Richard und Sophie von Brahmberg Fanpage
  Eine Woche auf Sylt II KFF
 
Sie waren ca. eine halbe Stunde in der Luft, als ihr Handy per sms den Eingang einer neuen E-Mail vermeldete. Froh über die Ablenkung holte Lisa ihr Laptop aus dem Handgepäck. David und Louis sahen sich einen der Filme an, beide trugen Kopfhörer. Ob ihrer Flugangst hätte Lisa sich sowieso nicht darauf konzentrieren können.

Als sie die E-Mail aufrief, sagte ihr der Absender nichts, aber das war nichts Ungewöhnliches, schließlich war das ihre Firmen-Mailadresse. Verwirrt runzelte sie die Stirn, als sie den Text las:

„Lisa, wir müssen reden. Bitte, melde Dich bei mir. Es ist wirklich wichtig. Richard.“

Richard…? Ruckartig wandte Lisa den Blick von dem kleinen Bildschirm ab und sah aus dem Fenster. Dann war er es also doch gewesen, eben, in der Halle des Flughafens. ‚Natürlich ist er es gewesen!’ schimpfte ihre innere Stimme mit ihr. ‚Du willst dir nur einreden, er sei es nicht gewesen, um dich nicht damit befassen zu müssen.’

Gequält schloß Lisa die Augen. Das stimmte….sie wollte nicht daran denken. Es hatte sie nach dieser Nacht viele Tränen, Kraft und schwierige Entscheidungen gekostet, ihr Leben wieder in geordnete Bahnen zu bringen. Lisa sah nach links, zu David und Louis. Beide waren von der Handlung des Films völlig gefesselt. Sie lächelte. Alles lief gut. Ihr Leben war ruhig und nett. Und so sollte es auch bleiben.

Entschlossen löschte Lisa Richards Mail…



Sie antwortete nicht. Nach über einer Woche ohne eine Reaktion musste Richard einsehen, dass Lisa sich nicht bei ihm melden würde.

Immer wieder musste er daran denken, wie sie ihn auf dem Flughafen angesehen hatte. Da war nicht nur Erstaunen, ihn wiederzusehen, in ihrem Blick gewesen, er hatte auch deutlich den Schmerz darin erkannt.

Was hieß das…? Schmerzte sie die Erinnerung an damals, weil es ihr auch noch etwas bedeutete? Oder sah sie es als riesigen Fehler, an den er sie nun erinnert hatte? Meldete sie sich deshalb nicht?

Richard seufzte, fuhr sich durch die Haare und trank den Rest seines Whiskeys auf ex. Er war noch in seinem Büro in der City von Los Angeles. Die meisten seiner Kollegen hatten schon Feierabend gemacht, doch Richard war noch da und stand nachdenklich am Fenster. Sie befanden sich in der 23. Etage und normalerweise half ihm der Ausblick über die Stadt, seine Gedanken zu ordnen, aber hier nicht.

Der Gedanke an Lisa ließ ihn seit ihrer zufälligen Begegnung nicht mehr los. Er hatte sie die letzten 11 Jahre nicht vergessen können, doch jetzt dachte er praktisch jede Minute an sie. Sie und Louis, der vielleicht sein Sohn war. Allein wegen des Jungen konnte er jetzt nicht aufgeben. Er musste Klarheit haben!

Richard sah kurz auf die Uhr und ging dann zu seinem Schreibtisch, um zu telefonieren. Er wählte eine Berliner Nummer.

„Thomas, Richard hier. Sag mal, hast du noch ein paar von meinen Visitenkarten…?.....Gut, du musst mir einen Gefallen tun. Es soll auch nicht dein Schaden sein….Du gehst mit einer meiner Karten zu Kerima Moda am Potsdamer Platz. Gib sie Lisa Seidel, aber nur Lisa Seidel! Nicht ihrer Assistentin und schon gar nicht ihrem Mann! Sag ihr, sie muß sich unbedingt bei mir melden, egal wie. ….. Danke, Thomas. Ich werde mich erkenntlich zeigen.“

Zufrieden legte Richard auf, lehnte sich zurück und zündete sich ein Zigarello an. Jetzt hieß es wieder abwarten…


Eine Tage darauf bei Kerima Moda: Lisa wartete gerade im Erdgeschoß auf den Aufzug, als sie angesprochen wurde: „Frau Seidel?“ Mit fragendem Blick drehte Lisa sich um, doch der Mann, der hinter ihr stand und sie nun freundlich anlächelte, war ihr vollkommen unbekannt. „Ja bitte?“

Der Unbekannte griff in die Innentasche seines Jacketts und zog eine Visitenkarte heraus. „Ich soll ihnen diese überreichen mit der dringlichen Bitte, sich bei Herrn von Brahmberg zu melden.“ Der Mann lächelte so freundlich, dass Lisa aus Reflex die Karte annahm, obwohl sie Ernüchterung verspürte, als er Richards Namen genannt hatte.

Es war eine Firmenvisitenkarte von einer Firma aus Los Angeles, USA. Richard von Brahmberg, Sales-Manager. Darunter standen Fon- und Faxnummer sowie eine E-Mail-Adresse. „Ich empfehle mich!“ riß der Mann sie aus ihren Gedanken und Lisa sah von der Karte auf. Der Fremde lächelte ihr noch einmal zu, drehte sich um und ging. Im gleichen Moment kam der Aufzug und Lisa stieg ein.

Zugegebenermaßen war sie durcheinander. In den USA also war er….Los Angeles. Lisa spürte, wie Enttäuschung und Trauer von ihr Besitz ergriffen. Also hatte er damals nicht nur das Haus, nicht nur die Insel, nein, gleich das ganze Land, den Kontinent verlassen. „So weit wie möglich weg…“ murmelte sie verletzt. „Und jetzt fällt es dir ein, dass du dich doch mal wieder in mein Leben einmischen könntest. Vergiss es, Richard von Brahmberg!“

Entschieden, Richard umgehend wieder zu vergessen, schob Lisa die Karte in die Tasche ihres Jacketts und stieg in der 13. Etage aus.


