Richard und Sophie von Brahmberg Fanpage
  Überraschende Wendungen
 
Richard

Später konnte ich nicht mehr sagen, wann es passiert war. Wann sich meine Gefühle für diese….ja, Landpomeranze (wie ich sie früher genannt hatte) geändert hatten. Ich konnte es nur noch in etwa zeitlich eingrenzen.

Zuerst war es bloß strategisches Vorgehen von mir. Nachdem es Lisa Plenske gelungen war, die Aktienmehrheit von Kerima zu erwerben, gab es kaum noch Optionen für mich, um mich auf meinem Platz zu halten. Denn dass sie mich nicht als Geschäftsführer einsetzen würde, das war mir von Anfang an klar. Wozu hätte sie das Ganze sonst begonnen, wenn nicht, um ‚ihrem’ David die Firma wiederzugeben…?

Nur: Wo blieb ich bei der ganzen Sache? Wenn ich schon wieder unter David arbeiten sollte, was mir schwer genug fiel, so wollte ich doch wenigstens einen Joker in der Hand haben: Davids engste Vertraute neben meiner Schwester, seine rechte Hand, seine beste Freundin. Lisa Plenske.

Ich wusste, dass Lisa ein ‚Gutmensch’ war, aber als sie David und mich auf der Vorstandsitzung beide zu Geschäftsführern ernannte, war nicht nur ich überrascht. Auch David fiel sichtlich aus allen Wolken. In diesem Moment blitze ein Gefühl in mir auf, das ich bislang nicht gekannt hatte und noch bevor ich es wirklich erfassen konnte, war es auch schon wieder weg. Es war diese Art Dankbarkeit, die man empfindet, wenn man weiß, man darf rein gar nicht mehr erwarten (und genau mit diesem Gefühl war ich in die Sitzung gegangen) und wider aller Erwartungen verzeiht dir dein Gegenüber, mehr noch, es gibt dir einen Vertrauensvorschuß in die Zukunft. Ich war Lisa Plenske in diesem Moment wirklich dankbar, dass sie mir das Ruder von Kerima nicht gänzlich aus der Hand nahm. Sie war wirklich eine erstaunliche Frau.

David machte es mir in der nächsten Zeit einfach. Er öffnete sozusagen selbst Tür und Tor für mich bei Lisa. Während er sich allem verweigerte, vor allem einer Zusammenarbeit mit mir, unterstützte ich Lisa. Gut, zuerst war ich nicht begeistert davon, Mariella, meine Schwester, als das neue Kerima-Face zu promoten, trotzdem unterstützte ich Lisa bei der Ausführung. Wie gesagt: Aus reiner Strategie.

Als David nicht fähig war, Marc Trojan als Fotograf auch nur telefonisch zu erreichen, um ihn für das Shooting zu buchen, tauchte ich einfach mit Trojan in der Firma auf, seine Zusage, Mariella zu fotografieren, schon in der Tasche.

Als ich sah, wie schwer meine Schwester sich –natürlich – damit tat, aus sich herauszugehen beim Shooting, sorgte ich dafür, dass sie sich etwas entspannte, indem ich Musik im Hintergrund laufen lief und ihr einen Champagner besorgte. Und siehe da: Mariella taute auf.

David machte einen Fehler nach dem anderen in Bezug auf Lisa. Ich kannte ihn, ich wusste, dass er trotzig reagieren würde und genau so war es. Lisa hatte einen Tisch im Wolfhardts reserviert, um die Kerima-Face-Promotion mit uns zu feiern, aber mein Bruder weigerte sich, mitzugehen – und stieß Lisa damit wieder einmal vor den Kopf. Ich sah ihr an, wie sehr sie seine wiederholte Zurückweisung traf. Je mehr er sie verletzte, desto mehr trieb er sie in meine Arme. Und dort wollte ich sie haben. Wie gesagt: Aus reiner Berechnung.

