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Chap 6 – Träume und Geschichten
Lisas Besorgnis, nicht schlafen zu können, erwies sich als unbegründet. Sie hatte leichte Kopfschmerzen und jeder Muskel in ihrem Körper tat ihr weh. Der Schlaf war eine Wohltat und sie schlief ohne Probleme ein.
„Schicke Brillen hast Du Dir da heute ausgesucht Lieselotte!“
Jürgen Decker stand vor ihr und grinste, was irgendwie seine abstehenden Ohren noch mehr hervorhob. Gleichzeitig streckte er ihr einen Schokoriegel entgegen.
Mechanisch nahm sie ihn, ging dann auf ihn zu und umarmte ihn.
„Ach Jürgen – ich dachte, Du seiest tot!“
„Aber hey – das bin ich ja auch! Dachte nur, ich schau mal nach Dir. Und nun iss Dein Schokozeugs!“
Sie setzten sich nebeneinander auf etwas, das da war, das sie aber nicht sehen konnte und Jürgens Arm legte sich weich und kühl um sie – dennoch war es tröstlich.
Sie biss in den Riegel und lehnte sich an ihn.
„Meinst Du, es war richtig mit diesem Kerl da loszuziehen?“
„Weiß ich auch nicht – sag Du es mir…“
„Kann ich nicht Lisa – ich kann nur… hmh – nun sagen wir mal – ich bin so was wie Dein Gewissen und ich kann Dir dann und wann einen Tipp geben.“
„Hast Du jetzt einen für mich?“
„Ja. Sei vorsichtig Lisa Plenske! Wenn Du zurück nach Berlin gehst – mach nur einen Schritt nach dem anderen.“
„Was meinst Du damit?“
“Mehr darf ich nicht sagen. Ich dürfte eigentlich gar nicht hier sein!“
„Ich bin froh, dass Du nach mir siehst… Jürgen – waren wir glücklich?“
Sein Arm drückte sie leicht „Na also unglücklich waren wir nicht.“
„Das ist keine Antwort.“
„Das ist die einzige, die ich Dir geben kann.“
Sie flüsterte „es tut mir so leid, dass Du gestorben bist.“
„Mir auch Lieselotte – ich wollte doch für Dich da sein...“
„Wenn schneller Hilfe da gewesen wäre…“
„Ne Dicke – keine komischen Gedanken – Du warst so unglaublich, wie Du Hilfe geholt hast! Du bist eben die Beste!“
„Ach Jürgen – ich wünschte Du wärst hier...“
Er atmete tief durch „Lisa – nachdem Du wieder in Hamburg warst - geh in Berlin erst zur Bank zum Schließfach – versprich mir das.“
Im selben Moment schien er leichter zu werden und gleich darauf war er fort.
Lisa begriff – er hatte mehr gesagt, als er durfte. Nur warum sollte sie zunächst wieder nach Hamburg fahren?
Das Klingeln von Jürgens Handy weckte sie.
„Ja – Elisabeth Decker?“
„Ja – Hansen. Kriminalpolizei Hamburg. Wir haben Ihre Handtasche gefunden. Sie können sie jederzeit abholen. Sie müssen sie mit aus dem Wagen genommen haben und vor der Straße fallengelassen haben.“
Lisa notierte sich die Adresse – nachdem sie ihre Brille, Stift und Zettel gesucht und gefunden hatte - und legte nachdenklich auf.
Ein seltsamer Traum war das gewesen… und nun dieser Anruf. Sie musste also wirklich zuerst nach Hamburg zurück. Du spinnst Lisa! Das war nur ein Traum!
.. und doch … und doch war der Gedanke tröstlich, dass Jürgen Decker da irgendwo über sie wachte. Ein kleines Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. Er war ein guter Mensch gewesen, dessen war sie sich inzwischen sicher.
Sie machte sich fertig und ging hinunter zum Frühstück.
Raimund Bruckner saß schon dort. Und er sah ziemlich übernächtigt aus.
Und – er hatte für sie schon Frühstück bestellt. Sie überlegte erst, ob sie etwas sagen sollte, griff sich dann aber friedfertig ein Brötchen und erzählte von dem Handtaschenfund.
„Nun“ – er sah angelegentlich aus dem Fenster „das heißt, wir müssen heute sehen, dass Ihre Brillen fertig werden, zur Bank, ob die uns etwas sagen können und Sie sollten sich das verkaufte Haus und den Laden unbedingt ansehen, ob da bei Ihnen was klingelt.“
Plante der Kerl schon wieder den ganzen Tag!
