1.
Lisa wollte gerade ihren Laptop ausschalten und Feierabend machen. Es war schon wieder sehr spät geworden und sie hatte Mühe ihre Augen offen zu halten.
'Nur ganz kurz ausruhen, dann gehe ich', dachte sie und ließ ihren Kopf auf den Tisch sinken. In 'Null-Komma-nichts' war sie tief eingeschlafen.
Nach eine Weile wachte sie schwer atmend und stark errötet auf. Sie sah sich um und stellte fest, dass es wieder nur ein Traum gewesen war.
'Sie saß in ihrem Büro am Computer und war ganz vertieft in ihre Arbeit. Plötzlich spürte sie warme Hände auf ihrem Oberschenkel, die langsam hoch glitten und ihre Beine zärtlich streichelten... Eine warme Welle durchströmte ihren Körper und sie schaute vorsichtig herunter. Richard sah sie voller Leidenschaft an und hob sie vom Stuhl hoch, so dass ihre Beine ihn umschlungen. Er platzierte Lisa vorsichtig auf die Couch und küsste sie am ganzen Körper von oben bis unten. Dann verwöhnte er sie auf die feinste Art und Lisa kam zu einem heftigen Höhepunkt. Sie war wie elektrisiert unter seinen Berührungen und konnte es nicht mehr abwarten, ihn in sich aufzunehmen.
Richard schob sich langsam zu ihr hoch und war kurz davor in sie einzudringen... '
Dann wachte sie immer auf.
'Wenn Du mit 25 immer noch kein Sexualleben hast, dann tust Du es eben im Traum', dachte Lisa ironisch. Sie hatte ja schließlich so gut wie gar keine Erfahrung auf dem Gebiet,
abgesehen von dem peinlichen Versuch nach einer Firmenfeier.. mit dem Kowalski. Alle hatten kräftig getrunken und da sie ja so eine Art Paar gewesen waren... Und als endlich bei ihr zuhause waren, hatte Lisa entschieden, dass ES endlich geschehen sollte. Es haute aber einfach nicht hin, Kowalski stürzte sich hungrig auf Lisa zu und riss ihre Bluse auf, dann küsste er ihren Dekollete so hektisch ab, dass es Lisa einfach zu nass und unangenehm wurde. Sie ekelte sich schon, wenn sie daran denken musste. Lisa hatte auch gar nicht wirklich mitgemacht, sie war einfach nur so da.
Schließlich hatte er es geschafft Lisa auszuziehen und versuchte vergeblich in sie einzudringen. Das gelang ihm nicht und die ganze Aktion scheiterte, als er plötzlich zum Höhepunkt kam. Einfach so - mitten in die Bettwäsche. Aber Lisa war einfach erleichtert, dass es endlich vorbei war. Rokko war es äußerst peinlich gewesen und zu erneutem Versuch kam es auch nie wieder.
Umso mehr wunderte sie sich, dass sie ausgerechnet so etwas 'Fortgeschrittenes' träumte. Und das schon so oft in den letzten 3 Wochen. Lisa war es jedes mal peinlich, wenn sie Richard begegnete.
Und seine Blicke waren manchmal so komisch, als ob er etwas ahnte. Lisa hatte ein ganz normales Verhältnis zu ihm, genau wie zu den anderen Mitarbeitern. Richard war der zweite Geschäftsführer neben seinem Halbbruder David. Lisa, als Mehrheitseignerin von Kerima-Aktien, unterstützte die Beiden, wo sie nur konnte. Nebenbei führte sie auch noch die Tochterfirma "B.Style", wobei ihr bester Freund Jürgen mithalf.
Der Kowalski arbeitete mit Mariella im PR-Bereich, war aber in letzter Zeit immer öfter im Ausland geschäftlich unterwegs. Dafür sorgte Lisa persönlich.
Lisa himmelte David immer noch an, aber es war nicht mehr das Gleiche wie am Anfang. Mittlerweile war es zur Gewohnheit geworden. Zur Zeit war einfach jeder verliebt: Hannah in Timo, Timo in Kim, David in Mariella, Mariella in Lars, Jürgen in Sabrina , Sabrina in Richard...
Und Richard? Der Mann verursachte bei Lisa in den letzten Wochen ein undefinierbares Gefühl. Ein Gefühl, das sie noch nicht einordnen konnte. Einmal im Aufzug starrte er sie so an, dass es ihr fast unheimlich wurde. Hatte sie Angst vor ihm? Oder war sie einfach neugierig zu wissen, wie er wirklich war?
Und dann diese Träume... Lisa konnte es gar nicht mehr verdrängen, weil der Traum sich immer wiederholte.
2.
Als Lisa am nächsten Morgen an Richards Büro vorbei lief, zögerte sie eine Weile und hielt kurz an. Sie hörte Sabrina kichern und lachen und konnte es sich nicht verkneifen durch
die Jalousiespalten zu schauen. Richard hatte seinen üblichen selbstzufriedenen Gesichtsausdruck und Sabrina saß vor ihm auf dem Arbeitstisch, mit ihrem Busen direkt vor seiner Nase.
Seine Hände waren tief unter ihrem Rock verschwunden und Lisa biss sich unbewusst auf die Lippe. 'Es geht dich gar nichts an, was die da tun. Verschwinde lieber, bevor dich noch jemand sieht!', dachte sie nervös. Aber trotzdem blieb sie weiterhin stehen.
Als plötzlich Richards Telefon klingelte, ging er ran und bekam sofort eine ernste Miene. Dann schob er Sabrina grob zur Seite und vertiefte sich ins Gespräch. Er beachtete sie gar nicht mehr, und deutete sogar auf die Tür, als sie versuchte, sich ihm wieder zu nähern. Lisa gelang es gerade noch zu verschwinden, bevor Sabrina herauskam.
Atemlos vom Rennen, war Lisa in ihrem Büro angekommen. 'Wie kann sie sich von diesem Typen so behandeln lassen?', dachte sie sauer, 'der arme Jürgen würde ihr die Sterne
zu Füßen legen und ihr jeden Wunsch von den Augen ablesen... und die blöde Kuh lässt sich von DEM Typ so manipulieren! Was findet sie bloß an ihm??? Ist das NUR das Geld?'
Lisa konnte nicht begreifen, wieso alles so ungerecht war. Wieso werden immer bloß diejenigen geliebt, die selbst nur verletzen können oder gar an jemand anderem interessiert sind???
Sie musste dabei wieder an David denken. Schon über ein Jahr war sie in ihn verliebt. Er schien Lisa aber gar nicht wahr zu nehmen. Trotz ihrer äußerlichen Veränderung.
Schon seit ein paar Monaten war sie schlank, hatte keine Zahnspange mehr und ihr Haar war endlich gut gekämmt und sie schminkte sich sogar ein bisschen! Natürlich war Lisas
Kleiderstil nicht so wie der von Sabrina, aber sie traute sich immer mehr, auch mal was figurbetontes anzuziehen. Sogar Hugo fand ihre Verwandlung 'exzellent'.
David war einfach zu sehr damit beschäftigt, Mariella zurück zu gewinnen, obwohl es jedem klar war, dass es unmöglich war. Sie arbeitete zwar noch für 'Kerima', war aber offiziell mit
Lars zusammen und nach der Präsentation von der 'Sommerkollektion' würde sie mit Lars van der Lohe nach England abreisen. Das wusste schon jeder, aber David war in dieser Sache stur.
Er kam immer wieder zu Lisa, um ihr sein Herz auszuschütten und sich bei ihr auszuweinen. Sie konnte ihm natürlich nicht helfen und als sie ihm andeutete, sich wieder umzuschauen und nach eine neue Liebe zu finden, fing er wieder an den Casanova zu spielen. Er wechselte Frauen wieder wie die Socken, aber in Lisa sah er keine Frau. Für ihn war sie nur eine gute Freundin. Ein Kumpel. Nicht mehr und nicht weniger.
Lisa ging dieser Status langsam voll auf die Nerven und ihre Verliebtheit verblasste, ohne dass sie es merkte. Aber gerade jetzt ertappte sie sich bei dem Gedanken, dass - seit sie von Richard träumte - sie immer mehr von David abgelenkt wurde. Ganz zu schweigen vom Kowalski. Er ging ihr besonders auf den Keks! Seit er bei 'Kerima' auftaucht war, dackelte er Lisa immer noch hinterher.
Sie wollte ihn nicht verletzen und gab ihm sogar eine Chance. Sie hatte selbst geglaubt, dass alleine seine Gefühle reichen würden, um eine Beziehung zu führen. Aber war wohl nichts.
Das ging richtig in die Hose. Und Lisa schwor sich, nie wieder aus Mitleid mit Jemandem etwas anzufangen. Das tat Demjenigen nur noch mehr weh. Und genau so sah sie das bei ihr und David.
Sie wollte auf gar keinen Fall, dass er sie aus Mitleid nehmen würde und einen One-night-stand wollte sie auch nicht. Und wollte sie ihn überhaupt noch?
'Alles ist so doof!', dachte Lisa und stürzte sich in die Arbeit.
3.
"Wo ist mein hirnloser Bruder?"
Lisa sah erschrocken auf. Richard stand vor ihr und glühte vor Wut.