Er hatte sich in ihre Gedanken geschlichen, ohne, dass Lisa es wollte. Im Gegenteil, sie hatte sich dagegen gewehrt, wollte sich ihr Leben von ihm nicht noch einmal durcheinander bringen lassen. Tagsüber lenkte sie sich mit Arbeit ab, zu Hause nahm sie meist Louis in Beschlag, doch nachts träumte sie von ihm. „Ich möchte mit dir schlafen…“ flüsterte Richard ihr ins Ohr und Lisa hörte ihn wie aus weiter Ferne. Unfähig, etwas zu sagen, nickte sie bloß. Ja. Sie wollte es. Hier und jetzt. 
Morgens wurde sie wie gerädert wach. Oft spürte sie beim Hinübergleiten von Traum zu Wach immer noch die Erregung, die selbst die traumhafte Erinnerung noch in ihr auslöste. Und immer wieder durchlebte sie dieselbe Szene – sie drehte sich um, in der Erwartung. Richard neben sich liegen zu sehen, doch er war nicht da.
Statt dessen lag David neben ihr und sie fühlte sich genau wie damals auf Sylt: Kalt. Verlassen. Einsam. Traurig.
Die Nächte des schlechten schlafens hinterließen langsam aber sicher ihre Spuren in Lisas Gesicht, die sie mit Make-Up zu vertuschen versuchte. Wenn David sie darauf ansprach, redete sie sich mit Streß heraus. Zum Glück stand ja bald ihr Urlaub an.
Louis, der begeisterter Cart-Fahrer war, würde mit David zuerst in ein einwöchiges Cart-Trainings-Camp fahren. Lisa hingegen wollte nach Sylt vorfahren, wohin David und Louis  ihr in einer Woche folgen würden. Sie sehnte sich nach der Ruhe der Insel, hoffte, dass sie ohne ihre Familie ihr Gefühlsleben endlich wieder in den Griff bekommen würde. Wenn David in ihrer Nähe war, plagte sie so sehr das schlechte Gewissen, dass sie sich kaum erlaubte, darüber nachzudenken, wie es weitergehen sollte. 
Und eigentlich war das ja auch klar: Sie musste aufhören, ständig an Richard zu denken und einfach weiterleben wie bisher. Es war doch auch all die Jahre ohne ihn gegangen.
Lisa schluckte unwillkürlich, als sie an die erste Zeit ohne ihn dachte. Sie hatte gedacht, sie würde es nicht überleben, viel zu viel war auf sie eingestürmt, alles war verletzend gewesen und einzig der Gedanke, für ihr Kind weitermachen zu müssen, dieses gar nicht erst in Frage zu stellen, hatte ihr damals die Kraft gegeben zu tun, was sie für nötig hielt. Auch wenn sie bis heute ihr Gewissen deswegen quälte…

Irgendwie robbte Lisa sich über die letzten Arbeitstage, bis sie endlich ihre Koffer packen und nach Sylt fahren konnte. Louis fiel der Abschied von seiner Mutter nicht allzu schwer, viel zu aufgeregt war er, eine ganze Woche lang jeden Tag stundenlang Cartfahren zu können.
Das Haus war immer noch so, wie Lisa es in Erinnerung hatte. Als sie vor der Tür stand, genau wie damals, mit einem Koffer in der Hand  und einem Gefühlsleben, das völlig in Aufruhr war, war sie sich plötzlich nicht mehr sicher, ob es wirklich eine gute Idee war, ausgerechnet hier her zu fahren. Aber der Urlaub war schon lange geplant, lange, bevor Richard so unvermutet wieder in ihr Leben gestolpert war.
‚Er ist ja weit weg in den Staaten.’ dachte Lisa, als sie den Schlüssel ins Schloß steckte und aufschloß. Sie ertappte sich dabei, dass sie als erstes in die Küche sah. Natürlich war sie leer, doch vor ihrem inneren Auge sah sie wieder Richard, wie er in den Schubladen wühlte und sich dann umdrehte. Richard sah sie erst erstaunt, dann belustigt an. „Bitte. Töten sie mich nicht.“ Er grinste sarkastisch.
‚Schluß jetzt.’ ermahnte Lisa sich und ging mit ihrem Koffer die Treppe hoch, zwang sich, gar nicht erst auf die Tür des Zimmers zu sehen, das er damals bewohnt hatte und ging sofort in „ihr“ Zimmer. Bilder einer Matratze, die auf dem Boden lag, tauchten vor ihrem inneren Auge auf, bevor Lisa es verhindern konnte. Ärgerlich wuchtete Lisa den Koffer auf das Bett. Richard, der sie streichelte. Richard, der sie küsste. „Aaaah, Schluß jetzt!“ schrie Lisa laut und schluckte die Tränen, die ihr auf einmal den Hals zuschnürten, herunter. „Schluß jetzt.“ wiederholte sie noch einmal flüsternd.
Lisa atmete zitternd tief durch, sah aus dem Fenster ins Leere und beschloß, das Auspacken auf später zu verschieben. Sie musste erstmal raus, ans Meer, den Strand, sich das Gehirn durchpusten lassen.
Sie tauschte ihre Schuhe gegen Gummistiefel, zog eine wärmere Jacke an und verließ das Haus wieder. Der Strand war aufgrund des schlechten Wetters menschenleer, was Lisa nur recht war. Sie schlang die Arme fest um sich und ging dicht am Wasser entlang, immer weiter. Ließ die Gedanken kommen, hielt sie nicht fest, ließ sie wieder ziehen, ließ alles auf sich einströmen, ohne sich ein Urteil zu bilden. Langsam aber sicher fühlte sie sich ein klein wenig besser.
Erst nach fast einer Stunde tauchte am Horizont eine weitere Person auf. Lisa senkte den Blick, als sie sich ihr näherte. Sie hatte jetzt keine Lust auf Smalltalk, würde denjenigen mit einem „Tag!“ abspeisen und schnell weitergehen. Alle paar Schritte sah sie auf, um zu schauen, wie nahe derjenige schon war. Als derjenige noch etwa 20 Meter weit weg war, stutzte Lisa plötzlich. Doch dann schüttelte sie den Kopf. „Kann doch nicht sein…“ murmelte sie.
Trotzdem ging sie langsamer weiter und sah der Person nun entgegen. Es war ein Mann, soviel stand fest. Je näher er kam, desto langsamer wurden Lisas Schritte. Auch er hatte sie längst gesehen, hielt ihren Blick fest. Lisas Herz setzte einen Schlag lang aus, als ihr klar wurde, dass es scheinbar doch sein konnte. Geschockt sah sie ihn an. „Nein.“ hauchte sie, während er immer näher kam, ihren Blick nicht losließ.
Dann riß sie sich aus ihrer Starre, drehte sich um und rannte fast davon. „Lisa!“ schrie er ihr nach, doch sie drehte sich nicht um, hielt nicht an, im Gegenteil, sie rannte schneller, doch gegen ihn hatte sie keine Chance. Schon nach wenigen Metern bekam er sie am Arm zu fassen und hielt sie fest, so dass sie herumwirbelte. „Laß mich los!“ schrie sie ihn an und im gleichen Moment liefen ihr die Tränen über die Wangen, ohne, dass sie etwas dagegen tun konnte.

