an sie presste, hielt sie fest.


Nur zu gut erinnerte Lisa sich noch daran, wie er auf ihrer Geburtstagsfeier plötzlich abgehauen war. Sie wollte ihm keine Gelegenheit geben, einen klaren Gedanken zu fassen und das zu wiederholen. Eilig griff sie nach der Schnalle seines Gürtels und öffnete diesen. Knopf und Reißverschluss seiner Jeans folgten. Richard hob sie hoch und setzte sie auf der Arbeitsplatte direkt neben dem Kühlschrank wieder ab.


Er sah ihr tief in die Augen, während er seine Hände auf ihre Knie legte und ihre Beine sanft auseinanderdrückte, um sich dazwischen zu stellen. Seine Hände glitten erregend langsam Lisas Beine hinauf und ein Schauer überlief ihren gesamten Körper, sein Blick ließ den ihren nicht los.


Ihr Herz schlug heftig vor Aufregung, als sei es das erste Mal, dass sie einen Mann so berührte. Richard schloß kurz die Augen, als Lisa ihre Hand in seine Boxers gleiten ließ, ihn sanft umfasste. „Tu das nicht…“ sagte er leise mit zusammengepressten Zähnen. Lächelnd zog Lisa sich zurück. Scheinbar fürchtete er um seine Ausdauer – ein Kompliment für sie.


Stattdessen ließ er nun seinerseits seine Hand unter das Röckchen, welches sie über den Bikini angezogen hatte, gleiten. Sein Daumen strich zart über ihre Perle, löste damit ungeahnte Gefühle in Lisa aus. Aufstöhnend schloß sie die Augen. Ihre Hände, die auf seinen Schultern lagen, krallten sich in seine Haut. „Richard, bitte…“ hauchte sie.


Schnell entledigte dieser sich nun endgültig von Jeans und Boxers, schob ihr Bikinihöschen unter dem Rock einfach zur Seite. Als er innehielt, öffnete Lisa die Augen. Ernst sah er sie an. „Willst du wirklich….?“ versicherte er sich noch einmal und Lisa konnte es nicht fassen, dass er angesichts der Situation noch zu solchen Überlegungen fähig war.


„Wag es nicht, es nicht zu tun…“ drohte sie, halb scherzend, halb ernst. Kaum hatte sie ausgesprochen, drang Richard mit einer heftigen Bewegung in sie ein. Obwohl Lisa es herbeigesehnt hatte, kam dies so unvermutet, dass sie aufstöhnend die Augen schloß. Richard legte seine Hände an ihren Po und zog sie so weit es ging auf der Arbeitsplatte nach vorne. Instinktiv schlang Lisa ihre Beine um seine Hüften, während ihre Arme seinen Nacken umschlangen und sie ihren Kopf mit der Stirn auf seiner Schulter ablegte.


Richard bewegte sich schnell und heftig und Lisa spürte schon nach wenigen Stößen, dass sich ihr Höhepunkt bereits anbahnte. Viel länger hätte sie diese süße Folter auch nicht ausgehalten, zu lange sehnte sie sich schon danach, Richard so nahe zu sein.


Sein schwerer Atem streifte ihr Ohr, seine Hände, die auf ihren Oberschenkeln lagen, fassten sie so hart an, dass sie morgen höchstwahrscheinlich blaue Flecke haben würde. Doch das war Lisa nicht nur egal, sie genoss es regelrecht. „Lisa…“ keuchte er und sie ahnte, was das bedeuten sollte. „Komm…“ flüsterte sie, schloß die Augen und krallte sich in seine Haare.

2, 3 Mal stieß er noch tief in sie und stöhnte dann befreit auf. Nach Atem ringend bewegte er sich langsam weiter, bis er spürte, dass auch Lisa zum Höhepunkt kam. Sie gab keinen Ton von sich, doch ihre Fingernägel krallten sich in seinen Nacken und er spürte, wie ihre Muskeln sich rhythmisch um ihn zusammenzogen. Dann erschlaffte sie förmlich in seinen Armen.


Erschöpft aber zufrieden lachte Richard leise. Nun war es also doch passiert…so lange hatte er versucht, es zu verhindern, sich selbst kasteit, um ihr am Ende doch nicht widerstehen zu können…

(21)

 

Am frühen Morgen gegen sechs löste Lisa sich vorsichtig aus Richards Umarmung. Dieser war gerade weggedämmert und brummte unwillig. „Wo willst du hin...“ nuschelte er, ohne die Augen zu öffnen. Lisa mußte lächeln. „Die anderen kommen gleich wieder...“ sagte sie leise und strich sanft über seine Wange.

 

Richard schnappte nach ihrem Handgelenk, öffnete die Augen und zog sie ruckartig zu sich hinunter, um Lisa zu küssen, wobei er sich halb auf sie rollte. „Und wenn ich dich nicht gehen lasse...?“ grinste er. „Dann wird uns wohl irgendwer erwischen...“ prophezeite Lisa ihm und lächelte zurück. Seufzend ließ Richard sich auf den Rücken fallen und sah an die Decke. „Eine Sch*** ist das alles...“

 

Besorgt über seinen Stimmungsumschwung sah Lisa ihn an. „Hey...“ Sie legte sich bäuchlings auf einen Arm gestützt neben ihn und sah ihm ins Gesicht. Richard wandte ihr den Blick zu. „Das wird sich alles klären...“ versprach sie. Richard griff nach ihrer Hand und führte sie an seine Lippen. „Versprochen?“ Lisa lächelte und nickte. „Ja. Hab noch ein bißchen Geduld, ok?“

 

Richard griff nach einer ihrer Haarsträhnen und wickelte sie um seinen Finger. „Das wird mir schwer fallen....du wirst mir die Wartezeit wohl versüßen müssen.“ grinste er. Lisa küsste ihn noch mal kurz auf die Lippen. „Das mach ich. Aber jetzt laß mich gehen, ok?“ „Ungern...“ knurrte Richard, während er zusah, wie Lisa nackt aus dem Bett stieg. Diese raffte ihre Kleider vom Boden zusammen und ging zur Tür. Bevor sie ging, lächelte sie ihm noch einmal zu und Richard antwortete mit einem Zwinkern.