"Wieso schreien Sie hier rum?", sagte Lisa empört, sie hatte gar nicht bemerkt, wie Richard hereinkam.
"Das gibt es doch gar nicht, dass dieser Trottel gerade nicht da ist, wenn man ihn ausnahmsweise mal braucht! Wo ist er denn?" Richard wurde immer ungeduldiger.
"Woher soll ich das wissen? Fragen sie doch ihre Schwester", Lisa wollte sich wieder ihrer Arbeit widmen, aber Richard kam zu ihrem Tisch und seine Augen blitzten auf.
'Komm mir bloß nicht zu nahe, ' dachte Lisa sich fürchtend. Sie stand automatisch auf und machte einen Schritt zurück.
"Ich bitte Sie, meine Schwester weiß es ganz bestimmt nicht! Und wer soll das denn besser wissen, als Sie? Sie sind doch seine persönliche Betreuerin, nicht wahr? " - sein ironischer Ton brachte Lisa auf die Palme.
"Ich bin nicht seine Betreuerin! Also gehen Sie bitte und lassen Sie mich weiter arbeiten!" Lisa wurde das Ganze langsam zuviel. 'Was erlaubt sich dieser Mistkerl? Er glaubt wohl, dass
er hier jeden einschüchtern kann!'
"In 1 Stunde haben wir einen Termin mit einem wichtigen Stofflieferanten! Da kann ich unmöglich alleine hingehen, David hat alles organisiert und mit denen die ersten Verhandlungen durchgeführt... Und jetzt vergisst er das einfach so! Die Leute kommen extra aus Bagdad!"
Lisa wusste jetzt, worum es ging, weil sie dabei gewesen war, als David letzte Woche am Telefon diesen Termin ausgemacht hatte. Sie wählte seine Handynummer, aber es war aus. 'So ein Mist!', dachte Lisa 'Zuverlässigkeit war nie Davids Stärke.'
"Es tut mir leid, Herr von Brahmberg, ich kann ihn nicht erreichen... Ich hoffe, dass er gerade kein Mist baut", das letzte sagte sie ganz leise, mehr zu sich selber.
Plötzlich ging die Tür auf und David stürmte rein. Er war total aufgewühlt und hatte Blut an der Nase. Auch sein linkes Auge war blau angelaufen und er war definitiv nicht dafür geeignet so vor Sponsoren aufzutreten.
"David, was ist mit Dir denn los?" Lisa kam ihm hastig entgegen und schaute sein Gesicht an. Geschockt von seinem Aussehen war sie schon, aber auch sehr erleichtert, dass sie nicht
mehr mit Richard alleine im Raum war.
"So-so Brüderlein, wer hat Dich denn so zugerichtet? Oder stehst Du seit Neustem auf Sado-maso?!" Richard lachte laut auf, aber weder Lisa noch David beachteten ihn.
"Lisa, ich habe mich mit Lars angelegt...", fing David an während Lisa seine Wunden versorgte. "Ich bin so ein Idiot."
"Wo Du Recht hast, hast Du Recht," sagte Richard ironisch "aber konntest Du nicht einen anderen Tag für eine Prügelei aussuchen? Ausgerechnet heute? Oder hast Du den Termin vergessen?"
"Nichts habe ich vergessen", erst jetzt sah David in Richards Richtung "deshalb bin ich auch hier."
"Aber du kannst unmöglich SO hingehen, David! Du siehst aus wie... wie ein Verbrecher, das kommt nicht gut an!" Lisa war verzweifelt, weil es ganz klar war, dass sie jetzt mit Richard
hingehen musste.
"Dann werden SIE mich wohl begleiten müssen, Frau Plenske!" Richard konnte es sich nicht verkneifen Lisa ganz frech anzugrinsen.
'Was gibt es da eigentlich zu grinsen?', dachte Lisa sauer.
"Ich wäre so oder so mitgegangen, ob mit oder ohne David!", antwortete sie ihm trotzig. 'ICH bin ja schließlich die Chefin hier!' - das hätte Lisa so gerne laut gesagt.
4.
Um Punkt 18 Uhr war Lisa in 'Wolffraths' eingetroffen. Sie schaffte es, nicht zusammen mit Richard hingehen zu müssen, weil sie sich noch 'kurz umziehen musste'.
Das war zwar eine Ausrede gewesen, aber trotzdem fand es Lisa passender sich etwas eleganter anzuziehen, weil es immerhin ein sehr wichtiger Lieferant für 'Kerima'
war und obendrei waren es auch noch Moslems. Da griff Lisa zu einem hochgeschlossenen Kostüm, der aus einem kurzem Blazer und einem knielangem Rock bestand und recht figurbetont war.
Dafür suchte sie sich richtig auffallenden Schmuck aus: Swarovski Ohrringe und Ring, die beide in Blumenform geschliffen worden waren. Das Ganze hatte Lisa sich selbstverständlich bei Hugo ausgeliehen, wie sie oft bei solchen Anlässen tat. Ihre Haare trug sie hochgesteckt, war ganz dezent geschminkt, eigentlich wie immer.
Richard saß schon am Tisch und stand sofort auf, um Lisa den Stuhl zurecht zu rücken.
'So höflich kannst Du sein, wenn Du willst,' dachte Lisa, sie musste innerlich zugeben, dass Richard in seinem hellgrauen Anzug und schwarzem Hemd richtig gut aussah. Sie musste spontan an heute Morgen denken, als sie ihn mit Sabrina in seinem Büro gesehen hatte... Irgendwie kam es ihr fast unmöglich vor, dass dieser Mann zu jeglicher Art Zärtlichkeiten fähig war. Dabei dachte Lisa wieder an ihre Träume und wie gut es sich anfühlte... 'Das war bloß ein Traum, Lisa!', sie wurde automatisch rot bei dem Gedanken und senkte ihren Blick.
Richard musterte Lisa die ganze Zeit und es schien ihm nichts ausmachen, dass sie sich dabei möglicherweise unwohl fühlte.
"Nehmen wir uns schon mal was zu trinken?", fragte er ganz entspannt.
"Ja, ich hätte gern einen Whiskey", Lisa musste sich etwas Mut antrinken und dachte, dass ein Whiskey ihr sehr gut tun würde.
"Wow, Frau Plenske, sie sind ja eine richtig harte Nuss! Hätte ich nie gedacht..." Richard lachte kurz auf und schaute dabei zu, wie Lisa das Glass kippte und alles auf einmal
austrank. Dabei verzog sie ihr Gesicht zu einer Grimasse, die Richard noch mehr zum Lachen brachte.
"Das schmeckt zwar nicht, aber macht mutiger und das werde ich gleich brauchen."
Richard sah sie verwundert an.
"Naja, die Gäste aus Bagdad... ob man sich mit denen gleich einigt?"
"Machen Sie sich keine Sorgen, Frau Plenske! Mit meinem Charme und ihrem Mut, schaffen wir es gemeinsam," sagte Richard grinsend und fügte hinzu: "und übrigens, Sie sehen heute Abend umwerfend aus, das macht das Ganze halb so schwer."
3 Männer mit Turbanen betraten den Raum und sahen sich suchend um. Lisa hatte sie zuerst gesehen und zupfte Richard an seinem Jackett.
"Da sind sie", sagte sie und Richard stand auf, um die Männer zu begrüßen.
Der Abend verlief in einer recht lockeren Stimmung, was Lisa positiv überraschte. Richard erwies sich sowohl als harter Geschäftsmann, als auch als ein guter Gesprächspartner.
Er führte fast alleine die Verhandlungen und Lisa musste teilweise nur nett lächeln, was eigentlich normalerweise gar nicht ihre Aufgabe war. Bei den meisten Verhandlungen mit Lieferanten, die es bislang gegeben hatte, war Lisa immer die Diejenige, die sich hart durchsetzen musste und David war für den Charme verantwortlich.
Zum ersten Mal sah sie Richard mit anderen Augen und musste feststellen, dass er auch nett und unterhaltsam sein konnte.
Als die Gäste sich verabschiedet hatten, verließen auch Lisa und Richard gemeinsam das Restaurant.
"Das haben wir doch super hinbekommen, nicht wahr, Frau Plenske", sagte Richard im Plauderton.
"Ja, das haben wir..." Lisa schaute verträumt in die Ferne und genoss die Gelassenheit, die zwischen den Beiden nun herrschte. 'Heute hab ich einen neuen Richard von Brahmberg
kennen gelernt... und er gefällt mir sehr gut.'
5.
Lisa war endlich zuhause und lag in ihrem Bett. Sie konnte kein Auge zumachen und musste noch mal an Richard denken.
Die beiden waren noch eine Weile die Strasse entlang spaziert und plauderten dabei über alles Mögliche. Richard war sehr gut drauf, und Lisa hatte sich sogar ganz entspannt.
Als sie sich von ihm verabschiedete und Richard Lisas Hand ein Tick zu lange fest drückte, breitete sich eine wohlige Wärme in ihr aus. Richard sah ihr in die Augen und für einen
Moment schien der Blick ganz anders zu sein als sonst, so wie in ihrem Traum... Aber sofort wechselte er zum 'Neutralen', genau wie Lisa es erwartet, bzw. befürchtet hatte.
Dann stieg sie in das Taxi und fuhr heim.
