Richard und Sophie von Brahmberg Fanpage
  Chap 03
 
Chap 3 – Im Ungewissen

Das Gespräch mit der Polizei hatte Lisa einen Schock versetzt.
Wer sollte denn ihrem Mann eine Kugel in den Kopf jagen? Warum?
So etwas gab es doch nur in Filmen. Schlechten Filmen.
Sie hatten doch nur einen ganz normalen Unfall gehabt. Mehr nicht!
Die Polizei hatte gefragt, ob sie Feinde gehabt hatten. Wie sollte sie das wissen?
Sie wusste nichts – rein gar nichts!
Ihre ganze Hoffnung ruhte jetzt auf dem Mann, der auf der Intensivstation mit dem Tode rang.
Sie verbrachte einen unruhigen Vormittag, dämmerte nach dem Mittagessen kurz ein, nachdem es ihr gelungen war etwas Hühnersuppe und Brot bei sich zu behalten.
Nachmittags brachte sie diesmal ein Ziwi zu Jürgen Decker.

Er sah schlechter aus.
Eine wächserne Blässe lag auf seinem Gesicht, die Gestern noch nicht da gewesen war.
Er wurde nun künstlich beatmet.
Seine Hand schien noch kühler als Gestern.
Sie blieb länger dort – streichelte ihn – den ihr Unbekannten – sachte und redete leise mit ihm.
Der Gedanke, dass er sterben könne, jagte ihr eine so große Angst ein, dass sie meinte, ein Metallgürtel hätte sich um ihren Brustkorb gelegt.
Als die Schwestern sie baten nun wieder zu gehen, wollte sie nicht.
Er war doch derjenige, der das Vakuum in ihrem Gehirn füllen sollte…
Sie bat darum mit einem Arzt sprechen zu dürfen.
Man versprach ihr, dass so bald wie möglich der behandelnde Arzt zu ihr auf das Zimmer kommen würde.
Lisa ließ sich wieder in ihr Zimmer schaffen. Lag da und sah die weiße Decke an.
Sie war so allein. Alles war so ungewiss. Wer war sie? Wo war ihr Heim? Hatte sie Eltern, Freunde, Verwandte? War sie glücklich gewesen, mit dem Mann auf der Intensiv?
So, wie er mit ihr im Wagen gesprochen hatte bestimmt…

Der Arzt kam kurz nach dem Abendessen. Genauer gesagt, war es eine Ärztin. Als diese merkte, dass Lisa die Wahrheit hören wollte, sagte sie ihr ruhig und sachlich, wie es um ihn stand – wie schlecht es wirklich um ihn stand.
Es stand schlecht – sehr schlecht.
In dieser Nacht konnte Lisa nicht schlafen.
Es war kurz vor Mitternacht, als sie es aufgab und vorsichtig die Beine aus dem Bett schwang. Ihr Kopf rebellierte nur wenig, so dass sie sich in den Rolli setzte, den der Ziwi im Zimmer stehen gelassen hatte.
Warum sie es tat, war ihr nicht ganz klar. Sie wusste nur, dass sie es tun musste.
Als würde der Mann, der einige Stockwerke von ihr entfernt mit dem Tode rang, sie rufen.
Es war mühsam die Türen zu öffnen, bis zum Fahrstuhl zu gelangen und zur Intensivstation zu gelangen – aber das Krankenhaus war ausgelegt für Rollstuhlfahrer.
Der Eingang zum Bereich der Schwerstkranken wurde ihr allerdings durch eine sehr kleine und sehr energisch aussehende Schwester verwehrt.
„Bitte – bitte lassen Sie mich zu meinen Mann – bitte.“
Ihr Flehen half.
Zwei Ärzte und zwei Schwestern waren um ihn herum.
Lisa hielt sich im Hintergrund und beobachtete wie hypnotisiert die Versuche des Klinikpersonals das Leben von Jürgen Decker zu retten.
Er kam nicht mehr zu sich. Als die erste Helligkeit den kommenden Tag ankündigte, wurden alle Apparaturen ausgeschaltet und eine Hand eines Arztes legte sich schwer auf Lisas Schulter.
“Tut uns sehr leid – die Verletzungen waren einfach zu schwer, es bestand von Anfang an kaum Hoffnung.“
Eine Schwester schob Lisa zurück in ihr Zimmer.
Dort lag sie, sah aus dem Fenster und versuchte der Verzweiflung Herr zu werden, die sich bleiern auf sie legte. All ihre Hoffnung hatte sie darauf gelegt, dass dieser Mann ihr sagen würde, wer sie war, was sie war…
Schwester Sigrid nötigte sie schließlich zu Schlaftabletten.
Sie nahm sie.
Doch auch das Erwachen aus dem traumlosen Nichts brachte keine Besserung.
Sie war allein.
Sie wusste nicht, wer sie war.
Sie wusste … nichts.