Verletzt ob ihrer Abneigung sah er sie an. „Wieso hast du dich nicht gemeldet!“ Es klang mehr wie ein Vorwurf als eine Frage. Lisa atmete heftig, aber zittrig, die Tränen strömten unaufhörlich über ihre Wangen. „Das fragst du mich…?“ Sie klang dermaßen verletzt, dass sie Richards Herz schmerzhaft zusammen zog. „Wer ist denn damals einfach gegangen, ohne ein Wort?“ Lisas Stimme wurde wieder fester. „Weißt du eigentlich, wie ich mich gefühlt habe, als ich merkte, dass du abgehauen warst!?“ schrie sie ihn nun an.

„Ich wollte es dir leicht machen!“ Auch Richards Stimme klang nunmehr ungehalten. Mit einem spöttischen „Tz!“ drehte Lisa sich von ihm weg. „Das hätte wohl kaum mehr nach hinten losgehen können.“ Mit verschränkten Armen sah sie trotzig hinaus aufs Meer. „Was meinst du damit?“ fragte Richard leise.

Als sie nicht direkt antwortete, fuhr er sich mit einer Hand über die Augen. „Lisa….du standest damals vor der Entscheidung, David oder Rokko zu heiraten. Das mit uns…ich weiß nicht, was das für dich war, aber ich wollte nicht, dass du dir am nächsten Morgen noch Gedanken darüber machen musstest. Ich habe angenommen, dass du es, wenn du wieder nüchtern wärst, bereuen würdest und wollte, dass du das einfach vergessen und eine Entscheidung treffen konntest.“

Bei seinen Worten begann Lisa erneut zu weinen. Sie sah ihn nicht an. „Das hast du dir ja fein ausgedacht.“ sagte sie so leise, dass Richard sie fast nicht verstanden hätte. Dann drehte sie sich um und der Blick, der Richard traf, hätte verletzter nicht sein können. „Ich konnte diese Nacht nicht vergessen. Das war leider nicht möglich!“ schrie sie ihn an. Lisa wandte sich ab, noch bevor Richard etwas sagen konnte und lief davon.

Erneut lief Richard ihr nach. „Lisa! Lisa!! Bleib stehen, verdammt!“ Er überholte sie schließlich und fing sie ab. Lisa wehrte sich heftigst, als er sie in seine Arme zog, doch Richard hielt sie eisern fest, bis sie sich ergab. Weinend sah sie ihn an. „Ich hab diese Nacht nicht bereut. Niemals.“ flüsterte sie. Richard sah ihr tief in die Augen und schluckte. „Geht mir genauso…“

Richard zog sie in seine Arme und eine ganze Weile standen sie nur so da, sahen aufs Meer hinaus, versuchten, einander zu verstehen, zur Ruhe zu kommen. Als Richard sie schließlich los ließ, lächelte Lisa verlegen. „Was machst du eigentlich ausgerechnet hier? Ich denke, du bist in den Staaten?“

„Und du?“ fragte Richard, ohne eine Antwort zu geben. „Urlaub. David und Louis kommen in einer Woche nach.“ Richard nickte. „Als du nicht geantwortet hast hab ich es da drüben nicht mehr ausgehalten. Offensichtlich wolltest du ja nichts mehr von mir wissen, deshalb bin ich nicht direkt nach Berlin gekommen, aber ich wollte hier sein…“ Er wandte seinen Blick ab, sah ins Leere. Lisa sah ihn mitfühlend an. Er hatte hier sein wollen, um seinen Erinnerungen nahe zu sein. Sie senkte den Blick, sammelte sich kurz. „Wir müssen reden, Richard.“ sagte sie dann ernst.



Das alles war ein einziges Déjà vu. Lisa und Richard waren in das kleine Haus am Strand gegangen, wo Lisa eine warme Dusche zum Aufwärmen nahm, während Richard ihnen eine Kleinigkeit zu Essen zubereitete. Lisa wusste nicht, wie sie sich fühlte, als sie langsam die Treppe hinabging. Wieder wartete er in dieser Küche auf sie, wieder würden sie gemeinsam essen. Ein warmes, wohliges Gefühl bereitete sich in ihr aus, doch es vermischte sich sehr schnell mit dem scharfen Gefühl des schlechten Gewissens. David. Er war mit Louis meilenweit weg und ahnte nicht im geringsten….er wusste so vieles nicht. Lisa blieb kurz stehen, schloß die Augen und atmete tief durch. Es war an der Zeit, reinen Tisch zu machen…

Das Essen verlief weitgehend schweigend. Jeder wusste, dass das anschließende Gespräch schwer werden würde und es war, als wäre jeder von ihnen froh, noch einen kleinen Aufschub zu bekommen. Doch schließlich war es soweit. Lisa schob ihren Teller von sich und biss sich nervös auf die Unterlippe. Wie sollte sie bloß beginnen? Doch Richard nahm ihr die Eröffnung des Gesprächs ab:

„Ich hätte deinen Zustand damals nicht ausnutzen dürfen, entschuldige.“ Überrascht sah Lisa ihn an. „Ich fühlte mich nicht ausgenutzt….ich wollte es.“ beteuerte sie. Richard senkte den Blick und schob sein Messer auf der Tischplatte hin und her. „Aber ich wette, du hast im Leben nicht daran gedacht, dein erstes Mal mit mir zu erleben.“ spottete er. Lisa musste lächeln. „Ehrlich gesagt nein. Aber wie gesagt: Ich hab es nie bereut.“ Als er aufsah, sah sie ihn offen an und lächelte.

Erneut senkte Richard den Blick und fuhr ernst fort: „Ich hatte angenommen, du würdest es bereuen. Ich habe gedacht, du würdest am nächsten Morgen wach und dir und mir Vorwürfe machen, weil es nicht mit David passiert ist. Deswegen bin ich gegangen. Ich dachte, so kann sie mich am ehesten aus ihrem Gedächtnis streichen, kann vergessen, dass das überhaupt passiert ist und mit meinem Bruder glücklich werden.“ erklärte er sein Verhalten von vor 11 Jahren.

Lisa hatte ihm stumm zugehört. „Selbst wenn ich das gewollt hätte – ich konnte diese Nacht nicht vergessen.“ Richard erwiderte ihren Blick sekundenlang, dann schluckte er. „Louis…“ krächzte er und sie hätte nicht antworten brauchen – er hatte es in ihren Augen gelesen. Trotzdem nickte Lisa.