Sie wunderte sich, wie dieser Mann so unnahbar sein konnte. Es war ein seltsames Gefühl in seiner Nähe zu sein, das war ihr bisher schon klar gewesen. Man konnte es mit dem Gefühl vergleichen, als ob man vor einer Achterbahn stehen würde und absolut gerne darauf steigen wollte, nur die Angst wäre, da um einen davon abzuhalten. Aber nach diesem Abend wurde es
anders... Lisa hatte keine Angst mehr vor ihm, im Gegenteil, sie fühlte sich in Richards Nähe nicht wie ein Kumpel oder Boss, sondern wie ein Frau...
Er strahlte so viel Männlichkeit aus, dass sie weiche Knie bekam.
'Stop, Lisa! Das ist nur deine Einbildung... Und sowieso hat er gar keine Interesse an Dir! Also brauchst Du dich da nicht reinzusteigern!'
Lisa räusperte sich, drehte sich zur Wand und schlief endlich ein.
Und wieder hatte sie diesen Traum... Total verschwitzt wachte Lisa auf und machte sich gleich auf den Weg ins Bad. Sie musste sich unter die fast kalte Dusche stellen, um ihren
Verstand wieder zu bekommen.
Lisa hatte sich schnell zurecht gemacht, angezogen und fuhr zu 'Kerima'. Es war schon viel zu spät, um zu frühstücken. Dies war eine gute Ausrede, um ihren Eltern nicht vom gestrigen Abend zu berichten. Dazu hatte sie einfach keine Lust. Sie wollte einfach so schnell wie möglich an ihren PC und arbeiten. So würde sie sich am besten von anderen Gedanken ablenken.
Endlich war sie oben im 14. angekommen und lief direkt zu ihrem Büro. Allerdings wurde sie am Catering aufgehalten.
"Morgen, Lisa! "
"Morgen, David. Geht es schon wieder besser?" Lisa war ein wenig sauer auf ihn, wegen dem gestrigen Vorfall.
"Ja, es ist auf jeden Fall besser, als es aussieht", antwortete David etwas verlegen, es war ihm sichtbar peinlich, dass er sich wie ein 15-jähriger Junge geprügelt hatte. "Und wie ist es
Gestern gelaufen? Ich dachte eigentlich, dass Du mich gleich danach anrufen würdest.."
'Oh, das wollte ich eigentlich auch tun..', - "Es ist alles bestens gelaufen! Für die nächsten 5 Jahre bekommen wir die feinste Seide zu besten Preisen", wich Lisa aus "Richard hat
alle Unterlagen, kannst Du Dir ja später alles in Ruhe anschauen. Jetzt muss ich aber", Lisa wollte schon gehen, aber David hielt sie am Arm auf.
"Lisa, was ist los mit Dir? Du bist heute so.. so anders."
"Ich bin so wie immer, David. Und ich muss wirklich arbeiten, genau wie Du! Die Präsentation lässt sich nicht von alleine vorbereiten", antwortete Lisa vorwurfsvoll.
"Ich weiß, Du hast alle Gründe auf mich sauer zu sein wegen Gestern... Wegen mir musstest Du meinen unmöglichen Bruder den ganzen Abend lang ertragen. Tut mir echt leid!" David setzte sein Bettelblick auf und schaute Lisa entschuldigend an.
"Richard war sogar sehr nett... also muss es Dir auch nicht leid tun", Lisa wollte gerade gehen, aber wie aus dem Nichts stand Richard plötzlich vor ihr.
"Siehst Du Brüderlein, es gibt doch Jemanden, der mich nett findet! ", sagte er breit grinsend. "Morgen, Frau Plenske!"
6.
Nachdem Lisa Richard knapp begrüßt hatte, verließ sie das Catering und lief fast stolpernd zu ihrem Büro. Sie wusste selber nicht, wieso sie die Situation von eben so peinlich fand.
Sie hatte ja im Grunde nichts Schlimmes gesagt, und Richard war doch tatsächlich an dem Abend nett gewesen, auch wenn es vielleicht nicht einer seiner üblichen Zustände war.
Aber sie war total aufgeregt und hoffte, dass keiner von den beiden Herren ihre Nervosität bemerkt hatte.
'Zum Glück hab ich so viel zu tun, dass keine Zeit mehr für diese Gedanken bleibt!' dachte Lisa und fuhr ihren PC hoch. Es blieben nur noch wenige Tage bis die Präsentation
stattfinden sollte. Um genau zu sein, war der Termin bereits der 1. April, nächsten Freitag. 'Und heute ist Freitag! Hoffentlich wird die Zeit nicht zu knapp!'
Die Lokation stand noch nicht fest. Ein, zwei Models mussten noch bestellt werden und, und, und... Nachher wollte Lisa noch bei Hugo vorbei schauen, um zu sehen, ob er mit seiner Arbeit voran kam oder ob er eventuell noch Verstärkung brauchte.
Aber als erstes rief sie Rokko Kowalski an, der gerade in Italein auf der Jagd nach potentieller Kundschaft war. Seine PR-Kampagne lief sehr gut und unterschiedliche Medien waren schon darauf aufmerksam geworden. Die italienische Presse würde dementsprechend auf jeden Fall zu Präsentation erscheinen.
Nachdem Lisa aufgelegt hatte, klopfte es an der Tür und kurz darauf kam Richard herein.
"Frau Plenske, darf ich Sie kurz stören?" Richard sah sie fragend an.
"Ja, was gibt es?" Lisa war total verwundert, dass er persönlich vorbei kam. Normalerweise würde er anrufen oder Sabrina zu ihr schicken.
Richard kam zu ihrem Tisch und lehnte sich mit beiden Händen darauf, dabei sah er Lisa direkt an.
"Vermissen Sie denn gar nichts, seit gestern Abend?" Er schaute Lisa tief in die Augen und sie glaubte in seinem Gesicht ein leichtes Grinsen gesehen zu haben.
'Was soll ich vermisst haben, außer vielleicht, dass Du nett zu mir bist..', dachte Lisa ahnungslos.
"Nicht, dass ich wüsste... Was meinen Sie denn jetzt genau?" Lisa wurde wieder ganz nervös.
"Ach, Frau Plenske, es gibt doch keinen Grund, um nervös zu werden. Ich hab doch schließlich DAS, was sie vermissen...", sein Ton war so zweideutig, dass Lisa ganz durcheinander wurde.
'Was? Wer ist hier nervös? Und was soll ich an Dir vermisst haben?' Lisa bekam Panik. Dabei stand sie unbewusst auf und ging langsam rückwärts zum Fenster.
"Oh mein Gott, Frau Plenske, an was haben sie denn gerade gedacht?" Richard ging um den Tisch herum und kam auf Lisa zu "hier, bitte schön, Ihr Handy. Sie haben gestern ihr Handy
auf dem Tisch vergessen."
'Kann er Gedanken lesen?' Lisa sah Richard ungläubig an und nahm ihr Handy entgegen. 'Musste er alles so ausspielen? So ein gemeiner Mistkerl!'
"Oh, danke! Das.. das habe ich noch gar nicht bemerkt.. Aber wieso haben Sie mir es nicht gleich Gestern gegeben, wir haben doch gemeinsam das Restaurant verlassen???"
"Nachdem Sie mit dem Taxi weggefahren sind, hab ich einen guten Freund getroffen und wir waren noch mal was trinken im 'Wolffraths'.. Und eine Kellnerin brachte mir Ihr Handy. Sie wusste ja noch, wo wir gesessen haben. So, hiermit habe ich meine Pflicht getan." Richard ging zur Tür und wollte sie gerade aufmachen, dann drehte er sich noch mal um. "Und machen Sie sich keine Gedanken, ich hab in ihren SMS nicht geschnüffelt."
Mit breitem Grinsen im Gesicht verließ er Lisas Büro.
7.
An dem Tag gab es keine weiteren Zwischenfälle mehr, die Lisa aus der Fassung bringen konnten. Sie arbeitete fast bis in die Nacht und war fix und fertig, als sie das 'Kerima'-Gebäude verließ.
Wieder aus heiterem Himmel tauchte Richard plötzlich vor ihr auf. Diesmal hing Sabrina an seiner Seite.
"So spät noch da, Frau Plenske? Und ich dachte, dass ich heute den Rekord breche", sagte er freundlich zu Lisa und versuchte sich dabei von Sabrinas Klemme zu befreien.
"Hi-hi, wenn sie kein Privatleben hat, dann muss sie das wohl mit der Arbeit ausgleichen! Plantschi bleibt eben Plantschi, ob sie gestylt ist oder nicht!", machte Sabrina eine blöde Bemerkung.
"Du halte Dich daraus!" Richard sah Sabrina warnend an.
"Ja, Sabrina, es hat eben nicht jede so viel Glück wie Du!", sagte Lisa ironisch und winkte den Beiden. "Viel Spaß noch!"
"Das werden wir schon haben", schrie Sabrina ihr hinterher, worauf Richard sie abfällig anschaute und sagte: "Musst Du dich immer so dämlich aufführen?"
Lisa hörte es nicht mehr, sie ging zu einem Taxi und stieg ein. 'Was für eine freche Kuh!', dachte sie auf dem Weg nach Hause, 'was bildet die sich eigentlich ein?!? Er benutzt sie eh nur!'