Gegen Mittag brachte ihr ein weiterer Ziwi die persönlichen Sachen ihres Mannes.
Ihre eigenen waren am Unfallort nicht gefunden worden. Keine Handtasche, keine Geldbörse..
Sie breitete die Gegenstände wie einen Fächer auf dem Bett aus.
Führerschein und Pass. Er hatte ein niedliches Grinsen… und Segelohren…
Doch kein Gefühl der Erinnerung kam.
Die Adresse… wie seltsam. Esbjerg. Dänemark.
Der Unfall war in Hamburg geschehen – und sie lebten in Dänemark?
Zu ihrer Überraschung war auch ihr eigener Pass bei den Papieren. Eine Frau mit etwas wirren Haaren sah ihr durch eine recht elegante Brille entgegen. Ihr Lächeln wirkte etwas aufgesetzt. So – das war also sie: Lisa Decker, geborene Plenske….
Der Inhalt der Geldbörse brachte eine weitere Überraschung! Neben fast tausend Euro in bar lagen darin Traveller Schecks in Höhe von achttausend Euro. Ferner der Kaufvertrag eines Hauses in Dänemark an ein Paar mit dem Namen Smoergaerd. Was soviel hieß, wie das die Adresse in Dänemark nicht mehr die ihre war – das Haus dort war von ihnen verkauft worden!
Das letzte Artefakt, das sie fand (nebst Kaugummi, einem Kamm dem einige Zinken fehlten und einem Geduldsspiel), war am Seltsamsten… ein Lederetui mit den Insignien einer Berliner Bank – aus feinstem schwarzem Leder. Darin eingehängt ein Schlüssel…
Wohl von einem Schließfach sinnierte Lisa.
Soviel Geld… der Verkauf des Hauses… ein Schließfach….
Es sag so aus, als hätten Herr und Frau Decker alle Zelte in Dänemark angebrochen und wären nach Hamburg gefahren – oder hatten sie weiter nach Berlin gewollt?
Doch wozu? Und war Hamburg nur Durchreise gewesen?
Der dienst habende Arzt fand sie später weinend vor, sammelte die verschiedenen Gegenstände ihres verstorbenen Mannes ein und schob sie in den Nachtschrank an Lisas Bett.
„Frau Decker“ – sagte er sanft „bitte quälen Sie sich nicht so. Sie müssen versuchen sich auszuruhen…“
„Wie soll ich das?!“ – brach es aus ihr heraus „mein Mann ist tot – ich weiß nicht, wer ich bin – nicht wo ich hingehöre – ich weiß gar nichts!“
„Ihre Amnesie muss nicht dauerhaft sein. Je ruhiger und gelassener Sie werden, umso mehr Chance haben Sie, dass Ihre Erinnerung wiederkehrt.“
„Und wenn Sie nicht wiederkehrt?“
„Sie müssen versuchen zuversichtlich zu sein…“
„Leicht gesagt – ohne Erinnerung. Mit einem toten Mann, der eine Kugel im Kopf hatte. War das ein Irrer – oder sollte es meinen Mann erwischen?“
Der Arzt seufzte „Ok – ich attestiere Ihnen erschwerte Bedingungen. Dennoch – Sie können nur etwas unternehmen, wenn Sie wieder gesund sind oder? Bitte versuchen Sie doch etwas ruhiger zu werden…“

Tags drauf kamen erneut Polizeibeamte. Diesmal in zivil.
Sie waren sehr nett, sehr ruhig – und sie bestätigten eines: Der Unfall war kein Unfall gewesen. Jemand hatte mit einem Gewehr aus weiter Entfernung auf ihren Mann geschossen. Eine Waffe – wie die Kripo ihr mitteilte – wie sie gerne von bezahlten Beauftragten genommen wurden.
Lisa begriff: Ein Auftragsmord…
„Natürlich“ - so warf einer der Beamten ein „kann es auch sein, dass das falsche Ziel anvisiert wurde… oder dass das Ganze Jugendliche waren, die sich – Gott weiß wo – so ein Gewehr beschafft haben…“
Doch seiner Stimme hörte man an, dass er das eigentlich nicht glaubte.
„Wenn Sie uns bitte mitteilen würden, wo Sie sind… falls noch Fragen auftauchen…“

Nach neun Tagen wurde Lisa Decker aus dem Krankenhaus entlassen.
Die Polizei hatte ihr mitgeteilt, dass sie und ihr Mann tatsächlich die letzten acht Jahre in Dänemark gelebt hatten. Jürgen Decker hatte dort einen Kiosk mit einer kleinen Eisdiele betrieben. Vorher hatte er wohl einen Kiosk in Berlin gehabt.
Auch nach ihrer Familie hatte man geforscht – aber es gab alleine in Berlin mehrere Familien dieses Namens.
Sie versprachen sie anzurufen (Jürgens Handy hatte den Unfall überstanden) – wenn etwas neues bekannt würde.
Da die Leiche ihres Mannes noch nicht von der Kriminalpolizei freigegeben worden war, musste sie noch nicht entscheiden, wie und wo er beerdigt werden sollte.

Mit der dringenden Bitte sich noch zu schonen und einem kleinen Koffer, trat Lisa Decker eines Morgens im Juni aus dem Hochhaus des AK Altona und ging langsam auf drei Taxis zu, die hier wahrscheinlich immer warteten, weil es in so einem großen Hospital immer Kundschaft für sie gab.

Sie überlegte gerade intensiv und recht erfolglos, was sie als erstes machen sollte und achtete nicht auf den Weg.
Der Rumpler von der Seite kam überraschend und warf sie aus dem Gleichgewicht.
Das Quietschen der Reifen – das Fluchen eines Mannes – dann packten kräftige Hände zu und zerrten sie auf die Beine.
 
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