Richard und Sophie von Brahmberg Fanpage
  Kapitel 19
 

Kapitel 19

„Frau Plenske, wie wäre es, wenn Du jetzt mal den PC abdrehst und Dich langsam fertig machst. Mein Vater hasst Unpünktlichkeit.“ Richards Stimme riss Lisa aus ihrer Arbeit und ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass es tatsächlich Zeit wurde, zu gehen. Rasch stapelte sie die Papiere zusammen und fuhr den PC herunter. Sie öffnete die Türe zu Davids Büro und klopfte gleichzeitig dagegen. Davids Kopf fuhr herum und Lisa hob entschuldigend die Hände, als sie sah, dass er telefonierte. „Ich weiß Marcella, aber es geht leider nicht anders. Hab ein bisschen Geduld mit mir, ich bin im Moment ziemlich mit Arbeit ausgelastet“, hörte sie David säuseln und sah verwundert auf seinen Schreibtisch. Auch er war offensichtlich schon bereit für den Feierabend und hatte bereits seine Arbeiten zu kleinen Stößen zusammen gestapelt. ‚Oha, da gibt es also schon eine Neue und Marcella lässt sich nicht abservieren’, dachte Lisa erstaunt und deutete auf ihre Uhr. „Ich gehe jetzt“, flüsterte sie David zu und schloss leise die Türe hinter sich.

„Du schaust so eigenartig. Was ist denn los?“ wollte Richard auf dem Weg in die Tiefgarage wissen und störte so Lisas eher trübe Gedanken. „David hat versucht, Marcella abzuservieren bzw. hinzuhalten, aber sie dürfte sich das nicht so einfach gefallen lassen“, sprach sie ihre Gedanken laut aus und strich ihm sachte über den Arm. „Du siehst müde aus. Waren die Verhandlungen mit Blum so heftig?“ Richard nickte und verdrehte die Augen. „Ja, der wird immer schwieriger. Seit er erfahren hat, dass wir auch mit Bretane verhandeln zickt er herum“, kam es ein wenig gequält von Richard. Er hielt ihr die Beifahrertüre auf und wartete, bis sie sich gesetzt hatte. Langsam umrundete er den Wagen und begann zu lächeln. Lisas Art tat einfach gut. Ihre Frage war unerwartet gekommen, aber sie hatte ihm gezeigt, dass sich jemand dafür interessierte, wie es ihm ging. Kurz blieb er stehen und schluckte angespannt. ‚Lass es Richard, das wird nichts’, flüsterte seine innere Stimme. ‚Es fühlt sich aber gut an’, dachte er trotzig und stieg mit einem leichten Lächeln ein. „Bereit für den Abend im trauten Heim der Seidels?“, neckte er Lisa, die ergeben seufzte. „Nein, aber ich würde es gerne hinter mich bringen. Ich mag Deinen Vater und natürlich auch Laura, aber das Interesse an mir ist mir mehr als unangenehm“, meinte sie nachdenklich und starrte in den starken Abendverkehr.

Sicher und relativ schnell brachte Richard sie zur Villa und diesmal ließ Lisa es zu, dass er ihr die Wagentüre öffnete. Er grinste nur und verbeugte sich leicht. „Ist doch gar nicht so schwer, Du lernst das schon noch“, raunte er ihr zu und drückte kurz ihre Hand. Für Sekunden legte Lisa ihre Hand auf seine Wange und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen. „Denk dran, ich war nett, aber nicht gerade willig“, ermahnte er sie und sah sie fragend an, als sie loskicherte. „Sorry, aber das hab ich ganz anders im Kopf“, neckte sie ihn und funkelte ihn kess an. „Lisa! Du bringst mich völlig aus dem Konzept, wenn Du so ausgelassen bist. Könntest Du bitte wieder auf schüchterne, naive ... Assistentin machen?“ brummelte er und zwinkerte ihr zu. „Auf in den Krampf“, setzte er seinen Satz lauter fort und schob Lisa in Richtung der Eingangstür. ‚Jungfrau, er wollte Jungfrau sagen’, schoss es Lisa plötzlich durch den Kopf und für Sekunden trafen sich ihre Blicke. Sein angespanntes Gesicht machte sie nun zusätzlich nervös und sie erkannte, dass Richard eindeutig angespannter war, wie sie selbst.