Aber Lisa war trotzdem verletzt. Im Grunde hatte Sabrina Recht: im Gegensatz zu ihr hatte Lisa kein Privatleben. 'Nichte jede hat so viel Glück wie Du..', wiederholte sie noch mal ihre eigene Worte, obwohl sie genau wusste, wie mies Sabrina von Richard manchmal behandelt wurde. Er ließ sie nur an seiner Oberfläche heran und den echten Richard kannte Sabrina gar nicht.
Lisa war sich in den letzten Tagen immer sicherer, dass es genau so war. Und umso mehr wollte sie ihren Träumen nachgehen und die Sehnsucht nach diesem Unerreichbaren und Unnahbaren wuchs vom Tag zu Tag. Lisa hatte es sich endlich eingestanden, dass Richard von Brahmberg eine besondere Wirkung auf sie ausübte. Und davor konnte sie sich nicht mehr lange verstecken.
'Was soll ich bloß tun?' dachte Lisa, als sie Zuhause in ihrem Bett lag. Sie hatte Angst, dass ihr Verhalten zu auffällig wurde und Richard was ahnen könnte. Das traute sie ihm
durchaus zu, weil er schon mehrmals seine Hellsichtigkeit ihr gegenüber bewiesen hatte. Und seine aufgespielte Aktion mit dem Handy... Was bezweckte er damit? Lisa wurde heiß
und kalt, als sie daran dachte. Wäre Richard ihr zu nahe gekommen, hätte Lisa für sich nicht mehr garantieren können...
'Ist bestimmt halb so schlimm... ich bin einfach überfordert und neige zu Übertreibungen,' dachte Lisa müde, sie war endlich zuhause und wollte nur noch schlafen.
Am Wochenende war es fast sommerlich warm und es wurde im Garten gegrillt. Lisa erzählte ihren Eltern endlich, wie das Abendessen mit den Stofflieferanten aus Bagdad gewesen war.
Sie musste wieder schmunzeln, als sie von Richards netter Art gesprochen hatte... Skeptische Bemerkungen ihres Vaters störten Lisa ganz und gar nicht, weil sie eben absolut überzeugt
davon war, dass in jedem Mensch das Gute zu finden wäre. Man müsste es bloß herausfinden.
'Ob meine Eltern so Einen an meiner Seite akzeptieren würden?' - nur bei dem Gedanken wurde Lisa rot. Sie machte die Augen zu und ließ ihrer Fantasie freien Lauf...
'In seinen Armen aufwachen, seine Wärme spüren, ihn küssen, ihn...lieben?..' War Lisa gerade dabei, sich in Richard zu verlieben? Als sie sich an seinen Händedruck erinnert hatte, wurde
ihr ganz warm ums Herz. An ihren Traum wollte Lisa erst gar nicht denken, das würde ihren bereits sehr schnellen Herzschlag noch mehr beschleunigen. Kann man sich wegen einem Traum verlieben?
In Richard von Brahmberg, den Mann, der für sie bis vor kurzem das Grausame in Person verkörperte? Aber wie war er wirklich? Diese Frage stellte sich Lisa immer wieder. Irgendetwas machte sie absolut sicher, dass genau sie, Lisa Plenske, das schaffen würde, das Liebenswerte in Richard zu entdecken.
Ihre Gedanke drehten sich im Kreise und sie lehnte sich zurück auf ihrem Liegestuhl und genoss verträumt die warmen Sonnenstrahlen auf ihrer Haut.
8.
Richard kam einen Tag vor der Präsentation gegen Mittag zu Lisa. Sie war noch total vertieft in ihre Arbeit: sämtliche Unterlagen waren vor ihr auf dem Tisch ausgebreitet, sie tippte etwas am PC und telefonierte nebenbei auch noch. Umso überraschter war Lisa, als sie Richard in der Tür sah.
"Ich habe geklopft, aber Sie haben es wahrscheinlich nicht gehört," sagte Richard und sah Lisa fragend an, "darf ich reinkommen?"
Lisa nickte nur und als er zu ihrem Tisch kam, rollte sie unbewusst ihren Stuhl ein Stückchen nach hinten. 'Wieso muss er mich immer so anstarren?'
Richard nahm Lisa gegenüber Platz und sah ihr lange in die Augen.
"Es tut mir leid.. ich meine Sabrinas Verhalten am Freitag Abend... Ich wollte Sie auf gar keinen Fall beleidigen oder gar auslachen", er sah Lisa fast bittend an "jetzt wo wir Beide uns näher kennen gelernt haben und wir so gut im Geschäft klar kommen, möchte ich keine Missverständnisse zwischen uns haben." Er nahm Lisas Hand und hauchte ihr einen Kuss auf den Handrücken "es wird nie wieder vorkommen, Frau Plenske, ich hab dafür gesorgt."
Lisa hatte ihre Hand immer noch nicht weggezogen, traute sich aber auch nicht, ihm in die Augen zu sehen.
'Oh, mein Gott! Oh, mein Gott! Oh, mein Gott!' sie kämpfte mit ihrer Nervosität und bemühte sich vergeblich, nicht rot zu werden. Die Sprüche von Sabrina waren ihr gerade so was von egal. Und auch wenn sie es schmeichelhaft fand, dass Richard sich dafür entschuldigte: das Einzige, was in diesem Moment zählte, war seine Berührung und das Gefühl, dass diese in ihr auslöste.
'Bitte nicht loslassen...' flehte Lisa ihn innerlich an. Eine Hitzewelle durchflutete ihren ganzen Körper und es fühlte sich so an, als ob man ihr Blut mit Kohlensäure versetzt hätte. Endlich riss Lisa sich zusammen und zog ihre Hand langsam weg.
"Ist schon vergessen", sagte sie leise und traute sich endlich Richard anzuschauen "so ganz Unrecht hatte sie ja auch nicht..." Lisa senkte ihren Blick wieder und überlegte, ob es wirklich nötig gewesen war, das gesagt zu haben.
"Läuft da wirklich nichts zwischen Ihnen und meinem Bruderherz?" In Richards Augen blitzte es verdächtig auf und er fügte sogleich hinzu "sorry, das geht mich natürlich nichts an."
"Wie kommen Sie überhaupt darauf?! Wir sind bloß gute Freunde, nichts weiter..." antwortete Lisa empört.
Etwas verlegen schaute Richard Lisa noch einmal in die Augen und stand dabei langsam auf.
"Das freut mich aber sehr zu hören... da haben Sie noch mal Glück gehabt" er sah Lisa direkt in die Augen und fragte: "dann darf ich Sie wohl heute zum Abendessen einladen?"
Lisa wäre fast vom Stuhl gefallen, wenn sie sich nicht so fest am Tisch festgehalten hätte. 'Habe ich mich gerade verhört? Oder ist es doch nur ein Geschäftstermin???'
"Ich meine natürlich privat essen gehen, nur Sie und ich und keine Geschäfte oder Kunden im Spiel..." Richard sah Lisa herausfordernd an und seine Augen blitzten wieder auf.
"Ich komme heute Abend be..be..bestimmt wieder ganz spät raus...", stotterte Lisa nervös, weil sie es immer noch nicht glauben konnte, dass Richard von Brahmberg mit ihr ALLEINE
ausgehen wollte!
"Es macht ja nichts, ich will auch heute länger arbeiten und danach können wir gemeinsam was essen gehen, es muss ja kein 3-Gänge-Menü sein oder so... wir können uns ja auch paar Döner oder Pizza ins Büro bestellen, wenn Sie mögen!!!" Er lachte dabei laut auf und Lisa musste auch kichern, als sie sich das bildlich vorstellte.
"Aber Spaß beiseite, spätestens um 21 Uhr bin ich wieder hier und werde Sie entführen. Was sagen Sie dazu?" Er sah sie wieder frech grinsend an.
'Er wird mich WAS?' Lisa sah ihn schüchtern an und zögerte immer noch mit der Antwort.
"Ich nehme das als ein 'Ja', wenn Sie nichts dagegen haben", mit diesen Worten ging er zur Tür, drehte sich aber noch einmal kurz um "dann bis heute Abend, Frau Plenske", dabei schaute er Lisa geheimnisvoll an und ging raus.
'Jetzt hast du den Salat, Lisa! Und was sagt eigentlich Fräulein Hofmann dazu?!'
9.
Zum Glück gab es so viel zu tun, dass Lisa kaum die Zeit hatte, um nachzudenken, was sie an dem Abend erwartete. Aber sie bekam immer eine Gänsehaut, wenn sie sich daran erinnerte. Ihre Gefühle waren total durcheinander, es war eine Mischung aus Vorfreude und Angst, Neugier und... Sehnsucht?
Einerseits hatte sie Angst, dass sie sich vor Richard irgendwie blamieren könnte - Andererseits freute sich Lisa mal wieder einen entspannten Abend verbringen zu dürfen, der hoffentlich für beide angenehm werden würde. Sie war aber auch neugierig zu erfahren, wieso Richard sie überhaupt zu einem Abendessen eingeladen hatte. War das jetzt doch ein Date oder was? Aber es war ihr schon bewusst, dass ein ganzer Abend in Richards Nähe ein Spiel mit dem Feuer sein würde: wenn man nicht den nötigen Abstand hielt, könnte man sich schnell verbrennen. Und dann noch Sabrina... Wusste sie überhaupt, was ihr Herzblatt vorhatte??? Durfte Lisa vielleicht seine Einladung gar nicht annehmen? Aber das hatte sie eigentlich gar nicht getan! Richard hatte es selbst so interpretiert. Immerhin konnte Lisa noch im letzten Moment abspringen – notfalls halt.