„Aber ich möchte auch in ein Internet-Café – ein bisschen über Kerima Moda und Yellow Art recherchieren!“
Er nickte knapp – „Am Nachmittag. Verknüpfen wir mit der Kaffeepause.“
Sprachs und widmete sich seinem Brötchen.
Lisa öffnete den Mund, schloss ihn aber wieder. Ob ihm gar nicht auffiel, wie dominierend er sich verhielt? Dabei hatte er offensichtlich keinen Pfennig auf der Naht und hatte überhaupt keinen Grund so ein Machogehabe an den Tag zu legen.
Ok Lisa – Du kannst auch anders. Sie lächelte süßlich „Oh – Rasierer heute nicht gefunden?“
Er strich sich über seine Bartstoppeln „Eigentlich rasier ich mich nur alle drei Tage…“
Ihr Lächeln wurde noch süßer „Könnten Sie daraus eventuell täglich machen?“
Sein Lächeln wirkte provokant „Ich dachte, den Damen gefällt so etwas?“
Sie rührte energisch ihren Kaffee um und schwenkte den Löffel vor seiner Nase „Mir nicht!“
War da einen Moment Verblüffung in seinen Zügen? Nein – das bildete sie sich nur ein…
„Wie die gnädige Frau wünscht“ – gab er klein bei, doch der Spott auf seinem Gesicht, strafte seine devote Haltung Lügen.
Sie taten dann genau das, was er geplant hatte. Allerdings war sein Gesicht dabei so glatt rasiert, wie es nur sein konnte.
Der Optiker versprach bis zum Abend alles abholbereit zu haben und der Besuch in der Bank brachte sie nicht wirklich weiter. Jürgen Decker und seine Frau seien zuverlässige Kunden gewesen. Der Kredit, den Jürgen Decker vor neun Jahren aufgenommen hatte, war schon seit vier Jahren abbezahlt und vor einigen Wochen hatte er alle Konten aufgelöst.
Sie aßen zu Mittag bei einem Italiener und fuhren danach zu ihrem ehemaligen Haus.
Es lag dicht am Fährverkehr von Esbjerg. Das Haus in zweiter Reihe, der Kiosk und die Eisdiele an der Straßenfront. Das Ganze musste eine Goldgrube gewesen sein! Zentral gelegen, dazu noch der Fährverkehr und die wunderschöne Hafenlage, die Touristen anzog.
Raimund pfiff durch die Zähne. „Na – da hat Herr Decker aber ein goldenes Händchen gehabt!“ Er griff nach ihrer Hand und zog sie zur Eisdiele „ich spendier eine Kugel!“
Lisa war seltsam zumute. Hier hatte sie wahrscheinlich auch bedient oder? Vielleicht erkannte der eine oder andere sie? Doch Niemand zeigte ein Zeichen des Erkennens.
Ebensowenig konnte sie behaupten, dass ihr irgendetwas vertraut vorkam.
Sie nahm eine Kugel Yoghurt-Eis und sie setzten sich auf zwei mit Ketten versehene Poller, die als Wegbegrenzung dienten und schauten dem bunten Treiben zu.
„Kommt Ihnen irgendetwas bekannt vor?“ fragte Raimund leise.
„Es ist wunderschön hier - aber es klingelt leider gar nichts.“
Sie gingen auch noch die Straße entlang, so dass Lisa einen guten Blick auf das Haus hatte. Es war ein hübsches Haus – im typischen gekalkten dänischen Stil – doch keine Erinnerung wollte an die Oberfläche. Es war zum Verrücktwerden!
Seltsamerweise strengte sie diese versuchte Reise in die Vergangenheit fürchterlich an und sie wurde entsetzlich müde – was ihr ziemlich peinlich war.
Raimund fuhr sie zurück in die Pension und befahl ihr mehr oder minder sich hinzulegen.
„Aber“ – versuchte sie zu rebellieren – doch ein Blick aus seinen plötzlich sehr strengen Augen genügte. Lisa ging in ihr Zimmer, zog sich die Schuhe aus, öffnete ihren BH und streckte sich auf dem Bett aus. Sekunden später war sie eingeschlafen.
Erst am frühen Abend wachte sie wieder auf und klopfte zaghaft an die Zwischentür – doch nebenan rührte sich nichts. Sie fand ihren dominanten Reisegefährten im Aufenthaltsraum der Pension vor, wo er – seine langen Beine von sich gestreckt – in einem gemütlichen Ohrensessel lümmelte und sich durch Berge an Papier wühlte.
Er sah hoch, als sie näher kam „Ausgeschlafen?“
Sie rieb sich verlegen den Nacken „Ja - danke. Die Ärzte im AK Altona haben mir gesagt, dass ich noch schnell ermüde – aber ich wollte das nicht glauben… Was haben Sie da für Papier?“
Er deutete auf den Sessel neben sich und Lisa setzte sich.