„Hallo, schön dass ihr schon da seid“, begrüßte Friedrich die beiden und bat sei herein. „Gabriele hat sich einen Grippevirus eingefangen und wir sind auf uns selbst gestellt“, plauderte er weiter, während er Lisa aus dem leichten Mantel half. Neugierig sah sich Lisa um und war völlig platt wie groß die Halle mit den neuen Möbeln wirkte. Sie war nur wenige Male hier gewesen, aber die nun eingekehrte schlichte Strenge ließ den Wohnraum um einiges nüchterner und kühler erscheinen. „Das wirkt ja nicht mehr sehr einladend“, hörte sie Richards Stimme neben sich und sah ihn erstaunt an. Der Blick, den er mit seinem Vater wechselte, sprach Bände. So wie es aussah, gefiel es Friedrich auch nicht so besonders, aber er hatte sich dem Geschmack seiner Frau gebeugt. Laura kam ein wenig aufgelöst aus der Küche und begrüßte Lisa und Richard herzlich. „Es ist beschämend. Wir haben uns schon so daran gewöhnt, dass uns Gabriele verwöhnt. Ich finde mich in meiner eigenen Küche nicht zurecht.“ Sie verdrehte lächelnd die Augen und hielt inne. „Sie sehen extrem gut aus Frau Plenske, so werden sie den Herren bei Kerima wohl in kürzester Zeit die Köpfe verdrehen“, neckte sie Lisa und erreichte mit ihren Worten, dass diese heftig errötete.

Richard lachte hingegen herzlich und sah seine Stiefmutter an. „Da hast Du Recht und sie hat heute gleich mit Max begonnen. Der hat den ganzen Tag damit verbracht Lisa zu beobachten, genauso wie Stefan Merx von der Buchhaltung. So oft habe ich den noch nie in der Chefetage gesehen, wie heute. Von Timo ganz zu schweigen, aber der macht es wenigsten so, dass es nicht auffällt.“ Erstaunt sah Lisa ihn an und drehte sich mit einem Schulterzucken zu Laura. „Ich weiß nicht, wovon Richard redet. Das ... es ist mir unangenehm, wenn sich alle so nach mir umdrehen.“ Laura lächelte Lisa an, dann sah sie zu Richard. „Und? Wie gefällt Frau Plenske Dir?“ fragte sie interessiert. „Gut, also mir gefällt was ich sehe“, kam die spontane Antwort, die keiner der Anwesenden erwartet hatte. „Was gibt es denn zu Essen?“, lenkte Richard die Aufmerksamkeit schnell auf eine für ihn essentielle Frage. „Ich hab’ heute nur Schnittchen bekommen und bin von einem Termin zum anderen.“ Laura hob entschuldigend die Schultern. „Kalten Braten, Aufstriche, Gemüse und Brot, mehr habe ich nicht zustande gebracht“, lachte sie entschuldigend. „Nehmt doch inzwischen Platz, ich bin noch nicht ganz fertig.“