Aus reiner Berechnung sprach ich im Wolfhardts einen Toast auf Lisa aus und lobte ihre professionelle Weitsicht. Aus reiner Berechnung schickte ich Lisa Blumen samt einer Karte. War es etwa gelogen, als ich Sabrina, die sich in letzter Zeit immer wieder eifersüchtig beschwerte, dass ich soviel um die ‚Plansche’ herumschawänzele, sagte, das ich dies nur tue, um auch ihren Job zu sichern? Denn so war es doch, oder? Kein Geschäftsführer, keine Assistentin der Geschäftsführung. Das musste doch selbst jemand wie Sabrina einsehen. Ihre Eifersucht irritierte mich trotzdem. Sabrina Hofmann war eifersüchtig auf Lisa Plenske. Dabei wusste doch gerade Sabrina, wie man jemand um den Finger wickelte, um das zu bekommen, was man wollte. Sie hatte diese Strategie doch selbst mehr als einmal erfolgreich bei Jürgen Decker angewandt. Wieso erkannte sie jetzt nicht, dass es nur Strategie war? Vielleicht wusste sie bereits vor mir, dass ich log. Dass es keine Strategie war.

Mir wurde es erst klar, als ich mit Lisa auf die Toga-Party ging, zu der David sie nicht begleiten wollte. Ich musste nicht mal lügen, als ich Lisa ein Kompliment für ihr Aussehen machte. Sie sah wirklich toll aus an diesem Abend. Ihre Haare waren gebändigt und fielen in weichen Locken über ihre Schultern, das Kostüm ließ sie geheimnisvoll und schön aussehen. Sie als Viktoria, die Siegesgöttin und das war sie auch.

Als Lisa über die Begrenzung der Dachterrasse kletterte, um dieses verdammte Kettchen, das David ihr geschenkt hatte, vom Sims zu holen, auf dem es gelandet war, nachdem es ihr aus der Hand gefallen war, rutschte sie ab und ich war der Einzige auf der ganzen Party, der ihr Dilemma bemerkte. Erschrocken stellte ich schnell meinen Becher auf dem nächsten Tischchen ab und eilte nach draußen, um mich über das Geländer zu beugen und Lisa meine Hand zu reichen. Diese weinte vor Verzweiflung und getraute sich erst nicht, auch nur mit einer Hand den Sims loszulassen, an den sie sich klammerte, um nach meiner Hand zu greifen. „Nimm meine Hand!“ herrschte ich sie an, jedoch aus reiner Sorge, dass sie jeden Moment abstürzen konnte. Als sie endlich wieder sicher neben mir stand, zog ich die weinende Lisa in meine Arme und ich war mir nicht sicher, ob es mein Herz war, das da so wild gegen meinen Brustkorb hämmerte, oder ihres, das vor Schock immer noch viel zu schnell schlug.

