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Chap 5 - "Esbjerg"
Dann ging alles ungeheuer schnell.
Sie blieb in dem Café sitzen, während er – von wo auch immer – seine Sachen holte.
Lisa war etwas benommen zumute, als sie keine Stunde später in das schwarze Monster stieg, in dem all ihre Habseligkeiten (ihre Reisetasche aus dem Unfallwagen, die Sachen ihres Mannes und ein sehr schlichter beigefarbener Mantel) verstaut waren.
Der Wagen mochte alt sein, aber es saß sich geräumig und bequem darin, der Motor machte einen sonoren Klang und der Tag forderte seinen Tribut. Noch weit vor der dänischen Grenze schlief sie ein.
„Frau Decker… Lisa … der Pass – wir sind an der Grenze…“
Noch halb benommen holte Lisa ihren Pass aus ihrer Jackentasche.
Und weiter ging es.
Die Landschaft war flacher geworden, die Luft herber.
Raimund Bruckner war ein ruhiger, besonnener Fahrer.
Der schwere Wagen glitt wenn auch nicht leise, so doch gleichmäßig dahin.
„Nun? Ich habe Sie nicht gefressen, auch wenn Sie eingeschlafen sind…“
„Dafür danke ich…“
Ein etwas überraschter Seitenblick traf sie „Kaum wach und schon so schlagfertig?“
Sie überging dies „wie lange noch?“
„Na - so in einer knappen Stunde sind wir da. Sollen wir uns zunächst eine Unterkunft suchen und dann den Anwalt ausmachen? Oder lieber zum Haus fahren?“
Himmel war der Kerl durchdacht! „Hotel oder Motel klingt gut.“
Wieder ein Seitenblick „Und ein Optiker wäre auch nicht schlecht.“
War ihm auch noch die lädierte Brille aufgefallen…
Er fuhr fort „Ok – erst eine Bleibe, dann setz ich Sie beim Optiker ab und ich werde sehen, dass ich einen Termin mit dem Notar bekomme.“
„Sind Sie immer so?“
„So wie?“
„Na – so bestimmend! So planend!“
Er lachte kurz auf „ich denke schon.“
Lisa seufzte, schloss wieder die Augen und öffnete sie erst wieder, als die Räder des Wagens auf Kies knirschten.
Die kleine Pension war einfach aber sauber. Sie bekamen nebeneinander liegende Zimmer mit einer Verbindungstür, die allerdings abschließbar war – Lisa war dafür sehr dankbar.
Lisa warf einen Blick auf ihre Uhr – sie hatte das Gefühl, der Tag müsste schon fast zuende sein, doch es war erst kurz nach drei. Zuviel war an diesem Tag passiert – und sie fragte sich immer wieder, wie es geschehen war, dass nun ein Wildfremder ihr Weggefährte war. Allerdings – so dachte sie philosophisch – wäre zurzeit jeder ein Fremder für sie… selbst wenn sie diesen Mann von früher her kennen sollte – würde sie es nicht erkennen können! Für sie gab es derzeit nur fremde Menschen…
So geht das nicht Lisa! Kopf hoch! Pack jetzt Deine Tasche aus und dann siehst Du erst mal zu, dass du zumindest wieder richtig sehen kannst – wenn schon das Gedächtnis nicht funktioniert!
Zwanzig Minuten später saß Lisa erneut in dem schwarzen Monster und Raimund Bruckner drückte ihr einen Fahrplan in die Hand.
Unwillkürlich entfuhr ihr „Ich bin furchtbar schlecht im Karten lesen! Wir sollten ein Navi kaufen!“
Er zog die Brauen hoch „Und woher wollen Sie wissen, dass Sie schlecht dabei sind?“
„Oh!“ – verblüfft antwortete sie „aber ich weiß es – so was kann ich nicht. Und ich benutze immer ein Navi – da bin ich ganz sicher… Es ist nicht wirklich eine Erinnerung – aber ich bin mir dennoch sicher!“
„Na“ – er nahm ihr die Karte aus der Hand „das ist doch ein gutes Zeichen – denke ich!“
Er ließ sie beim ersten Optiker aussteigen, den er fand und versprach so rasch wie möglich wieder da zu sein. Etwas verlegen drückte ihm Lisa hundert Euro in die Hand „für´s Tanken“ nuschelte sie und ging dann rasch Richtung Geschäft.