Richard folgte dem Blick seines Vaters in den Wintergarten und nickte zustimmend. „Wir setzen uns einstweilen in den Wintergarten“, rief er hinter Laura her und legte seine Hand auf Lisas Rücken. Sie machten es sich bequem und als Friedrich kurz verschwand um die Getränke zu holen, sah Richard Lisa forschend an. „Was ist denn?“ wollte er wissen und lachte bei Lisas Frage, ob er das mit den Männern bei Kerima ernst gemeint hatte, leise auf. „Ja sicher. Dir fällt das nicht einmal auf – ein sehr sympathischer Wesenszug an Dir. Aber Max ist heute die ganze Zeit um Dich herumgeschlichen und hat versucht Deine Aufmerksamkeit zu erwecken. So wie Merx, aber der hat Dich nur von der Ferne angeschmachtet.“ Lisa sah ihn ungläubig an, dann breitete sich ein strahlendes Lächeln auf ihrem Gesicht aus. „Dann muss ich morgen aufmerksamer sein, Stefan Merx ist ein sehr gut aussehender Mann“, überlegte sie laut und zuckte zusammen als Richard sie anstupste. „Ja nicht, der ist so wie David, nur in der billigeren Variante. Also billiger Sekt, billige Absteige und dann ‚Tschüss’.“ „Na dann halt nicht“, maulte Lisa gespielt zerknirscht, hob den Kopf und überlegte kurz. „Wie ist es mit Max?“ „Der ist ein Schleimer und hat einen bescheidenen Charakter. Such Dir gefälligst einen Mann mit Format, der Dir was bieten kann“, knurrte er leise und musterte Lisa ernst. „So was wie Dich – nur in nett?“, neckte Lisa ihn und sah erstaunt, dass er nickte. „Genau, zum Beispiel Marc Trojan. Der ist nett, verdient gut, sieht – laut Sabrina – einfach geil aus und hat keine allzu großen Macken. Früher hat er Drogen genommen, ist aber seit über 1 ½ Jahren ist er clean.“ „Danke für den Tipp, ich werde es mir überlegen“, meinte Lisa so ernst sie es zusammen brachte, dann begann sie jedoch schallend zu lachen. „Dir ist schon bewusst, dass dies eine bescheuerte Unterhaltung ist?“ fragte sie während sie verzweifelt versuchte Luft zu bekommen. „Ja, ist mir bewusst“, stimmte Richard lachend zu.

„Ihr hab es ja extrem lustig. Da fragt Mann sich doch, wie es zwischen Euch in London zugegangen ist.“ Ertappt fuhren Lisa und Richard herum, als sie Davids extrem schneidende Stimme hörten. „Nett und zivilisiert“, zischte Richard zurück und funkelte seinen Bruder an. Die aufkommende gereizte Stimmung wurde durch Friedrich unterbrochen, der mit den Getränken in den Wintergarten kam. Erstaunt sah er David an, dann linste er auffällig auf die Uhr. „Was machst Du denn hier?“ fragte er überrascht und reichte die Getränke an Lisa und Richard weiter. „Heute Morgen hab ich noch hier gewohnt“, gab David brummend zurück und machte es sich neben Lisa auf der Rattanbank bequem. „Ja, schon. Es ist nur so ungewohnt, dass Du um die Zeit schon da bist. Aber schön, dass Du Zeit hast“, fuhr Friedrich fort und verschwand wieder Richtung Küche, um Laura über eine weitere Person beim Essen zu informieren. „Du hast heute gar keine Verabredung?“ wandte sich Richard an seinen Bruder und prostete ihm zu. „Nein. Ich dachte, es wäre nett Euch Gesellschaft zu leisten“, meinte David herausfordernd und griff nach Lisas Mineralwasser. „Darf ich? Ich bin am Verdursten.“ Lisa nickt nur und sah ihn forschend an. Irgendetwas stimmte nicht. Davids Augen glitzerten verdächtig und er machte sich keine Mühe, das Gespräch aufrecht zu halten.

„Kommt ihr bitte zu Tisch“, ertönte da Friedrichs Stimme aus der Halle. David stand schnell auf und hielt Lisa galant die Hand hin. „Darf ich bitten?“ meinte er und zog Lisa mit sich. Diese sah erstaunt auf die Hand, und ließ sich zum Esstisch begleiten, wo sie abwartend stehen blieb. „David hilfst Du mit bitte?“ kam Lauras Stimme aus der Küche, woraufhin sich dieser mit einem Schulterzucken von Lisa löste und in der Küche verschwand. Richard stand nun neben Lisa und schüttelte verblüfft den Kopf. „Was ist denn ihn den gefahren. Hast Du den auch verzaubert?“ neckte er sie und strich ihr sanft über den Rücken. Friedrich kam mit den Getränken zurück und rückte Lisa den Stuhl zurecht. Dann deutete er auf Richard. „Komm, setzt Dich neben Lisa“, meinte er und winkte David zu, sich gemeinsam mit ihm den beiden gegenüber zu setzen. „Greift zu, es gibt von allem noch was“, meinte Laura ein wenig unsicher und sah in die Runde. „Danke Mutter, das sieht extrem lecker aus“, lobte David und lud sich seinen Teller voll, während er Lisa unter halbgeschlossenen Lidern beobachtete.