Lisa zitterte in meinen Armen und ich legte meine Wange an ihre Schläfe, während ich ihr beruhigend über den Rücken strich. „Sssh, Lisa, ist doch noch mal alles gut gegangen. Was um Himmels Willen hast du denn da gesucht??“ Lisa öffnete ihre zitternde Hand, in der Davids Kettchen lag. „Ist mir….runtergefallen.“ brachte sie stockend hervor. „Ach Lisa.“ murmelte ich und zog sie wieder an mich. „Wertloser Kitsch, dafür riskierst du dein Leben? Tu so was nie wieder, hörst du?“ flüsterte ich und Lisa nickte. Ich nahm sie bei den Schultern, um ihr ins Gesicht sehen zu können und strich ihr einige Haarsträhnen von den verweinten Wangen. „Bist du ok oder soll ich dich zu einem Arzt bringen?“ erkundigte ich mich, aber Lisa schüttelte den Kopf. „Es geht mir gut, danke. Ich will nur noch nach Hause.“ Ich nickte und bugsierte sie zum nächsten Stuhl. „Warte hier, ich hole nur meinen Schlüssel.“ Lisa setzte sich und ich ging rein, um mein Jackett zu holen, in dessen Tasche sich mein Autoschlüssel befand. Drinnen traf ich überraschend auf Sabrina, die ich explizit aufgefordert hatte, nicht hier zu erscheinen. „Was machst du denn hier!“ schnauzte ich sie an und warf einen unsicheren Blick auf die Terrasse, wo Lisa wie ein Häufchen Elend saß. Sabrina lächelte unbeirrt, wie immer. „Ach Richie, gib’s doch zu, ohne mich amüsierst du dich doch gar nicht hier.“ säuselte sie. Wenn sie gewusst hätte, wie sehr sie sich irrte. Ich wünschte mir in diesem Moment nichts mehr, als Sabrina los zu werden. „Toll. Ich wollte sowieso gerade gehen.“ wies ich sie ab. „Fahren wir zu dir und machen es uns….gemütlich?“ Anzüglich grinste sie mich an. Noch nie war mir klarer, was meine Mutter gemeint hatte, wenn sie Sabrina als Flittchen bezeichnete. Sie war so billig, das völlige Gegenteil von Lisa und plötzlich widerte sie mich nur noch an. „WIR ganz bestimmt nicht. Ich fahre jetzt erstmal Lisa nach Hause und ich wäre erfreut, dich heute nicht mehr zu Gesicht zu bekommen, klar?“ Verdattert sah Sabrina mich an. „Wie? Du fährst lieber die Planschkuh nach Hause als mit mir in die Laken zu hüpfen?“ Fassungslosigkeit stand ihr ins Gesicht geschrieben. Kühl musterte ich sie. „Du hast es erfasst.“ Mit diesen Worten ließ ich Sabrina stehen und ging zurück zu Lisa.

Nachdem ich diese in Göberitz abgesetzt hatte, fuhr ich noch lange durch die Gegend und dachte nach. Dieser Abend hatte etwas in mir ausgelöst. Ich hatte nicht nur Sabrina satt. Ich hatte es satt, ständig das Ekel zu geben. Als ich vorhin Lisa gerettet hatte, ohne über den Nutzen für mich nachzudenken, hatte ich zum ersten Mal gespürt, wie es sich anfühlte, Gutes zu tun. Es fühlte sich weit besser an, als jede Rache, als jede Attacke gegen jemanden, den man hasste. War Hass im Grunde nicht enttäuschte Liebe? Allein, dass ich solche Gedanken hatte, führte mir eine Erkenntnis deutlich vor Augen: Ich hatte mich verändert, langsam und schleichend, aber es war geschehen – Lisa Plenske hatte mich in meinem Innersten berührt und verändert.



Lisa

Jeder sagte mir, dass eine brillante Idee war, Richard und David als gemeinsame Geschäftsführer einzusetzen. Jeder außer David. Ausgerechnet David. Wie sehr hatte er mich enttäuscht in den letzten Tagen. Als Jürgen und ich ganz allein die Aktienmehrheit von Kerima erstritten hatten, tat David so, als sei dies allein sein Verdienst. Wie selbstverständlich ging er davon aus, dass ich ihn wieder zum Geschäftsführer machen würde. Wie wütend er war, als er feststellte, dass ich dies nicht vorhatte und Mariella dabei auch noch auf meiner Seite war. Er benahm sich wie ein kleiner verzogener Junge. Ihn nun zum alleinigen Geschäftsführer von Kerima zu machen, wäre ein Freibrief für ihn gewesen, Richard Tag und Nacht zu drangsalieren. Genau wegen dieser Praktiken hatten wir Kerima ja aus Richards Händen befreien wollen und nun benahm er sich haargenauso. Ich konnte es nicht fassen.

Nachdem ich meine Entscheidung auf der Vorstandssitzung bekannt gegeben hatte, benahm David sich mir gegenüber, als sei ich sein schlimmster Feind. Wo war unsere Freundschaft, unsere Vertrautheit? Es war, als hätte es das alles nie gegeben. Und so oft ich auch auf David zuging, er wies mich immer wieder zurück.