 

 

In ihrem Zimmer warf Lisa die Kleider aufs Bett und weiter ins Bad, wo sie ausführlich duschte. Sie war müde, schließlich hatte sie letzte Nacht kaum geschlafen. Und auch in den nächsten Stunden würde sie kaum dazu kommen. Wenn die anderen gleich wiederkämen, hieß es Koffer packen. In ein paar Stunden ging ihre Maschine Richtung Deutschland.

 

Lisas Stimmung sank weiter bei dem Gedanken, zu Hause nicht mehr mit Richard unter einem Dach zu wohnen. Sie konnte sich gar nicht mehr vorstellen, ihm nicht schon morgens beim Frühstück zu begegnen und ihm im Laufe des Tages immer wieder über den Weg zu laufen. Ok, sie würden sich unter der Woche jeden Tag bei Kerima sehen, aber das war etwas völlig anderes.

 

Sie war gerade fertig angezogen, als sie die anderen ins Haus kommen hörte. Lisa legte sich noch Richards Kette um und ging dann auf den Flur. Überrascht sah David sie an. „Lisa, hallo – du bist ja schon wach...?“ Lächelnd ging sie zu ihm. „Ja, ich muß noch Koffer packen.“ erklärte sie und küsste ihn kurz. „Wie war's auf Ibiza?“ fragte sie Kim. Diese wandte ruckartig den Blick ab. „Gut. Bestens.“

 

Lisa runzelte die Stirn und sah von Kim fragend zu ihrem Mann. Dieser verzog den Mund und zuckte mit den Achseln. „Ok...“ meinte Lisa nur gedehnt und verbuchte es unter Kims Launen.

 

Lisa umarmte noch Sophie, küsste sie auf die Wange und ging dann wieder in ihr Zimmer, um zu packen, während David, Kim und Sophie in die Küche gingen, um zu frühstücken. Kurz darauf stellte Lisa ihren Koffer im Flur ab und ging ebenfalls in die Küche, um zumindest einen Kaffee zu trinken.

 

Kim saß muffelig am Tisch, den Kopf schräg in eine Hand gestützt und rührte lustlos in ihrem Cappuccino. „Na, Kim, eine harte Nacht gehabt?“ scherzte Lisa. Kim sah erschrocken auf, brummte dann aber nur ein „hmmm...“, stand auf und ging mit ihrer Tasse von der offenen Küche ins Wohnzimmer, wo sie sich auf die Couch fletzte und die Beine anzog.

 

Fragend sah Lisa Sophie an, die ebenso wie David zuvor nur ratlos mit den Achseln zuckte. Durch die Terrassentür sah sie David telefonierend auf der Terrasse stehen, als sie zur Küchenzeile ging, um sie ebenfalls einen Cappuccino zu machen. Während Lisa darauf wartete, dass das Wasser im Kocher heiß wurde, kam Richard ebenfalls in die Küche. Er trug Jeans, T-Shirt und seine Haare standen ihm wirr vom Kopf ab. Insgesamt sah er ziemlich zerstört aus. Lisa grinste, während er auf den Tisch zuschlurfte und sich den Nacken rieb. „Morgen, Mutter.“ murmelte er und ließ sich müde auf einen der Stühle sinken.

 

Diese sah ihn forschend an. „Was ist denn mit dir los...?“ fragte sie verwundert. Richard brummte, wie zuvor seine Halbschwester und griff nach einem Brötchen. „Schlecht geschlafen...fast gar nicht.“ murmelte er.

 

Mit ihrem Cappuccino in der Hand ging Lisa hinter Richards Stuhl her. „Coole Frisur, Schwager!“ lachte sie und wuschelte ihm durch die Haare. Richard sah ihr schmunzelnd hinterher und bemerkte nicht den irritierten Blick seiner Mutter. Bisher war das Verhältnis der beiden ja eher unterkühlt gewesen. Diesen locker flockigen und scherzhaften Umgang erlebte Sophie zum allerersten Mal zwischen den beiden. Nachdenklich sah sie Lisa nach, die raus auf die Terrasse ging, um ein letztes Mal die Sonne zu genießen.

 

Sophie beugte sich vertraulich zu Richard vor. „Habt ihr euch endlich versöhnt?“ fragte sie halblaut. Richard, der sich gerade ein Brötchen aufschnitt, sah fragend halb auf. „Hatten wir Streit....?“ Sophie drehte ungeduldig den Kopf weg. „Du weißt, was ich meine – ihr ward immer wie Hund und Katze und jetzt...?“ Richard lächelte seine Mutter an. „Wir haben uns gestern lange unterhalten.“ deutete er an.

 

Lächelnd legte Sophie eine Hand auf die ihres Sohnes. „Das freut mich.“ Richard legte seine freie Hand noch auf die seiner Mutter und tätschelte diese, während er das Lächeln erwiderte.

 

 


 


 

 

 
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