Sie sah verwirrt und ein wenig eingeschüchtert aus, aber das schallende Gelächter, das ihn empfangen hatte, deutete darauf hin, dass es wohl an der ungewohnten Situation und nicht an seinem Bruder lag, dass Lisa jetzt so reserviert war. ‚Sie ist wunderschön’, dachte er zum wiederholten Male und grinste in sich hinein. ‚Allein Max Gesicht am Vormittag und sein Herumgestottere hatten Davids Tag versüßt. Nach zwei Cognac hatte sich Max soweit beruhigt, dass er Davids Büro wieder verlassen konnte, nur um in extrem kurzen, dafür regelmäßigen Abständen wiederzukommen. Zuerst hatte es David noch lustig gefunden, aber dann hatte er Max gebeten, sich zu beherrschen. Etwas was auch ihm den ganzen Tag über extrem schwer gefallen war. Lisa nicht zu sehr auf die Pelle zu rücken war schwieriger gewesen, als er gedacht hatte. Am Nachmittag hatte er dann beschlossen, den Termin mit Rita abzusagen und statt dessen nach Hause zu gehen und sich dem ‚Familienessen’ anzuschließen. Er hoffte, noch ein wenig mehr über London zu erfahren, denn auch wenn Lisa ihm einige Male geschickt ausgewichen war, war ihm rasch klar geworden, dass sie ihm nicht alles erzählte.

Lisa fühlte sich tatsächlich unwohl und hätte sich am liebsten in Luft aufgelöst. Sie konnte noch immer Davids warme Hand spüren, wie sie die ihre umschlossen hatte, andererseits war ihr brennend bewusst, dass Richard sehr nahe neben ihr saß und sein Knie auffällig weit nach außen hatte kippen lassen und so das ihre berührte. Sie räusperte sich hektisch und errötete. ‚Das gibt es doch nicht, das ist wie in einem schlechten Schmalzfilm’, dachte sie verwirrt und lächelte Friedrich gequält an, der ihr zuprostete. „So ihr beiden, jetzt gesteht mal ... Was habt ihr denn in London alles angestellt?“

Für einen kurzen Moment herrschte eisige Stille am Tisch, dann begann Richard zu lachen. „Wir haben ganz brav alle Sehenswürdigkeiten abgearbeitet, uns bei Tante Meredith sehen lassen und sind pünktlich wieder nach Hause gekommen“, meinte er vergnügt und nahm einen großen Schluck Rotwein. Friedrich verdrehte die Augen und wandte sich Lisa zu. „Noch mal die selbe Frage an eine vernünftige Frau. Wie war es in London?“ Lisa strahlte ihn an, dann begann sie mit Feuereifer zu erzählen, was sie alles gesehen und erlebt hatte. Sie bliebt immer so nahe an der Wahrheit wie möglich und am Ende war klar, dass Richard einen ganz guten Reiseführer abgegeben hatte, der sich von Lisa manchmal auch zu Dingen hatte überreden lassen, die er sonst nicht machte. So erwähnte Lisa, dass sie ihn förmlich gezwungen hatte mit zu Madame Tussauds zu gehen und Richards Gesicht noch 10 Minuten nach dem Besuch umwölkt war. Laura und Friedrich lachten herzlich über die Schilderungen und ein Seitenblick auf Richard zeigte Lisa, dass sie genau das richtige Maß an Nettigkeit getroffen hatte. Kurz wunderte sie sich, wie einig sich Richard und sie in vielen Dingen waren, dann jedoch hob sie erstaunt den Kopf.