Nicht nur das. Wie immer wirkten sich Davids private Befindlichkeiten auch auf das Geschäft aus. Er war nicht in der Lage, Marc Trojan als Fotograf zu buchen. Er nahm nicht an dem Shooting mit Mariella teil, die seine Unterstützung sicherlich hätte gebrauchen können. Er weigerte sich, mit uns im Wolfhardts zu feiern. Richard hingegen war seit der Vorstandssitzung wie verwandelt. Ich glaube fest daran, dass Menschen sich ändern können, auch, wenn Jürgen es vor allem in Bezug auf Richard nicht für möglich hält. Richard unterstützte mich – im Gegensatz zu David – wo er konnte mit Rat und Tat und auch wohltuenden Komplimenten. Über seinen Blumenstrauß zum Beispiel habe ich mich sehr gefreut – wenn er mich auch sehr überrascht hat. Mehr noch: Richard entschuldigte sich für sein früheres Verhalten mir gegenüber. Zuerst dachte ich noch, er tue dies nur, damit ich ihn zum alleinigen Geschäftsführer ernannte, aber er lenkte nie die Sprache darauf, nicht einmal.

Wäre Richard nicht gewesen, wäre ich nun tot.

Er war es, der mich zu der Toga-Party begleitete, auf der ich wichtige Geschäftskontakte knüpfe wollte (was mir auch gelang). David hatte sich mal wieder geweigert, daran mitzuarbeiten. Wer weiß, ob er es überhaupt bemerkt hätte, wie ich an diesem Sims hing und um mein Leben kämpfte. Wahrscheinlich hätte er derweil wieder irgendeine Schönheit angeflirtet, während ich fast vom Dach dieses Hochhauses fiel, weil ich versuchte, dieses Kettchen wiederzubekommen, das er mir geschenkt hatte. In einem anderen Leben, wie es mir schien, als alles noch anders gewesen war.

Stattdessen war es Richard, der mich nicht fallen ließ, der mich wieder hochzog und in die Arme nahm. Niemals zuvor hatte ich mich so sehr gefreut, Richard von Brahmberg in meiner Nähe zu haben. Auch, wenn er kein Ersatz für David war, tat es gut, wie er sich um mich kümmert, mich in den Arm nahm und sich immer wieder erkundigte, ob ich auch wirklich ok sei.

Während David alles tat, um den Graben zwischen uns immer größer werden zu lassen, war Richard mir eine wirkliche Stütze. Der Posten als Chefin von Kerima war ungewohnt für mich und die Verantwortung machte mir Angst. Wie gut hätte ich David als meinen Freund an meiner Seite gebraucht, aber er zog es vor, beleidigt um sich zu schlagen, mich immer wieder zu verletzen und die Aufgabe der helfenden Hand seinem Bruder zu überlassen. Wunderte er sich nun wirklich, dass es so gekommen ist, wie es kam…?


David

Wie hatte ich es bloß so weit kommen lassen können…?

Wieder einmal hatte mir mein verdammter Stolz im Weg gestanden, hatte mich blind gemacht für das, was wirklich zählte. Lisa war mir in dem halben Jahr, in dem sie bei uns arbeitete, so wichtig geworden…wie hatte ich sie bloß so behandeln können?

Sie war es doch gewesen, die Kerima aus Karskis Händen befreit hatte, dem Kerima so egal war wie eine Ameise unter seinem Schuh. Ohne sie wäre Kerima zerschlagen worden und in fremde Hände geraten. Und wie dankte ich es ihr? Indem ich mich aufführte wie ein Arschloch.

