Richard und Sophie von Brahmberg Fanpage
  Chap 09
 
9.Chap - "Nacht der Verzweiflung"

Im Haus herrschte eine Art geordnetes Chaos. In jedem Raum waren Umzugskartons säuberlich gestapelt und auch die Möbel waren mehr ordentlich als wohnlich arrangiert.
Auch im oberen Stockwerk ging es so weiter. Zwar waren alle Betten aufgebaut, aber nicht bezogen. Auch hier standen Kisten rum – Lisa ging näher heran. „Schlafzimmer – J“, „Schlafzimmer – L“ – las sie darauf. Nun – denn wusste sie wenigstens, wo ihre Kleidung geblieben war.
Auch ein Kinder-, bzw. Jugendzimmer gab es hier – ebenfalls mit Kartons in der Mitte.
Raimund sprach aus, was sie dachte „Sie wollten hier einziehen – das ist alles von einer Spedition oder dergleichen vorbereitet.“
Lisa nickte. Dann zog sie rasch ihr Handy aus der Tasche und schloss es an der erstbesten Steckdose an das Ladegerät an. Nervös wartete sie einige Sekunden, dann schaltete sie es an.
„Pin eingeben“ – verlangte das Display – sprachlos sah Lisa darauf. „Das gibt es doch nicht! Wieso ist denn das Ding gesichert?!“
Raimund hatte sich kraftlos auf einen Hocker sinken lassen. „Wir suchen gleich Morgen einen Telefonladen – und der Anwalt ruft bestimmt auch bald zurück. Tut mir leid – ich möchte nur noch duschen, was essen und dann schlafen. Mit dem verdammten Tunnel hab ich nicht gerechnet!“
Lisa war kurzfristig von ihren eigenen Problemen abgelenkt. Er sah wirklich immer noch total erschöpft aus. Allerdings – wenn sich Morgen nichts tat, dann würde sie die Polizei einschalten – wieso war sie da nicht eher drauf gekommen?? Doch zurück zum Naheliegendsten…
„Ich sehe mal nach, ob das Wasser geht…“
Sie hatten Glück, Licht und Wasser funktionierten bereits. Sie lief zum Wagen und holte ihre Sachen heraus, dann brachte sie ihm seine Reisetasche nach oben und zeigte ihm das Bad, dass sie gefunden hatte.
Bevor er hineinging, hielt er sie am Arm auf „Die Idee mit der Bluse war wunderbar. Ich weiß nicht, wie ich es ohne ertragen hätte…“
Sie war leicht verlegen „Mir kam so der Gedanke… Ich sehe jetzt zu, dass ich was zu essen auftreibe.“
Der Kühlschrank war wie erwartet leer – aber sie rief die Auskunft an ließ sich die nächste Pizzeria in der Nähe nennen. Als Raimund wieder nach unten kam, brachte soeben der Bote Pizza, Salat und Getränke.
Beim Essen hing jeder seinen Gedanken nach. Lisa war drauf und dran ihn zu fragen, was es mit der Tunnelphobie auf sich hatte, doch er sah so abweisend aus, dass sie keinen Mut für diese Frage fasste.
Raimund verschwand gleich darauf in einem Raum, den sie als Gästezimmer identifiziert hatten, während Lisa in das Schlafzimmer ging, in dem Jürgens und ihre Sachen ihrer harrten.
Da sie eh nicht schlafen konnte, packte sie ihre Kartons aus. Himmel-hilf! Was war denn das für eine Garderobe?! Trotz ihrer Sorge um das vermisste Kind, ihrer Angst vor der Zukunft und den leichten Kopfschmerzen, die sie mal wieder quälten – trotz allem verschlug ihr das, was sie auspackte den Atem. Unterwäsche, mehr praktisch als schön, Blusen, Kleider, Röcke und Hosen eines anderen Zeitalters. Unmodern und unvorteilhaft! Und erst die Nachtgarderobe… warme Pyjama mit Teddymotiv, Flanellnachthemden, Blümchen und Spitze… Kurz entschlossen packte sie alles, nachdem sie es gesichtet hatte wieder in die Kartons – davon wollte sie so gut wie nichts mehr anziehen! Nach ihrem Pass zu urteilen war sie 34 Jahre alt – dies waren doch nicht Kleider, die eine Frau anzog!
Sie sah auch Jürgens Sachen durch – aber nur, um nichts zu verpassen, was wichtig sein könnte. Sie fand auch einen Karton voller Kuscheltiere – ob ihr Sohn noch damit spielte?
Schließlich packte Lisa ihre neu erworbenen Sachen in die Regale, stapelte die Kartons ordentlich auf dem Flur und ging schließlich doch ins Bad und anschließend zu Bett.
Es dauerte lange, bis sie Schlaf fand – und es überraschte sie auch nicht, dass sie auch diesmal wieder Gesellschaft hatte.