Im Hugos Atelier war gerade die Hölle los. Die Kleider wurden noch den Models angepasst und die Details verfeinert. Morgen war es soweit und alle gaben noch einmal Vollgas, um alles fertig zu bekommen. Lisa war sehr zufrieden mit dem Stand der Dinge und war gerade beim Anprobieren ihres eigenes Kleides, das sie während der Präsentation tragen würde.
"Ma cheri, Du siehst umwerfend aus! Da kann dem einen oder anderen schon der Atem ausbleiben... Bei den Einblicken!!" begeistert begutachtete Hugo seinen Entwurf, während Lisa an ihrem Dekoltee rumzupfte. "Und lass die Finger da weg!"
"Ich denke nicht, dass ich das tragen kann..."
"Nicht denken! Wissen! Und natürlich wirst Du das Kleid anziehen. Und ich verspreche Dir - Du wirst das Highlight des Abends..." Hugo war so überzeugt, dass Lisa ihm einfach nicht mehr wiedersprechen wollte. Das hatte sowieso keinen Sinn. 'Na wenigstens ist das lang..', dachte Lisa und musste zugeben, dass das Kleid wunderschön war. Himmelblau, wie ihre Augen, aus hauchfeiner Seide, mit ausdrucksvollem Dekoltee, das aufwendig bestickt war. Es war bis zu den Hüften ganz eng geschnitten, fiel dann aber leicht wellig fast bis zum Boden hinunter.
Wortlos zog Lisa sich wieder um und ging zurück in ihr Büro. Auf dem Weg dorthin schaute sie in Richtung Sabrina: das war bestimmt die einzige Person, dass nicht im Stress war. Gelangweilt feilte sie an ihren Fingernägeln herum und ging ab und zu ans Telefon.
"Na, Sabrina, langweilig?" Lisa konnte sich die Bemerkung nicht verkneifen und grinste Sabrina an. "Ich habe da was für Dich", mit diesen Worten legte Lisa zwei Din4 Blätter vor ihr auf den Tisch, "mach bitte 30 Kopien davon und 30 davon.. dann in die Umschläge damit und.. und vergiss nicht richtig abzustempeln!"
"Du denkst wohl, dass Du mich hier rumkommandieren kannst, Plantschi?! Ich bin nicht Deine Assistentin!", antwortete Sabrina frech "was isses überhaupt?"
"Nicht fragen! KOPIEREN!" wie aus dem Nichts stand plötzlich Richard hinter Lisa "und JA, Frau Plenske darf hier rumkommandieren, weil sie hier die Chefin ist!" - seine Stimme klang wie ein Donnergrollen.
Als Richard sich zu Lisa wendete, war er jedoch ganz freundlich.
"Nicht vergessen, um 21 Uhr hole ich Sie ab!" Er zwinkerte Lisa zu und schaute sie mit einem seiner 'unter die Haut gehenden' Blicke an. Dann drehte er sich um und lief pfeifend zu seinem Büro. Sabrina blieb mit offenen Mund stehen und sah Richard böse hinterher. Lisa tat sie fast schon ein bisschen Leid, aber sie nützte den Moment und ging auch.
"So ein Arsch!" hörte Lisa sie noch, als sie hinter ihrer Bürotür verschwand.
10.
Es war schon kurz vor 21.00 Uhr und Lisa war ganz aufgeregt. Jemand klopfte an der Tür und Lisas Herz klopfte laut mit. 'Er ist da!!!', dachte sie panisch.
"Ja.. Bitte," sagte sie unsicher.
Unerwartet stand David Seidel in der Tür.
"Hallo, Lisa! Bist Du noch am Arbeiten?", fragte er und kam gleich an ihren Schreibtisch.
"Bin fast fertig.. und du?" Lisa war höchst nervös, weil jede Minute Richard kommen konnte und sie wusste dann nicht, wie sie auf ihn vor David reagieren sollte.
"Ich dachte, wir können noch was zusammen trinken gehen, falls Du Lust hast...", David schaute sie mit seinem berühmten Teddyblick an und Lisa begann zu verzweifeln.
'Das hat gerade noch gefehlt! Und was soll ich jetzt dazu sagen???'
"Ich bin schon verabredet", sagte sie überraschend trocken.
"Hast Du mir vielleicht was zu beichten?"
"Nein, nichts besonderes..."
David schaute Lisa für eine Weile nur an, als ob er in sie hinein sehen wollte. "Dann stimmt es also, dass Du heute mit meinem Bruder ausgehst?"
"Woher weißt Du das denn?", Lisa sah ihn ungläubig an, so schockiert war sie von seiner Frage.
"Sabrina hat es mir gerade erzählt.. Ich hab es aber gar nicht ernst genommen, um die Wahrheit zu sagen," antwortete er und sah Lisa interessiert an. Sein Blick hatte gerade so etwas Begutachtendes an sich, das Lisa ganz unangenehm fand.
"Läuft da zwischen euch was?"
"DAVID!!! Wie kommst Du denn darauf???" Lisa schrie ihn fast an, riss sich dann aber zusammen und sprach weiter, "Richard ist mit Sabrina zusammen und es ist kein Ausgehen an sich, wir... wir wollten bloß als Kollegen was essen gehen, also es ist KEIN Date!" 'Das ist es! - wir gehen nur als gute Kollegen aus! Was hast Du dir bloß eingebildet?!'
"Er ist nicht mehr mit Sabrina zusammen... so wie ich es mitbekommen habe, hat er sich von ihr vor paar Tagen getrennt.“ David kam zu Lisa und nahm sie in den Arm, "Du kannst mir doch vertrauen, Lisa. Ich möchte einfach nicht, dass er Dich verletzt."
Seine Worte hallten in ihrem Kopf wie ein Echo: 'er ist nicht mehr mit Sabrina zusammen...' Sollte sie sich jetzt freuen oder doch noch einen Rückzieher machen?
Lisa ließ sich förmlich in Davids Arme fallen und wunderte sich, wie das eigentlich angehen konnte – sie umarmte David und blieb doch bei Verstand. War sie jetzt etwa gegen David Seidel immun geworden?
In diesem Moment klopfte es erneut an der Tür und sie ging gleich danach auf. Lisa stockte der Atem, als Richard hereinkam. Sie löste sich von David und sah erschrocken zu ihm auf.
"Habe ich gestört?", Richard sah auf einmal ganz blass aus.
'Das war´s dann mit dem Ausgehen heute,' dachte Lisa und brachte immer noch kein Wort hervor.
Die unerträgliche Stille unterbrach David, der bis dahin zwischen Richard und Lisa hin und her geschaut hatte.
"Hi, Bruderherz! Ich bin ja schon weg," mit diesen Worten ging David zur Tür und sah Richard noch einmal direkt an "wehe Du gehst zu weit..", zischte ihm David leise zu und ging raus.
"Na, Frau Plenske, sind Sie bereit, von mir entführt zu werden?"
11.
Lisa sah, wie Richard ihr entgegen kam und sagte immer noch nichts. Sie war immer noch schockiert von dem, was sie eben von David gehört hatte. Es gab also Niemanden, der zwischen ihr und Richard stand. Es gab aber auch nicht mehr die 'Notfall'-Ausrede für Lisa selbst, falls ihr neben ihm zu schwindelig werden sollte. Gerade damit hatte sich Lisa den ganzen Tag beruhigt, als sie darüber spekulierte, was an diesem Abend passieren könnte. Sie dachte, dass sie ganz stark bleiben würde, weil es eben Sabrina gab und es erst gar nichts passieren durfte.
"Lisa, hören Sie mich?", auf einmal merkte Lisa, dass Richard ihr gegenüber stand und sie anstarrte. Seine Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Es war ihr peinlich, sehr peinlich.
"Ja.. natürlich, ich höre Sie..", zumindest versuchte Lisa sich zu konzentrieren und schüttelte leicht ihren Kopf, als ob sie die ganzen Gedanken wegschütteln wollte.
"Ich bin bereit, muss nur noch schnell meinen PC runterfahren.." - ob sie wirklich BEREIT war? Daran zweifelte Lisa sehr stark, als sie ihren PC ausmachte. 'Bereit für WAS???'
Als die beiden im Aufzug waren, herrschte wieder Chaos in Lisas Kopf. Richard roch wieder so unwiderstehlich gut, dass ihre Knie schon alleine davon ganz weich wurden.
Wie sollte sie es denn schaffen, stark zu bleiben? 'Aber wir gehen bloß was zusammen essen, mehr nicht...', Lisa versuchte sich selbst zu beruhigen 'und es werden doch Dutzende von Menschen um uns herum sein...'
"Wieso sind Sie so steif heute Abend, Lisa?", Richard grinste Lisa von der Seite her an und ihr fiel wieder auf, dass er sie schon wieder mit dem Vornamen anredete. Aber er hatte Recht:
es war jetzt wirklich höchste Zeit, dass Lisa sich entspannte.