Im Nachhinein erkannte ich, dass ich sehenden Auges ins Unglück gerannt war. Ich kannte Lisa doch. Ich wusste, was sie hasste. Ungerechtigkeit zum Beispiel. Ich hätte mir an zwei Fingern ausrechnen können, wie Lisa darauf reagieren würde, dass ich Richard unseren Sieg derart unter die Nase rieb. Stattdessen trieb ich es auf die Spitze und reizte Richard bis aufs Blut. Und gleichzeitig erwartete ich, dass Lisa mich natürlich wieder zum Geschäftsführer ernennen würde. Ich war mir ihrer so sicher. Zu sicher.

Ausgerastet bin ich, als Lisa uns beide zum Geschäftsführer ernannte. Warf ihr vor, nun endgültig den Verstand verloren zu haben. Wozu hatten wir denn Kerima zurückerobert? Doch um Richard zu entmachten. Damals habe ich Lisas Vorgehen nicht verstehen können und glaubte, sie tue dies nur, um mir eins auszuwischen, mir ihre neue Macht zu demonstrieren. Ich sah in ihr nur noch die ehemalige Cateringkraft, die aufgrund unglaublicher Fügungen zur Konzerninhaberin aufgestiegen war. Das alles war ihr wohl zu Kopf gestiegen, nahm ich an.

Mir fiel nicht mal auf, dass sie das Kettchen, das ich ihr zum Geburtstag geschenkt hatte, noch nicht einmal getragen hatte und selbst wenn ich es bemerkt hätte, hätte ich mir wohl kaum Gedanken darum gemacht.

Gestern jedoch war das Ganze eskaliert. Lisa hatte sich dafür entschieden, Richards Silver-Line zu finanzieren, worauf wir uns fürchterlich gestritten hatten.

„Ich bin fertig mit dir, Lisa Plenske, endgültig!“ hatte ich sie angeschrieen und war gegangen – stinksauer.

„Das neue Traumpaar, Richard und Lisa!“ hatte ich Max ironisch angeschnaubt, der mir in den Aufzug gefolgt war, in den ich geflüchtet war und hatte da noch nicht gewusst, wie nahe ich an der Wahrheit lag...

Stunden darauf kehrte ich noch einmal zu Kerima zurück. Immer noch war ich stinksauer. An Lisas ehemaligen Arbeitsplatz vor meinem Büro blieb ich nachdenklich stehen, die Hände in den Hosentaschen vergraben. Ich dachte an die vergangenen Monate zurück. Wie Lisa mich aus dem Pool gerettet hatte. Wie ich sie kurz darauf quasi aus der Not heraus zu meiner Assistentin ernannt hatte. Wie sehr hatten sich meine Gefühle für sie doch geändert seitdem. Das erste Mal hatte ich es gespürt, als wir zusammen Minigolf gespielt hatten. Ein Lächeln umspielte meine Lippen, als ich daran zurückdachte. Wir hatten soviel Schönes zusammen erlebt. Der Tag auf dem Gestüt, als wir zusammen ausgeritten waren. Die Nacht auf der Pfaueninsel. Lisa war die Einzige gewesen war, die mich aufgefangen hatte, nachdem ich erfahren hatte, dass Richard und ich Brüder waren. Mein Herz machte einen Hüpfer, als ich daran dachte, wie wohl ich mich in Lisas Armen gefühlt hatte und auch an dem Morgen danach, den ich mit ihrer Familie hatte verbringen dürfen. Sollte das alles nun wirklich vorbei sein?? Durch meine eigene Schuld? Wütend trat ich gegen Lisas Mülleimer, der umfiel und ein Stück davonrollte. Zum Glück war er fast leer gewesen, nur etwas kleines, silbernes war herausgekullert und lag nun glänzend auf dem Teppich. Irritiert bückte ich mich. Es war die Kette, die ich Lisa geschenkt hatte. Sie war zerrissen. Genau wie unsere Freundschaft.