Jürgen stand vor ihr und diesmal hielt er ihr einen Strauss Tulpen hin. Er grinste verschämt „Tut mir leid, dass ich Dir nichts von dem Kind sagen konnte. Du musstest das selbst rausfinden…“
Sie nahm die Blumen. Sie waren ganz leicht und rochen nach nichts. „Ach Jürgen – wo ist der Junge nur? Geht es ihm gut?“
Er schüttelte resigniert den Kopf und Lisa verstand. „ich muss auch das selber rausfinden, nicht wahr?“
„Ich würde Dir so gerne mehr helfen Süße.“
„Ist der Junge von Dir?“
Er sah sie lange und ernst an „Du hast mir nie gesagt, wer der Vater ist. Ich weiß nicht, von wem der Junge ist. Ich war es jedenfalls nicht – wir sind erst viel später auch im Bett ein Paar geworden.“
„Na – wenigstens sind wir das!“ brach es aus Lisa heraus „nach der Garderobe habe ich schon anderes gedacht!“
Er grinste nun wirklich „Du wolltest nie was anderes anziehen… Bin ganz verblüfft, was Du Dir heute zugelegt hast!“ Er trat näher, zog sie in die Arme „scheint fast so, als ob sich durch Deine Amnesie mehr ändert, als man annehmen könnte.“
„Wie meinst Du denn das?“
Er streichelt sachte ihren Rücken „bist so couragiert geworden. Gibst diesem Kerl da Paroli – kommst mit der ganzen verkorksten Situation gut zurecht. Ich bin echt stolz auf Dich Lieselotte!“
„War ich denn vorher feige?“
„Nein! Ganz bestimmt nicht! Aber schüchtern und verträumt und – na ja – ein bisschen verklemmt – und sehr … hm … behütet und konservativ erzogen…“
„Oh.“
Er schob sie auf Armeslänge von sich „Du wirst den Jungen bald finden Süße – da bin ich mir sicher. Und nun solltest Du mal nach Deinem seltsamen Weggefährten sehen – der träumt so was von scheußlich, dass mir ganz anders wird.“
„was? Ich kann doch nicht zu ihm rein…“
„Aber weck ihn auf – versprich mir das!“ Er küsste sie auf die Wange, dann ließ er sie los, zwinkerte ihr zu und – verschwand.

Lisa wachte auf. Sie war seltsam beruhigt. Jürgen hatte gesagt, sie würde den Jungen bald finden… Sie vertraute darauf.
Und was war das mit Raimund? Sollte sie wirklich nach ihm sehen?
Sie sah auf ihre Uhr. Es war kurz nach fünf. Draußen war es schon nicht mehr ganz dunkel.
Lisa warf die Bettdecke von sich und langte nach dem Morgenmantel, der einst Jürgen gehört hatte. Ein dezentes Braun zog sie allen Entchen und Plüschvarianten vor.
Barfuss tappte sie bis vor die Tür. Erst dachte sie, das wäre alles Mumpitz – doch dann hörte sie ihn stöhnen und reden. Auch wenn sie durch die Tür nichts verstand, klang es sehr gequält.
Sie klopfte laut an die Tür.
Noch einmal.
Schließlich atmete sie tief durch und öffnete sie.
Die Fenster hatten noch keine Vorhänge, so dass das Zimmer in diffuses Licht getaucht war.
„So war das nicht!“
„Ihr verdreht alles!“
„Lasst mich doch einfach in Ruhe!“
„…ich kann nicht mehr…“
- konnte sie seinem Gestammel entnehmen, während er sich unruhig hin und her warf.
Sie ging näher heran, fasste sich ein Herz und rüttelte an seinem Arm.
Im nächsten Moment quietschte sie überrascht auf, denn er fasste hart zu, zog sie zu sich herunter und nagelte sie mit seinem Körper auf dem Bett fest.
Sekunden vergingen – dann ließ er sie abrupt los, schmiss sich auf den Rücken und presste sich die Hände vor das Gesicht.
Lisa rappelte sich halb hoch, blieb aber etwas betäubt auf der Bettkante sitzen. Merke Dir Lisa – weck ihn nie wieder, wenn er träumt!
„Hab ich Dir weggetan?“ seine Stimme klang wie zerrissen.
„Nein – nur furchtbar erschreckt!“
„Das wollte ich nicht – verzeih. Ich bin dennoch froh, dass Du mich geweckt hast.“
„Es ist wegen dem Tunnel oder?“ fragte sie leise.
Er antwortete nicht, was Lisa als Zustimmung nahm.
„Warst Du im Krieg oder schlechte Kindheitserinnerungen?“
„Nein – so etwas Ähnliches…“
Sie sprach aufs Geratewohl „Gefängnis?“
Er lag ganz ruhig da. Dann sagte er leise und etwas abgehackt „Isolationszelle. Tagelang, wochenlang eng und dunkel und kalt und nass. Jeder wird da fast verrückt…“
„Was hattest Du denn getan, dass man Dich dorthin steckte?“
Er lachte gequält auf „Hab mich nicht schuldig bekannt. Aber irgendwann hatten sie mich soweit – irgendwann sagst du alles!“
„Wie lange warst Du im Gefängnis?“
„Fast achteinhalb Jahre.“
Sie schwieg.
Er schwieg.
Dann sagte er leise „Auch wenn es jeder sagt. Aber – ich bin unschuldig. Ich hab mich nachher nur schuldig bekannt, weil sie mich gebrochen hatten.“
„Und weswegen hat man Dich verurteilt?“
„Wegen einiger Dinge – aber Mord war nicht dabei, wenn es das ist, was Du wissen willst.“
„Was ich wissen will… Schwör mir, dass Du unschuldig im Gefängnis warst.“
„Ich schwöre es.“
Stille – dann setzte er hinzu „Lisa – wenn Du willst zieh ich gleich Morgen aus – oder jetzt gleich…“
Sie erhob sich „Nenn mich naiv – aber ich glaube Dir.“
„Danke.“
Sie schickte sich an, das Zimmer wieder zu verlassen.
„Lisa – nenn mich Ray…“
Ohne ein weiteres Wort schloss sie die Tür.

 
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