Richards Kopf fiel nach vorne und er strich sich fahrig durch die Haare. „Ich wusste es…“ flüsterte er. Er hob den Blick und ließ ihn unruhig durch die Küche wandern, während seine Stirn sorgenvoll in Falten gelegt war. „Als ich euch beide auf dem Flughafen gesehen habe und dem Kleinen in die Augen sah, wusste ich es.“ Unvermittelt sprang Richard mit einem „Verdammt!“ auf und verließ den Raum.

Lisa blieb noch eine kurze Weile sitzen. Sie wollte ihm Zeit geben, sich zu sammeln. Dann stand sie auf und ging ihm langsam nach. Sie fand ihn im Wohnzimmer an dem großen Fenster stehend. „Richard….“ sprach sie ihn leise an. „Ich hätte euch nicht alleine lassen dürfen.“ sagte er selbstvorwürflich, ohne sich umzudrehen.

„Du konntest doch nicht wissen…“ „Aber du Möglichkeit bestand immerhin!“ Richard drehte sich zu ihr um und sah sie verzweifelt an. „Immerhin hatten wir nicht verhütet.“ Wieder fuhr er sich mit einer Hand durch die Haare. „Ich hätte bleiben müssen…“ Er sprach mehr zu sich, als zu ihr.

„Du hattest deine Gründe, zu gehen. Damals erschien es dir richtig.“ erinnerte Lisa ihn und Richard lächelte. Typisch Lisa….immer verständnisvoll. Doch jetzt rang sie nervös mit ihren Händen und Richard kannte sie gut genug, um zu wissen, was das hieß. „Ich hab ja auch nicht alles richtig gemacht…“ deutete sie mit leiser Stimme an.

Richard wartete geduldig ab, bis sie weitersprach. Lisa wagte es nicht, ihm in die Augen zu sehen. „Ich hätte David nicht heiraten sollen. Als ich nach Sylt kam, um mir klar zu werden, wem ich mein Ja-Wort geben würde, hätte ich doch überhaupt keine Ahnung, was wahre Liebe wirklich ist.“ Lisa sah auf und der Blick, den sie Richard zuwarf, ließ sein Herz einen Augenblick lang stillstehen.

„Ich habe Rokko nie geliebt. Ich war ihm nur dankbar, dass er sich um mich gekümmert hat, wenn dein Bruder mal wieder nicht wusste, was er wollte und mich hin und hergeschoben hat wie eine Schachfigur, wie es ihm gerade passte. Für David hab ich sehr viel empfunden, aber….“ Sie überlegte kurz, suchte nach den passenden Worten. „Es war im Grunde eine Schwärmerei. Ich liebte eine Person, die es so nicht gab. Ich hatte mir immer eingebildet, es gäbe noch eine andere Version von David Seidel – den treuen und tiefsinnigen David, der zu wahrer Liebe fähig ist. Und dieses Bild von ihm habe ich geliebt. Das wurde mir alles in den Tagen, nachdem du gegangen warst, klar. Ich fuhr nach Berlin zurück und war fest entschlossen, beiden den Laufpass zu geben, als ich merkte, dass ich schwanger war.“

Erneut stockte Lisa und Richard merkte, wie schwer es ihr fiel, darüber zu sprechen, doch er wagte es nicht, zu ihr zu gehen und sie zu umarmen. Er spürte, da sie erst alles ausgesprochen haben musste. „Da ich nie mit jemand anderem geschlafen hatte, kamst nur du als Vater in Frage und ich wusste sofort, dass ich das Kind haben wollte.“ Sie lächelte traurig. Als sie weitersprach, flossen Tränen über ihre Wangen:

„Und dann tat ich was, was wohl keiner der integren, moralischen, anständigen Lisa Plenske zugetraut hätte – ich habe David zugesagt, ihn zu heiraten, ohne ihm etwas von dir oder dem Baby zu erzählen.“ Verzweifelt sah sie ihn an. „Ich konnte nicht mehr, Richard.“ setzte sie zu einer Erklärung an und ihr Blick bat ihn um Verzeihung. „Der monatelange Kampf um David, das Hin und Her, mal wollte er mich, mal nicht, die ganzen Sorgen, die ich mir während seiner Entführung gemacht habe, der Stress bei Kerima und dann dieses alberne Theater, das David und Rokko veranstaltet haben….unsere Nacht und die Tage danach ohne dich…“

Lisas Stimme versagte und sie brauchte einige Sekunden. Unwirsch wischte sie sich die Tränen weg und presste die Lippen aufeinander, während sie um ihre Fassung rang. Schließlich sprach sie weiter: „Ich habe dich so fürchterlich vermisst nachdem du gegangen warst.“ sagte sie fast unhörbar und der Schmerz, der in ihrer Stimme lag, brachte Richard fast um den Verstand. „Du warst unauffindbar, keiner wusste, wohin du verschwunden warst und es interessierte scheinbar auf niemanden. Alle waren wohl froh, dass du von der Bildfläche verschwunden warst….“ Traurig sah sie ihn an und er erwiderte ernst ihren Blick.

„Ich wollte das Baby, aber ich hatte auch Angst. Angst vor der Geburt, Angst, alleine mit einem Säugling da zu stehen. Ich brauchte Hilfe, jemanden an meiner Seite. Und bei der Wahl zwischen David und Rokko….“ Lisa atmete tief durch. „…hab ich mich dann dafür entschieden, dass das Kind wenigstens bei einem Verwandten seines Vaters aufwachsen sollte, wenn sein Vater schon nicht bei ihm sein konnte.“

Richard nickte ernst, als Lisa geendet hatte. „David weiß also nicht, dass Louis mein Sohn ist.“ Lisa schüttelte den Kopf. „Und Louis weiß es auch nicht.“ Erneutes Kopfschütteln. Eine Weile schwiegen beide. „Sicher willst du jetzt nichts mehr mit mir zu tun haben….ich weiß doch, wie sehr du deine Mutter dafür verachtest, dass sie dich Claus untergeschoben hat…und ich bin keinen Deut besser.“ sagte Lisa dann leise.


Richard schwieg einige Sekunden. „Lisa…“ sagte er dann leise. „Laß mich…ich…ich geh mal kurz raus….muß mir das alles noch mal durch den Kopf gehen lassen.“ Ängstlich sah Lisa ihn an. Was dachte er? Verabscheute er sie nun? Richard erwiderte ihren Blick kurz, dann ging er zur Terrassentür hinaus.