Tränen stiegen in meine Augen und ich biß mir auf die Lippen, um sie zurückzukämpfen. Plötzlich wurde mir klar, was Lisa mir bedeutete. Ich konnte mir ein Leben ohne sie einfach nicht mehr vorstellen. Ich wollte kein Leben voller Etikette und geschäftlichen Verpflichtungen, so, wie mein Leben mit Mariella war. Ich wollte bei einem Pferderennen nicht bloß dabei sein, um zu sehen und gesehen zu werden, um stupiden Smalltalk zu halten. Ich wollte mitfiebern, jubeln – so wie Lisa. Ich wollte spontan eine Nacht im Freien am Lagerfeuer verbringen, so wie mit Lisa auf der Pfaueninsel, statt Himmel und Hölle in Bewegung zu setzen, um in einem vernünftigen Bett schlafen zu können, wie es wahrscheinlich mit Mariella gewesen wäre. Ich wollte der Frau, die ich liebte, bloß in die Augen sehen müssen, um zu wissen, was in ihr vorging, so wie Lisa, statt dass sie immer die Haltung bewahrte und sich verschloß wie ein Buch mit sieben Siegeln. Ich wollte Lisa! Meine Hand umschloß fest das Kettchen, während ich zu Lisas Büro eilte. Hoffentlich war sie noch da!


Alle

Tatsächlich brannte noch Licht in Lisas Büro, als David sich der Tür näherte. Allerdings hörte er drinnen auch eine Stimme, eine männliche Stimme, was ihn irritiert innehalten ließ, als er gerade anklopfen wollte. Vorsichtig schielte David durch die sich abwechselnden Streifen von klarem und milchigen Glas der Tür zu Lisas Büro. Sein Gesicht verfinsterte sich, als er erkannte, dass es Richard war, der bei Lisa war. Mehr noch: Er stand vor ihr und hielt sie im Arm. Lisa hatte geweint, wie David erkennen konnte. Tränen glänzten auf ihren Wangen. Was war los mit ihr? Er öffnete die Faust, in der das Kettchen lag und betrachtete es nachdenklich. Weinte sie wegen ihm….?

„Lisa, David ist ein Idiot, laß dir bitte nicht immer wieder von ihm wehtun.“ sprach Richard leise auf Lisa ein, deren Schluchzen tatsächlich langsam abebbte, während er ihr immer wieder über ihre Haare und den Rücken strich. Vor wenigen Minuten hatte er sie weinend in ihrem Büro vorgefunden. Ihm war sofort klargewesen, dass sein Bruder mal wieder der Grund für Lisas emotionalen Zustand war. Lisa hatte ihm erzählt, dass sie sich gestritten hatten, weil Lisa die Silver-Line statt der Leger-Line finanzieren wollte und er ihr die Freundschaft gekündigt hatte. Dass sie sein Kettchen zerrissen und dann in ihr Büro geflüchtet war, wo Richard sie vorgefunden hatte.

Unauffällig sog Richard Lisas Duft in sich auf und bekam beinahe ein schlechtes Gewissen, weil er es genoß, sie so in den Armen zu halten, während es ihr doch schlecht ging. Zärtlich spielte er mit einer ihrer Haarsträhnen und schloß die Augen, um das Gefühl, das sie in ihm auslöste, ganz in sich aufzunehmen. Noch nie hatte er so gefühlt, schon gar nicht für eine Frau. Nie in seinem Leben hatte er sich Gedanken darüber gemacht, ob es jemand anderem als ihm gut oder schlecht ging. Noch nie hatte ihn der Kummer eines anderen Menschen innerlich berührt, nicht mal der seiner Mutter, der Frau, die ihm das Leben geschenkt hatte. Noch nie hatte er das Bedürfnis gespürt, eine weinende Frau in seine Arme zu ziehen, sie zu trösten und zu wiegen, bis es ihr wieder besser ging. Doch als er Lisa eben weinend in ihrem Büro gefunden hatte, war es ihm wie selbstverständlich, nein, sogar ein innerliches Bedürfnis gewesen, sich um sie zu kümmern. Er war sauer auf David, dass er wieder mal in Lisas Seele getreten war, ihr Herz verletzt hatte. Es war, als sei ihr Kummer auch seiner und erst, wenn es Lisa wieder besser ging, würde auch er sich besser fühlen.