"Es war ein langer Tag heute, ich bin einfach nur müde", antwortete sie und das stimmte sogar teilweise. Ein langer Tag voller Stress war das schon gewesen, aber müde war sie ganz und gar nicht. Sie war einfach überfordert.
"Dann sollten wir vielleicht zu mir fahren und das Essen nach Hause bestellen?", schlug Richard fast beiläufig vor, als der Aufzug endlich aufging.
"NEIN!" schrie Lisa auf, weil sie alles andere vor hatte, aber nicht DAS!!!
"An der frischen Luft ist die Müdigkeit ruckzuck vorbei.. Mir gehts schon viel besser," murmelte Lisa, als sie aus dem Kerima-Gebäude rauskamen.
"Ich habe eine ganz große Terrasse mit einem wunderbaren Ausblick auf die ganze Stadt. Da gibts auch genug frische Luft..." Die Idee schien Richard zu gefallen und er versuchte Lisa mit allen Mitteln zu überreden.
"Ist das bei Ihnen so üblich, ihre Kolleginnen gleich mit nach Hause zu nehmen?" fragte Lisa ironisch.
"Nein, nur die Auserwählten. Und außerdem haben wir schon längst Feierabend und ich sehe keine Kollegin vor mir, sondern einfach eine bezaubernde Frau, die ich gerne zu mir nach Hause mitnehmen würde..."
'Wie bitte? Was hatte er da gerade gesagt? War das nicht ganz und gar unverschämt?!?'
Lisa blieb vor seinem Wagen stehen und konnte ihm auf seine Worte weder etwas antworten, noch ins Auto einsteigen.
"Haben Sie etwa Angst vor mir?", er öffnete ihr die Tür und wartete darauf, dass sie einsteigen würde.
"Ich habe keine Angst vor Ihnen", Lisas Stimme verriet das Gegenteil und sie senkte ihren Blick.
"Ich bin doch kein böser Wolf, der das kleine Rotkäppchen auffressen will... es sei denn sie möchte das unbedingt..." Richard ging automatisch in Deckung und Lisa haute ihn daraufhin mit ihren Fäusten auf die Schulter. Sofort fing er Lisas Hände ab und sah ihr gespielt unschuldig in die Augen. Lisa lächelte ihn verlegen an und zog schnell ihre Hände zurück.
"Ich verspreche Ihnen, Lisa, ab sofort bin ich ganz brav und wenn sie so schwache Nerven haben, dann gehen wir doch lieber in 'Wolffraths'.." er schaute Lisa herausfordernd an und wartete auf ihre Antwort.
"Ich - schwache Nerven, na warte ab", entschlossen stieg Lisa ins Auto ein und sah zu Richard frech auf, "was stehen Sie noch rum? Oder wollen Sie mir den Blick von Ihrer Terrasse aus nicht gönnen?!"
12.
Sichtbar überrascht beeilte sich Richard ins Auto einzusteigen und fuhr los. Das Radio ging automatisch an und da lief gerade ein uraltes, aber schönes Lied. Richard´s Miene war ganz zufrieden und er pfiff mit der Melodie mit: 'Love is in the Air...'. Keiner sagte etwas und es herrschte eine besondere Spannung in der Luft.
And I don't know if I'm just dreaming
Don't know if I feel sane
But it's something that I must believe in
And it's there when you call out my name
Love is in the Air...
'I don't know if I'm just dreaming..' hallte es in Lisas Kopf und sie wurde rot dabei. Ihr Herzschlag war so schnell und laut, dass Lisa befürchtete, Richard könnte es hören. Aber er pfiff weiter vor sich hin und schaute sie nur ab und zu geheimnisvoll und grinsend an.
'Was denkt er wohl gerade? Wie geht der Abend weiter? Wie soll ich mich bloß verhalten?' das waren Fragen, die Lisa gerade beschäftigten und sie zweifelte langsam daran, ob sie sich darauf einlassen sollte.
Richards Wohnung befand sich im obersten Stock. Die Einrichtung war modern und elegant zugleich, die Möbel aus dunklem Mahagoniholz, die Böden hochglänzend und ganz hell gefliest, die Wände weiß mit Picasso-ähnlichen Bildern darauf. In der Mitte des Wohnzimmers stand eine sehr große rote Ledercouch, designed in einer ungewöhnlichen halbovalen Form, die somit einen kleinen Couchtisch umrandete, der davor stand. Aber der Blickfang war natürlich ein riesengroßer LCD-Fernseher, der gegenüber auf der Wand hing. Alles schick und höchst modern, im Gegensatz zu Lisas Kinderzimmer in Göberitz.
"Schön haben Sie es hier..", waren ihre ersten Worte nach der Autofahrt.
"Fühlen Sie sich wie zuhause, Lisa..", er schaute ihr in die Augen und lächelte sie dabei wieder geheimnisvoll an. "Es ist ungewöhnlich warm für diese Jahreszeit und ich freue mich, dass wir auf der Terrasse essen können.. Natürlich nur, wenn Sie es mögen."
"Ja, klar," antwortete Lisa knapp und sie gingen auf die Terrasse hinaus.
Es war schon fast ganz dunkel, man sah schon die ersten Sterne am Himmel und es war Vollmond. Der Ausblick war atemberaubend: man konnte fast ganz Berlin von dort aus sehen. Aber um diese Uhrzeit sah das Ganze ein bisschen hollywoodmäßig aus, mit vielen Lichtern aus den Hochhäusern und dem umherfahrenden Autos. Lisa lehnte sich für eine Weile auf das Geländer und sah hinunter.
Ihr wurde fast schwindlig bei diesem Anblick aufgrund der Höhe und sie verstärkte den Druck ihrer Hände auf das Geländer. Richard schien das bemerkt zu haben und er legte seine Hand sanft um ihre Taille.
"Keine Angst, ich lass Sie nicht herunterfallen", seine raue Stimme, genau wie seine Berührung verursachte bei Lisa fast Panik! Sie wusste nicht mehr wo oben und wo unten war. Sie atmete einmal tief durch und lächelte ihn verlegen an. "Ich möchte dann lieber keine Herausforderungen annehmen", mit diesen Worten ging sie vom Geländer weg und löste sich dabei aus Richards Arm.
"Wollen wir dann was zum Essen bestellen, ich habe nämlich ein riesengroßen Hunger!", er klang wieder ganz neutral und griff nach dem Telefon. "Pizza oder Suschi?"
"Gibts noch was zur Auswahl? Kein 3-Gänge-Menü?" fragte Lisa gespielt wählerisch.
"Heute Abend sind wir schon etwas zu spät dran, aber nächstes Mal koche ich selbst was Leckeres für uns Beiden..." seine Augen blitzten dabei auf und er schaute Lisa wieder direkt an. "Natürlich, wenn Sie es mögen.."
"Ich nehme die Pizza!" sagte Lisa entschlossen und wich dabei der eigentlichen Frage aus.
13.
Endlich war die Pizza da und Richard brachte sie auf die Terrasse, wo Lisa schon den Tisch gedeckt hatte. Dazu gab es Rotwein und die Beiden stießen miteinander an. Ein knappes 'Auf uns' von Richard wurde mit einem tiefergehenden Blick ergänzt.
Gegessen wurde ganz schnell, da der Hunger groß war. Sprechen taten sie über alles Mögliche, alberten aber mehr herum und lachten viel. Jetzt standen die Beiden wieder am Geländer und genossen die warme Nacht.
"Noch Wein, Lisa?" fragte Richard eher aus Höflichkeit. Er sah genau, dass man ihr eigentlich nichts mehr anbieten durfte. Lisa bekam schon rosige Bäckchen und grinste bis unter die Nase.
Das bisschen Wein hatte sich bei ihr gleich bemerkbar gemacht, weil sie den ganzen Tag nichts gegessen hatte und dazu noch so furchtbar aufgeregt war.
"Nein, danke", antwortete Lisa "ich hab noch ein bisschen.." - 'und das reicht Dir vollkommen!!!' - fügte ihr Verstand hinzu.
"Meinen Sie nicht, wir sollten das Bisschen nützen und noch auf Brüderschaft trinken?.." Richard näherte schon seinen Kelch dem ihren und sah Lisa in die Augen. Er war gerade so nah, dass sie nur wenige Zentimeter trennten.
"Sie nennen mich doch sowieso schon die ganze Zeit 'Lisa'.." murmelte Lisa verlegen.
"Aber ich höre immer noch das olle 'Von Brahmnerg' von Ihnen... Und duzen können wir uns auch langsam mal", sein Gesicht war jetzt noch näher an dem ihren und Lisa hielt förmlich ihren Atem an.
Dann kreuzten sie ohne weitere Worte ihre Gläser und tranken ein bisschen daraus, dabei fixierte Richard mit seinem Blick ihre Lippen. Langsam beugte er sich zu Lisa und küsste sie sanft auf dem Mund. In dem Moment bekam Lisa so weiche Knie, dass sie beinahe das Gleichgewicht verloren hätte und schwankte ein Stück nach hinten. Zum Glück war das Geländer hinter ihr.. und Richards glasfreie Hand umfasste Lisa blitzartig, als er das bemerkte.