„Das Bild von Euch vor dem Tower war übrigens nett“, meinte David gerade ein wenig zynisch und sah Lisa direkt an. „Bild? Welches Bild?“ fragte sie erstaunt und erwiderte ahnungslos Davids Blick, dann drehte sie sich zu Richard. Dieser schmunzelte leicht und spielte mit der Serviette. „Das ich Friedrich geschickt habe, um zu beweisen, dass Du noch am Leben bist und nicht im Tower eingekerkert bzw. in der Themse versenkt“, meinte er spöttisch und sah seinen Bruder freundlich an. „Hat es Dir denn nicht gefallen?“ erkundigte er sich und spürte, dass Lisa ihn mit dem Knie anstieß. „Ich dachte, Du hast das Bild nur an Deinen Vater geschickt“, fragte sie nach, doch Richard schüttelte den Kopf. „Ich hab es auch an David geschickt, damit er sieht, dass es Dir gut geht“, meinte er und runzelte die Stirn. „War doch nur gut gemeint“, grummelte er und nahm sich noch vom Braten. Lisa beobachtete ihn und verdrehte innerlich die Augen. ‚Du wolltest David klar machen, dass ich auch ohne ihn Spaß habe’ dachte sie bestürzt und atmete tief durch. ‚Hat er deshalb so bescheuert bei unserem Telefonat reagiert?’ überlegte sie, doch dann schüttelte sie den Kopf. ‚Bilde Dir ja nichts ein Lisa, der Absturz von Wolke 7 wäre ein wenig zu hoch’, redete sie sich gut zu und überhörte, dass Friedrich sie ansprach.

Sanft stieß Richard Lisa an. „Lisa? Wo auch immer Du gerade gedanklich in London herumwanderst - Friedrich hat gefragt, wie Du Meredith findest.“ Lisa verzog nachdenklich den Mund, doch Friedrichs Lächeln ermutigte sie. „War sie halbwegs nett?“ wollte er wissen und sah Lisa neugierig an. „Ihre Schwägerin ist eine sehr interessante Frau. Zu Beginn war sie ein wenig eigenartig .... also nicht negativ. Nur ein bisschen .... gewöhnungsbedürftig. Sie hat eine extrem scharfe Zunge“, stotterte Lisa und sah ihr Gegenüber um Entschuldigung heischend an. „Aber dann hatten wir eine sehr nette Zeit zusammen. Sie war auch viel gelöster, als ihre Freundin nicht mehr in der Nähe war.“ „Freundin?“ kam es fragend von Laura, die sich bisher nur selten in das Gespräch eingebracht hatte. „Ja, Helen. Sie wirkte sehr gestresst und das hat wohl auf Tante Meredith abgefärbt.“ Friedrich zog eine Augenbraue hoch. „Helen ist also wieder aus der Versenkung aufgetaucht. Hätte ich nicht gedacht“, meinte er leise uns sah zu Laura, die die Augen verdrehte. „Meredith wird sie aber hoffentlich nicht mitbringen, wenn sie im Mai kommt. Sie ist immer die personifizierte schlechte Laune und extrem streitsüchtig“, fuhr Friedrich fort und sah Lisa entschuldigend an.

„Na ja“, meinte Laura nun. „Sie hatte auch schon einiges einzustecken. Ihr Mann war ein Spieler und man munkelt, dass sie ihre Tochter Sarah an einen reichen Unternehmersohn ‚verkauft’ hat.“ Das verkauft setzte sie unter Anführungszeichen, aber ihre Stimme machte klar, dass es wohl so gewesen war. „Mit dem Geld konnten sie ihren Besitz einige Zeit retten, aber dann hat es ihr Mann geschafft, fast alles zu verspielen. Er konnte mit dieser Schuld nicht leben und hat sich umgebracht. Ihr Sohn – Geoffrey – ist ein notorischer Frauenheld dem Alkohol zugeneigt. Die Londoner Gesellschaft hat sie fallen gelassen und sie ist sicher viel alleine. „Aber das müsstest Du ja besser wissen“, wandte sie sich an Richard, der in sich gekehrt den Ausführungen lauschte. „Ihr ward ja so eine verschworene Gemeinschaft – oder ist der Kontakt völlig abgebrochen?“ Richard sah auf und Lisa merkte, wie dunkel seine Augen wirkte. Er hob nur eine Augenbraue und runzelte nachdenklich die Stirn. „Das ist alles schon hunderte Jahre her. Das interessiert mich alles nicht mehr.“