„Lisa…“ flüsterte er leise und legte zwei Finger unter ihr Kinn, um ihr Gesicht anzuheben, damit er ihr in die Augen sehen konnte. „Du musst dich von ihm lösen, das kann doch nicht auf ewig so weitergehen. David wird sich nie ändern!“ Lisa sah ihn mit großen, verweinten Augen an und nickte. „Ich weiß. Es fällt mir nur so unheimlich schwer.“ sagte sie leise. „Ich werde dir dabei helfen…“ versprach er mit leiser Stimme und näherte sich langsam ihrem Gesicht. Richard bemerkte irritiert, dass sein Herz wie ein Vorschlaghammer schlug, dabei würde es doch nur ein Kuss sein…? Aber würde sie es auch zulassen? Würde Lisa Plenske es zulassen, dass er, Richard von Brahmberg, ihre sinnlichen Lippen berührte, sie küsste?

Lisa fühlte sich so elend, so traurig. Sie wollte einfach nur getröstet und gehalten werden und wieder einmal war es Richard, der für sie da war, während David sie wieder einmal verletzt hatte. Als sie realisierte, dass Richard sie küssen wollte, war sie erst irritiert, aber irgendwie blieb ihre innere Stimme stumm, auf deren Protest sie gewartet hatte, bei der sie sich sofort aus Richards Armen gelöst hätte. Und so schloß Lisa einfach die Augen und öffnete erwartungsvoll ein wenig den Mund, als Richard seine Lippen auf ihre legte. Lisa war überrascht von der Zärtlichkeit, mit der Richard sie liebkoste. Sein Kuss war liebevoll und die Art, wie er sie dabei hielt, erzeugte in Lisa ein Gefühl der Geborgenheit. Ohne weiter darüber nachzudenken, schlang Lisa ihre Arme um Richards Nacken, drängte sich noch etwas näher an ihn und erwiderte seinen Kuss.

David war wie erstarrt. Er konnte nicht glauben, was sich da vor seinen Augen abspielte. Wie vor den Kopf gestoßen wandte er langsam den Blick von der Szene ab, die ihm so unwirklich erschien. Langsamen Schrittes entfernte er sich von Lisas Büro. Lisa, seine kleine Lisa, lag in den Armen von Richard von Brahmberg, statt in seinen. David blieb stehen und öffnete erneut die Hand, in der das zerrissene Kettchen lag. War es zu spät? War das das Ende….? Schweren Herzens ging David weiter. Das Gefühl, dieser Schmerz über den Verlust, den er verspürte, zog ihn fast zu Boden und machte ihm endgültig klar, wieso er sich ein Leben ohne Lisa nicht mehr vorstellen konnte: Er liebte Lisa. Er liebte Lisa mehr als sein Leben, mehr als diese verdammte Firma und vor allem mehr als Mariella. Während David auf den Aufzug wartete, den er per Knopfdruck angefordert hatte, schaute er noch einmal traurig zurück zu Lisas Büro. „Ich werde um dich kämpfen, Lisa….“ flüsterte er so leise, das es fast von dem „Pling“ des Aufzuges übertönt wurde. David stieg ein, drückte auf „E“ und legte, als die Türen sich schlossen, seinen Kopf gegen die kühle, verspiegelte Wand. ‚Bitte, laß es noch nicht zu spät sein. Gib uns noch eine Chance, Lisa…’ betete er stumm und umschloß das Schmuckstück in seiner Hand fest. ‚Glück und Glas, wie leicht bricht das.’ ging es ihm durch den Kopf. Traurig senkte David den Blick und hoffte, dass es noch nicht zu spät war….

~Open End~


 
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