"Mach mir keine Angst, Lisa..." er hielt sie immer noch fest und Lisa spürte ihn mit allen Fasern. 'Zu schön um wahr zu sein', dachte sie und schloss ihre Augen.
Sie war einfach zu schwach, um sich zu bewegen und das Gefühl in seinen Armen zu sein war so unbeschreiblich schön, dass sie es einfach weiter genießen wollte. 'Vielleicht träume ich einfach nur..'
"Lisa.. Geht es Dir nicht gut?", fragte Richard fast flüsternd, seine Stimme klang so ungewöhnlich sanft und sein Atem streichelte ihren Nacken.
"Mir geht es gut.. sehr gut sogar. Ich träume gerade was schönes." Keiner von Beiden löste sich von dem Anderen und Lisa glaubte wirklich, dass es bloß ein Traum war.
Richard stellte sein Glas auf dem Geländer ab und zog Lisa noch näher an sich heran. Er spürte wie ihr Herz mit seinem im Takt schlug und begann sie wieder zu küssen - ganz zart und vorsichtig.
Ein Haufen Schmetterlinge breitete sich in Lisas Körper aus, sie erwiderte seinen Kuss etwas mutiger.
"Träumst Du immer noch?", flüsterte er in ihrem Mund.
"Ja, Richard.. und das ist wunderschön..." antwortet Lisa in ihrer Euphorie und schloss ihm seinen Mund mit einem erneuten Kuss.
Auf einmal, immer noch davon überzeugt, dass es bloß ein Traum war, ließ sie ihr Glas fallen, um Richard mit beiden Armen zu umarmen. Lisa zuckte zusammen und sah Richard erschrocken an, als das Glas auf dem Boden laut zersplitterte.
"Was ist los? Ist das d..d..doch kein Traum???" Lisa wurde gerade bewusst, dass sie sich einmal mehr blamiert hatte. 'Oh Gott, wie peinlich!!!' - "Es tut mir furchtbar leid, ... Herr von Brahmberg..."
"Nein - nein, mit der Nummer kommst Du nicht davon, Lisa! Wir waren schon beim 'Du'... und es muss Dir gar nichts leid tun, es war doch gerade so schön! . Tut es Dir wirklich leid?"
Er merkte, dass sie sich von ihm lösen wollte und lockerte sein Griff. Sie schaute nur zur Seite und wusste nicht, was sie ihm sagen sollte. War das nun nur der Alkohol, der sie so durcheinander gemacht hatte, oder war Richard an allem Schuld? Konnte sie sich denn gar nicht mehr beherrschen?
"Ich wollte es nicht, ich...also...ich wollte es nicht wirklich...", Lisa wurde knallrot dabei, weil sie gerade unverschämt lügen musste. Am besten würde sie gleich da weitermachen, wo sie gerade aufgehört hatten. Aber ihr Schamgefühl war zu groß dafür. Sie war absolut nicht fähig irgendeine Art von Diskussion mit Richard zu führen und sie wollte auch nicht weiter von ihm befragt werden.
Sie musste weg von hier, sie musste einfach weg.
14.
Lisa sammelte all ihre Kräfte und rannte einfach los. Erst musste sie über die Terrasse in die Wohnung, dann raus auf die Treppe. Sie lief alle 12 Stockwerke herunter und stolperte um ein Haar.
Als sie außer Atem unten angekommen war, stieß sie auf Richard, der schon vor paar Minuten aus dem Aufzug herausgekommen war und auf sie wartete. Er umfasste Lisas Taille und sah ihr verblüfft ins Gesicht.
"Lisa, bitte, mach kein Blödsinn. Wieso rennst Du jetzt weg?" Das Licht im Treppenhaus ging mittlerweile aus, aber Lisa sah trotzdem, wie Richards grüne Augen aufblitzten, weil das Mondlicht durch das Fenster genau auf sein Gesicht fiel.
"Ich muss nach Hause, es ist schon sehr spät..." ein besseres Argument konnte sie nicht vorbringen und sie sah ihn bittend an. "Lass mich bitte vorbei!"
"Aber wieso so stürmisch?" brummte er ihr ins Ohr, worauf hunderte Schmetterlinge wieder in Lisas ganzem Körper aufflatterten. Er nahm ihr Gesicht in seine Hände und sah ihr tief in die Augen, als ob er in sie hinein schauen wollte um zu begreifen, wieso sie plötzlich so seltsam reagiert hatte. Dann näherte er seinen Mund dem ihren und begann sie ganz zärtlich zu küssen. Im ersten Moment ging Lisa instinktiv auf seinen Kuss ein, biss sich dann aber auf die Lippe und senkte ihren Kopf.
"Bitte, nein", flehte sie kaum hörbar. Sie war kurz vorm Kapitulieren, aber Richard nützte das nicht aus und hörte tatsächlich auf. Unendliche Sehnsucht nach ihm stieg Lisa vom Herzen bis zum Hals hoch und es tat ihr fast körperlich weh, sich von ihm zu lösen.
"Ich kann Dich natürlich auch nach hause fahren, wenn Du es unbedingt möchtest". Richard kostete es anscheinend auch Mühe, einen ruhigen Ton beizubehalten "sag es mir nur, ich beiße doch nicht." Er grinste sie schief an. Und dieser Blick!!! In seinen grünen Augen konnte Lisa glatt versinken... Sie hat sich doch nicht im Ernst in Richard von Brahmberg verliebt??? Wieso hatte Lisa das früher nicht gemerkt? Der Mann schaffte es, sie nur mit seiner Anwesenheit total durcheinander zu bringen! Er nahm ihr ihren ganzen Verstand weg!
Und was dachte er jetzt über sie? Hielt er sie für total bekloppt und durchgeknallt?
"Bitte, Richard..." Lisa hatte einfach keine Kraft mehr mit ihm und vor allem mit sich selbst zu kämpfen und sah ihn verzweifelt an, "ich muss jetzt wirklich nach hause, Morgen wird ein langer Tag..."
Richard blieb ihre Verzweiflung nicht unbemerkt und er streichelte beruhigend ihren Rücken.
"Schsch, Kleines.. Das letzte, was ich will, ist Dich traurig zu sehen... Wenn Du darauf bestehst, dann kann ich Dich auch nicht aufhalten. Aber nur unter einer Bedingung: Ich fahre Dich nach hause!" Seine Stimme war sanft, aber der Ton ließ keinen Zweifel darüber, dass er es auch so meinte und keine Widerrede akzeptieren würde.
Die Fahrt nach Göberitz war gar nicht so schlimm, wie Lisa sich das vorgestellt hatte. Richard sagte kein Wort mehr über das Geschehene und ihre missglückte Flucht. Die Beiden hatten lediglich ein paar Worte getauscht über die morgige Präsentation. Nur die Blicke, mit denen sie sich ansahen, sprachen Bände. Die Atmosphäre von eben kehrte langsam aber sicher wieder zurück. Man konnte die Spannung in der Luft in Volt ausmessen. Und dann kam im Radio das Lied:
I'll always think of you
Inside of my private thoughts
I can imagine you
Touching my private parts
With just the thought of you
I can't help but touch myself
That's why I want you so bad
Just one night of
Moonlight, with you there beside me
All night, doin' it again and again
You know I want you so bad
Baby, baby, baby, baby
Lisa versank so tief, wie sie nur konnte, im Autositz und traute sich nicht mal in Richards Richtung zu sehen. Sie ertappte sich bei dem Gedanken, dass die Worte viel zu sehr zu ihrem derzeitigen Zustand passten. Nur - ob er sie nur körperlich anzog, bezweifelte sie sehr...
Can't get my mind off you
I think I might be obsessed
The very thought of you
Makes me want to get undressed
I wanna be with you
In spite of what my heart says
I guess I want you too bad
All I want is
Sie spürte, wie sie rot wurde und war nun froh, dass sie fast in Göberitz waren.
'Oh shit, er kann so gut Englisch... aber vielleicht hört ja er gar nicht zu', dachte Lisa und wünschte, sie konnte sich in der Luft pulverisieren.
I want to feel your heart and soul inside of me
Let's make a deal,...
And we can go flying into ecstasy
Oh darlin' you and me
Light my fire
Blow my flame
Take me, take me, take me away
Nun waren sie angekommen und Richard stellte das Motor ab. Lisa wollte schon die Tür aufmachen, aber er hielt sie an der Hand und zwang sie, ihn anzusehen.
Dann nahm Richard ihre Hand und presste sie an seine Lippen. Für eine Weile ließ er sie nicht los und schaute Lisa richtig durchbohrend an.
"Ich muss dann," meldete sich Lisa "es t...t..tut mir leid, dass ich Dir den Abend versaut habe.."
"Mach Dir keine Sorgen, es ergibt sich noch die Möglichkeit das wieder gut zu machen..", er ließ ihre Hand los und strich ihr mit dem Daumen über die Lippen "schlaf gut Prinzessin..."
"Danke fürs Nachhausebringen. Gute Nacht." Lisa machte nun die Tür auf und wollte gehen, obwohl alles in ihr sich nach Richard sehnte.
"Lisa..." er schaute sie unendlich zärtlich an, "Du küsst wundervoll."
Lyrics: Toni Braxton 'You're making me high'
15.