Laura sah zu Friedrich, der ihr zunickte. „Ja, das ist eine eher unschöne Geschichte gewesen. „Habt ihr Geoffrey und Sarah auch getroffen?“ fragte er Richard, der leise schnaubte. „Geoffrey hat Lisa angebaggert und war ziemlich zudringlich, aber nach einem kurzen Wortwechsel hat er gekniffen und ist verschwunden. Sarah lebt in Neuseeland, so viel ich weiß“, antwortete Richard leise und musterte die Reste auf seinem Teller. So entging ihm wie sich David ruckartig aufrichtete und Lisa besorgt ansah. ‚Ist er Dir zu nahe getreten?’ formten seine Lippen und für kurze Zeit gab es nur Lisa und David in diesem Raum. Lisa schüttelte fast unmerklich den Kopf. ‚Nein, es war nur ekelhaft’, dachte sie und war sich nicht bewusst dass David diese Antwort in ihrem Gesicht lesen konnte. Heiße Wut stieg in ihm hoch und er zerknüllte angespannt seine Serviette. Die lautlose Kommunikation war den anderen nicht aufgefallen, doch Lisa fühlte sich auf einmal leicht wie eine Feder. Davids Sorge zeigte ihr, dass sie ihm nicht egal war und für Sekunden versanken ihre Blicke ineinander.

Friedrichs Stimme holte Lisa wieder in die Wirklichkeit zurück. Sie wandte sich nur mühsam von David ab und griff verwirrt nach ihrem Glas. Ihr war heiß und sie hoffte, dass niemand merkte, wie aufgewühlt sie auf einmal war. „Wirklich?“ meinte Friedrich gerade erstaunt und lehnte sich zurück. „Ich habe gehört, dass Stevenson mit seiner Familie nach dem Tod seines Vaters wieder zurück nach England ist, aber vielleicht war das ja auch nur ein Gerücht“, meinte Friedrich erstaunt und hob das Glas. „Genug von diesen Geschichten. Richard! Danke, dass Du Lisa ein – wie sie sagt – netter Reisegefährte warst und auf sie, Lisa. Schön, dass sie eine tolle Zeit in London hatten.“ Sie prosteten sich zu und wechselten in den Wintergarten, wo noch einige Zeit geplaudert wurde. Diesmal war David nicht schnell genug gewesen und musste sich mit einem Sessel zufrieden geben, da sich Laura neben Lisa niedergelassen hatte. Die beiden Frauen unterhielten sich über das Modeangebot, während sich die Herren über Kerima sprachen.

Langsam wurde es spät und Richard drängte zum Aufbruch. Nach einer herzlichen Verabschiedung durch die Seidels blieb es bei der Nachhausefahrt lange still im Auto, bis Lisa ihre Neugierde nicht mehr zurückhalten konnte. „Mrs. Charles Stevenson ist also Sarah Derwood, die Tochter von Helen, die mit ihrem Mann in Neuseeland wohnt und die Du nur flüchtig kennst?“ begann sie leise und hörte, dass Richard scharf Luft holte. „Dafür hast Du relativ heftig auf sie reagiert – findest Du nicht?“ fuhr sie fort und legte ihre Hand auf seinen Arm. „Das sind uralte Geschichten Lisa, das interessiert niemanden“, meinte er leise und parkte den Wagen vor ihrer Wohnung. Er drehte sich zu ihr und sah sie ernst an. „Es war ein schöner Abend. Danke – so wohl habe ich mich bei Friedrich und Laura schon lange nicht mehr gefühlt.“ Er zog sie sanft an sich und küsste sie leicht auf die Lippen, löste sich dann jedoch von ihr und strich über ihre Wange. „Schlaf gut, Lisa. Wir sehen uns morgen“, murmelte er, während sie ausstieg. Er winkte nochmals kurz, dann verschwand der Wagen um die Ecke.

„Das Thema ist noch nicht vom Tisch, Richard von Brahmberg. Da steckt doch noch mehr dahinter“, murmelte sie vor sich hin und schloss erleichtert ihre Wohnung auf. Nach einer heißen Dusche kuschelte sie sich ins Bett und dachte über den vergangenen Tag nach. Immer wieder kehrten ihre Gedanken zu Lauras Erzählung zurück und sie nahm sich vor, ein wenig im Internet zu recherchieren. Wenn dieser Stevenson ein so reicher Mann war, dann würde man dort sicher einiges über ihn finden. Sie wusste wohl nicht genau, was sie dann mit ihrem Wissen anfangen würde, aber ihr Instinkt sagte ihr, dass es einfach wichtig war.

 

 

 
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