Lisa sah ihm nach, wie er auf der Terrasse stehen blieb, ein Päckchen nebst Feuerzeug aus seiner Hosentasche zog und sich ein Zigarillo anzündete. Nach dem ersten Zug legte er den Kopf in den Nacken. Danach stand er nur still da, sah über die Landschaft und dachte nach.

In Lisa verstärkte sich das ungute Gefühl. Sie schluckte, doch ihr Hals war wie zugeschnürt. Erschöpft ließ sie sich auf das Sofa fallen, sah noch einmal zu Richard hinüber, der unverändert dastand. ‚Hoffentlich kommt er irgendwie damit klar, was ich getan habe.’ Dachte sie verzweifelt. ‚Ich könnte es nicht ertragen, wenn er mich noch einmal verlassen würde…’

Lisa sammelte die Kissen zusammen, stapelte sie und legte sich hin, wobei sie ihre Beine anzog. Das Gespräch hatte sie geschafft und kaum dass sie die Augen geschlossen hatte, war sie auch schon eingeschlafen…


Lisa wurde von dem Gefühl wach, dass jemand sanft ihre Wange streichelte. Noch bevor sie richtig erwachte, bemerkte sie, dass jemand eine Wolldecke über ihr ausgebreitet hatte. Als sie die Augen öffnete, sah sie direkt in Richards grau-grüne Augen. Er hockte neben dem Sofa, sah sie ernst, aber auch etwas traurig, an. Seine Hand lag an ihrer Wange, streichelte sie mit dem Daumen.

Unwillkürlich hielt Lisa den Atem an. „Und…?“ fragte sie fast unhörbar. Bevor er antwortete, beugte Richard sich vor und küsste sie zärtlich auf den Mund. Ein Glücksgefühl wie flüssige Geborgenheit durchströmte augenblicklich Lisas gesamten Körper von Kopf bis Fuß. Verliebt lächelte sie ihn an, als er sich von ihr löste.

„Du bist nicht Sophie…“ antwortete Richard leise, griff nach ihrer Hand und streichelte diese. „Du bist Lisa…meine Lisa….und wenn ich bei dir geblieben wäre, hättest du das niemals tun müssen. Ich hoffe, es ist noch nicht zu spät.“ Richard schluckte hart. „Lisa…ich möchte, dass du mit dem Jungen mit mir kommst.“ eröffnete er ihr.

Überrascht riß Lisa die Augen auf und setzte sich aufrecht hin. „Was?“ Richard nickte. Da er immer noch vor dem Sofa hockte, musste er nun zu ihr hochschauen. Immer noch lag ihre Hand in seiner. „Ich will euch bei mir haben. Ich hab soviel verpasst…deine Schwangerschaft, Louis’ Geburt, seine ersten Schritte, alles.“

In Lisas Kopf fiel alles durcheinander….USA….Berlin verlassen….wie würde Louis das aufnehmen? David…er würde ausrasten…er war ja noch komplett ahnungslos!

Richard sah die Panik in ihren Augen und stand auf, um sie vom Sofa hochzuziehen. „Was hattest du denn geplant…?“ fragte er und sah ihr forschend in die Augen. „Willst du am Ende der Woche zu David zurückkehren, ihm weiter was vorspielen…?“ Die Vorstellung verursachte ein mulmiges Gefühl in Lisa. „Soll ich alleine nach L. A. zurückgehen, wieder aus eurem Leben verschwinden?“ bot Richard an, doch sie hörte an seiner Stimme, wie sehr ihn diese Vorstellung schmerzte. „Nein!“ brach es tränenerstickt aus Lisa heraus. Sie drückte seine Hände.

„Lisa….du liebst David doch nicht….“ sagte Richard mit fester Stimme. „Oder?“ kam es unsicher hinterher, als sie nicht direkt antwortete. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Lisa presste die Lippen fest aufeinander und schüttelte den Kopf. „Nein.“ kam er erstickt. „Ich liebe dich…“

Richard zog sie fest in seine Arme, legte eine Hand an ihren Hinterkopf und streichelte ihre Haare, während Lisa weinte. „Dann komm mit mir, Lisa. Es wird nicht einfach werden, aber die Vorstellung, ohne euch in L.A. zu sein…“ Er ließ den Satz unbeendet.

4 Tage…in 4 Tagen würde David mit Louis nach Sylt nachkommen. Richard hatte Recht: Sie musste den beiden nun endlich die Wahrheit sagen. Aber allein der Gedanke daran verursachte Panik bei ihr. „Er wird mich hassen…“ flüsterte sie. Richard löste sich sanft von ihr, legte eine Hand unter ihr Kinn und hob es an, um ihr in die Augen sehen zu können. „Er wird damit klar kommen…“ versprach er. Zweifelnd sah Lisa ihn an.

Die restlichen Tage verbrachten Lisa und Richard gemeinsam. Lisa erzählte Richard alles von seinem Sohn, meistens während gemeinsamer Strandspaziergänge. Richard wollte jedes kleine Detail wissen über Lisas Schwangerschaft, Louis' Geburt und die ersten Jahre seines Lebens. Lisa hatte ihm schließlich die Fotos überlassen, die sie von ihrem Sohn immer in ihrem Portemonnaie bei sich trug.

Richard hatte sich in einem kleinen Hotel auf Sylt einquartiert. Sie waren sich einig gewesen, dass sie nicht wieder zusammen in dem kleinen Haus wohnen wollten, bevor Lisa nicht mit David gesprochen hatte. Das erschien ihnen nur fair - sofern sie es für David überhaupt irgendwie fair gestalten konnten.

Lisa hatte einen Tag vor seiner und Louis' Ankunft noch einmal mit ihrem Mann telefoniert und verabredet, dass sie sich in einem Eiscafé an der Strandpromenade treffen wollten.

Und so nahm Lisa am Ende der Woche gemeinsam mit Richard an einem der kleinen Tische Platz. Sie war nervös. Das war sie schon gewesen, als Richard sie zu Hause abgeholt hatte, was ihm nicht lange verborgen geblieben war.

"Bleib mal stehen." hatte er sie schmunzelnd aufgefordert, als Lisa schon den Griff des Gartentörchens in der Hand gehabt hatte. Nervös hatte sie sich zu ihm umgedreht, doch Richard hatte nur sanft gelächelt und einige Haarsträhnen, die der Wind in Lisas Gesicht geweht hatte, zur Seite gestrichen. Dann ruhte seine Hand an ihrer Wange. "Was auch immer gleich geschieht....ich werde immer zu dir stehen. Ich liebe dich." hatte er ihr versichert und sie sanft auf den Mund geküsst.