Lisa hatte unverhofft Glück, dass sie keine Ladenkette erwischte, sondern ein kleines Brillengeschäft, das eng mit dem hiesigen Labor zusammenarbeitete. Da sie ihre kaputte Brille nicht dalassen konnte, suchte sie sich eine neue Brille aus und auch gleich eine Sonnenbrille. Was hätte sie wohl sonst genommen – mit Erinnerung?
Ratlos sah sie die laufenden Meter Draht-, Plastik-, Horn- und andere –gestelle.
Dankbar nahm sie die Hilfe einer Verkäuferin an und sah kurze Zeit später durch eine schmale goldgefasste Brille, die ihr Gesicht kaum veränderte. Bei der Sonnenbrille wagte sie sich sogar an ein recht interessantes Stück, dass ihrem Gesicht etwas Rätselhaftes verlieh.
Raimund kam gerade hinzu, als sie die Anprobe beenden wollte.
„Und Kontaktlinsen? Sie könnten doch mal Monats– oder Tageslinsen probieren…“
Warum eigentlich nicht? Sie bestellte auch diese hinzu und fühlte sich etwas leichtsinnig, dass die das Geld, das Jürgen Decker bei sich gehabt hatte, so leichtfertig ausgab.
Man versprach sie anzurufen, sobald etwas fertig war und Raimund hielt ihr die Wagentür auf.
„Hab noch heute einen Termin bekommen. Wir haben noch Zeit etwas zu essen.“
Woraus Lisa schloss, dass er auch das schon geplant hatte. Der Kerl hatte eine beängstigende Neigung, ihr Leben zu managen.
„Moment noch“ – Lisa holte etwas aus einer Tüte, die sie im Brillengeschäft erstanden hatte.
„Hier – die gab es dort gerade als Sonderangebot.“
Er lachte, als er das Navigationsgerät auspackte und auf dem Armaturenbrett installierte. „Nun das ist jetzt definitiv das neueste und modernste, was dieses Automobil zu bieten hat!“
Während Lisa sich in die Beschreibung vertiefte, steuerte Raimund den großen Wagen durch die gepflegten Straßen von Esbjerg und parkte schließlich vor einem gediegenen Fischrestaurant ein. „Ich hoffe, Sie mögen Fisch?“ – fragte er beiläufig.
„Ja – gerne. Nur nicht Makrele – ist mir zu fett…“ – Lisa sah verblüfft hoch.
„Sehen Sie – auch das wissen Sie sicher! Und dass Sie eben die ganze Zeit englisch mit der Verkäuferin gesprochen haben – ist Ihnen das aufgefallen?“
Sie schüttelte den Kopf und lächelte halb hoffnungsvoll, halb traurig „aber so richtige Erinnerungen sind das doch nicht…“
„Aber sicher!“ bekräftigte er und stieg aus.
Nachdenklich tat sie es ihm gleich – konnte es sein, dass sich die ersten kleinen Türchen wieder öffneten? Oder war das normal, das man so etwas noch wusste in ihrer Situation?
Sie aßen fast schweigend. Lisa war in ihre Gedanken versunken und er störte sie nicht darin.
Erst als sie bereits in einem Cappuccino herumrührte ergriff er wieder das Wort „Möchten Sie gleich alleine zum Notar oder soll ich Sie begleiten?“
Zu zweit betraten sie eine halbe Stunde später eine recht noble Anwaltskanzlei. Lisa sah sich verstohlen um. Nicht gerade eine billige Sache das hier…
Auch der Herr dieses Büros war erstklassig gewandet, sprach fast akzentfrei Deutsch und war vollendet in den Höflichkeitsfloskeln. Er sprach Lisa artig sein Bedauern über den Tod ihres Mannes aus und darüber, dass sie ihre Erinnerung verloren hatte – woraus Lisa schloss, dass Raimund bereits sehr detailliert der bei Terminabsprache gewesen war.
Man setzte sich.