„Ich war im Internet-Café und hab ein bisschen über Kerima Moda und Yellow Art recherchiert… Wollen Sie eine ungemein interessante Geschichte hören?“
„Eine Geschichte?“ echote sie etwas verwirrt.
„Oh ja – eine in der alles drin ist…“
Lisa lehnte sich im Sessel zurück und sah ihn an „Na denn mal los.“
Raimund legte die Papiere beiseite, legte die Fingerspitzen aneinander und sah sie über die Kuppen seiner Finger an.
„Ich beginne wie alle guten Geschichten… Es waren einmal zwei Männer, die sich in dieselbe Frau verliebten. Der eine war David Seidel – ein Liebling der Modewelt und der Frauen. Der andere Rokko Kowalski – ein Werbefachmann, der Kerima Moda vor der Presse vertreten sollte. Die Verlobung mit Rokko Kowalski stand, die Hochzeit war anberaumt. Am Polterabend gab es eine Riesenszene – die Presse hat das weidlich ausgeschlachtet. Die Braut hat wohl Seidel Junior ganz intensiv geküsst. Die beiden Kontrahenten bekamen sich in die Haare und am Ende verließ David Seidel – allein – die Party. Doch die Hochzeit am nächsten Tag fand nie statt. Die Braut erschien nicht. Und sie blieb verschwunden… bis heute.“
Lisa schreckte hoch und sah ihn entgeistert an „Nein. Nein! Sie meinen doch nicht…“
Raimund reichte ihr ein Blatt Papier. Auf diesem war eine Frau abgebildet – mit einer ungemein hässlichen Brille, furchtbar altbackener Kleidung und Haaren wie ein Wischmopp. Aber sie lachte – auch das noch: mit Zahnspange – in die Kamera. An ihren Seiten zwei Herren. Den einen erkannte sie wieder von dem Foto, das sie beim Notar gesehen hatte – das war David Seidel. Top modisch und ganz in schwarz und grau gekleidet. Der andere Mann hatte dichte Locken, ein ansteckendes Grinsen auf dem Gesicht – und die schrillste Kombination eines rosa karierten Pullunders mit einem fast pinkfarbenem Hemd, die man sich nur vorstellen konnte. Die Bildunterschrift lautete: Mehrheitseignerin Lisa Plenske, Geschäftsführer David Seidel und PR-Manager Rokko Kowalski freuen sich über den großen Erfolg der diesjährigen Frühjahrskollektion.
Lisa sah immer noch wie gebannt auf die drei Gestalten.
„Frau Decker?“ sprach Raimund sie leise an.
„Ich seh auf dem Bild aus, wie eine Vogelscheuche!“ entrüstete sie sich.
Er lachte leise „Typisch Frau - das Unwichtigste fällt zuerst auf!“
„Das ist nicht unwichtig! Na – die Zahnspange hab ich anscheinend nicht mehr. Die Brille auch nicht. Die Haare trage ich jetzt meist als Pferdschwanz – ziemlich widerspenstiges Zeug das! Gut – ein paar Kilo zuviel hab ich immer noch auf den Rippen… Und über die Kleidung in der Reisetasche hab ich mich schon die ganze Zeit gewundert. Hab schon gedacht, ich hätte nicht genug Zeit gehabt, die zu packen…“
Sie runzelte die Stirn, versuchte erst jetzt zu verarbeiten, was er da alles gesagt hatte. „Und ich bin seitdem verschwunden?“
Er nickte „…und es ist nie geklärt worden, warum Sie den Kowalski vorm Traualtar sitzen gelassen haben.“
„Und wie ging es in Berlin weiter?“
„Nun – anscheinend waren Seidel und Kowalski in mehr als einer Hinsicht Konkurrenten. Zumindest hat Rokko Kowalski in den letzten Jahren eine eigene Firma aufgebaut. Er nannte sie Yellow Art – und sie stellt wohl recht junge und schräge Mode her. Kerima Moda hat daran wohl trotz der mehr konservativen Linie zu knabbern, da auch diese eine junge Mode kreieren wollten…Die Feindschaft der beiden ist wohl schon fast legendär in Berlin – und sie versuchen sich das Wasser – und die Frauen – abzugraben – wo sie nur können. Vor fünf Jahren hat Kowalski dann eine junge Designerin von Kerima Moda abgeworben. Sie ist wohl ziemlich gut – denn seitdem schreibt Yellow Art schwarze Zahlen. Und David Seidel hat gegen Rokko Kowalski Klage eingereicht wegen Abwerbung mit unlauteren Mitteln…“
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