Ein warmes Gefühl war von Lisas Herzgegend durch ihren gesamten Körper geflossen und sie hatte nicht anders gekonnt, als zu lächeln. Zärtlich hatte sie Richards Hand gedrückt, während sie ihm in die Augen gesehen hatte.

Trotzdem war sie jetzt wieder nervös. Gleich würde David mit Louis kommen und sobald er Richard an ihrer Seite sehen würde, wäre seine Laune sicherlich sofort hinüber. Auch, wenn er da noch nicht im geringsten ahnen würde, was wirklich los war.

Ein gut gelaunt gerufenes "Mama!" riß Lisa aus ihren Gedanken. Ihr Kopf fuhr hoch und bevor sie noch richtig reagieren konnte, fiel Louis schon in ihre Arme. Lisa lachte. "Langsam, Louis." ermahnte sie ihn, strich ihm jedoch über den Kopf und sah ihm in die Augen, als Louis sich von ihr löste. "Na, mein Kleiner, wie geht es dir?" "Klasse, das Camp war der hammer!" schwärmte ihr Sohn mit strahlenden Augen.

Dann sah er zu Richard hinüber. "Hallo, ich bin Louis. Kennen sie meine Mama?" stellte er sich unbefangen vor. Richard grinste und reichte Louis die Hand. "Erinnerst du dich noch? Du hast mich mal auf dem Flughafen umgerannt und fast zu Boden geworfen!" übertrieb er absichtlich und Louis lachte laut. "Und wer sind sie....?" fragte er neugierig.

"Das ist dein Onkel Richard." Alle Blicke wandten sich David zu, dessen Stimme geradewegs aus dem Eisschrank zu kommen schien. Er sah Richard abschätzend feindlich an und beugte sich dann zu Lisa hinab, um sie kurz zu küssen. "Louis, komm bitte zu mir." befahl David seinem Sohn anschließend kühl. "Nein, ähm, Richard..." Unsicher sah Lisa zu ihrem Schwager hinüber. "Würdest du mit Louis vielleicht auf den Spielplatz am Strand gehen?"

Louis begann sofort wie ein Gummiball auf und ab zu hüpfen. "Au ja, klasse!" Ernst sah Richard Lisa an. "Bist du sicher?" "Darf ich mal fragen, was hier vor sich geht!" mischte David sich ungehalten ein, noch bevor Lisa antworten konnte. Erschrocken über den Ausbruch sah Louis ihn an. Richard reagiert schnell, stand auf und legte eine Hand auf Louis' Schulter, was bei David zu ärgerlichen Stirnrunzeln führte. "Komm, junger Mann. Ich glaube, die haben auch Bagger auf dem Spielplatz." lenkte er den Kleinen ab.


Kaum, dass die beiden außer Hörweite waren, funkelte David seine Frau wütend an. "Was macht der hier?!" Ungehalten zog er sich einen Stuhl zurecht und setzte sich. "Wir sind uns zufällig hier begegnet." begann Lisa zu erklären. Mit einem Blick zum Strand sah sie, dass Richard sich samt seines langen Mantels auf einen der kleinen mechanischen Bagger gesetzt hatte und mit Louis begann, einen Sandhaufen aufzutürmen. Unwillkürlich huschte ein kleines Lächeln über Lisas Gesicht.

"Wieso gibst du dich überhaupt mit Richard ab...!" holte sie David vorwurfsvoller Stimme aus den Gedanken. Seine Hand, die auf dem Tisch lag, war zu einer Faust geballt. Sein Gesicht war wütend. Lisa sah ihn traurig an. "Dem Mann, der mich enführt und fast getötet hätte...!" Nur, weil sie in der Öffentlichkeit waren, dämpfte David seine Stimme. "David...Richard wurde damals freigesprochen." erinnerte sie ihn. "Ein Justizirrtum!" fuhr dieser auf. Lisa schüttelte langsam den Kopf. "Nein. Er ist unschuldig."

Ungläubig sah David sie an und lachte dann. "Hat er dir das eingeredet?" Er drehte sich um und suchte mit den Augen Louis, der am Strand mit Richard spielte. "Wenn ich ihn schon zusammen mit unserem Sohn sehe....was hat dich nur geritten, Louis mit ihm wegzuschicken...?" verständnislos sah David seine Frau an. "Glaubst du ernsthaft, Richard würde Louis etwas tun...?" Niedergedrückt erwiderte Lisa seinen Blick und schüttelte den Kopf.

"Nach allem, was er mir angetan hat, frage ich mich ernsthaft, wie du ihm unseren Sohn anvertrauen kannst.....!" Verständnislos sah David sie an. "Lisa....er ist gerissen....! Mag sein, dass man ihm damals nichts nachweisen konnte....na und! Das kam ihm doch gerade recht, dass er Olaf über die Klingen springen lassen konnte, während er wer weiß wohin verschwunden war."

"Er ist unschuldig. Olaf hat das damals alles eingefädelt." wiederholte Lisa ruhig. David gab ein spöttisches Geräusch von sich. "Seit wann glaubst du das, was Richard von Brahmberg dir einzureden versucht?" "Seit er mir alles erzählt hat vor elf Jahren." Lisa hielt den Blick ihres Mannes fest. "Wir sind uns damals schon einmal hier auf Sylt begegnet, als ich eine Woche hier war, um mir klar zu werden, wen oder was ich möchte." eröffnete sie ihm.

Davids Oberkörper federte nach vorne. "Wie bitte...!" Er war eindeutig sauer. "Du! Und Richard...!" Lisa hielt seinem Blick stand. "Deine Mutter hatte mir damals angeboten, in dem Haus zu wohnen. Und Richard, der genau zu der Zeit aus der Untersuchungshaft entlassen worden war, hatte dieselbe Idee gehabt. Wir haben uns das Haus geteilt damals."

"Was!" Einige Leute drehten aufgrund Davids Ausbruch den Kopf. Dann lachte er humorlos. "Ist ja klasse, dass ich das doch schon so früh erfahre. Jetzt sag mir nur noch, ihr hattet was miteinander." Lisa antwortete ihm nicht, sah ihn nur ernst an. David, der auf eine Antwort von ihr wartete, erwiderte ihren Blick. Schließlich malte sich Verblüffung auf seinem Gesicht ab.

"Lisa...." Er beugte sich zu ihr vor, sah kurz zu Richard hinüber, der immer noch mit Louis spielte. "Das ist jetzt nicht dein Ernst! Du....und Richard...?" David verzog das Gesicht. Verzweifelt sah Lisa ihn an. "David....ich hätte es dir gleich erzählen sollen. Vor allem hätte ich dich nicht heiraten dürfen."