Lisa hob an „Nun – ich würde natürlich gerne etwas über meine Vergangenheit erfahren. Alles, was Sie wissen, könnte nützlich und hilfreich sein.“
„Nun“ – der Anwalt verschränkte die Fingerspitzen „so furchtbar viel kann ich Ihnen da nicht helfen. Ihr Mann kam vor gut acht Wochen zu mir und bat mich einen Kaufvertrag aufzusetzen für sein Haus hier in Esbjerg. Was ich tat. Zur Unterzeichnung waren dann die Käufer, Sie und ihr Mann hier bei mir. Nach diesem Abschluss legten Sie mir eine Anzeige aus dem Internet vor. Es ging um kleines Haus am Rande von Berlin. Auf Ihre Bitte hin knüpfte ich die Kontakte und erwarb die Immobilie in ihrem Namen. Ich habe Ihnen hier die Adresse aufgeschrieben. Und hier ist eine Kopie des Kaufvertrages. Das Original müssten Sie bzw. ihr Mann haben.“
Das musste Lisa erst einmal verdauen „ich besitze ein Haus?“
„Aber ja. Habe ich mit dem Erlös des Hauses hier in Esbjerg beglichen. Die Restsumme habe ich auf Anweisung Ihres Mannes in Aktien angelegt.“
„Aktien?“ warf Lisa ein „Nicht Traveller-Schecks?“
„Nein – Aktien. Ganz sicher. Alle von einer Modefirma mit so einem modänen Namen… Lassen Sie mich nachdenken… Kerima Moda – genau das wars. Ansässig in Berlin. Eines der größten Modeunternehmen dort. Haben nur seit einigen Jahren harte Konkurrenz bekommen. So ein Spinner hat direkt nebenan ein Modehaus aufgemacht. War auch so ein seltsamer Name – Yellow Art...“
„Moment – ich hab Aktien einer Modefirma, die sich mit harter Konkurrenz rumschlagen muss?“
„So ist es.“
„Warum denn gerade Aktien dieses Unternehmens?“
Der Anwalt zuckte die Achseln „das haben Sie mir nicht gesagt. Aber es mussten diese sein. Hab sie zu einem recht günstigen Kurs bekommen. Dieser Konkurrent – Kowalski heißt er – der hat die Junior-Designerin von Kerima Moda abspenstig gemacht.“
„Scheint ja ein wirklich netter Kerl zu sein…“
„Mehr weiß ich leider auch nicht. Nur dass Sie und ihr Mann alles hier aufgeben wollten. Ihr Mann sprach noch von der Verlegung des Kontos nach Berlin und dass er seinen Wagen mitnehmen wollte. Hab ihm noch Tipps gegeben, was er dabei beachten muss.“
Lisa dachte angestrengt nach „Und der Kiosk mit dem Eisgeschäft?“
„War Teil des Kaufvertrages. Die Smoergaerds haben das Haus inklusive Geschäft gekauft.“
Der Anwalt zückte eine Visitenkarte – allerdings nicht seine eigene. Dr.Wolfram Diebholt - stand da im Prägedruck – mit Berliner Adresse.
„Hier“ – Lisa nahm die Karte entgegen „diesen Anwalt hab ich Ihrem Mann in Berlin empfohlen. Er wollte von mir einen solchen in Berlin genannt haben. Ich kenne Dr. Diebholt schon lange – daher hab ich ihn empfohlen. Ob Ihr Mann sich allerdings an ihn gewandt hat, weiß ich nicht.“
Der Anwalt ergriff eine Mappe „Da Herr Bruckner mir gesagt hat, dass Sie unter Amnesie leiden, hab ich mir die Freiheit genommen für Sie die Seiten von Kerima Moda aus dem Internet auszudrucken. Ich hatte bei den Gesprächen mit Ihrem Mann und Ihnen den Eindruck, dass Sie irgendwie mit diesem Unternehmen in Verbindung stehen.“
Lisa nahm den Hartkarton und schlug ihn auf.
Gleich als Deckblatt kam die Startseite von Kerima Moda. Ein großes Foto war darauf, auf dem zwei Herren in die Kamera lächelten und dabei mit einem Glas Sekt dem Betrachter zuprosteten.
Die Herren waren sehr unterschiedlich: der eine jung, auf dunkle Weise gut aussehend mit einem ansteckenden Lächeln auf den hübschen Zügen, der andere älter, distinguiert wirkend und leicht verdrießlich lächelnd. Die Bildunterschrift lautete: Friedrich Seidel – Fimenmitbegründer und Aufsichtsratmitglied und sein Sohn David Seidel – Geschäftsführer von Kerima Moda.
Im ersten Moment waren Lisa die Züge der beiden Männer vertraut vorgekommen – doch je länger sie die beiden anstarrte, desto mehr schwand das Gefühl.
„Frau Decker?“ – das war Raimund Bruckners Stimme „alles in Ordnung?“
„Ja“ – sagte Lisa, klappte die Mappe zu und erhob sich „einen Augenblick dachte ich nur ... - doch der Name Seidel sagt mir leider gar nichts…“
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