Lisa hatte es tatsächlich geschafft, Richards Auto zu verlassen. Sie lief schnell ins Haus und erst nachdem sie die Tür zugemacht hatte, fuhr Richard langsam los.
Nun war sie im Bett und ließ das Ganze noch einmal Revue passieren. Irgendwie bereute Lisa, dass sie so blöd weggerannt war. Es gab ja eigentlich gar keinen Grund dazu, alles war gerade so schön gewesen...
Und Richard hatte sogar selbst angefangen sie zu küssen.
'Oh mein Gott - war das wunderschön... Kein Wunder, dass ich nicht glauben konnte, dass es kein Traum ist', dachte Lisa und regte sich gleich wieder über ihr eigenes Verhalten auf. Nur ihr konnte so etwas passieren: endlich küsste sie den Mann, den sie in ihrer Träumen wochenlang geküsst hatte und als es in Wirklichkeit passiert war, dachte sie, es wäre nur ein Traum!
War das nicht gemein?
Hatte sie sich noch nicht genug verraten?
Die Flucht hätte sie sich vielleicht sparen können und wer weiß was noch alles passiert wäre... Aber genau deswegen war sie andererseits doch froh, dass sie jetzt bei sich zuhause in ihrem Bett lag. 'Er soll nicht denken, dass Lisa Plenske so leicht zu haben ist..' mit dieser Überzeugung schlief Lisa tatsächlich ein.
Am nächsten Tag war es dann soweit. Die Präsentation sollte am Nachmittag im obersten Geschoss Kerimas stattfinden. Wegen bevorstehender Ostern war der Raum mit Frühlingsblumen und Osterhasen dekoriert. Und für die Aftershow party, war draußen auf der Dachterrasse eine Snack- und Cocktailbar vorbereitet.
Als Lisa morgens ihr Büro betrat, fand sie einen Blumenstrauß auf ihrem Arbeitstisch vor. Begeistert suchte sie nach der Karte, aber als sie 'Von Rokko' gelesen hatte, verging ihr die Freude.
'Nach so einem Auftritt würde Richard Dir bestimmt keine Blumen schicken lassen', dachte sie traurig und wählte Rokkos Nummer, um sich für die Blumen zu bedanken.
"Kowalski", quiekte es aus dem Hörer.
"Lisa hier, ich wollte mich für die Blumen bedanken... Es ist nett... aber es wäre nicht nötig gewesen." Lisa verdrehte dabei ihre Augen und dachte, dass es tatsächlich überhaupt nicht nötig war.
"Gefallen Dir die Blumen nicht?" gespielt traurig klang seine Stimme noch fürchterlicher.
"Doch...doch, natürlich."
"Dann bin ich ja beruhigt. Ich wollte damit nur zeigen, wie viel Du mir bedeutest... immer noch," jetzt war seine Stimme wirklich traurig.
"Tut mir Leid... Wir sehen uns später! Tschüss."
Die Laune war irgendwie dahin und Lisa kümmerte sich nun um die letzten Vorbereitungen für die Show. Wo steckte er bloß? Seit heute Morgen hatte sie Richard noch gar nicht gesehen und das machte sie total unsicher.
"Lisa, Schätzchen, was bist Du so abwesend heute?" fragte Hugo sie, während er ihr das Kleid reichte. "Zieh mal an, vielleicht vergeht dann dein Kummer..."
Und tatsächlich fühlte sich Lisa gleich besser und selbstbewusster, als sie das Kleid anhatte. 'Dem zeig ich es heute Abend... warte mal ab!' Sie lächelte sich selbstzufrieden im Spiegel an und bemerkte plötzlich, dass Richard hinter ihr stand.
"Was machst Du denn hier?!?" Lisas konnte ihren Schock nicht ganz verbergen und sie begann automatisch, an ihrem Dekoltee zu zupfen.
"Du siehst umwerfend aus, Lisa... ich bin einfach hin und weg", seine Begeisterung war ihm voll und ganz anzusehen, was Lisa in Verlegenheit brachte. Und wo zum Geier war Hugo hin?
Lisa drehte sich zu ihm um und sah ihn nun auch richtig an. Schon wieder war er wie aus heiterem Himmel hier aufgetaucht! Wie schaffte es Richard bloß immer, so lautlos mitten im Raum zu erscheinen? Und wie er aussah! Schicker Smoking und hochglänzende Schuhe waren dabei nebensächlich.
Diese Augen...
...und der Blick, mit dem er sie ansah... Lisa war gerade dabei, darin zu versinken, als er sie wieder ansprach.
"Du bist mir noch etwas schuldig, Lisa. Nicht wahr?" er kam noch ein Stückchen näher "erst einmal würde ich Dich um einen Tanz bitten... oder zwei."
"Ja, klar. Gerne", sie sah ihn etwas mutiger an und entgegnete "habe ich dann damit wieder alles gutgemacht?"
"Das werden wir dann sehen...", er sah sie wieder so an, dass Lisa sich unter seinem Blick fast nackt fühlte. "Aber wegrennen darfst Du diesmal nicht."
Richard nahm ihre Hand und küsste sie ganz sanft.
"Bis später, Prinzessin..."
Und weg war er.
16.
Die Präsentation war ein großer Erfolg. Lisa und Hugo wurden noch einmal auf die Bühne gerufen und bejubelt. David und Richard applaudierten mit einem Funkeln in den Augen. Nur Richards Funkeln hatte doch eine ganz andere Note, als das von David. Auch die Beiden kamen hoch und alle beglückwünschten sich gegenseitig.
David drückte Lisa ganz fest und gab ihr einen Schmatzer auf der Wange. In ihrer Euphorie umarmte Lisa auch Richard und für einen Moment, als sie sich voneinander lösten, trafen sich ihre Blicke.
Alles jubelte um sie herum, aber für Lisa erschien das Ganze wie in Zeitlupe. Nur ihn sah sie deutlich, alles andere war wie in einer Rauchwolke verschwunden. Sogar die zahlreichen blitzenden Fotoapparate störten sie in dem Moment nicht.
"Glückwunsch, Lisa...", raunte Richard ihr ins Ohr "das ist Dein Abend!"
Eine Gänsehaut überzog Lisa, als er sie erneut an sich heranzog und sein Mund sich ihrem näherte. Ihre Lippen trafen sich und es folgte ein kurzer, aber intensiver Kuss...
Lisa schwebte im siebentem Himmel, als sie ihn kurz darauf wieder ansah. Sie hätte so gerne ihn wieder und wieder geküsst, und am besten gar nicht mehr losgelassen, aber es war definitiv nicht der geeignete Platz dafür.
Als Lisa sich umsah, bemerkte sie etwas Verwirrung in einigen Augen. David zog nur seine linke Augenbraue hoch und zwinkerte den Beiden zu, wurde allerdings gleich von einem Haufen Models mit Beschlag belegt.
Draußen ging schon die Party los und Lisa zog Richard auf die Dachterrasse hinter sich her.
"Wollten wir nicht tanzen? Es ist mein Lieblingslied..."
(http://www.youtube.com/watch?v=7nOMDohML_E)-das (Lied-Link)
"Wollen wir vielleicht das Tanzen überspringen?" Richard lächelte sie schelmisch an, als sie schon auf der Tanzfläche waren.
"Hey, noch so ein Spruch und ich renne wieder weg...", antwortete Lisa empört, worauf Richard ihre Taille eng umschlang und ihr tief in die Augen sah.
"Nein-nein, heute kommst Du nicht davon, Prinzessin", er hauchte ihr ganz kleine Küsse auf das Gesicht... Und schon wieder trafen sich Ihre Lippen - aber diesmal unendlich zärtlich.
"Du hast mir ganz schön den Kopf verdreht, Lisa...", er löste sich von ihrem Mund und schaute sie voller Verlangen an.
"Und Du mir erst...", hatte Lisa das wirklich laut gesagt?! Sie senkte dabei ihren Blick und spürte deutlich seine Erregung an ihrer Hüfte. Dann folgten sie ihrer Sehnsucht und küssten sich wieder, nur diesmal war der Kuss fordernder und leidenschaftlicher als je zuvor...
Das Lied war noch nicht zuende, als die Beiden im Aufzug verschwanden.
Erst nach drei Tagen kamen die Beiden aus Richards Wohnung wieder heraus. Aber nur, weil es Montag war und sie zu Kerima mussten. Es waren drei Tage und drei Nächte in denen sie kaum aus dem Bett gekommen waren und es gab nur die Beiden. Sie hatten sich so leidenschaftlich geliebt, dass jedes mal war es wie das letzte Mal in ihrem Leben.
"Ich lasse Dich nie wieder los, Lisa!" Richard zog Lisa an sich heran, als sie im Aufzug unten angekommen waren. "Glaubst Du, wir können heute die Überstunden abbauen?"
Mit diesen Worten drückte Richard auf "12" und der Aufzug fuhr wieder hoch. Ganz außer Atem und voller Sehnsucht nach einander, betraten die Beiden wieder Richards Wohnung und entledigten sich ihrer lästigen Kleidungsstücke.
"Lass mich nie wieder los..", stöhnte Lisa und verschwand auf Wolke sieben.
Ja, Lisas Traum wurde endlich wahr und vollkommen vollendet.
ENDE.