Erschrocken zuckte David zurück. "Du hast wirklich mit ihm geschlafen...?" fragte er tonlos. Lisa nickte mit Tränen in den Augen. Fassungslos klappte David der Mund auf. "Was....was soll das heißen, du hättest mich nicht heiraten dürfen?"

Zum ersten Mal wandte Lisa den Blick ab und presste die Lippen zusammen, während ihr die Tränen über die Wangen liefen. Sie brauchte ein paar Sekunden. Dann senkte sie den Blick und sah auf ihre Hände, die sie nervös knete. "David....ist es dir nie komisch vorgekommen, dass ich so schnell schwanger geworden bin? Und ist dir wirklich nie aufgefallen, dass Louis zu früh geboren wurde....?" Ängstlich sah sie ihn an. Auf Davids Gesicht malte sich immer noch die Verblüffung ab, während er die einzelnen Puzzleteilchen zusammensetzte. Dann wurde er blass.

"Willst du etwa sagen...." Flehend sah er sie an, hoffte, dass sie sagen würde, dass nicht stimmte, was er sich gerade zusammenreimte, doch sie nickte. "Louis ist Richards Sohn." sagte Lisa leise mit tränenerstickter Stimme. Ruckartig wandte David sich ab und presste seine Lippen zu einem Strich zusammen. Eine ganze Weile beobachtete er Richard und Louis, wie sie zusammen spielten. Minutenlang sagte er nichts, versuchte nur zu begreifen, was Lisa ihm gerade eröffnet hatte.

Sie hatte mir dem Mann geschlafen, von dem er immer noch fest glaubte, dass er ihn damals entführt und fast umgebracht hatte. Mit seinem eigenen Bruder. Sie hatte ihm nichts davon gesagt, ihn geheiratet, obwohl sie bereits mit seinem Kind schwanger gewesen war. Louis war nicht sein Sohn. Lisa war nicht die, für die er sie gehalten hatte.

Als David sie wieder ansah, war sein Blick ernst. Er war merkwürdig gefasst. "Habt ihr schon die ganze Zeit eine Affäre?" "Nein!" rief Lisa ehrlich erschrocken. "Er ist damals einfach verschwunden. Wir haben uns erst vor einigen Tagen wiedergesehen." David nickte. 'Er steht unter Schock.' dachte Lisa besorgt.

Ihr Mann sah sie forschend an. "David....ich mußte dir endlich die Wahrheit sagen...ich hätte das alles niemals tun dürfen. Ich hätte Louis allein großziehen müssen." versuchte sie, sich zu erklären. "Richard....er hat mich gebeten, mit ihm zu gehen. Er möchte Louis und mich mit in die USA nehmen." eröffnete sie ihm mit leiser Stimme.

Wütend sprang David auf und schubste seinen Stuhl von sich. Lisa sprang ebenfalls auf. "David!" rief sie ihm nach. Das halbe Café gaffte inzwischen zu ihnen herüber, doch sie bemerkte es nicht mal. Mit großen Schritten überquerte David die Terrasse des Eiscafés und drehte sich nicht einmal mehr zu Lisa um. Erschüttert sah Lisa ihm nach. 


Ca. 3 Jahre darauf.

Richard stand am Strand von Malibu und beobachtete Louis, wie dieser seine Surfkenntnisse verbesserte. Er stellte sich zwar schon geschickter an als am Anfang, aber Richard wollte den Knirps dennoch lieber im Auge behalten.

Ohne, dass er sich im Klaren darüber war, warum, musste er plötzlich an Mariella denken. Sie war ausgerastet, als sie damals erfahren hatte, was auf Sylt passiert war. David musste sie nach seinem Gespräch mit Lisa angerufen haben. Nur Stunden darauf hatte sie Richard auf dessen Handy angerufen. „Es ist erschreckend, dass du keinen Funken Ehre in dir hast, von Familiensolidarität oder Ehrlichkeit ganz zu schweigen!“ Richard schluckte.

Von seiner gesamten Familie, die Seidels mit eingeschlossen, war Mariella die Einzige gewesen, die noch am ehesten geneigt gewesen war, ihm zu glauben, dass er David nicht entführt hatte. Ihr Verhältnis war zwar nie wieder wie zuvor gewesen, aber wenigstens hatte er zu ihr noch Kontakt gehabt. Sie lebte ja auch mit Lars in Boston, also immerhin auf demselben Kontinent wie ihr Bruder.

Aber seit Lisas Eröffnung, dass Louis nicht Davids Sohn war und diesem Telefonat hatte Richard nichts mehr von Mariella gehört.

Er drehte sich um. Lisa saß auf einem großen Handtuch ein Stück weiter den Strand hoch und beobachtete ebenfalls Louis auf dem Surfbrett. Es war damals nicht leicht gewesen, die Empörung und den Hass auszuhalten, der ihnen entgegengeschlagen war. Vor allem für Lisa, der Harmonie über alles ging, war es nahezu unerträglich gewesen.

Natürlich hielten Friedrich und Laura zu ihrem Sohn – Friedrichs „richtigem“ Sohn. Mit Richard hatten sie ja schon lange gebrochen und dass Lisa, ihre bis dato geliebte Schwiegertochter, ihnen derart in den Rücken fiel, konnten sie ihr nicht verzeihen. Nur Louis zu Liebe, der nunmehr zwar nicht mehr Lauras, aber immer noch Friedrichs Enkel war, hielten sie weiter Kontakt zu Lisa, der sich jedoch auf das Allernötigste beschränkte. Sie war lediglich Mittel zum Zweck, um Kontakt zu Louis zu halten. Quasi ein notwendiges Übel.

David hatte bis zur Scheidung nur noch über seine Anwälte mit Lisa gesprochen. Er hatte nur noch Hass für Lisa übrig, was diese ihm nicht mal verübelte.

Lisas Eltern waren nahezu paralysiert von den Neuigkeiten gewesen und hatten erstmal gar nicht gewusst, wie sie sich verhalten sollten. In ihrer Welt war ihre Tochter von je her verrückt nach David Seidel und von daher auch dessen glückliche Ehefrau. Und Richard von Brahmberg war das schwarze Schaf der Familie, der böse Bruder, der David entführt und fast hatte sterben lassen. Auch sie hatten nie glauben können oder wollen, dass dies nicht den Tatsachen entsprach.

Bernd und Helga hatten ihre Zeit gebraucht, um Lisa zu glauben, die ihnen immer wieder versicherte, dass Richard unschuldig war. Wann immer Richard die Möglichkeit gehabt hatte, hatte er sich Lisas Eltern gegenüber von seiner besten Seite gezeigt. Es war nicht seine Art, Leuten, die ihn nicht mochten, nachzurennen und auf gut Wetter zu machen, aber er wusste, wie sehr Lisa an ihren Eltern hing. Und nachdem die Seidels und auch Mariella mit ihr gebrochen hatten, brauchte sie diese um so mehr. Inzwischen war ihr Verhältnis recht gut. Bernd hatte sich als erstes damals wieder gefasst und Richard in der Familie willkommen geheißen.

Richard warf noch einen Blick auf Louis. Die Wellen waren flach und sein Sohn saß rittlings auf dem Brett und paddelte etwas hin und her. Dann wandte Richard sich ab und ging langsam zu Lisa hinüber. „Hallo, mein Herz.“ lächelte er und ließ sich neben sie in den Sand sinken, um sie zu küssen. „Wie geht es euch?“ Er strich mit einer Hand über Lisas inzwischen schon beachtlichen Bauch.

„Dein Sohn tritt mich.“ beschwerte Lisa sich mit einem Lächeln auf den Lippen. „Oooohhh…“ bemitleidete Richard sie, doch Lisa hatte den Verdacht, dass er es nicht wirklich ernst meinte. Trotzdem küsste er sie erneut. „Das werde ich ihm austreiben, sobald er auf der Welt ist.“ versprach er und strich eine Strähne ihrer Haare hinter Lisas Ohr.

„Das will ich hoffen.“ grinste Lisa, dann seufzte sie gespielt. „Drei Brahmberg-Männer…wie soll ich das bloß aushalten.“ „Also bitte, wir sind doch alle ganz pflegeleicht.“ empörte Richard sich und Lisa musste lachen. „Sicher. Nachdem man euch per Handwäsche den Kopf gewaschen hat, kann man euch einfach auf die Leine hängen.“

„Mein ich doch.“ meinte Richard und legte sich so hin, dass sein Kopf auf Lisas Beinen lag. Lächelnd strich Lisa ihm durch die Haare. Die Zeit, die hinter ihnen lag, war heftig gewesen. Sie hatte vollstes Verständnis für David, dass er nichts mehr mit ihr zu tun hatte haben wollen. Gleichzeitig war sie sich jedoch jederzeit 100 %ig sicher gewesen, nun das Richtige zu tun.

Sie hatten Louis die Wahrheit in kleinen Dosen beigebracht. Er war damals mehr als verwirrt gewesen, dass sein „Vater“ den Familienurlaub abgebrochen hatte. Lisa hatte ihm damals gesagt, David müsse geschäftlich zurück nach Berlin. Das war für Louis glaubhaft gewesen. Er war damit aufgewachsen, dass sich ihre Pläne öfter den Gegebenheiten bei Kerima anpassen mussten.

Obwohl Richard sich gewünscht hätte, dass Lisa und Louis im Anschluß an den Sylt-Urlaub direkt mit ihm nach L. A. gingen, hatte Lisa sich dagegen entschieden. Sie wollte David und Louis nicht sofort trennen. So waren sie noch bis zum Ende des Schuljahres in Berlin geblieben. An den Wochenenden jedoch waren sie regelmäßig zu Richard geflogen und Louis war mehr als begeistert über die Kururlaube gewesen. Welcher kleiner Junge wäre das nicht? Die USA, L. A., der Strand von Malibu…

In einem Gespräch hatte Lisa ihrem Sohn zuerst mitgeteilt, dass seine Eltern sich trennen würden. Und erst lange nach der Scheidung, nachdem Louis diese einigermaßen verdaut und sich längst an die regelmäßigen Besuche bei Richard gewöhnt hatte, hatte sie ihm behutsam vorgeschlagen, ganz in die USA zu ziehen. Als Louis dies begeistert aufnahm – unter der Option, David regelmäßig besuchen zu können, was dieser ebenfalls wollte – hatte Lisa ihm zerknirscht gestanden, dass sein Onkel sein Vater war. Anfangs war Louis verwirrt gewesen, doch dann hatte er es besser aufgenommen, als Lisa befürchtet hatte. Er sah das wohl nicht ganz so eng, wie seine Eltern – „Cool, jetzt hab ich zwei Väter! Einen in Berlin und einen in den USA! Wenn ich das meinen Kumpels erzähle…!“ Dabei hatte er stolz gegrinst und Lisa hatte lachen müssen.

Das alles war nun schon fast 3 Jahre her. Seit etwas mehr als 1 Jahre lebten Lisa und Louis nun ganz bei Richard und dieser war darüber so erleichtert und glücklich gewesen, dass er Lisa kurz darauf einen Heiratsantrag gemacht hatte, den sie natürlich angenommen hatte. Doch noch bevor sie hatten heiraten können, hatte sich weiterer Nachwuchs angekündigt. Da Lisa nicht mit dickem Bauch heiraten wollte, hatte sie sich darauf geeinigt, nach der Geburt zu heiraten.

Es wurde ein Junge, das wussten sie bereits. In 6 Wochen würde es soweit sein. Richard platzte beinahe vor Stolz und zeigte jedem, ob er es wollte oder nicht, die Ultraschallbilder, die er immer in seiner Brieftasche mit sich herumtrug. Egal, ob es seine Kollegen waren, die Kassiererin bei Walmart oder der Tankwart – Lisa hatte langsam das Gefühl, ganz L. A. kannte bereits den jüngsten Brahmberg-Sproß, der noch nicht mal auf der Welt war.

Aber sie war glücklich. So glücklich wie noch nie zuvor. Nie hätte sie sich vor 4 Jahren träumen lassen, einmal als die Verlobte von Richard am Strand von Malibu zu sitzen, ein Kind von ihm spielend im Meer, das andere noch ungeboren in ihrem Bauch.

Lisa sah auf ihren Verlobten hinab und strich sanft mit der Spitze ihres Zeigefingers die Konturen seines Gesichts nach. Plötzlich knurrte dieser und verzog das Gesicht. „Dein Sohn tritt.“ Lisa lachte. Da Richard dicht an ihrem Bauch lag, bekam er zwangsläufig mit, wie Dennis darin turnte. Richard sah zu ihr hoch. „Wenn der so wird wie ich früher, dann gute Nacht.“ prophezeite er.

Lisa lachte unbekümmert und sah zu Louis hinüber, der gerade wackelig aufs Brett stieg und die nächste Welle abwartete. Seltsam, welche Wege das Leben manchmal ging….unvorhersehbar, steinig manchmal, aber jetzt…jetzt war es einfach perfekt…

ENDE

 
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